Anna und Arthur haltens Maul - und denken erstmal nach?

 

Anna und Arthur haltens Maul - und denken erstmal nach?

Im Nachfolgenden möchten wir Stellung zu den Auseinandersetzungen innerhalb von Connewitz in den letzten Monaten beziehen.

Uns ist schon seit längerem aufgefallen, dass in Connewitz geredet wird. Es wird geflüstert, es wird geraunt, es wird getratscht. Wer, was, wann, mit wem? Gossip ist, zu unserem Ärger, nicht nur alltäglich, sondern explizit gewünscht, begehrt. Das Dorf manifestiert sich in seiner ganzen Hässlichkeit und Stupidität.
Mensch fühlt sich zurückversetzt auf den Schulhof, zwischen den coolen Kids und ihren Cliquen.
Es wird abgecheckt, zugeschrieben, auf szenig-genug (ergo “politisch”?) oder mangelhaft (ergo “unpolitisch”?) bewertet.
Nichts Neues, es dürfte den meisten Bewohner_innen die sich irgendwo in “der linken Szene” (die aus autonomer/anarchistischer Sicht immer abzulehnen ist - Szene = Stillstand) verorten vertraut sein.

Zu unserem Erschrecken mussten wir feststellen, dass so manches Gerücht die Runde macht, Hörensagen von Ohr zu Ohr, stille Post reloaded, also genau wie auf dem Pausenhof.
Da wurde aus Arabisch - Türkisch, aus Türkisch - Nationalismus, aus Nationalismus - graue Wölfe, aus graue Wölfe - Clan. Fetzen von nur halb verstandenen religiösen Symbolen mischen sich wie von selbst unter die toxischen, pseudopolitischen Szenegespräche und mir nichts dir nichts ist der Feind zweifelsfrei ausgemacht, identifiziert und der Kiez aktiviert seine Selbstheilungskräfte. Bums, dem islamo Nafri...ähm-sry dem toxischen, antisemitischen, nicht-biodeutschen Cis-Macker haben wir es mal so richtig gezeigt. Und da die ja ohnehin alle zusammen hängen diese “Araber”/”Türken”, seiner ganzen Sippe auch. Wobei die meisten sicher eher das Wort “Clan” als “Sippe” nutzen. Da wird schnell und unhinterfragt ein Begriff aus dem deutschen, rassistischen Sicherheitsdiskurs übernommen um sich moralisch auf der vermeintlich richtigen Seite zu bewegen. Denn “Clan” gleich kriminelle Strukturen, Patriarchat, Unterdrückung der Frauen, Geldwäsche, Drogenhandel und und und...
Da wird durch ein Boykott, ein “Outing”, eingeschmissene Scheiben und Schmierereien gleich ein ganzes System an politischen Feinden angegriffen, etwas höheres als die Einzelperson... ungünstig nur, wenn am Ende die Bildzeitung titeln kann, dass sich “Ausländer” in Connewitz nicht mehr sicher fühlen würden. Da hat das mit der Vermittlung wohl nicht so ganz geklappt.

Fühlt sich die eine oder andere nun ertappt? Wird mensch uns nun vorwerfen, wir seien ja Schwurbler, Antifeminist_innen oder gleich Nazis?
Es sollte allen Leser_innen klar sein, dass wir bewusst überspitzen. Dass wir aber so langsam auch genug davon haben zu sehen, auf welcher Ebene stadtteilinterne Konflikte um Veränderungsprozesse geführt werden (bspw. mit welcher Stupidität ideologisch geradegebogen wird, was schlicht nicht passt, nur, damit die eigene von Selbstzweifel und Kritik freie politische Identität ja nicht ins Wanken gerät).

Wir haben ganz ausdrücklich nichts gegen Kritik im Handgemenge. Jedes kaputte Fenster eines Neubaus, jeder Stein im/auf/am Polizist_innenvisier, jede aufgerissene Straße, jede Barrikade, jedes fahruntaugliche Bullenauto, jede Sponti/Riot/Plünderung findet unsere explizite Zustimmung und Beifall. Jede_r Unbelehrbare, die_der umfällt, weil es nicht anders geht, ist tragisch, aber notwendig.

Gewalt wird schlussendlich nur durch Gegengewalt begrenzt und wir verneigen uns tief und in ewiger Demut vor den Genoss_innen, welche trotz Totalüberwachung und amoklaufenden Repressionsbehörden es immer noch und immer wieder schaffen, den antifaschistischen/autonomen Kampf zu unseren Feinden zu bringen.

Das alles gesagt bedeutet noch lange nicht, dass wir es begrüßen, wenn aufgrund von Klatsch und Tratsch Übergriffe gegen niedrigschwellige Ziele in unserer unmittelbaren Nachbarschaft passieren, wie zuletzt gegen die Inhaber_innen vom Al Basha Bistro.

So wird schnell die berechtigte Kritik am Verhalten eines Mitarbeiters auf den gesamten Laden bezogen und zu einem so großen Politikum, dass die Inhaber_innen und Kinder für etwas sanktioniert werden, das erst einmal eine Einzelperson getan/gesagt hat. Die Frage ist nicht ob, sondern wie mit unangemessenem Verhalten umgegangen wird. Tut es wirklich Not die Familie durch ein Blaming um ihre Existenz zu bringen? Reicht es nicht, dem Verursacher eine klare Ansage zu machen?
Muss die eigene Konfliktunfähigkeit dazu führen, Halbwahrheiten, Stereotype und ethnitisierte Kollektivbestrafung zu fordern und schlussendlich auch umzusetzen?
Es gibt einige Beispiele bei denen es gleich eine Kollektivstrafe gab und bei denen die sich fehl verhaltene Einzelperson in den Hintergrund gerückt ist.
Für uns hat dieses undifferenzierte Verhalten nichts mit “linker Politik” zu tun, es ist plump, moralisch nicht vertretbar und sollte nichts in einem Stadtteil wie Connewitz zu suchen haben.

Fakt ist, dass wir uns niemals dem Exzess hingeben sollten, dass wir für alles und jede unserer Handlungen als Autonome immer die bewusste und volle Verantwortung übernehmen müssen, sprich: Ziele definieren, angemessene Mittel anwenden, Konsequenzen und Widersprüche tragen und aushandeln. Geht ausgerechnet die Scheibe im Kinderzimmer des Neubau-Spekulationsobjektes kaputt und nun haben alle Angst? Gut so! Wird der “Fährmann” durch eine feministische Intervention gezwungen sein Geschäft zu räumen? Gut so! Behält die PolizistIn nach einem Wurf eine Narbe zurück? Gut so! Wen das jetzt schockiert: Warum hast du dann überhaupt geworfen?

Was hat das nun mit dem Al Basha Bistro zu tun?

Es gibt viele gute und wichtige Ziele, es gibt noch so viel zu tun und zu zerstören!
Nutzt eure Energie für wichtigeres als für einen Kleinkrieg, welcher zudem leider in vielen Fällen maßlos überzogen ist. Versucht differenzierter zu denken und handeln.
Bei einem Angebot von Sex gegen Geld kann ich die Person auslachen und den Laden verlassen. Solange es bei Sprüchen bleibt, ist keine härtere Intervention nötig als mit Sprüchen zu kontern. Getraust du dich nicht? Dann suche dir ein_e Freund_in und konfrontiert die Person gemeinsam.
Die Erfahrung zeigt, dass auch dies sehr effizient ist. Lernt mit den realen Widersprüchen umzugehen und werdet keine Microfaschisten in dem Versuch Connewitz „sauber“ zu halten.

Die Vergeltung scheint oft nicht im Verhältnis zu stehen zu den begangenen „Taten“, die Relationen sollten wieder etwas mehr hergestellt werden.
Immerhin geht es hier nicht um Großkonzerne, Bauunternehmen, die Bullen, Faschos...
Es sind erst einmal Menschen, welche uns in unserem Alltag nicht einschränken und nicht durch ihre besondere Boshaftigkeit aufgefallen sind. Menschen und ihr Verhalten sind divers, vieles davon ist nicht emanzipatorisch, dennoch kann ich meinen Maßstab nicht an alle Menschen ansetzen, Unterschiede müssen bis zu einem gewissen Punkt ausgehalten werden, da ein heterogenes Zusammenleben ansonsten nicht möglich ist.

 

Connewitz darf sich nicht zu einer (links) „befreiten Zone“ mit internen Bullen entwickeln.

Ein paar verärgerte, überdrüssige Autonome aus der Nachbarschaft

 

 

P.s.: Die eben erfolge Stellungnahme zum Al Basha Bistro hat das ganze nicht besser gemacht, eine Kritik an ihr würde hier jedoch den Rahmen sprengen.
Nur soviel: Ultimaten stellen nur Bullen oder Gangs und haben nichts mit autonomer Politik zu tun.

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