Kontroverse über Pressefreiheit
Am 29.1.2020 erschien im anarchistischen Wochenblatt Zündlumpen ein Artikel mit der Überschrift „Einige Überlegungen zum Fall linksunten.indymedia“ – Anliegen des Artikels: „darzulegen, warum eine Legalisierung meiner Ideen und Meinungen, eine Legalisierung der Publikationen, in denen ich diese ausdrücke, durch den Staat so ziemlich das letzte ist, was ich wollen kann.“
Dieser Artikel wurde in der Februar-Ausgabe von „trend. onlinezeitung“ gespiegelt. Dies nahmen Peter Nowak, Detlef Georgia Schulze und ich selbst zum Anlass gemeinsam eine Antwort auf den Zündenlumpen-Artikel zu schreiben (Können revolutionäre Linke auf die Pressefreiheit pfeifen?).
Im Folgenden wird ein Überblick über die Hauptthesen beider Texte gegeben:
Die Grundthese von Zündlumpen ist, dass ein staatsfeindliches Presseorgan nicht darum buhlen darf, vom Staat legalisiert zu sein oder zu werden.
Wir hingegen vertreten die Auffassung, dass es für eine kollektive politische Bestrebung essentiell ist, legal zu sein, weil sie sonst sofort unterdrückt werden könnte. Für den Schutz, den die Pressefreiheit vor Repression bietet bzw. bieten kann, spielt die Zielsetzung der publizistischen Tätigkeit keine (oder eine nur untergeordnete) Rolle, da die Meinungsfreiheit der Ideen (einschließlich ‚ideenmässig‘ für eine Revolution einzutreten) das zentrale Argument für die Pressefreiheit ist (auf derHandlungsebene sieht die Sache natürlich anders aus – dort nützt es nichts, um eine Legalität zu flennen, die revolutionäre Gewalt nicht haben kann. Da die Rechtsetzung eine Machthandlung des [bürgerlichen] Staates ist.
Auf der individuellen Ebene mag die Ansicht von Zündlumpen noch vertretbar sein, als kollektive Bestrebung wäre sie politischer Selbstmord.
Trotzdem stimmen wir Zündlumpen zu, dass die Meinungsfreiheit da endet, wo der Staat ernsthaft gefährdet ist. (Das heißt aber nicht, dass wir G20 als ‚Notstandssituation‘ ansehen würden, seit der alle politischen Freiheitsrechte suspendiert sind und nur noch ‚unsere Gewalt‘ gegen ‚deren Gewalt‘ zählt.)
Zündlumpen leitet aus diesem Umstand ab, das dem Staat die Freiheitsrechte ‚egal‘ seien.
Wir hingegen denken, dass dem Staat die Freiheitsrechte nicht egal sind, da eine völlige Willkürherrschaft kontraproduktiv wäre (= politische Krise als prekärer Dauerzustand).
Ebenfalls stimmen wir Zündlumpen zu, dass alle staaten ‚autoritär‘ sind.
Allerdings sind wir der Meinung, dass es Abstufungen im Grad der Freiheit unterschiedlicher Regierungsformen gibt. Dabei ist das, was üblicherweise ‚liberaler Rechtsstaat‘ genannt wird, die bislang am wenigsten repressive. Für die Unterklassen ist ein Staat, der gezwungen ist (Kräfteverhältnisse entscheidend!), sich an seine Gesetze auch zu halten, eine bessere Kampfbedingung als eine (solche) Diktatur, die sich ausschließlich auf nackte Gewalt stützt. (Das Gesagte schliesst aber ein [schleichende] Rechtsverschiebung und 'autoritäre Entwicklung' auch des 'Rechtsstaates' nicht aus. Letztlich ist immer das politische Kräfteverhältnis ausschlaggebend.)
Aber gerade auch im 'liberalen' Staat ist es essentiell, dass die Einhaltung der Gesetze auch der öffentlichen Kontrolle unterliegt (Pesse als sog. ‚vierte Gewalt‘).
Zündlampen meint, wenn man sich an den Staat wendet, um seine Rechte auch einzufordern, dann würde das immer dem Staat zum Vorteil gereichen; da er es ist, der in letzter Instanz entscheidet.
Und mit Letzterem hat er zwar recht. Allerdings ist es wichtig, auch politische Fraktionierungen und Widersprüche innerhalb des Staatsapparates zu unserem eigenen (linken) taktischen Vorteil zu nutzen.
Um zum Schluss noch mal zu linksunten zu kommen: Zündlampen bringt das Argument, dass ein ‚legales linksunten‘ (falls es erscheinen könnte oder sollte) nicht mehr die Funktion des ehemaligen linksunten haben könnte.
Dies bedürfte allerdings einer genauer Klärung, was die wichtige Funktion von linksunten war (als staatsfeindliche Geste ohne Impressum zu erscheinen oder aber ein Diskussions- und Nachrichtenforum für eine plurale linke – unter Einschluß der 'militanten linken' – zu sein?). In der Tat denken wir, dass
a) die Entscheidung über ein künftiges Wiedererscheinen von linksunten nur das Ergebnis einer breiteren innerlinken Debatte sein kann und keine Entscheidung eines Einzelnen
und
b) gegen die Gefahr der Repression (die sehr real ist!) bräuchte man die richtigen (besseren) juristischen Argumente und die Fähigkeit zu einer breiten zivilgesellschaftlichen Mobilisierung dagegen (breiter als die marginalisierte ‚radikale linke‘).
Beides ist beim gegenwärtigen Zustand der ‚linken‘ (zumal der ‚radikalen linken‘) kaum zu bewerkstelligen. Umso wichtiger ist, an diesem Zustand dringend etwas zu ändern.
Ergänzungen
Nicht in dem Juralabyrinth verfangen
Da ist nur zu sagen:
Alles was Abhängigkeiten zum Staat schafft (hier zu einem Zulassen, zu der Entscheidung nicht zu repressieren), gefährdet die Fähigkeit des unabhängigen Organisierens, also die Fähigkeit des am Gesetz vorbei organisierens. Wer den zugestandenen Rechten des Staates vertraut*, gibt ihm das (Druck)Mittel der Illegalisierung und auchnoch den Schein einer konstitutionellen Kraft, die in legitimiert (Einer Rechtmäßigkeit). Der Staat behält sich nämlich immer das Mittel der ungesetzlichen Aktion vor,. Beispiele gibt es davon genug und diese sind keine Fehler im System, sondern schlicht ein Mittel, welches je nach Situation genutzt wird oder nicht. Den Wert in der Widersprüchlichkeit solcher Aktionen zu sehen ist Quatsch, gibt es doch schon ausreichend Beispiele und werden ausreichend neue entstehen. Es wäre interessanter sich darauf zu konzentrieren wie wir diese Widersprüche nachvollziehbar machen können, und in ein grundlegendes Misstrauen mit dem Staat verwandeln können, anstatt nachher einen moralischen Sieg in das Verbot von etwas reinzudenken. Die Zeitung soll nämlich ein Mittel zu Kommunikation sein, und nicht als Fallbeispiel enden.
Hoch leben die unabhängigen wilden Medien!
*= wer den zugestandenen Rechten nicht vertraut, misst ihnen auch keinen Wert bei. Alles andere wäre absurd.
Perspektivisch
wäre beide schön: Sowohl legal, abgesicherte Medien zu haben als auch wilde, die sich darum nicht kümmern. Gibt es ja eh, aber leider zu wenige. Hier ist schon auch die Frage, warum das Darknet nicht mehr genutzt wird.
Aber in einem Punkt hat Zündlumpen schon recht: Durch das Verbot verlagert sich der Diskurs auf ein Feld, auf dem wir gar nicht stehen wollen. Hier ist die Frage, wie wir da wieder weg kommen. Ein Weg wären Neugründungen. Doch dafür würde es viel mehr Solidarität brauchen - und nicht nur einen einmaligen Riot.
@ only me am: 22.02. - 01:30
Zum 1. Absatz:
Satz 1 würde ich zustimmen; Erläuterung: Gäbe es die Revolutionären Zellen noch und würden diese die Zeitschrift Revolutionärer Zorn noch herausgeben – sei es gedruckt oder inzwischen online – so wäre nicht sinnvoll, diese Zeitschrift mit einem korrekten Impressum zu versehen, weil die Person, deren Name und Anschrift dort genannt würde, sofort ein Ermittlungsverfahren nicht nur wegen Meinungsäußerungen, sondern auch wegen der materiellen (physischen) Straftaten, die Mitglieder der Revolutionären Zellen begangen haben, am Hals hätte.
Zum 2. Absatz:
Zu dem Anfang des zweiten Absatzes: "Aber in einem Punkt hat Zündlumpen schon recht: Durch das Verbot verlagert sich der Diskurs auf ein Feld, auf dem wir gar nicht stehen wollen. Hier ist die Frage, wie wir da wieder weg kommen. Ein Weg wären Neugründungen."
a) Satz 1; nach dem Doppelpunkt: Doch ich würde schon sagen: was die Straffreiheit von Meinungsäußerungen; die Höhe von Mindestlohn und Arbeitslosengeld; was Mietpreisgrenzen etc. anbelangt, sind wir auf einem Feld, auf dem es – auf absehbare Zeit – notwendig ist, daß es staatlich anerkannte Rechte gibt; auch wenn ein Recht auf Revolution ("Revolution" als kompletter Umsturz einer Legalordnung verstanden) ein Widerspruch in sich wäre.
b) Satz 3: Echte Neugründungen (neuer Name [von Zeitung und HerausgeberInnen-Kreis]; neue URL; neue HerausgeberInnen - und daher mehr oder minder neue Moderationspraxis) verweist auf das Problem der Kontinuität: Neuer Name und neue URL müßten erst bekannt werden; die neuen HerausgeberInnen müßten sich erst politisches Vertrauen erarbeiteten.
Eine schlichte Wiederinbetriebnahme der alten Webseite (mit altem Namen, alter URL und möglichst haargenau der alten Moderationspraxis) wäre mit einem erheblichen Repressionsrisiko verbunden – eine vorherige (Re)Legalisierung meines Erachtens also wünschenswert; wobei andererseits, die Bereitschaft das Repressionsrisiko einzugehen, auch ein Mittel sein kann, die (Re)Legalisierung durchzusetzen.
PS.:
Ich habe auch bereits auf die Ergänzung von „Freundin“ von gestern 17:15 Uhr geantwortet; meine Antwort darauf hängt aber noch in der Moderationsschleife (@ Mods: Bitte den ersten Versuch nehmen; bei den zweiten hatte ich – glaube ich – vergessen, das Namensfeld zu füllen. Danke.)
diskussion geht weiter
eine weiterführung der kontroverse über pressefreiheit findet hier statt:
https://de.indymedia.org/node/67816