Warum Antifaschist:innen ganz sicher nicht den CSD "angreifen"

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Am Samstag, den 29. fand in Stuttgart die große „Politparade“ zum CSD statt. Wie üblich waren wir anwesend, haben mitprotestiert und mitgefeiert. Dieses Jahr gab es erfreulicherweise eine viel deutlichere sichtbare Beteiligung von progressiven und linken queeren Menschen als bisher.
Während der gesamten Parade wurde die explizit linke Beteiligung sehr gut aufgenommen und der Bereich, in dem wir liefen, wurde stetig größer. Gegen Ende liefen rund 700 Menschen allein in diesem Block. Offensichtlich gibt es bei vielen Menschen das Bedürfnis an der Pride nicht nur erreichte Erfolge zu feiern, sondern auch weiterhin bestehende queerfeindliche Verhältnisse zu benennen, für ihre Überwindung einzustehen und sich gegen eine zunehmende Kommerzialisierung des CSDs auszusprechen.

Am Ende der Demo gab es von einer Gruppe von Antifaschist:innen eine symbolische Aktion am Wagen der IG CSD. Dieser sollte offenbar blockiert werden. Im Verlauf der Aktion kam es wohl zu einem Gerangel und verschiedenen Verletzungen. Den Verletzten wünschen wir an dieser Stelle eine rasche Genesung. Auch die Polizei hat, wie so oft in Stuttgart, maßlos und vor allem gewaltvoll regiert. Im Nachgang hat sich medial und politisch in dieser Stadt (und darüber hinaus) ein Narrativ entwickelt, das wir bislang in dieser Form nicht kannten und welches so gefährlich, wie falsch ist.
 
In diesem Statement beziehen wir uns also vor allem auf verschiedene Artikel der Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten (kurz: StZ/StN) von Christine Bilger, Jörg Breithut & Uwe Bogen, sowie Äußerungen von OB Nopper und Polizeimeldungen.
 
Vorweg: Die Blockade des IG CSD Wagens war nicht unsere Aktionsform, auch wenn wir es ebenfalls befremdlich finden, dass der CSD-Verein Parteien wie der CDU mit ihrer Beteiligung eine Bühne gibt und auch, dass sich der CSD immer mehr zu einer Werbeveranstaltung großer Konzerne (Daimler, Vodafone usw. usf.) und einer großen Party entwickelt.
 
Wozu wir etwas sagen können und wollen ist der gesamte öffentliche Diskurs der vergangenen zwei Tage. Schon am Samstagabend kam der erste Artikel in der StZ/StN: „Aktivisten greifen Vereinssprecher an“.
So ging es dann weiter und immer mehr Artikel – bis hin zur überregionalen Presse – übernahmen ein Narrativ, dass vermummte Antifaschist:innen oder eine „Jugendantifa“(?) gezielt den Sprecher des CSD oder sogar den ganzen CSD angegriffen hätten.
Viele der Artikel und Äußerungen von Politiker:innen o.ä. bringen es dann sogar noch zustande, eine Protestaktion mit einem unschönen und schmerzhaften Ende gleichzusetzen mit homophoben & queerfeindlichen Angriffen, die beinahe täglich verübt werden.
 
Zur Erinnerung: Rechte, religiöse Fundis o.ä. greifen Menschen an für Merkmale oder Identitäten, die ihnen nicht passen. Das kann eine Hautfarbe sein oder eben (vermutete) Homosexualität, Trans-Identität usw. Diese Vertreter:innen solcher Positionen reichen von nicht wenigen CDU-ler:innen bis hin zu militanten Faschist:innen.
 
Wer so etwas explizit oder implizit mit einer (höchstwahrscheinlich zufälligen) Verletzung einer Person am CSD in einem Gerangel vergleicht, macht vor allem eines: Man verharmlost und relativiert homophobe und queerfeindliche Gewalt. Hier werden die Opfer dieser alltäglichen Gewalt und ihr Leid instrumentalisiert, um eine eigene politische Agenda zu verfolgen und absurde „Hufeisen-Theorien“ zu bedienen. Hier wird ein Framing geschaffen, das sagen soll:
„Die Antifa (wer auch immer das ist) hat den CSD angegriffen, weil sie sauer sind, dass der CSD Stuttgart sich gegen Antifa-Logos in Freiburg ausgesprochen hat oder weil sie die CDU blöd finden, gingen sie mit brutaler Gewalt gegen den CSD und gezielt gegen seinen Sprecher vor.“
Es scheint uns, als bräuchte man Sündenböcke an denen man sich oberflächlich, formal und schlecht recherchiert abarbeitet, um sich bloß nicht mit der Kritik und Positionen von linken Kräften auseinander setzen zu müssen. Also ist schnell, wenn wieder irgendwas passiert, klar: Das war „Die (Jugend-)Antifa“.
Alle antifaschistischen Gruppen & Bündnisse in dieser Stadt haben Namen und sind ansprechbar. Wem es also nicht um generalisierte Feindbilder & pauschalisierende, populistische Hetze geht, kann dort sehr gerne nachfragen. Dieselben antifaschistischen Kräfte in dieser Stadt – wir – haben übrigens mit unseren Protesten dafür gesorgt, dass die christlichen Fundamentalist:innen und Faschos, die Jahrelang am Marienplatz standen und gegen den CSD protestiert haben, ihre menschenverachtende Propaganda einstellten.
 
Und das ist unsere Aufgabe und unser Ziel als Antifaschist:innen in diesem Kontext:
Rechte, Faschist:innen und Reaktionäre daran zu hindern gegen queere Menschen vorzugehen, für eine progressive Pride zu streiten und auch an den richtigen Stellen Kritik zu üben. Denn Queerfeindlichkeit ist noch lange nicht besiegt.
 
 
P.s.: Dass am Samstag früh auf der Königstraße ca. eine Stunde lang 8 militante Faschisten vom „3. Weg“ aus Reutlingen unbehelligt unterwegs waren und Flyer gegen den CSD verteilt haben, greift niemand auf – ist ja auch weniger skandalisierbar und bringt weniger Klicks. Das waren übrigens dieselben Personen, die nach dem CSD in Reutlingen in der Stadt lauerten und queere Menschen körperlich angriffen. Wem es also darum geht, queerfeindliche Gewalt zu verhindern oder sie medial zu thematisieren, dem:der sei empfohlen, sich mal denen zu widmen, die überall ganz offen schreiben, dass sie queere Menschen hassen, „umerziehen“ wollen und auch immer wieder aufgrund ihrer Identität körperlich angreifen.

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