Ohne den Staat: Kolumbianische Bauern beseitigen Koka-Pflanzungen

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Während der kolumbianische Staat Jahr für Jahr seine hochgesteckten Ziele zur Beseitigung von Koka verfehlt, haben KleinbäuerInnen im Osten Kolumbiens die Beseitigung der Pflanze selbst in die Hand genommen. Ohne Besprühungen mit Chemikalien, ohne Einsatz der Armee und die übliche Gewalt, die mit den staatlichen Offensiven einhergeht, haben sie die Koka-Pflanzungen im Departamento Arauca durch Nutzpflanzen zu ersetzt. Die Regierung war ihnen dabei nicht behilflich, im Gegenteil. Eine Übersetzung von Christopher Altgeld.

Die Beseitigung des Kokas in Arauca war das Werk der Bauern
Das Departamento Arauca – im Osten Kolumbiens – wurde am 22. März 2018 zum Territorium ohne illegale Pflanzungen erklärt. Dies wurde unter Beteiligung der sozialen und populären Organisationen, der UNO, der staatlichen Agentur für die Substitution illegaler Pflanzungen und dem Minister für Post-Konflikt in der Gemeinde Arauquita verkündet.

Was diese Erklärung auszeichnet, ist, dass das Erreichte dem Widerstand, der Mobilisierung und Organisation der Bäuerinnen und Bauern in Arauca zu verdanken ist. Diese haben trotz jahrelanger staatlicher Vernachlässigung und Gewalt kollektive ökonomische Alternativen für das Leben entwickelt – wie zum Beispiel den Anbau von Lebensmitteln für den Konsum in der Region und im Land.

Carlos Núñez, Landarbeiter und Aktivist des linken KleinbäuerInnenverbandes Asociación Nacional Campesina José Antonio Galán Zorro (ASONALCA), welcher Teil des nationalen KleinbäuerInnennverbundes Coordinador Nacional Agrario (CNA) ist, berichtet uns über diese Erfahrung:

Wie war die Situation in Arauca, als noch Koka angebaut wurde?
Dieses Territorium wurde in den 1950er und 1960er Jahre, als Folge des konservativ-liberalen Krieges, den der Staat gegen die Bauernschaft führte, kolonisiert. Mit dem Wachstum der Bevölkerung in Arauca wuchsen auch die Bedürfnisse, die der Staat unbefriedigt ließ. 1970 begann der Anbau von Koka und Marihuana, was die Entstehung einer Mafiakultur des Trinkens und der Prostitution und einen Rückgang der Lebensmittelproduktion zur Folge hatte. Außerdem hörten die sozialen Organisationen auf vom Staat Respekt für die Rechte der Gemeinschaften zu fordern. Gleichzeitig mit dem Ausbreitung dieser Pflanzungen nahmen staatliche Repression und Verfolgung zu.

Im Jahr 2002 erklärte das Regime von Uribe Arauca zur Zone der Konsolidisierung und Sanierung, was die Form einer extremen Repression gegen die Bauernschaft annahm. Soziale AktivistInnen wurden rechtlich verfolgt, Bäuerinnen und Bauern ermordet und die Ausrottung der Pflanzungen wurde als Waffe zur Vertreibung derjenigen eingesetzt, die auf ihren Grundstücken über Koka-Pflanzung verfügten. All dies half den Bäuerinnen und Bauern die Entscheidung zu treffen, Koka durch Lebensmittel zu ersetzen.

Zwischen 2007 und 2009 beseitigte die araucanische Bauernschaft die Koka-Pflanzungen in den Gemeinden Saravena, Fortul, Arauquita und Tame, und damit 80 Prozent der gesamten Anbaufläche. In Arauca gab es damals ungefähr 5.000 Hektar Koka, die zum Ziel der bäuerlichen Beseitigung wurden (Offizielle Stellen sprachen damals nur von 2.000 Hektar).

Wie funktionierte der gemeinschaftliche Prozess der Beseitigung und Ersetzung der Kokapflanzen durch Lebensmittel-Produktion?
Die Leute hatten Angst die Pflanzen zu roden, weil sie sagten, dass sie dann an Hunger sterben würden. Diese Pflanze brachte die Rückständigkeit nach Arauca, da sie keine große Infrastruktur benötigt. So kann beispielsweise das Benzin, das für die Kokaproduktion benötigt wird, zu Pferd transportiert werden, ohne dass Straßen oder Produktionsgarantien des Staates erforderlich sind. Als die Gemeinschaften von Arauca die Entscheidung zur Beseitigung des Kokas trafen, starb niemand an Hunger – es ging soweit, dass sie die Existenz der Pflanze vergaßen. Heutzutage sind die Lebensbedingungen, die Produktion, die Forschung und Technologie sowie die Organisation der Bäuerinnen und Bauern besser. Jetzt gibt es eine stabile Ökonomie mit besseren Lebensbedingungen, weil die Rückständigkeit, die das Koka einem auferlegt, hinter sich gelassen wurde. Es wurden Gremien für Kochbananen, Yuca, Cacao, Fleischwirtschaft, Milchproduktion, usw. organisiert und Vertriebswege für diese Lebensmittel im Land eingerichtet.

Wie hat der Staat auf diesen Prozess reagiert?
Die Regierung redet viel über Anti-Drogen-Politik, aber dem Staat nützt es dass die Koka-Pflanzungen existieren. Sie sind notwendig, um die Aufrechterhaltung des Militärapparats zu rechtfertigen, der dafür da ist den Krieg gegen die Bevölkerung zu führen. Das Koka ist ein vorgeschobener Grund, der die Menschen ablenken soll und dabei hilft die staatliche Repression aufrechtzuerhalten. Als das Koka von der Bauernschaft beseitigt wurde, hat der Staat das weder anerkannt, noch hat er den Gemeinschaften geholfen. Die Leute gingen zur Antidrogenpolizei und zum Verteidigungsministerium, um sich ein Zertifikat für die Beseitigung geben zu lassen, welches das Establishment ihnen aber nie lieferte. Die Gefahr die vom Koka ausging war eine Politik der Vertreibung der Bäuerinnen und Bauern Araucas durch die Regierung. Durch Paramilitarismus, die rechtliche Verfolgung und Verurteilung von sozialen AktivistInnen, die Besprühung von Pflanzungen und den Entzug des Eigentums wollte sie uns von unserem Territorium entfernen, weil es dort natürliche Ressourcen wie Erdöl gab.

Was sind die Vor- und Nachteile der Beseitigung von Koka?
Der Vorteil ist, dass das Territorium die Rolle der Nahrungsmittelproduktion, der Verbesserung der Wirtschaft, der Schaffung eines sozialen Raumes sowie des Schutzes der Umwelt übernimmt. Die Bauernschaft übernimmt die Aufgabe der Erhaltung und des Schutzes des Territoriums, lässt die Mafiakultur hinter sich und bewegt sich in Richtung einer gerechteren und kritischeren Gesellschaft, die Wissenschaft, Technik und Technologie im Territorium entwickelt.

Die Bäuerinnen und Bauern, die Koka anbauen, bleiben in der Rückständigkeit und werden stigmatisiert. Die Droge, die aus den Koka-Pflanzen hergestellt wird, gefährdet junge Menschen und andere, die sie konsumieren. So passiert es zum Beispiel den Kindern der Bäuerinnen und Bauern, die zur Universität gehen und dort aus irgendwelchen Gründen die Drogen kennen lernen, die aus dem Prozess des Koka-Anbaus stammen. Das ist eines von vielen Beispielen für die Folgen des Anbaus dieser Pflanze.

Ein weiterer Vorteil der Beseitigung des Kokas ist das Verschwinden von Faktoren die mit dieser Pflanze einhergehen – wie der Gewalt, dem sozialen Zerfall, der Desorganisierung, der Verschmutzung der Natur und der Vernachlässigung des Schulbesuchs. Es ist vorteilhaft für das Leben, das Territorium und die bäuerliche Kultur, und stärkt die Forderung nach Rechten für die KleinbäuerInnen gegenüber dem Staat. Wir sind in der Pflicht einen Vorschlag zu einer Transformation zu machen, um das Koka hinter uns zu lassen und einen neuen Mann und eine neue Frau zu schaffen.

Was schlagt ihr den Gemeinschaften vor, die das Koka noch nicht aus ihren Territorien beseitigt haben?
Für diese Gemeinschaften braucht es einen nationalen Plan, der vom Staat Garantien zur Erzeugung von Nahrungsmitteln einfordert und uns in eine nationale und internationale Agrarmacht verwandelt. Wie sollten eine Bestandsaufnahme des Binnenverbrauchs vornehmen, um zu wissen was wir im Inland produzieren können und was wir exportieren können, damit Kolumbien eine Macht der Nahrungsmittelversorgung wird, statt eine Macht des Krieges zu sein. Unser Ziel ist es unsere natürlichen Reichtümer für eine gesunde Produktion für die Welt zu nutzen; die Schaffung einer zukunftsfähigen und nachhaltigen Wirtschaft auf Grundlage der organisierten Arbeit der Bauern und Bäuerinnen.

 


Übersetzung: Christopher Altgeld
Erschienen ist das Interview am 09/04/2018 auf Periferia. Als Autor wird die Secretaría de Comunicación y Formación del CNA (KleinbäuerInnenverband) angegeben.

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