Türkei: Angriff auf Frauen vor dem 8. März

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Überall auf der Welt gehen wieder hunderttausende Frauen auf die Straße, um gegen die unerträglichen patriarchalen Verhältnisse zu demonstrieren. Im Vorlauf zum 8. März hagelt es in der Türkei Repression gegen eine feministische Gruppe. Die Frauen lassen sich nicht einschüchtern.

Die strukturelle Krise des kapitalistischen Systems führt weltweit zu politischen und sozialen Verwerfungen. Um die Ausgebeuteten und Unterdrückten bei Stange zu halten und zu verhindern, dass sie ihre berechtigte Wut und Frustration in eine tatsächlich anti-systemische oppositionelle Politik kanalisieren, greifen die herrschenden Klassen immer öfter auf autoritäre, rassistische, sexistische und andere widerliche Methoden zurück. Die Verrohung des ohnehin nicht sehr gehobenen politischen Klimas trifft dabei immer öfter und heftiger Frauen, Migrant*innen, LGBT-Individuen und Arbeiter*innen. Daher ist es auch kein Wunder, dass eine militante Frauenbewegung weltweit immer sichtbarer wird. An Tagen wie dem 8. März wird das besonders deutlich. In vielen Ländern gehen hunderttausende Frauen auf die Straße und demonstrieren – mit für die jeweiligen Länder spezifischen Forderungen – gemeinsam gegen das Patriarchat.
In der Türkei ist die Frauenbewegung seit langem eine der aktivsten, lautesten und buntesten gesellschaftlichen Dynamiken. Obwohl mittlerweile jegliche Opposition zum Regime von Tayyip Erdoğan bei der nur geringsten Regung sofort unterdrückt wird, gehen die Frauen noch immer zu zehntausenden auf die Straße und demonstrieren gegen die täglichen Frauenmorde, gegen permanente Belästigung, Vergewaltigung und Kindesmissbrauch. Die gesellschaftliche Verrohung schritt in der Türkei in den letzten Jahren rapide voran und dabei traf es vor allem Frauen und Mädchen.

Und so gehen die Frauen auch dieses Jahr zum 8. März auf die Straße. In Istanbul und Ankara fanden am Sonntag, dem 4. März, erste Demos statt, wobei die Beteiligten an einer Presseerklärung in Ankara sofort niedergeknüppelt wurden. Nichtsdestotrotz werden am 8. März in Istanbul und Ankara und anderen Städten „Nachtmärsche“ stattfinden.

Eine der aktivsten Organisationen in der Frauenbewegung der Türkei sind die Kampushexen (Kampüs Cadıları), die an unzähligen Universitäten junge Frauen organisieren. Sie wollen Frauensolidarität in Wort und Praxis aufbauen, organisieren Lesekreise, Seminare und Selbstverteidigungskurse, intervenieren bei Belästigung und Vergewaltigung und versuchen ganz allgemein das Alltagsleben von Frauen zu erleichtern (zum Beispiel mit kleinen Boxen für Hygieneartikel an Unitoiletten). Klingt jetzt zwar nicht so terroristisch, ist aber so – meint zumindest der türkische Staat.

Wenige Tage vor dem diesjährigen 8. März rief die Polizei die Familien von 15 Mitgliedern der Kampushexen an. Einige Eltern wurden direkt von der Arbeit geholt und aufs Polizeihauptquartier gebracht, wo ihnen dann erklärt wurde, dass ihre Töchter Mitglieder einer „kriminellen“ oder gar „terroristischen“ Organisation seien – nämlich der Kampushexen. Mit der üblichen Polizeitaktik wurden völlig zusammenhangslos Bezüge zwischen den Kampushexen und irgendwelchen längst nicht mehr aktiven illegalen Organisationen hergestellt. Das eigentliche Ziel ist völlig klar: Der Staat hat furchtbare Angst vor starken Demonstrationen am 8. März und überhaupt vor einer starken Frauenbewegung. Mit Einschüchterung der jungen Aktivist*innen und vor allem ihrer Familien will die Polizei die Teilnehmer*innenzahl an den Protesten möglichst gering halten und damit auch andere junge Frauen davon abhalten, sich feministischen Organisationen anzuschließen. Der derzeitige Angriff richtet sich zwar, soweit bisher bekannt, nur gegen eine spezifische Organisation, sie ist aber natürlich als Angriff auf die Frauenbewegung als Ganze zu bewerten.

Die Kampushexen ließen sich nicht einschüchtern und machten diese haltlosen Vorwürfen und hinterhältigen Attacken mit einer Presseerklärung öffentlich. Weiters veröffentlichten sie viele Videos von Frauen, die ihre Solidarität mit den Kampushexen ausdrückten und damit öffentlich erklärten, dass sich die Frauen in der Türkei nicht einschüchtern lassen. Im Pressetext wird deutlich gemacht, dass diese Repressionsversuche die Frauenbewegung nicht einschüchtern können; dass Frauen weiter ihre Stimme erheben werden gegen Gewalt an Frauen* und Mädchen* und dass sie weiter an den Universitäten und allen Bereichen des Lebens gegen das Patriarchat kämpfen werden.

Über die öffentliche Skandalisierung dieser Polizeibelästigungen hinaus wird eine Vertreterin der Kampushexen, die auch persönlich im Zentrum von Polizeiattacken stand und jüngst auf dem offensichtlich von der Polizei gehackten Facebookaccount der Hexen als „Terroristin“ gebrandmarkt wurde, Anzeige erstatten. Das wird natürlich keine rechtlichen Konsequenzen haben, da es in der Türkei de facto kein Rechtssystem mehr gibt. Aber es demonstriert, dass die Aktivist*innen keine Angst davor haben, sich öffentlich zu ihrer politischen Tätigkeit zu bekennen und deren Legitimität hervorzuheben.

Die Frauen in der Türkei, die seit Jahren vor allem gegen die täglichen Frauenmorde ankämpfen, sind mit dem Slogan „Wir werden keine einzige weitere Frau mehr verlieren“ gestartet. Und sie werden weitermachen, bis diese Parole endlich überflüssig ist. Die Reaktion der Frauenbewegung auf die jüngsten staatlichen Attacken zeigen, dass die gesellschaftliche Opposition in der Türkei – trotz aller Repression – nicht zum Schweigen gebracht wurde und so leicht auch nicht zum Schweigen gebracht werden kann.

Am 8. März werden auch in der Türkei wieder zehntausende, ja wohl hunderttausende Frauen auf die Straße gehen und dem Regime damit deutlich machen: „Was immer ihr macht, uns kriegt ihr nicht von der Bildfläche.“

Meral Çınar ist Aktivistin der Kampushexen im Exil.

Aus dem Türkischen übersetzt von Max Zirngast.

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