Irrweg Pazifismus

Im Folgenden findet sich eine Zusammenstellung von Thesen darüber, warum typische pazifistische Argumente Produkt einer illusorischen Sicht auf die Welt sind und weswegen und unter welchen Umständen es lohnenswert sein kann, ein zielgerichtetes militantes Vorgehen in Erwägung zu ziehen. Bis auf den Abschnitt „Die Befriedung des revolutionären Potenzials“ lassen sich die Argumente sowohl auf das Ziel übertragen, Widerstand gegen rechte Gruppierungen zu leisten, als auch Aktionen durchzuführen, die sich unmittelbar gegen die Verteidiger*innen von Nation und Kapitalismus richten. Die Argumente speisen sich dabei vor allem aus der Broschüre „Wie Gewaltfreiheit den Staat schützt“, die vor kurzem auf Deutsch veröffentlicht wurde, aber um eine gute Portion Pathos gekürzt und um wichtige Argumente erweitert werden kann.

Pazifistische Argumente auf ihren Gehalt hin zu überprüfen bedeutet jedoch nicht, dass Militanz immer und in jeder Form vertretbar ist oder das nicht-gewaltsame Formen politischer Partizipation zwangsläufig zum Scheitern verurteilt oder unemanzipatorisch sein müssen. Es bedeutet nur, dass die Wahl der Mittel immer wieder zur Diskussion gestellt werden muss und das einige der immer wieder vorgebrachten pazifistischen Argumente bestimmten Widersprüchen aufsitzen. Welche Art von politischer Betätigung jede*r von uns letztlich wählt, ist auch eine moralische Entscheidung, welche in letzter Instanz nicht durch logische Argumente begründet werden kann, sondern sich maßgeblich daran orientieren muss, wie viel Gewalt ein Mensch ertragen sowie ausüben möchte beziehungsweise kann.

Gewalttätig sind nur die Randalierer
Ob im Betrieb, an den europäischen Außengrenzen oder auf der Straße: im Rahmen der gesellschaftlichen Produktions- und Aushandlungsprozessen ist Gewalt alltäglich. Walter Benjamin definiert jene in seinem bekannten Essay „Zur Kritik der Gewalt“ als „Eingriff in den sittlichen Bereich des Menschen, den Bereich körperlicher und seelischer Unversehrtheit“. Hierbei geht es nicht nur um das aktive Eingreifen, sondern auch das Unterlassen von Hilfe in einer Notsituation oder die Beeinträchtigung des kapitalistischen Normalbetriebs (und die zugehörigen Einschränkungen) durch einen Streik können als gewaltvolle Handlungen verstanden werden. Der Kern der positiven Rechtsauffassung, die in den modernen Gesellschaften in Form des Gewaltmonopols zu finden ist, lässt sich etwa wie folgt umschreiben: Nur der Staat verfügt über die berechtigten Mittel der Gewalt (Freiheitsentzug, Geldstrafe, Todesstrafe) und unterscheidet somit zwischen der sanktionierten (legalen) Gewalt und der nicht-sanktionierten (illegalen) Gewalt. Die Unterscheidung zwischen legaler und illegaler Gewalt gibt hingegen keine Auskunft darüber, welche Formen moralisch vertretbar, in bestimmten Situationen sogar geboten sein können. Das dümmliche Argument, Gewalt sei zur Durchsetzung politischer Ziele nutzlos oder provoziere eine Gewaltspirale, wird schon dadurch widerlegt, dass die durchaus wirksame Lebensversicherung der modernen Nationalstaaten die hochgerüsteten Armeen und Polizeien sind.

Das Ziel einer kommunistischen Gesellschaft ist es demgegenüber, Gewalt bestmöglich zu minimieren, indem jedem Menschen ein größtmöglicher Grad an Freiheit und das Recht zugestanden wird, an den politischen Entscheidungen, die ihn direkt oder indirekt betreffen, unmittelbar mitzuwirken. Zuallererst muss also die staatliche Gewalt beendet werden, welche die Menschen unter Androhung von Sanktionen dazu verpflichtet, am kapitalistischen Produktionsprozess zu partizipieren und dazu einzelnen Menschen die Autorität verleiht, anderen, dann wenn es aus Sicht des Staates oder sogar aus eigenem Ermessen notwendig erscheint, formal als legal geltende Gewalt anzutun.

Die allseits beliebte Annahme, dass schon der Parlamentarismus ein Gegenpol zur politischen Gewalt darstelle, weil er die Gesellschaft durch einen „geordneten“ Aushandlungsprozess befrieden würde und Veränderungen dadurch entstehen müssten, dass sich Mehrheiten bilden sollen, ist auf mehreren Ebenen falsch:
Die durch Parlamente verabschiedeten Gesetze stellen einen Rechtsvertrag dar. Bei Nichteinhaltung droht der Staat Gewalt in Form von Strafen an, nur weil ein Aushandlungsprozess nach festgeschriebenen Regeln verläuft, ist das keine Garantie dafür, dass hierdurch Gewalt reduziert wird. Außerdem ist, „so wie jeder Vertrag durch rechtsetzende Gewalt eingesetzt ist, auch der Sieg des Parlamentarismus aus der revolutionären Gewalt hervorgegangen. So ist die so oft durch die Parlamentarier erfolgende Verschmähung der Gewalt Zeichen des Verfalls des Parlamentarismus im Sinne einer Abstumpfung gegenüber dem eigenen historischen Ursprung. Die Entgegensetzung von gewaltsamer Aktion einerseits und parlamentarischer Verhandlungsstrategie als gewaltfrei andererseits ist somit falsch.“ [1]
Der Spielraum für Veränderungen, welcher innerhalb einer parlamentarischen Demokratie existiert, ist durch das jeweilige Grundgesetzt vorgegeben: einen Ausweg aus dem zerstörerischen kapitalistischen System ist meist nicht vorgesehen, eine Effektive Reduktion der alltäglichen Gewalt ist also solange nicht abzusehen, wie der bürgerliche Staat die herrschende Ordnung stützt. Ein Aushandlungsprozess, in dem im Fall von widersprüchlichen Interessen die zahlen oder einflussmäßig unterlegene Gruppe in ihren Interessen eingeschränkt wird, also womöglich ein Eingriff in die persönliche Unversehrtheit erfolgt, ist eine weitere Quelle von Gewalt, die im Parlamentarismus systemisch angelegt ist. Vor allem in der Kombination von wirtschaftlichen Interessen und Überlegenheit einer Bevölkerungsgruppe entfaltet die parlamentarische Demokratie ihre größte und verachtenswerteste Gewalt: Kriege, Abschiebungen, Abschottung, katastrophale Zustände in Pflegeeinrichtungen, Umweltzerstörung etc.

Darüber hinaus ist nicht nur die staatlich ausgeübte Gewalt gesetzlich legitimiert. Auf persönlicher Ebene gibt es Formen von physischer Gewaltanwendung, welche sowohl legal als auch moralisch vertretbar sind, in erster Linie kann hier die Selbstverteidigung gegenüber einem unmittelbaren Angriff erwähnt werden. Zudem hat selbst der deutsche Gesetzgeber berücksichtigt, dass der Status „legal“ oder „illegal“ im Sinne des momentan geltenden Rechts nichts darüber aussagt, ob eine Handlung gerechtfertigt oder moralisch vertretbar ist und daher das Widerstandsrecht geschaffen, welches jedem Menschen erlaubt, sich unter bestimmten Bedingungen gegen staatliche Gesetze oder Maßnahmen aufzulehnen oder ihnen zumindest den Gehorsam zu verweigern. Dies bedeutet, dass ein Verstoß gegen geltende Gesetze, also eine illegale Handlung, vom Grundgesetzt legalisiert wird, um den Handelnden zu einem späteren Zeitpunkt gegebenenfalls vor Sanktionen zu schützen.

Aufgrund der geringen Aussagekraft des Legalitätsprinzips ist es für eine kommunistische Praxis unabdingbar sich selbst Gedanken darüber zu machen, wo Gewalt, also die Zurichtung des Einzelnen, stattfindet und ob es aufgrund der gewaltvollen Verfasstheit der bürgerlichen Gesellschaft notwendig ist, selbst auf ein gewisses Maß an gewalttätigem Verhalten zurückzugreifen, also aktiven Widerstand zu leisten. Im politischen Kontext ist Gewalt daher ausschließlich als Mittel zu verstehen, welches niemals zum Selbstzweck verkommen darf, denn dann würde sich die eigene politische Praxis nicht mehr von der des politischen Gegners abheben. Ebenso ist es aber auch eine naive Vorstellung, dass sich eine vollkommene Trennung vollziehen lässt, da die aktive Ausübung von Gewalt auf den Einzelnen und insbesondere auf Gruppen eine psychosoziale Wirkung ausübt und auch zwei Personen bei der Berücksichtigung der gleichen Fakten trotzdem zu einem unterschiedlichen Urteil darüber kommen können, ob und welche Formen der Militanz in einer bestimmten Situation angebracht sind. Ebenso besteht auch immer die Gefahr, dass Fakten übersehen werden oder Aktionen aufgrund von situationsbedingten Fehlern zu unbeabsichtigten Folgen führen. In linken Kontexten werden dementsprechend zwangsläufig Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit auftreten, welche in Bezug zu den herrschenden politischen Verhältnisse reflektiert und solidarisch diskutiert werden müssen. Es gibt gegenüber politischer Militanz, die das Ziel einer langfristigen Gewaltreduktion verfolgt, eine Reihe von Vorbehalten, welche paradoxerweise nicht im gleichen Maße auf die gewalterhaltenden Maßnahmen des Staates bezogen werden. Die Vorbehalte fußen vor allem auf einem falschen Verständnis der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und sollen daher im Folgenden diskutiert werden.

Gewaltfreiheit als Privileg
Vor allem im Hinblick auf die Selektivität mit der bestimmte gesellschaftliche Gruppen psychischen und physischen Angriffen ausgesetzt sind, ist Gewaltfreiheit ein Ausdruck einer verzerrten und privilegierten Position. Vor allem Schwarze Menschen, Migrant*innen und Frauen* sind zu einer weitaus häufigeren Zahl Angriffen im Privaten (durch den Ehemann, Neonazis etc.) ausgesetzt und erfahren von staatlicher Seite gleichzeitig einen geringeren Schutz oder sogar weitere Zurichtungen. So war eine Vergewaltigung in der Ehe in Deutschland noch bis 1997 straffrei, das physische zur Wehr setzen gegen eine solche, konnte aber unter bestimmten Bedingungen als Körperverletzung geahndet werden. Gewaltfreiheit setzt voraus, dass wir jene, anstatt uns gegen Gewalt aktiv zu verteidigen, geduldig erleiden können, bis genügend gesellschaftliche Kräfte mobilisiert sind, um sie friedlich zu beenden. Die meisten Befürworter*innen der Gewaltfreiheit werden sie nicht nur als eine enge politische Praxis, sondern als eine Philosophie darstellen, die es verdient, in das gesellschaftliche Gefüge selbst einzudringen und die Gewalt in all ihren Erscheinungsformen zu beenden. Aber Pazifist*innen scheinen der alltäglichen und strukturellen Gewalt innerhalb des parlamentarischen Systems nicht die gebührende Beachtung zu schenken, sie vermuten sie nur als öffentlich sichtbare Verhaltensweise von vermeintlich „schlechten Menschen“. Allerdings werden bestimmte Personengruppen Opfer von legaler Gewalt (Abschiebungen, Inhaftierungen...) oder solchen Formen, welche öffentlich kaum sichtbar sind (häusliche Gewalt...) und haben damit auch das legitime Interesse die Gewalt gegen sich um einen höheren Preis unmittelbar beenden zu wollen. Politisches Aufbegehren muss in diesen Fällen als eine Form von (präventiver) Selbstverteidigung gesehen werden, die keinen Aufschub erlaubt und nur aufgrund einer falschen Perspektive als überzogen erscheint.

Pazifismus, der schwierige Weg?
Oft ziehen es Pazifist*innen vor, sich selbst als rechtschaffend und moralisch überlegen zu bezeichnen, da sie einen Kodex der Gewaltfreiheit verfolgen. Sie verzichten hingegen darauf, ihre Position logisch zu verteidigen. Die meisten Menschen, die die Argumentationen zur Gewaltfreiheit gehört haben, haben auch das Argument gehört, dass Gewaltfreiheit der Weg der Hingebungsvollen und Disziplinierten sei und dass Gewalt immer der "leichte Ausweg", ein Nachgeben gegenüber niederen Emotionen wäre. Dies ist offensichtlich absurd. Gewaltfreiheit ist der leichte Ausweg. Menschen, die sich für Gewaltfreiheit entscheiden, haben eine weitaus bequemere Zukunft vor sich als Menschen, die sich für eine Revolution entscheiden. Ein Gefangener der afroamerikanischen Befreiungsbewegung erzählt, dass er, als er sich dem bewaffneten Kampf anschloss, schon im Teenageralter wusste, dass er entweder tot oder im Gefängnis enden würde. Viele seiner Genoss*innen sind tot. Dafür, dass er den Kampf hinter den Gefängnismauern fortgesetzt hat, wurde er viele Jahre in Einzelhaft eingesperrt, was einer psychischen Folter gleichkommt. Gewaltfreie Aktivist*innen können ihr Leben für ihre Sache geben, und einige wenige, wie zum Beispiel Martin Luther King, haben es auch getan, aber im Gegensatz zu Militanten steht ihnen in der Regel kein Punkt bevor, an dem es keine Rückkehr zu einem bequemen Leben gibt!

Die Befriedung des revolutionären Potenzials
Pazifist*innen leisten die Arbeit des Staates, indem sie die Opposition im Voraus befrieden. Das Zulassen gewaltloser Proteste verbessert das Image des Staates. Ob sie es nun beabsichtigen oder nicht, gewaltfreie Dissident*innen spielen die Rolle einer loyalen Opposition in einer Aufführung, die aktiven Widerstand dramatisiert und die Illusion erzeugt, dass eine demokratische Regierung nicht elitär oder autoritär ist.
Einige Pazifist*innen verschleiern diese gegenseitige Beziehung, indem sie behaupten, die Regierung würde es nur zu gerne sehen, wenn Proteste gewalttätig ablaufen. Auch wird behauptet, dass die Regierung sogar die Gewalt fördert und dass viele Aktivist*innen, die auf Militanz drängen, in Wirk-lichkeit Provokateur*innen sind. Nach dieser Argumentation sind es ihrer Meinung nach die militanten Aktivist*innen, die dem Staat in die Hände spielen. Regierungen fördern Gewalt hingegen nur dann, wenn sie sicher sind, dass die Proteste eingedämmt werden können und nicht außer Kontrolle geraten. Wenn jemand eine militante Widerstandsgruppe dazu veranlasst, vorzeitig zu handeln oder in eine Falle zu tappen, wird letztlich das Gewaltpotenzial der Gruppe verringert, indem beispielsweise Haftstrafen verhängt werden können. Der einfältigen Behauptung der Pazifist*innen, dass sie sich irgendwie selbst stärken würden, indem sie einen Teil ihrer taktischen Optionen von vorneherein ausschließen, widerspricht das Handeln der Repressionsorgane, deren oberste Priorität es ist, undogmatischen Aktivismus einzudämmen.

Gewalt und Außenwirkung
Gewaltfreie Aktivist*innen müssten keine Gewaltfreiheitsvorschriften anwenden, die von den konservativen und neoliberalen Kräften etabliert wurden. Sie tun es regelmäßig freiwillig, um ihre Führungsrolle und ethische Erhabenheit gegenüber dem Rest der Menge zu behaupten. Sie tun es auch als Versicherung, damit sie ihre Organisation vor der Dämonisierung in den Medien schützen können, falls während eines Protests unkontrollierbare Gruppen gewaltvoll handeln sollten. Sie präsentieren den Kodex der Gewaltfreiheit als Beweis dafür, dass sie dafür nicht verantwortlich sind. Zu diesem Zeitpunkt haben sie aus Sicht der Metapolitik einen großen Fehler begangen. Ein typisches Interview läuft in etwa so ab:

- Reporter*in: „Was haben Sie zu den Fenstern zu sagen, die bei dem heutigen Protest eingeschlagen wurden?“
- Protestierende*r: „Unsere Organisation hat ein öffentliches Gewaltverzichtsversprechen. Wir verurteilen die Aktionen der Extremist*innen, die diesen Protest für die wohlmeinenden Menschen ruinieren, denen es um die Rettung der Wälder, die Beendigung des Krieges und das Stoppen der Abschiebungen geht.“

Aktivist*innen erhalten selten mehr als zweizeilige Zitate oder Zehn-Sekunden-Clips in den großen Mmedien. Die gewaltfreien Aktivist*innen, deren Aussagen hier beispielhaft dargestellt werden, verschwenden ihr flüchtiges Rampenlicht, indem sie in die Defensive gehen! Ihr Thema dem moralischen Anspruch der regierenden Parteien unterzuordnen führt zudem dazu, dass der Öffentlichkeit Schwäche, Versagen und Desorganisation eingestanden wird und Gleichgesinnte verraten werden. Dieser Austausch hätte vielmehr so aussehen sollen: 

- Reporter*in: „Was haben Sie zu den Fenstern zu sagen, die bei der heutigen Demonstration eingeschlagen wurden?“
- Protestierende*r: „Die Bedeutung der Fenster verblasst im Vergleich zu der Gewalt der Abholzung, des Krieges und der Abschiebungen, weil...“

Es ist dennoch gefährlich, sich völlig von der Realität des Mainstreams abzuschotten, indem man sich in Taktiken stürzt, die niemand sonst verstehen, geschweige denn unterstützen kann. Menschen, die voreilig handeln und sich von der Unterstützung durch die Bevölkerung abschneiden, tendieren dazu, Militanz zum reinen Selbstzweck auszuüben. Wir dürfen uns hingegen auch nicht von dem bestimmen lassen, was im Mainstream akzeptabel ist. Vielmehr müssen wir daran arbeiten, die Akzeptanz von linksradikaler Politik in all ihren Formen zu verstärken, durch beispielhafte Aktionen voran zu gehen und falls nötig, das Niveau der Militanz schrittweise zu erhöhen. Zumindest für einen Großteil der Bevölkerung, den wir als potenzielle Unterstützer*innen identifiziert haben, muss der Grad an Militanz mit dem Stand der Diskussionen nachvollziehbar verbunden sein. Radikale aus einem privilegierten Umfeld haben in dieser Hinsicht die meiste Arbeit zu leisten, weil ihr Umfeld am konservativsten auf militante Taktiken reagiert. Privilegierte Radikale scheinen oft passiv zu fragen: "Was würden die meisten Medien schreiben?", statt Wege zu suchen, die gesellschaftliche Meinungsbildung selbst mitzugestalten.

Antiautorität als Maxime
Wir können nur dann die verschiedenen Mittel des politischen Kampfes sinnvoll abwägen und in einer pluralistischen, dezentralisierten Weise umsetzen, wenn wir selbst auf eine verpflichtende Parteilinie oder das angeblich einzig richtige revolutionäre Programm verzichten! Ein gemeinsames Element all der autoritären Revolutionen ist ihre hierarchische Organisationsform. Der Autoritarismus der UdSSR oder der Volksrepublik China war keine mystische Übertragung der von ihnen im revolutionären Prozess angewandten Gewalt auf den politischen Alltag, sondern eine direkte Funktion der Hierarchien, die schon frühzeitig etabliert wurden. Es ist spekulativ zu sagen, dass Gewalt immer negative psychologische Muster und soziale Beziehungen hervorbringt, auch wenn die Gefahr mitgedacht werden muss und es eines der wichtigsten Prinzipien ist, Militanz zu keinem Zeitpunkt zum Herrschaftsinstrument werden zu lassen, auch nicht zur „Diktatur des Proletariats“. Um wirklich erfolgreich zu sein, muss ein politischer Kampf alle notwendigen Mittel einsetzen, die mit dem Aufbau einer Welt frei von Hierarchien vereinbar sind. Dieser Antiautoritarismus muss sich sowohl in der Organisierung als auch im Ethos einer Bewegung widerspiegeln.

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Ergänzungen

Das Ganze stellt sich allerdings problematisch dar, sobald Militanz zum Selbstzweck wird. Am Rande der Linksunten Demo wurde auf Indymedia in einem Artikel aus insurrektionalistischer Perspektive gegen den bisherigen linken Standard geschrieben, dass Militanz"vermittelbar" sein müsse. Dem wurde entgegen gehalten Militanz müsse stattdessen vor allem leicht vervielfältigbar sein. Doch der Zweck heiligt auch aus militanter Perspektive nicht die Mittel.

Dies befördert offene Flanken zu Querfrontmobilisierungen aus militanter Perspektive durch eine Reduzierung der Kämpfe auf ihre Gewaltförmigkeit. Zudem werden hierdurch gesellschaftliche Hierarchien und patriarchale Muster reproduziert. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung im Verhältnis zu sozialen Bewegungen und der Mensch muss im Mittelpunkt des radikalen Handelns stehen, wenn wir eigenen Entgrenzungen und Deformierungen durch Gewalterfahrungen unsere Widerständigkeiten entgegensetzen wollen.

Der Mensch befreit sich nicht in erster Linie auf den Barrikaden, sondern durch kollektive Aneignungsprozesse im sozialen Zusammenhang. Avantgardismus, ob in gewaltfreier oder militanter Form, schadet da gleichermaßen. Es kommt eben immer auf den Inhalt an und nicht so sehr auf die Form.