Antikapitalistisches Protestcamp durch Polizei verhindert - ein Anschlag auf die Demokratie

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Ein "Festival der Demokratie" sollte es werden. Das auf einem Festival auch gezeltet wird scheint den regierenden Parteien nicht bewusst zu sein. Stattdessen zeigt der Polizeistaat seine hässliche Fratze - demokratiefreie Zone Hamburg. Demonstrationen um jeden Preis verhindern scheint die Devise zu sein - und in der Presse sowie vor Gericht wird lediglich diskutiert, ob Schlafen auch eine Protestform sei...

Es ist schon aberwitzig. Bei jedem Gipfel bisher gab es Protestcamps. Diese Camps dauern meist länger als der eigentliche Gipfel, gegen den Proteste artikuliert werden. Die Reduzierung auf die Übernachtungsfrage durch die Polizei Hamburg zeigt deutlich, dass der demokratische Prozess mit aller Gewalt verhindert und negiert werden soll. Denn Camps sind nicht nur ein Rückzugsraum, in welchem geschlafen, gegessen und sich erholt werden kann - sie sind Teil der Proteste. Tausende Menschen aus allen Teilen der Welt haben in solchen Camps zusammen gefunden und über Tage hinweg eine demokratische Kultur von Unten befördert. Meinungsaustausch und sich Kennenlernen - spektren- und strömungsübergreifend. Netzwerke bilden. Die Camps waren das, was der G20 von sich behauptet ohne es leisten zu können - ein demokratischer Austausch zwischen all den Menschen, die bis dahin nur das Ziel einte, gegen den Gipfel zu demonstrieren. Daher ist der Verbot des Camps mehr als nur eine polizeitaktische Überlegung zur Sicherung des G20-Gipfels, mehr als nur die Zerstörung und Verhinderung der notwendigen Infrastruktur für einen massenhaften Protest. Mehr als nur Einschüchterung all der Demonstrierenden, von denen die große Mehrheit sich weder auf die militante Machtprobe einlassen noch sich in dem dazugehörigen Diskurs verheizen lassen will. Es ist ein direkter Anschlag auf die Demokratie. Es ist die Aushebelung einer der elementaren Grundpfeiler des demokratischen Rechtsstaates: der Versammlungsfreiheit. Sich friedlich zu Versammeln.
All das wurde von der Polizei schon im Vorhinein verhindert und konsequent bis heute verfolgt. Die Scheinheiligkeit, mit der auf die angeblich gewaltbereiten TeilnehmerInnen des Protestcamps verwiesen wird, dann aber vor Gericht mit Grünanlagenschutz argumentiert wird, spricht Bände. Demokratie ist der Polizei ein Dorn im Auge. Wie unterschiedlich die Auffassungen von Demokratie sind und was sie ausmacht wird gerade an der Frage des verhinderten Camps deutlich.

Aus aktivistischer und vor allem militanter Sicht war die Lage des Camps katastrophal

Auch aus polizeitaktischer Sicht macht die Verhinderung des Camps in seiner letzten Lage keinen Sinn. Denn für geplante Blockadeaktionen am Freitag und Samstag war die Lage auf der Halbinsel katastrophal. Mit Leichtigkeit hätte die Polizei am Freitag und Samstag das Camp umstellen und einen der größten Polizeikessel bilden können bis alle Kolonnen an ihrem Ziel sind. Außerhalb des Rechtsstaates wäre auch das gewesen, keine Frage. Aber dass der notorische Rechtsbrecher Dudde, Einsatzleiter des Polizeieinsatzes zum G20, davor Skrupel gehabt hätte glaubt ja wohl keiner. Erst recht nicht die "gewaltbereiten" Militanten, die angeblich in dem Camp laut Polizei unterkommen sollten. Es wäre eine Falle gewesen, sich dort ab Donnerstag Nacht aufzuhalten. Die Vorstellung, wie militante Gruppen sich im Camp formieren, ausrüsten und dann losziehen funktioniert so nur in der Vorstellungskraft von Menschen, die sich über die Machtverhältnisse und die geografische Lage des Camportes nicht bewusst sind. Es ist daher sehr unwarscheinlich, dass sich gerade militante Gruppen, die ja einer höheren Repressionsgefahr auf dem Weg zur Aktion ausgesetzt sind als andere, sich tatsächlich in großen Gruppen auf dem Camp eingefunden hätten bzw. das Camp zu deren Rückzugsort geworden wäre. Die polizeilichen Schikanen am Camp hatten bereits eindrucksvoll bewiesen, dass gerade die Halbinsel kein guter Ort ist, um in Ruhe Molotow-Cocktails anzumischen und dann in die Stadt zu schmuggeln. Militante Gruppen mögen andere Aktionsmittel haben, dumm sind sie allerdings nicht. So ist aus aktivistischer Sicht, wenn es nur um die Blockaden am Freitag und Samstag geht, die momentane Situation sogar zu begrüßen: Die meisten AktivistInnen werden nun in der ganzen Stadt verteilt schlafen - teilweise auch direkt an den Transitstrecken und innerhalb der 38km² großen demokratie- und rechtsfreien Zone. Immer mehr hamburger Bürger und Institutionen öffnen ihre Pforten nun für die verhinderten Campierer. Unkontrollierbar für die Polizei können sich Kleingruppen nun aus allen Richtungen der Stadt aufmachen, um ihre kleineren und größeren Blockadeaktionen durchzuführen. Ob friedlich oder militant.

Das Camp ist mehr als nur ein Rückzugsort

Warum die AktivistInnen trotzdem an ihrer Vorstellung des Camps festhielten - trotz der beschissenen taktischen Lage - ist offensichtlich: Sie wollten eben das Camp durchführen. Das Camp selbst wäre ein Ausdruck der Proteste gewesen. Das Aufzeigen der anderen Welt, die eben doch möglich ist. In denen verschiedene Spektren, Strömungen und Ideologien friedliebend miteinander leben, diskutieren und ihre Inhalte formulieren und sichtbar machen können. Besuche von Pressevertretern auf dem Camp, die der Öffentlichkeit in einer ruhigen Stimmung vermitteln können um was es den vielen Tausenden eigentlich geht, die da am Freitag und Samstag auf den Barrikaden stehen, sich in Sitzblockaden in Lebensgefahr bringen oder sonstwie ihrem Protest Ausdruck verleihen. Daher ist auch das Schlafen auf dem Camp selbstverständlich ein demonstrativer Akt. Ein Akt der zeigt, siehe, hier kann ich ohne Bedenken in meinem Zelt schlafen. Schau, mit unseren ökologischen Toiletten haben wir Alternativen zu der zentralisierten Wasserökonomie. Guck mal, so funktioniert unsere Solaranlage im Inselsystem Marke Eigenbau. All die Kleinigkeiten eben. Dabei wäre das Camp an einem zentralen und für die Hamburger Bürger zugänglichen Ort, so dass sich auch diese ein reelles, direktes Bild selbst machen können und mit AktivistInnen in den direkten Kontakt kommen. Bei einem veganen Burger oder dem Biokartoffelsalat mit Speck. Das ist gelebte Demokratie und das kommt dem Ausdruck "Festival der Demokratie" viel näher als dieser demokratiefeindliche Polizeistaat, der seit Wochen nun Hamburg beherrscht. Und vielleicht sogar wichtiger für die Proteste und die Vermittlung der Inhalte als die Demonstrationen auf der Straße.
Auch für den Aufbau einer so wichtigen internationalen Bewegung, wie es die Antiglobalisierungsbewegung einst war, ist ein solches Camp enorm wichtig. Hier werden Kontakte geknüpft, hier wird diskutiert, sich ausgetauscht, verliebt...
Wer einmal auf einem solchen Camp in den Tagen vor den Protesten war, weiß wie wichtig aber auch imposant die mehrsprachig gehaltenen Plena (Versammlungen) sind. Ich erinnere mich noch gut an meine ersten stammeligen Übersetzungsversuche, als mal wieder ein Dolmetscher gesucht wurde und niemand mehr da war, der nach 5 Stunden bereit bzw. in der Lage war, das zu gewährleisten. Und wenn es nur darum geht, dass die Veganer nicht wollen, dass der Bratenduft des Grillfleisches in ihr "Barrio" zieht. All das, das gemeinsame Sitzen am Lagerfeuer, das gemeinsame Spinnen darüber, wie eine bessere Gesellschaft aussehen könnte. Das gegenseitige Kennen und Respektieren lernen. In solchen Camps werden die Grundsteine gelegt für spätere Kampagnen, werden Netzwerke aufgebaut - kurz: es wird eine Bewegung geschaffen. Es ist der Anlaufpunkt nummer Eins vor allem für internationale Gäste, da sie hier leicht unterkommen können. Es ist ein Magnet für Andere, die gerade diesen internationalen Austausch suchen.

Worum es der Polizei wirklich geht

Das die Polizei kein Interesse an Demokratie hat, bewies sie bereits am Sonntag Abend, als sie beschloss die Gewaltenteilung temporär aufzuheben und sich über geltende Gerichtsbeschlüsse hinwegzusetzen. Nicht Politiker, nicht Gerichte, nein die Polizei bestimmt, was gemacht werden darf und was nicht. Dieses altpreussische Denken ist eines Obrigkeitsstaates würdig, einer Demokratie sicherlich nicht. Das Interesse der Polizei liegt auch nicht daran, die Zusammenrottung militanter AktivistInnen zu verhindern. Das Interesse der Polizei war, die Deutungshoheit über den Protestdiskurs zu behalten, den sie seit einigen Wochen bereits innehält. Proteste gegen den G20 sind gewalttätig, die Polizei sind die Guten. Die Polizei sind die Armen, die das Ausbaden müssen. Blablabla.
Mehr Angst als vor den gewalttätigen Ausschreitungen hat die Polizei vor einem massenhaften zivilen Ungehorsam. Selbiger würde nämlich den Rahmen des Einsatzes bei weitem Sprengen. Also tut sie alles daran, dass sich am Freitag und Samstag möglichst nur noch eine kleine Gruppe in Hamburg aufhält, die dann dank vorheriger Stigmatisierung so leicht wie möglich verprügelt, abgeführt oder sonstwie unter Kontrolle zu halten ist. Daher ist das Campverbot für sie so immens wichtig. Wenn Pressevertreter auf dem Camp auf einmal keine gewaltbereiten vollvermumten Autonomen zeigen sondern statt dessen einen bunten Haufen Menschen aus allen Teilen der Welt - das wäre der Supergau für die Polizei gewesen. Gleichzeitig wird damit allen, die nicht bereit sind, für ihren Protest ihre eigene Haut zu riskieren gezeigt: in Hamburg seit ihr nicht willkommen. Wir knüppeln euch weg. Ihr entkommt der Gewalt nicht - auch nicht in Entenwerder weit ab der Verbotszonen. Bereits die Demonstrationen am Sonntag haben gezeigt, dass die Taktik der Polizei aufzugehen scheint. Durch den ständigen Diskurs um Gewalt abgeschreckt wurden die Veranstaltungen deutlich kleiner als erwartet. Das ist die Grundüberlegung hinter dem Campverbot. Das ist die Grundüberlegung hinter der Ausrufung des Ausnahmezustandes namens Gefahrengebiet. Darum werden absichtlich übertrieben hohe Zahlen von angeblich Gewaltbereiten verbreitet. Das Einschüchtern. Und es gelingt. Leider.

Was nun?

Durch all dieses Verhalten von Polizei und Politik ist nur eines klar. Die befürchteten Ausschreitungen, die selbsterfüllende Prophezeihung, hat ihre notwendige Legitimation bekommen. Wie in Genua, wo der schwarze Block unbehelligt durch die Straßen wüten konnte während die Großdemonstration zusammengenküppelt wurde, greift die polizeiliche Taktik gerade den "friedlichen" Widerstand an. Wie damals werden die autonomen Protestformen und Taktiken wie der schwarze Block instrumentalisiert. Wenn friedliches Demonstrieren derart von der Polizei verhindert wird, wenn Proteste derart kriminalisiert werden wie jetzt, dann sind die "militanten Autonomen" nachher die einzigen, die sich noch trauen auf die Straße zu gehen - und für uns alle demonstrieren. Das darf natürlich nicht sein. Nicht, weil deren Anliegen nicht berechtigt wären, nicht, weil ihre Aktionsformen falsch wären. Nein, es darf nicht sein, dass der Staat uns unsere Mittel diktiert. Es darf nicht sein, dass der Staat Teile unseres Protestes instrumentalisiert, um andere Teile auszuschalten. Es gilt daher jetzt erst Recht auf die Straße zu gehen. Es gilt daher jetzt erst Recht, dem Polizeistaat die rote Karte zu zeigen. Es gilt, der von der Polizei forcierten Einschüchterung und Spaltung der Proteste entgegenzutreten.
Ob friedlich oder militant, wichtig ist der Widerstand.
Wir sehen uns auf der Straße.

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