Mit Obdachlosen reden, statt über sie

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Neumarkt in Köln. Durch Steinplatten versiegelter Platz, umgeben von Bäumen an dessem Rand.

Warum man in Köln mit der Bekämpfung der Ursachen der Obdach- und Wohnungslosigkeit von Menschen scheitern wird? Oder anders formuliert. Statt mit Obdach- und Wohnungslosen als Expert*innen in eigener Sache zu sprechen, zuzuhören welche Anregungen, Verbesserungsvorschläge, Wünsche sie haben, erfindet man (Interessengemeinschaften, Verwaltung, Politik) das Rad, schon wieder, neu.

Das nordrhein-westfälische Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat am 24. August seinen jährlichen Kurzbericht, über die Entwicklung der Wohnungslosigkeit im Lande und in seinen Kommunen veröffentlicht. Demnach hat es in Köln von 2019 auf 2020 einen Anstieg um weitere 1.000 wohnungslose Menschen gegeben. Lediglich die Internetzeitung report-K hat dies ausführlich aufgegriffen. Das heißt den Ratsfraktionen und der Verwaltung Fragen geschickt, wie man der Entwicklung der Wohnungslosigkeit in der Stadt begegnen will, und die Antworten auf seiner Webseite veröffentlicht. Weitere und konkretere Reaktionen, Veröffentlichungen sind weder von den Kanälen anderer örtlicher Medien, geschweige denn den Ratsfraktionen und -gruppen demokratischer Parteien bekannt. Wie will man aussagekräftiger nach außen tragen dass das Schicksal obdach- und wohnungsloser Menschen in der Stadt niemanden interessiert?

Die Debatte "Die Innenstadt kippt", angestoßen durch eine gemeinsame Pressemitteilung (vom 10. August) des Bürgerverein Kölner Eigelstein, des Stadtmarketing Köln, der Interessengemeinschaft ABC und des Bezirksbürgermeister der Innenstadt, fand in den Mainstream Medien mehr Aufmerksamkeit, und dominiert die öffentliche Wahrnehmung von Drogenkonsumierenden und Obdachlosen im öffentlichen Raum. Am Eigelstein, der Schildergasse, dem Neumarkt, dem Chlodwigplatz, der Deutzer Freiheit, unter anderem. Auch wenn betont wird das es nicht um die Verdrängung der Menschen von den Plätzen in der Innenstadt geht, kann man bei genauerer Auseinandersetzung damit diesen Eindruck bekommen. Verschiedene Interessengemeinschaften haben Konflikte (aus deren Sicht) benannt. Man schlägt Lösungen vor, oder stellt Forderungen an die Verwaltung, wie man (aus der Sicht der Initiativen) den Problemen begegnen soll. Dabei will man verschiedene Akteure bei der gemeinsamen Suche nach Lösungen mit ins Boot holen. Die Obdachlosen als Expert*innen in eigener Sache bleiben, schon wieder, außen vor. Man redet, schon wieder, über sie, statt mit ihnen.

Bevor es weitergeht, eine kleine Exkursion in die Kommunalpolitik. Mindestens die folgenden politischem Gremien befassen sich unter anderem mit den Themen Obdach- und Wohnungslosigkeit. Der Ausschuss, Soziales, Seniorinnen und Senioren. Die Stadtarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenpolitik, mit ihren Untergremien Beirat und Fachgruppe Wohnungslosenhilfe. Wer darin vertreten ist? Vertreter*innen der Verwaltung. Vertreter*innen der freien Träger von Angeboten und Einrichtungen der Obdach- und Wohnungslosenhilfe. Vertreter*innen der Ratsfraktionen und -gruppen. Wer nicht darin vertreten ist? Obdach- und Wohnungslose als Expert*innen in eigener Sache. Zurück zur kippenden Innenstadt.

Die Interessengemeinschaften haben in ihrer Pressemitteilung am 10. August insgesamt sieben Forderungen an die Verwaltung der Stadt gestellt. Unter anderem fordern sie mehr Ehrgeiz, das Problem ganzheitlich anzugehen. Als sichtbares Zeichen dafür einen ämterübergreifenden Projektleiter Obdachlosigkeit, der "den Hut aufhat" und die Bemühungen der Stadtverwaltung koordiniert, inklusive der Recherche nach "best practice" Beispielen in anderen Städten.Auch die WDR Lokalzeit aus Köln hat das Thema aufgegriffen und am 18. August darüber berichtet. Dort hatte man auch den Sozialdezernenten der Stadt, Dr. Harald Rau zu Gast. Der im Studiogespräch unter anderem davon sprach, dass man ein Programm zur Identifizierung mit besonderem Handlungsbedarf einrichten wolle.

Wenn man, die Interessengemeinschaften und die Verwaltung, den eingeschlagenen Weg weitergehen wird, und noch einen Runden Tisch bildet, und schon wieder, wie bereits erwähnt, über die Obdach- und Wohnungslosen spricht, statt mit ihnen, wird man scheitern. Diese Pseudodebatten, diese Mühe kann man sich sparen. Statt nachhaltiger Lösungen im Sinne der Menschen die auf den Straßen der Stadt leben, wieder nur bla bla bla, und, schon wieder, das Rad neu erfinden.

Dr. Rau äußert sich im Studiogespräch mit der WDR Lokalzeit unter anderem dahingehend, dass es Menschen gibt, die gar keine Hilfe wollen und annehmen möchten. Leider hat die Moderation im Studio versäumt nachzufragen warum dem so ist, beziehungsweise der Sozialdezernent ist leider nicht darauf eingegangen. Gerade deshalb ist es so wichtig das man die Betroffenen an entsprechenden Debatten teilhaben lässt. Wie will man Menschen die auf der Straße leben helfen, wenn man nicht die Gründe dafür weiß? Was wiederum nicht ganz stimmt, denn im Zeitraum Juni 2018 bis Mai 2019 haben Streetworker*innen Obdachlose im Auftrag der Stadt befragt. Die Ergebnisse sind der Sozialverwaltung, den freien Trägern, und den Ratsfraktionen bekannt. Das heißt, niemand aus Verwaltung und Politik kann sich damit rausreden nicht gewusst zu haben, warum die Menschen die Angebote und Hilfen, insbesondere Übernachtungen, ablehnen.

Mit den Menschen die auf der Straße leben reden, statt über sie. Das wird zwar nicht von heute auf morgen alle Ursachen für die Obdach- und Wohnungslosigkeit von Menschen bekämpfen. Jedoch ist es wahrscheinlich, wenn, was selbstverständlich sein sollte, man sich auf Augenhöhe mit den Obdachlosen bewegt, wenn man auf deren Bedarfe und Wünsche eingeht, dass mehr Menschen für die Angebote der Obdach- und Wohnungslosenhilfe empfänglich werden.

Einen ersten Schritt sollten die Kommunalpolitik und die Sozialverwaltung damit machen, dass sie die Anregungen, Verbesserungsvorschläge und Wünsche (erwähnt im Streetwork-Abschlussbericht Juni 2018 - Mai 2019) abarbeiten. Beziehungsweise das sie auf negativen Erfahrungen der Obdachlosen mit dem Regelhilfesystem und anderen Hilfen eingehen. Die entsprechenden Wortmeldungen der Menschen, die in Köln auf der Straße leben hierzu, sind aussagekräftig und konkret. Künftig ausschließlich Unterbringung in Einzelzimmern. Doppelzimmer für Pärchen. Mehr Unterkünfte, wo Obdachlose ihre Hunde mitnehmen können, und diese nicht über Nacht woanders abgeben müssen. Akzeptanz und Unterstützung von alternativen Wohnformen. Beispielsweise durch Bereitstellung von Grundstücken durch die Stadt.

Was sich auch ändern muss ist die Kommunikation mit den Menschen. Wenn man bei der Fachstelle Wohnen der Stadt Köln vorspricht, wegen der Zuweisung einer Unterkunft, oder bei einem Aufnahmegespräch für einen Platz in einem Wohnheim eines freien Trägers, versuchen die Mitarbeiter*innen, beziehungsweise Sozialarbeiter*innen herauszufinden was die Gründe für die eigene Obdach- und Wohnungslosigkeit sind. Dementsprechend bekommt man dann eine Unterkunft zugewiesen, oder einen Schlafplatz in einem Wohnheim. Künftig sollte es im ersten Schritt ausschließlich darum gehen das die Menschen eine Unterkunft, ein Dach überm Kopf bekommen. Abhängig davon ob sie alleine unterwegs sind, mit Freund*in, mit Hund. Man sollte sie zunächst ankommen lassen, und frühestens nach vier Wochen noch mal nachfragen ob sie weitere Beratung und Unterstützung wünschen, und welche. Wenn Mensch von sich aus konkret den Wunsch äußert wo man Hilfe braucht, kann man natürlich direkt eine entsprechende Unterbringung vermitteln.

Einen wesentlichen Punkt in der Debatte haben die Interessengemeinschaft, der Bezirksbürgermeister der Innenstadt, der Sozialdezernent und die Medien vergessen. Die Angebote von Einrichtungen mit Tagesaufenthalten in der Corona Pandemie. Diese müssen kritisch hinterfragt werden, denn sie sind dafür mitverantwortlich das Menschen sich auf der Straße aufhalten. Wo sonst, wenn sie nirgendwo hingehen können?

Dazu muss man folgendes wissen. Die Öffnungszeiten der Einrichtungen die einen Tagesaufenthalt sind unterschiedlich. Manche haben nur Wochentags auf. Manche nur am Wochenende. Manche die Woche über ganztags. Manche nur zu bestimmen Zeiten. Manche nur Vormittags und Nachmittags. Die Angebote der Tagesaufenthalte können unterschiedlich sein. Grundsätzlich gilt für alle, für kleines Geld bekommt man was zum essen und zum trinken. Oft ist es aber so das die Menschen völlig mittellos sind, oder man sich mit Mitarbeiter*innen, Ehrenamtler*innen und Sozialarbeiter*innen in den Einrichtungen nicht richtig verständigen kann, der Sprachen wegen.

Insofern gibt es neben den bereits genannten Anregungen, Verbesserungsvorschlägen, Wünschen der Obdachlosen, und der Auseinandersetzung mit den negativen Erfahrungen die sie in Einrichtungen gemacht haben, einen zweiten Punkt der Priorität haben, und an dem die Verwaltung und die Politik arbeiten müssen. Ein Angebot in den Einrichtungen, dass sich am tatsächlichen Bedarf und den Wünschen der betroffenen Menschen orientiert. Und nicht daran was die freien Träger, die Verwaltung und die Politik denken zu glauben zu wissen was Obdachlose wollen.

Tagesaufenthaltmöglichkeiten in allen Unterkünften, auch in Notschlafstellen, beziehungsweise bei zusätzlichen Angeboten im Rahmen der städtischen Winterhilfe. Das müssen Angebote sein wo die Menschen nicht erst von A nach B reisen müssen, um von ihrer Unterkunft zu einem Tagesaufenthalt zu gelangen. Auch muss es die Möglichkeit der Selbstversorgung geben, beispielsweise Teeküche, Dusche, Möglichkeit Wäsche zu waschen. Bei den bestehenden Einrichtungen mit Tagesaufenthaltmöglichkeiten, beispielsweise (um im direkten Umfeld des Hauptbahnhof zu bleiben), müsste es so sein dass sie täglich offen sind, und ganztags. Auch hilfreich, wenn nicht nur in der Woche, sondern auch am Wochenende und Feiertags Sozialarbeiter*innen vor Ort sind.

Vor allem, eine Atmosphäre schaffen wo die Menschen sich auch willkommen fühlen.

 

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