Wieso die Unterscheidung zwischen den Begriffen Sexarbeit und Prostitution relevant ist

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Wieso die Unterscheidung zwischen den Begriffen Sexarbeit und Prostitution relevant ist:

Und nein – nicht, weil Sprache wirklich einen so großen Einfluss auf unsere Lebensrealität hat, sondern weil es wichtig ist, Begriffe genau voneinander abzugrenzen und zu begreifen, was wir mitmeinen, wenn wir Begriffe benutzen und miteinander sprechen.

 

Wieso die Unterscheidung zwischen den Begriffen Sexarbeit und Prostitution relevant ist:

Und nein – nicht, weil Sprache wirklich einen so großen Einfluss auf unsere Lebensrealität hat, sondern weil es wichtig ist, Begriffe genau voneinander abzugrenzen und zu begreifen, was wir mitmeinen, wenn wir Begriffe benutzen und miteinander sprechen.

In linken und/oder feministischen Kreisen ist es en vogue geworden, anstatt „Prostitution“ das Wort „Sexarbeit“ zu verwenden und statt von eine*r Prostituierten* von eine*r Sexarbeiter*in zu sprechen (so wie immer von FLINTA* die Rede ist, auch wenn tatsächlich nur cis-Frauen gemeint sind).

Was damit signalisiert werden soll, ist ein „Guckt her, ich gehöre zur linken bubble“. Sogenanntes "Signaling" betreiben alle Menschen, insbesondere in Subkulturen, um eine Abgrenzung einerseits und die eigene Zugehörigkeit andererseits auszudrücken. Durch die Benutzung gewisser Begriffe werden dem Gegenüber politische Positionen indirekt mitgeteilt, wie z.B. auch beim Gendern.

Was soll also die Benutzung des Begriffes „Sexarbeit“ signalisieren?

Erstens: Neben der Prostitution gibt es auch andere Formen der Sexarbeit.
Beispiele sind hier u.a. die Arbeit als Webcam-Model, Pornodarsteller*in, im Escort-Service oder als Sexualbegleitung. Diese Tätigkeiten werden nicht vom Begriff der Prostitution erfasst und damit richtigerweise unter dem Oberbegriff „Sexarbeit“ gefasst, unter den auch die Prostitution fällt. Die Bandbreite sexueller Dienstleistungen ist enorm groß und umfasst auch solche, bei den es weder einen sexuellen Kontakt noch ein physisches Aufeinandertreffen braucht (z.B. onlyfans).

Zweitens: Mit dem Begriff der Prostitution wird eine Stigmatisierung der*des Sexarbeiters*in verbunden, welche einer konservativen und misogynen Sichtweise auf Sexarbeit entstammt.
 Dabei wird Sexarbeit insgesamt als schamvoll und als moralisches Verfehlen der*des Sexarbeiters*in gelabelt.

Im Prostituiertenschutzgesetz wird Prostitution als „eine sexuelle Handlung mindestens einer Person an oder vor mindestens einer anderen unmittelbar anwesenden Person gegen Entgelt oder das Zulassen einer sexuellen Handlung an oder vor der eigenen Person gegen Entgelt.“ beschrieben. Diese Definition soll hier als Grundlage dienen, insbesondere in Abgrenzung zum Begriff Sexarbeit.

Dabei ist es aus feministischer und emanzipatorischer Perspektive zwingend notwendig, dass Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind, keine Ausgrenzung oder jegliche Form der Abwertung treffen darf! Die Intention, nicht zu stigmatisieren, ist demnach gut und verständlich, sie lässt in diesem Fall jedoch Begriffe verschwimmen und macht sie weniger greifbar.

Der Begriff der Sexarbeit impliziert häufig auch die Selbstbestimmtheit des*der Sexarbeiters*in und macht aus der Tätigkeit sogar einen empowernden Akt. Er transportiert das Bild einer selbstbestimmten Person, die sich ganz bewusst der Objektifizierung hingibt und sie jederzeit frei von äußeren Zwängen wieder beenden kann. Diese imaginierte Person kann damit frei zwischen „Subjekt“ und „Objekt“ hin und her springen.

Für welche Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind, ist das die Realität?

Im Fall einer jungen gebildeten Frau, die sich neben dem Studium Geld dazu verdient, indem sie Fotos von sich auf onlyfans stellt, mag das noch plausibel erscheinen.* Im Fall einer 17-jährigen ukrainischen Geflüchteten, die kein Wort deutsch spricht und von männlichen Bekannten zur Prostitution gezwungen wird, eher nicht. Natürlich sind das extreme Beispiele, aber es sind die Extreme, zwischen denen wir uns bewegen. Und so scheint es doch sehr zynisch, wenn man von der selbstbestimmten Sexarbeit spricht, ohne das andere Extrem im Hinterkopf zu haben.

Die Begriffe „Sexwork“ oder „Prostitution“ sollten daher nicht leichtfertig benutzt werden. Es ist wichtig, sich in politischen Debatten zumindest auf die Bedeutung von Begriffen einigen zu können, damit nicht schon der Inhalt zum Streitpunkt wird. Der Begriff „Sexarbeit“ sollte daher nicht synonym für Prostitution verwendet werden. Er verwässert die Prekarität und das häufig damit einhergehende Leiden von Prostituierten. Er zeichnet zudem ein Bild von Selbstbestimmtheit und Freiwilligkeit, das oft nicht der Realität entspricht. Eine emanzipatorische Diskussionskultur heißt eben auch, Dinge beim Namen zu nennen.

Solidarisch mit Sexarbeiter*innen und Prostituierten, aber niemals mit Freiern!

* Beim ersten Beispiel werden die individuellen Folgen (prekäre Absicherung in der Tätigkeit, verschlechterte psychische Gesundheit, die größere Gefahr, Opfer von Stalking und einem Gewaltverbrechen zu werden) und die Frage, inwieweit „sexuelle Dienste“ einer emanzipatorischen und gleichberechtigten Gesellschaft entgegenstehen, ausgeklammert.

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Ergänzungen

...wennde auch einfach stigmatisieren kannst, wa?

Solidarität fürn Arsch!