[Cyber Valley] Amazon-Palmer: Eine postfaktische KI?

Regionen: 

 

Oberbürgemeister Palmer vergleicht auf Facebook die Proteste gegen Amazon und das Cyber Valley in Tübingen mit dem Sturm auf das Kapitol. Das ist natürlich Blödsinn. Aus gut informierten Quellen wissen wir, dass Palmers (kostenloser) „Amazon Prime“-Zugang bis 11/2021 gültig ist. Deshalb stellt sich die Frage: Warum legt er sich trotzdem jetzt schon dermaßen für den Konzern ins Zeug und was ist noch zu erwarten?

 

 

 

Am 10. Januar um 13:12 (ohne Witz!) veröffentlichte Boris Plamer auf Facebook folgendes Statement:

 

 

 

„@capitol hill in Tübingen

 

Um einen Verkauf eines Grundstücks an Amazon zu verhindern, stürmten Gegner mit Transparenten und Geschrei in den Ratssaal. Sie konnten nur durch Einsatz der Polizei zum Verlassen des Saals gebracht werden. Das habe ich als Vertreter der Stadt angezeigt und es wurde verurteilt. Das gefällt manchen nicht, weil sie das Anliegen der Demonstranten teilen. So darf man das aber nicht angehen. Dann landet man irgendwann bei der Stürmung des Capitol Hill. Unser Capitol Hill ist das Rathaus. Niemand darf versuchen, den Rat an einer Entscheidung zu hindern. So wie niemand den Kongress an einer Abstimmung hindern darf. Nicht mit physischer Gewalt im Herz Demokratie.“

 

 

 

Am Tag zuvor veröffentlichte das Schwäbische Tagblatt ein Interview mit Palmer, in dem er (ohne Witz) in anderem Zusammenhang erklärte: „Ich bin sowieso kein Freund von Prozesshanselei“.

 

 

 

Soeben erreichte uns eine Pressemitteilung des Bündnisses gegen das Cyber Valley. Darin heißt es:

 

 

 

„Wer das gewaltsame Eindringen teilweise bewaffneter Rechtsextremer mit dem Verlesen eines Textes in einer öffentlichen(!) Gemeinderatssitzung vergleicht, verharmlost die Gefahr einer paramilitärischen Eskalation in den USA auf unerträgliche Weise. Desweiteren schreibt Palmer in seinem Eintrag von „physischer Gewalt“ und verdreht dabei das Geschehen im Gemeinderat völlig. Wenn er etwa behauptet, die Gegner „stürmten [...] in den Ratssaal“, ist das genau genommen eine Lüge.“

 

 

 

1. Palmer erstattete Anzeige gegen mehrere Personen, von denen eine tatsächlich verurteilt wurde. Tatbestand war Hausfriedensbruch, Gegenstand war das Verlesen eines Textes. Die betreffende Person war nach unserer Beobachtung von Anfang an im Sitzungssaal anwesend und hatte dort über eine Stunde zugehört, bevor sie den Text verlas.

 

 

 

2. Niemand „stürmte in den Ratssaal“. Niemand außer Palmer dürfte das ernsthaft behaupten, denn es liegen ausgiebige Video- und Audio-Dokumentationen vor. Es gab auch keinen Grund dafür, denn die Sitzung war öffentlich. Knapp 100 Amazon-Kritiker*innen waren durchgehend anwesend und äußerten in unterschiedlicher Intensität ihren Unmut.

 

 

 

3. Es gibt nichts, das die tw. bewaffneten Trump-Fans mit den Protestierenden im Gemeinderat gemeinsam haben. Die Gleichsetzung von Rechts und Links ist ein beliebtes Mittel der rechten Mitte, um Protest zu delegitimieren. Sie verharmlost damit den eliminatorischen und faschistischen Charakter extrem rechter Bewegungen.

 

 

 

4. Die Formen des Protests waren ganz offenkundig nicht darauf ausgerichtet, „den Verkauf eines Grundstücks an Amazon zu verhindern“, sondern die Beteiligten von der Falschheit ihrer Entscheidung zu überzeugen und Protest zum Ausdruck zu bringen. Das mag bescheiden klingen, angesichts der Repression und Diffamierung der Protestierenden im überschaubaren Tübinger Kontext halten wir das aber für eine mutige und bewundernswerte Aktion, die Anerkennung und Solidarität verdient hat (mehr dazu s.u.).

 

 

 

5. „Physische Gewalt“ ging nicht von den Protestierenden, sondern allenfalls(!) von den Polizeibeamt*innen auf Anordnung von Boris Palmer aus. Abgesehen davon, dass die wenigen anwesenden Polizeikräfte die bürgermeisterlich angeordnete Gewalt entlang herrschender Kategorien wie Race, Class, Gender, … zwar zur Anwendung brachten, aber nicht eskalierten, war das Gewaltniveau im Gemeinderat marginal gegenüber der symbolichen Gewalt, die das Schwäbische Tagblatt in der Folge ausübte, indem es Protestierende im Polizeigriff unter dem Titel „Bezelbub“ (mit Rückgriff auf private Aufnahmen einzner Gemeinderats-Mitgieder) veröffentlichte.

 

 

 

--_ Dass Palmer Gewalt erfindet, seinen Gegnerinnen zuschreibt und damit (Hallo Tagblatt!) immer wieder gut aus der inhaltlichen Diskussion flüchtet, ist nichts neues. Entlarvt und betont gehört diese Methode allemal. Wir wollen in diesem Kontext auch nochmal auf die PR-Agentur mfm (Menschen für Medien, gescheiterte FDP-Lobbyist*innen) hinweisen, die sich in der Vergangenheit mehrfach für das Cyber Valley engagierten bzw. als dessen Pressevertretung (Isabella Pfaff) ausgegeben hat. Blöd gesagt: Das zahlen wir mit unsern Steuern.

 

 

 

 

 

 

 

 

webadresse: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen

Ergänzungen

von nocybervalley.de:

PS: Neben dem gestrigen Prozess wurden noch zwei weitere Strafbefehle in derselben Sache erlassen, die wahrscheinlich auch zur Verhandlung kommen werden. Wer die Betroffenen unterstützen möchte, kann unter dem Stichwort/Verwendungszweck „Amazno“ an folgendes Konto überweisen:

Konto: DFG-VK Stuttgart (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen)
IBAN: DE32 4306 0967 4006 1617 40
Zweck: „Amazno“