Urteile im Prozess gegen sechs Tierbefreiungsaktivist*innen am Amtsgericht Straubing am 28. Februar 2018: Einstellungen und Geldstrafen! - Ein Prozessbericht

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Am 28.02.2018 fanden die Prozesse gegen sechs Tierbefreiungsaktivist*innen vor dem Amtsgericht Straubing statt. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, sich im Februar 2016 an der Besetzung einer Baustelle der Wiesenhof-Schlachtfabrik in Bogen (Donautal Geflügelspezialitäten GmbH) beteiligt zu haben. Die Anklagepunkte lauteten Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung.

Hintergrund des Gerichtsverfahrens war eine Aktion des kollektiven zivilen Ungehorsams gegen den PHW-Konzern. Bei dieser besetzten 30 Tierbefreiungsaktivist*innen im Februar 2016 Baukräne und das Baubüro auf einer Baustelle in Bogen bei Straubing, hielten eine Kundgebung ab, verteilten Flyer und hängten Transparente auf, um die Aufrechterhaltung des Baubetriebes zu erschweren. Dort sollte eine Hühnerschlachtfabrik wiederaufgebaut werden, die zuvor abgebrannt war. Sie ist Eigentum Deutschlands führender Geflügelfleischproduzentin, der PHW-Gruppe, besser bekannt unter dem Markennamen Wiesenhof. Gegen sechs der 30 Beteiligten fand am 28. Februar 2018 in Straubing die Hauptverhandlung statt.

Während Politik und Tiernutzungslobby versuchen, Missstände wie tagtägliche Ausbeutung und Tötung von Tieren zu bagatellisieren, werden legitime Proteste dagegen durch die Ermittlungsbehörden mit Strafverfahren kriminalisiert. Geschützt werden damit Konzerne wie die PHW-Gruppe, welche ihre wirtschaftlichen Interessen über Bedürfnisse von Menschen und Tieren stellen. Dies wollten die sechs Angeklagten in den gestrigen Prozessen unter anderem zur Sprache bringen, da sie sich klar gegen Ausbeutung und Unterdrückung von Tieren, Menschen und der Natur stellen.

Die öffentlichen Verhandlungen waren auf 10:00 Uhr angesetzt. Im Vorfeld fand bereits um 9:00 Uhr eine Kundgebung vor dem Amtsgericht unter dem Motto „Solidarität mit den Angeklagten“ mit circa 20 Unterstützer*innen statt. Mit Transparenten, die Aufschriften wie „Unsere Solidarität gegen eure Repression – gemeinsam gegen Ausbeutung und Unterdrückung“ oder „Kapitalismus überwinden – Schlachtpläne durchkreuzen“ trugen, und Flyern klärten sie Passant*innen und Interessierte über das Geschehen auf.

Die Prozesse wurden unter einem massivem Polizeiaufgebot im Amtsgericht abgehalten. Die Angeklagten wurden bereits am Morgen vor ihrer Unterkunft von einer Polizeiwanne begrüßt. Die Einlasskontrollen dauerten fast 1 ½ Stunden. Alle Besucher*innen der Verhandlungen mussten ihre Handys abgeben, die Personalausweise wurden kopiert.

Drei Gerichtsverhandlungen fanden zeitgleich statt, sie waren von unterschiedlicher Länge mit unterschiedlichen Ergebnissen.

Eines der Verfahren gegen zwei Angeklagte wurde bereits am Vormittag nach der Zeugenbefragung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft ohne Geldauflage eingestellt. Hier vertrat die Richterin die Auffassung, dass es aufgrund der lückenhaften Beweislage schwer werden würde, eine Verurteilung zu erwirken und regte an, das Verfahren ohne Auflagen einzustellen. Den zwei Angeklagten war vorgeworfen worden, in einem Baucontainer auf der Baustelle Sachbeschädigungen und Hausfriedensbruch begangen zu haben. Eine in dieser Sache dritte Beschuldigte hatte bereits vor der Verhandlung den Einspruch gegen den Strafbefehl zurückgenommen. Die dort verhängte Geldstrafe ist damit rechtskräftig.

In einem weiteren Verfahren war eine Person ebenfalls wegen Hausfriedensbruchs angeklagt. Sie soll laut Staatsanwaltschaft „aus Spaß“ auf einen Kran geklettert sein und dort ein Transparent aufgehängt haben. Letztendlich wurde die angeklagte Person zu 10 Tagessätzen a 15 Euro verurteilt.

Im längsten Verfahren, das bis 14:30 Uhr dauerte, waren drei Menschen wegen Hausfriedensbruchs angeklagt. In diesem Verfahren wurde folgende Stellungnahme durch eine der Angeklagten verlesen, nachdem der genervte Richter diese zunächst verbieten wollte, um sie dann doch zuzulassen mit der Bemerkung "von mir aus, wenn´s der Wahrheitsfindung dient, von mir aus“:

„Die beschuldigten Aktivist*innen führten an, dass die zur Last gelegte Tat (Hausfriedensbruch), wenn sie denn tatsächlich begangen worden sei, die Voraussetzungen des Rechtfertigenden Notstands nach § 34 StGB erfüllen würde. In dem Paragrafen heißt es, dass die Tat nicht rechtswidrig ist, wenn zum einen eine Notstandslage vorliegt. Das heißt eine gegenwärtige oder zumindest zukünftig höchstwahrscheinliche Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Eigentum oder ein anderes notstandsfähiges Rechtsgut. Ein solches Rechtsgut stellt auch z.B. Art. 20a GG dar, der den verfassungsrechtlichen Schutz der Tiere und der natürlichen Lebensgrundlagen garantiert. Zudem muss die Abwehrhandlung erforderlich, geeignet und angemessen sein, die Gefahr zu beseitigen. Und es muss gegeben sein, dass die Gefahr nicht anders als durch die Abwehrhandlung abzuwenden ist. Die beschuldigten Aktivist*innen legten mit Beweisanträgen dar, dass der Großschlachthof der Donautal Geflügelspezialitäten GmbH (Wiesenhof), wäre der Bau fertiggestellt worden, eine Gefahr für die betroffenen Tiere, die Natur und die Arbeiter*innen bedeutet hätte. Da die staatlichen Behörden diese Gefahren nicht beseitigen, müssten Aktivist*innen Abwehrhandlungen durchführen.

Beim Rechtfertigenden Notstand muss jedoch auch eine Interessenabwägung stattfinden. Diese ergibt in diesem Fall, dass die Notstandshandlung – sofern sie denn durchgeführt worden sei – das beeinträchtigte Interesse überwiegen würde. Das beeinträchtigte Interesse der Schlachthofbetreiber an ihrem Hausrecht sei ohnehin, da es um Geschäftsräume geht, nicht so schutzwürdig wie das in Privaträumen ausgeübte Hausrecht.

In der Abwägung mit den Interessen der durch die PHW-Gruppe und seiner Tochterfirma Donautal Geflügelspezialitäten GmbH geschädigten Tiere, Arbeiter*innen, der im Umkreis lebenden Menschen u.a. muss das Interesse an der ungestörten Ausübung des Hausrechts ohnehin zurücktreten. Es geht hierbei um das Interesse der betroffenen Tiere an ihrem Leben und an ihrer Unversehrtheit, an ihrer Zukunft und damit am Überleben. Es geht um ihr Interesse an ihrer Freiheit, sich bewegen sowie selbstbestimmt handeln, ihr Leben selbstgewählt gestalten und eigene Ziele verwirklichen zu können. Es geht um das Interesse der Tiere an einem Leben ohne Angst und ohne, dass ihnen etwas angetan wird. Es geht um die Befriedigung ihrer Bedürfnisse und darum, selbst über ihre sozialen Kontakte entscheiden zu können. Und es geht um das Interesse der Tiere, nicht vernutzt, nicht ausgebeutet und nicht ausgelöscht zu werden.

Es geht zudem um das Interesse der Tiere wie auch von uns Menschen an der Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen und damit auch an Klimagerechtigkeit, an dem Schutz der Wasservorräte und der Natur als Selbstzweck.

Nicht zuletzt geht es um das Interesse der bei der PHW-Gruppe und der Donautal Geflügelspezialitäten beschäftigten Arbeiter*innen an einer fairen Bezahlung und fairen Arbeitsverträgen. Es geht um Arbeitsschutz und soziale Gerechtigkeit. Es geht um das Interesse der Beschäftigten um betriebliche Mitbestimmung und darum, respektvoll behandelt zu werden. Und es geht um ihr Interesse an Gleichheit und somit nicht rassistisch oder anderweitig diskriminiert zu werden (ein Großteil der Arbeiter*innen bei der PHW-Gruppe wird aus osteuropäischen Ländern nach Deutschland gebracht, um unter menschenverachtenden Arbeits- und Wohnverhältnissen beschäftigt zu werden bzw. leben zu müssen).

Gegen diese in Zahl, Umfang und Gehalt bedeutenden Interessen, die zum großen Teil angesichts ihrer fundamentalen Bedeutung für unser gesellschaftliches Zusammenleben verfassungsrechtlichen Schutz genießen, muss das unternehmerische Interesse, ohne Störungen durch öffentliche Kritik den unternehmerischen Zielen in den Geschäftsräumen nachgehen zu können, zurücktreten. Insbesondere kann die ungestörte Ausübung des Hausrechts rechtlich nicht bedeuten, in den eigenen Räumen ungestört andere Rechtsgüter verletzen zu können.

Die Angeklagten hätten sodann aus Not gehandelt und die Tat wäre nicht rechtswidrig, da kein schuldhaftes Verhalten vorgelegen hätte. Die Beschuldigten wären in der Folge freizusprechen. Mindestens wäre die Tat jedoch von einem geringen Maß an Schuld gekennzeichnet und ein öffentliches Interesse an der strafrechtlichen Verfolgung fehlte, da die Tat sodann weder gefährlich, roh, grausam oder von niedrigen Beweggründen geleitet noch schwere Folgen für den Hausrechtsinhaber gehabt hätte. Das Verfahren wäre sodann nach §153 StPO einzustellen.“

Der selbstgefällige Richter, der sich bei gegenderter Sprache darüber beschwerte, dass die „männliche Form“ unterschlagen werde, verurteilte die Angeklagten in diesem Verfahren letztlich zu einmal 20 Tagessätzen a 15 Euro, einmal 20 Tagessätzen a 30 Euro und einmal 60 Tagessätzen a 15 Euro. Die Verkündung des Urteils in diesem Verfahren wurde von lautstarkem Protest aus dem anwesenden Publikum begleitet. Mehrere Anwesende verließen demonstrativ den Gerichtssaal und wünschten "noch viel Spaß bei eurer Inszenierung".

Nach den Prozessen wurden die Aktivist*innen von der Polizei durch die Stadt begleitet und bis zum Abend hielten es die Beamt*innen für notwendig, die Unterkunft zu bewachen.

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