Bericht und Hintergrund einer Aktion von Sexarbeiter'innen in Leipzig

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Foto einer Treppe auf der ein Schild lehnt mit der Aufschrit: Fuck the patriarchy but not for free

Eine Gruppe von Sexarbeiter'innen und deren Unterstützer'innen kamen am 25.10.2019 zur Albertina Bibliothek Leipzig. Dort sollte der Vortrag "Zur Kritik der Prostitution" der transfeindlichen Referentin Naida Pintul stattfinden, die gegen die Selbstbestimmung von Sexarbeiter'innen agitiert. Wir stellten der Referentin unseren Protest entgegen und boten dem Publikum des Vortrags eine Möglichkeit, sich von uns Sexarbeiter'innen direkt über das Thema zu informieren. In diesem Post dokumentieren wir sowohl unsere Protestaktion, als auch die Redebeiträge und Antworten auf die gängigsten Argumente, mit denen unsere Arbeit kriminalisiert werden soll. Der Kampf gegen das Hurenstigma und gegen Transfeindlichkeit ist ein antifaschistisches Anliegen.

Am 25. Oktober hielt Naida Pintul in der Albertina der Universität Leipzig einen Vortrag unter dem Titel „Kritik der Prostitution“. Laut Ankündigung auf Facebook handelte es sich dabei um eine Betrachtung der aktuellen Gesetzeslage in Deutschland und der Auswirkungen des sogenannten „Prostituiertenschutzgesetzes“ auf die hiesige Sexarbeit. Da Pintul diesen Vortrag bereits mehrfach gehalten hat und er zudem auch auf YouTube verfügbar ist, wussten wir im Vorfeld, dass ihr wahres Anliegen die Kriminalisierung der Prostitution ist. Zudem ist sie in der Vergangenheit mehrfach durch Äußerungen aufgefallen, die ihre trans*feindliche Gesinnung belegen.
Sie schrieb erst im Januar dieses Jahres über ihre transfeindlichen Ansichten. Beispielsweise möchte sie, dass trans Menschen nur in ihrem Geschlecht anerkannt werden, wenn sie sich erfolgreich den erniedrigenden und normierenden medizinischen, psychologischen und juristischen Prozeduren unterziehen welche der Staat für uns vorsieht. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, den SWERFs und TERFs unseren Protest entgegenzusetzen.
Am 25. Oktober hielten wir vor der Albertina eine Kundgebung mit verschiedenen Redebeiträgen ab, informierten über die Veranstaltung und zeigten durch unsere Präsenz den Besucher*Innen von Pintuls Veranstaltung, dass ihre Sicht der Dinge nicht unwidersprochen bleiben kann. SWERF ist eine Abkürzung für "Sexwork Exclusionary Radical Feminist", damit sind politische Positionen gemeint, die Sexarbeit verbieten wollen, über Sexarbeiter'innen urteilen, anstatt sie sprechen zu lassen und Sexarbeiter'innen die Schuld am Patriarchat geben. TERF steht für "Trans Exclusionary Radical Feminists".

Wir, das sind Sexworker*Innen, Sozialarbeiter*Innen, Student*Innen und Supporter*Innen, wir stehen für sexuelle Vielfalt sowie für das Recht auf eine eigene geschlechtliche Identität! Wir als Sexworker arbeiten über das Internet, im Bordell, auf der Straße oder vor der Kamera. Wir empfinden Naida Pintuls Aussagen und Verhalten als diskriminierend und gewaltvoll. Wir werfen ihr Sexworker-Feindlichkeit vor.

Wir wollen an dieser Stelle nicht nur auf Naida Pintuls Vortrag eingehen, sondern begründen, weswegen wir ihr gewaltvolles Vorgehen vorwerfen sowie unsere Forderungen nach Maßnahmen für eine sichere und selbstbestimmte Sexarbeit formulieren. Eine weitere Betrachtung und Analyse Pintuls liefert Christian Schmacht in seiner Kolumne für das Missy-Magazine.

Zum Vortrag wurde per Facebook mobilisiert und es sammelten sich schon im Vorfeld die SWERFs und TERFs in der Online-Diskussion. Wir wollten der Referentin sowie ihren Inhalten unseren Protest entgegenstellen und hatten einen Diskussionsraum vor der Albertina angekündigt. Aus Erfahrungen mit früheren Veranstaltungen mit der Referentin wussten wir, dass für uns in dem von ihr gesetzten Rahmen, während des Vortrags oder in der Fragerunde danach, keinen Raum geben würde, um unsere Erfahrungen und Forderungen zu vermitteln. Darum boten wir Naida Pintul und ihrem Publikum ein Diskussionsforum vor der Bibliothek, das vor, während und nach dem Vortrag "Zur Kritik der Prostitution" genutzt werden konnte.
Als wir, eine Gruppe von ca. 15 Sexarbeiter'innen und Unterstützer'innen zur Albertina Bibliothek kamen, erwarteten uns mehrere Wannen und viele Bullen. Wer sie gerufen hat, wissen wir nicht. Ein'e Unterstützer'in meldete spontan eine Kundgebung an. Wir breiteten Flyer und Plakate auf der Treppe vor der Bibliothek aus, und luden Umstehende zum Gespräch ein. Gegen 19:00 hielten wir einige Redebeiträge, die wir unten angefügt haben. Einige Besucher'innen des Vortrags in der Albertina traten auf unsere Flyer, pöbelten uns an und beschwerten sich beim Sicherheitsdienst der Albertina. Großes Interesse an Austausch gab es von ihrer Seite nicht. Was ja nicht weiter überraschend ist, in Anbetracht eines Diskurses der in paternalistischer Manier gerne über anstatt mit Menschen geführt wird.
(Wo Linke darin noch emanzipatorisches Potenzial erkennen kann ist uns schleierhaft.)
Während eines Redebeitrags erschien die Referentin Pintul mit einer Gruppe von Menschen auf der Treppe, doch nach wenigen Minuten verschwanden sie wieder nach drinnen. Zu einer Antwort auf unsere Postionen kam es nicht. Unserem Redebeitrag hörten Viele (ca 50 Personen) interessiert zu. Einige gingen danach auch in den SWERF-TERF-Vortrag. Wir warteten draußen, um den Besucher'innen auch nach dem Vortrag nochmal die Möglichkeit zu bieten, sich bei uns Sexarbeiter'innen über unsere Erfahrungen und Ansichten zu unserem Job zu informieren. Wir hielten unsere Redebeiträge in gekürzter Version ein zweites Mal, worauf wieder ca. 50 Personen zuhörten und noch auf der Straße vor der Bibliothek weiter diskutierten.

Diese Aktion war für uns ein wichtiger Punkt der Zusammenkunft und Vernetzung und ein Zeichen an die Leipziger SWERF-TERF-Szene. Der Kampf gegen das Hurenstigma und gegen Transfeindlichkeit ist ein antifaschistisches Anliegen. Wir lassen euch nicht mehr euren Müll, den ihr als "links" betitelt unwidersprochen in die Welt setzen.

 

 

WEITERE MATERIALIEN:

1. Redebeitrag von Christian Schmacht
2. Betrachtung von klassischen SWERF-Positionen am Beispiel der Referentin Naida Pintul.

 

 

REDEBEITRAG VON CHRISTIAN SCHMACHT

Liebe Feminist*innen, Sexarbeiter*innen und Antifaschist*innen.
Heute haben wir uns getroffen, um den Vortrag „zur Kritik der Prostitution“ von Naida Pintul hier in der Albertina Bibliothek in Leipzig mit unserer Kritik zu begleiten. Wir sind Sexarbeiter*innen und ihre Unterstützer*innen, wir haben uns mit Pintuls Positionen auseinandergesetzt und finden, sie haben nichts in einem linken, feministischen Diskurs zu suchen. Wir widersprechen der Forderung nach dem „nordischen“ oder „schwedischen“ Modell vehement. Sexarbeiter_innen haben es vorausgesagt: Das Prostituierten-Schutz-Gesetz von 2016 ist eine Gesetzgebung, die die Kriminalisierung der Sexarbeit in Deutschland vorbereitet.

Es schützt uns nicht, sondern übrewacht und unterdrückt uns. Aktuell bringen sich Politiker_innen von SPD und CDU / CSU in Position für weitere Gesetzesverschärfungen. Sie kündigen an, für die sogenannte Freierkriminalisierung kämpfen zu wollen. Das bedeutet, dass das Kaufen von sexuellen Dienstleistungen verboten wird, das verkaufen der Dienste jedoch nicht. In der Realität schadet diese Gesetzgebung den Sexarbeiter_innen, wie wir in Schweden beobachten können. Dort werden Sexarbeiter_innen abgeschoben, oder ihnen wird die Wohnung gekündigt, oder es wird ihnen der Umgang mit ihren Kindern verboten.
Oder in Irland, wo diesen Sommer zwei rumänische Sexarbeiter_innen dafür verhaftet wurden, dass sie gemeinsam gearbeitet haben. Ihnen wurde das Führen eines Bordells zu Laste gelegt. Sie wurden im Juni zu neun Monaten Gefängnis verurteilt, eine der beiden Frauen ist schwanger.

Oder in Frankreich, wo am 16. August 2018 die Trans Sexarbeiterin Vanessa Campos ermordet wurde. Sexarbeit erlaubte ihr zu leben und ihrer Familie in Peru zu unterstützen. Vanesa wurde ermordet, während eine Gruppe von Männern versuchte, ihren Kunden zu berauben. Sie wurde mit einer Polizeipistole getötet. Korrupte Bullen und ein Gesetz, das Kunden und Sexarbeiter_innen schutzlos lässt, sind verantwortlich für ihren Tod.
Sexarbeiter_innenorganisationen, sei es in Deutschland, in den USA, in Thailand, Indien oder Australien, in Frankreich oder Schweden, fordern die Entkriminalisierung unserer Arbeit. Das heißt, sowohl der Kauf, als auch der Verkauf, und auch unsere Arbeitsplätze müssen legal und sicher sein.

Gesetzliche Regulierungen die nur für Sexarbeit gelten, folgen einer Zuhälterlogik. Ein Zuhälter ist der Mittler zwischen Sexarbeiter_in und Kunde, der einen Teil der Einnahmen einstreicht. Wenn die Erlaubnis, Sexarbeit auszuüben, an Bedingungen geknüpft ist, gibt es immer jemand, der diese Bedingungen für Geld erfüllen kann. Seien es die Bordellbetreiber_innen, die davon profitieren, dass ein Großteil der Sexarbeiter_innen sich kein eigenes Bordell leisten kann. Seit dem Gesetz 2017 gibt es nämlich so viele teure, bauliche Auflagen, dass die kleinen, unabhängigen Bordelle schließen mussten. Bordellbetreiber_innen erheben eine Zimmermiete von bis zu 50% der Einnahmen und verdienen an unserer Bevormundung durch das neue Gesetz. 
 Oder seien es die großen Pornoseiten, die ihren Gewinn daran haben, dass wir von Social Media wie Twitter, Instagram, Tumblr & Co mit unserem Indie-Porn vertrieben werden. Oder seien es die Ämter, die Geldbußen einkassieren, sollten Sexarbeiter_innen ohne Hurenpass oder zur falschen Zeit und am falschen Ort arbeiten.
Niemand soll aus unserer Arbeit Profit schlagen! Das gilt für Sexarbeit, aber auch für alle andere Arbeit!

Wenn man unter CDUCSU.de nachliest, was die Partei von Horst Seehofer & Co mal wieder für Abwege zum Thema Sexarbeit plant, erscheint im Header ein Foto, das wohl drei Prostituierte symbolisieren soll. Die Bildbeschreibung lautet: „Drei Frauen an der Theke.“ Und darum geht es - Frauen an der Theke, ob sie dort beim Saufen Geld ausgeben, oder es sich verdienen, soll es nicht geben.

In Interviews behaupten Konservative, die Masse der Sexarbeiter_innen empfange 15 bis 40 Freier pro Tag und sei überhaupt nicht empowert. Ich persÖnlich frage mich, wer diese 15 bis 40 Freier sind, und wo ich sie kennenlernen kann. Im Bordell sind wir ja schon froh, wenn sich 40 Kunden auf 10 Arbeiter_innen verteilen. Wo sind die mysteriösen Fließbandpuffs, vor denen die Gäste in der Schlange um den Häuserblock stehen? Wo die Sexarbeiter_innen gar nicht mehr das Bett verlassen? Wo sie nach jedem dritten Schwanz das Gleitgel neu auftragen? Und im fünf-Minuten-Takt vögeln und damit den Durchschnitt an Freiern so weit nach oben ziehen? 
 Ich wünschte, ich hätte am Tag 20 Kunden. Ich könnte selbst bei niedrigen Preisen sehr gutes Geld verdienen und müsste nicht Tag für Tag herumsitzen und auf Gäste warten.

Okay, Spaß beiseite. Zu eurem anderen Argument: Wir Sexarbeiter_innen seien ja gar nicht so empowert, wie wir es immer behaupten! Wer behauptet denn, wir sind empowert? Ich hasse den Empowerment-Mythos. Ich bin nicht empowert! Denn Sexarbeit ist Arbeit und Arbeit nervt ! Es gibt in jeder Branche die Streber_innen, die ihren Job lieben. Und gerade in der Sexarbeit müssen wir betonen, dass wir mit der Arbeit glücklich sind. Sonst werden wir Hals über Kopf gerettet. Aber wir dürfen unseren Job hassen, eklig oder nervig finden und trotzdem für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Wir verlangen trotzdem, dass unsere Arbeit entkriminalisiert wird. Wir verlangen eure Solidarität, egal ob wir viel oder wenig verdienen! Egal, ob wir uns für unsere Arbeit schämen, oder stolz darauf sind! Egal, ob ihr uns zum Abendessen zu euren Eltern nach Hause einladen würdet oder nicht!

Für Feminist_innen ist Sexarbeit in den letzten Jahren wichtiger geworden. Sie disktuieren darüber und überlegen, wie sie Sexworker unterstützen und in ihre Kämpfe einbinden können. Viele Feminist_innen sind sogar selbst Sexarbeiter_innen. Aber selbstverständlich ist das Bündnis zwischen Feminismus und Hurenbewegung nach wie vor nicht. Im September war das Feminist Futures Festival in Essen. Ein linkes, feministisches Festival mit über hundert Veranstaltungen, Filmen, Workshops, Diskussionen und Vorträgen. Kein einziger davon hatte Sexarbeit zum Thema. Weder als progressive Position aus der Hurenbewegung, noch konservativ verpackt in den Menschenhandel-Diskurs. Zu Sexarbeit wurde geschwiegen. In einzelnen Veranstaltungen waren Sexarbeiter_innen anwesend, denn wir sind unter euch!. Aber wir vermuten, dass das Festival bewusst auf uns als feministische Akteur_innen verzichtet hat. Denn vielleicht hätte es Streit gegeben. Das wäre auf einem Festival, das die Verschiedenheit feministischer Kämpfe zusammenführen will, doch gar nicht so schlimm? Ich streite mich lieber, als dass ich verschwiegen werde. Vielleicht wäre auch kein Streit aufgekommen, sondern eine Diskussion? Reden, zuhören, lernen? Vielleicht sogar Solidarität? Wir Huren hätten die Solidarität von 1500 linken und linksradikalen Feminist_innen auf diesem historischen Kongress in Essen gut gebrauchen können.

Heute haben wir uns getroffen, um den Vortrag „Zur Kritik der Prostitution“ kritisch zu begleiten. Dabei wollen wir nicht nur auf die regressive Politik gegenüber Sexarbeiter_innen, die dahinter steht, aufmerksam machen. Denn nicht nur Huren sind im Fadenkreuz der sogenannten SWERFs - Sexwork ausschließende radikale Feministinnen. Wo SWERFs sind, sind auch TERFs nicht weit. Trans ausschließende radikale Feministinnen. Transgender Menschen, Trans Männer und Trans Frauen, nicht binäre Menschen, transsexuelle Menschen passen nicht in das heteronormative Weltbild. Die heutige Referentin Naida Pintul schrieb erst dieses Jahr im Januar einen Artikel, in dem sie sich gegen die Selbstbestimmung und Selbst-Definition bei Geschlechtsidentität ausspricht. Sie will, dass wir Trans Personen weiterhin die erniedrigenden, pathologisierenden, teuren und unzugänglichen Schritte durchmachen, die Staat und Gesundheitssystem für uns bereit halten. Wir sollen unserem Körper eine genau vorgegeben Menge von Operationen und Hormonen zufügen, um als das Geschlecht anerkannt zu werden, das wir sind. Das Ganze begründet sie damit, dass sich cis Männer, die sich dann als Trans Frauen tarnen, viel zu leicht Zugang zu Frauenräumen erhalten würden. Hierbei dreht es sich immer wieder um den Penis. Er scheint die Persönlichkeit und das Gewaltpotenzial seiner Besitzer_innen zu bestimmen. Gehört zu jedem Penis automatisch ein Vergewaltiger? Was ist das für eine vereinfachte Vorstellung von Gewalt? Vor allem von sexualisierter Gewalt und Gewalt in Beziehungen?
Strukturelle Gewalt hängt immer mit Macht zusammen, wir können sie ohne Machtkritik nicht analysieren. In dieser transfeindlichen Gesellschaft, haben cis Menschen Macht über Trans Menschen. Wir werden vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, erfahren Diskriminierung beim Jobcenter und im Gesundheitssystem und erleben überdurchschnittlich viel Gewalt in Familie und Beziehungen. Trans Menschen erfahren Bedrohung, Mobbing, emotionale und körperliche Gewalt von cis Männern und cis Frauen. Besonders betroffen sind transgender und transsexuelle Frauen, und nicht binäre Trans weibliche Menschen. Der Penis, von dem Naida Pintul und ihre Mitstreiterinnen so besessen sind, beschert ihnen weder Schutz vor Gewalt noch andere Privilegien. Ich möchte hier eine historische Betrachtung einfügen, die ich von der Londoner marxistischen Autorin Joni Aliza Cohen ins Deutsche übersetzt habe. Sie schreibt ausführlich über die Verflechtung von Antisemitismus und Transmisogynie, sowohl im historischen als im heutigen Kontext. Ihren Original-Text findet ihr online bei versobooks.com. Er ist lesenswert und ihre marxistische Betrachtung von Geschlecht lohnt sich, gerade wenn wir uns Pseudo-Marxist*innen wie Pintul gegenüber sehen.

Wir müssen hervorheben, dass „Homosexualität“ für die Nazis ein Zustand war, der nur auf diejenigen zutraf, die bei der Geburt als Männer eingetragen wurden. Die eugenische Sexualwissenschaft betrachtete Homosexualität eigentlich durch die Linse von Geschlecht, genauer gesagt: Die Verderbung des männlichen Körpers und der männlichen Psyche durch Femininität.
In dieser Kategorie des „Homosexuellen“ gab es vier Unterkategorien: Erstens, eine leichte sexuelle Inversion, welche nur das Begehren betraf. Zweitens, feminines Verhalten, drittens, das Tragen von Frauenkleidung und viertens und Schwerstens, die Einbildung, eine Frau zu sein und sich einen anderen Körper als den eigenen zu wünschen. Daran erkennen wir, dass transweibliche Menschen (trans Frauen) die schwerste und aus diesem Grund unsittlichste Form der Homosexualität zu verkörpern schienen. Transsein wird als ein erbgutschädigender biologischer Defekt verstanden, der zu Gunsten der Gesundheit der Art vernichtet werden muss.
Vielleicht sollte hier auf die Existenz einer kleinen Reihe von maskulinen, gleichgeschlechtlich begehrenden Nazis, inklusive Ernst Röhm und anderen Mitgliedern der SA eingegangen werden. Diese Männer verstanden ihren Nazismus als zu ihrem gleichgeschlechtlichen Begehren passend und fanden, dass dieses Begehren keine Homosexualität darstellte, da es sich um einen „männlichen Eros“ handelte und nicht um Verweiblichung / Feminisierung; dies spiegelt die vier Abstufungen der sexuellen Abweichung aus dem sexologischen Modell.
Daher scheint es, als ist Homofeindlichkeit, wie wir sie heute verstehen, zwar in der Praxis sehr weit verbreitet gewesen, aber doch nicht fundamental oder universal in der Ideologie des Nazismus vorhanden. Doch das, was wir heute Transmisogynie nennen, war es. Erwähnenswert ist, dass am 13. November 1934 die Hamburger Stadtverwaltung den Polizeichef bat, „besondere Aufmerksamkeit auf die Transvestiten zu haben und sie, wenn nötig, in die Konzentrationslager zu bringen“.
Wir können rückschließen, dass das primäre Objekt der Naziverfolgung von Homosexuellen faktisch die geschlechtliche Abweichung, die in ihrem Verständnis von Homosexualität innewohnte und die am deutlichsten bei den Menschen erkenntlich wurde, die feminine Attribute, zum Beispiel weibliche Kleidung oder weibliche Namen, trugen.

Hier sehen wir, wie Homofeindlichkeit und Transfeindlichkeit zwei verwandte, teilweise identische Ausformungen faschistischer Ideologie sind. Auch wenn nicht alle Homos auch Trans sind und nicht alle Trans Personen auch Homo sind, so erfahren manche von uns sehr ähnliche Diskriminierungen. In der deutschen Geschichte wurde der Faschismus nie aufgearbeitet und so bestehen nicht nur Rassismus und Antisemitismus fort, sondern auch Homo- und Transphobie. Eine Antwort darauf muss die Solidarität sein, und nicht etwa die Spaltung.

Heute bekämpfen wir Transmisogynie und Hurenfeindlichkeit als Teil unseres Antifaschistischen und feministischen Kampfes. Positioniert euch für uns Huren! Kämpfen wir gemeinsam für die Selbstbestimmung über unsere Körper! In der Sexarbeit, beim Sex unter Freund_innen, bei der Schwangerschaft, bei der Abtreibung, bei der Pflege, bei der Assistenz, bei der Transition, bei der Migration.

 

BETRACHTUNG VON KLASSISCHEN SWERF POSITIONEN AM BEISPIEL DER REFERENTIN NAIDA PINTUL

      • Naida Pintul selektiert Sexworker danach, ob sie ihre eigene ideologische Ausrichtung stützen können
      • Pintul unterscheidet zwischen den Opfern, die angeblich keine Stimme haben, und den verblendeten, wohlhabenden Escorts, die angeblich Menschenhandel und Zwangsprostitution verharmlosen, um eigene ökonomische Vorteile verteidigen zu können. Den Aussagen von Sexwork-Aktivist*Innen schenkt sie weder Gehör noch Glauben und verunglimpft sie als „Zuhälter-Lobby“.

      Wir sind keine Zuhälter-Lobby, wir sind Menschen in der Sexarbeit. Wir haben uns für diesen Beruf entschieden und verteidigen unser Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Wir verharmlosen oder verheimlichen weder sexualisierte Gewalt noch patriarchale Strukturen – wir kämpfen dagegen. Indem Pintul Partei gegen aktive Sexworker ergreift und uns unterstellt, jeder als Sexworker tätige Mensch müsse ein Opfer sein, unterwandert sie einerseits diesen Kampf und verharmlost andererseits tatsächliche sexualisierte Gewalt und Zwangsprostitution, indem sie diese auf eine Stufe mit konsensuellen sexuellen Handlungen zwischen volljährigen Personen stellt.
    • Pintul nutzt Kapitalismus- und Gesellschaftskritik, um ihr Ziel eines Sexkaufverbots einem „linken Publikum“ zu verkaufen
        Pintul arbeitet(e) in einer Beratungsstellen für Sexarbeiter*Innen. Ihre Autorität in Fragen der Sexarbeit begründet sie mit dieser Tätigkeit. In der Beratungsstelle erlebt Pintul tatsächliche Opfer von Gewalt, Menschenhandel und Zwangs- oder Armutsprostitution.
        Ihrer Analyse, dass gesellschaftliche und strukturelle Umstände Auslöser für derartige menschenunwürdige Verhältnisse sind, stimmen wir zu. Allerdings zieht Pintul daraus derart falsche Schlüsse, dass die Vermutung naheliegt, dass es ihr nicht primär und die Bekämpfung struktureller Diskriminierungen, sondern vor allem um eine Bekämpfung der Sexarbeit geht. So fordert sie das sogenannten „schwedische Modell“, bei dem angeblich nur der Sexkauf unter Strafe gestellt wird, das Anbieten einer sexuellen Dienstleistung aber straffrei bleibt. Die Frage, wie dieses Modell die beschriebenen, prekären Lebenssituationen verbessern kann, lässt Pintul aber auch in der an ihren Vortrag anschließenden Diskussion unbeantwortet. In Ländern, in denen das schwedische Modell bereits eingeführt wurde, stieg die Gewalt gegen Sexworker schlagartig und stark an, die ökonomischen Bedingungen für Sexworker haben sich drastisch verschlechtert und die Sexarbeit findet nur noch im Verborgenen statt.
      Sexworker können nicht mehr gemeinsam in geschützten Wohnungen arbeiten, sondern wurden an die Stadtränder, in dunkle Wälder oder anderweitige, gefährliche Arbeitsorte verdrängt. Vor allem bereits marginalisierte Sexworker wie Menschen mit Migrationshintergrund oder trans*Menschen leiden unter dem schwedischen Modell und sind nachweislich von Abschiebungen und polizeilicher Gewalt betroffen. Das schwedische Modell verstärkt die Symptome eines ausbeuterischen Systems und vergrößert die Not jener, die bereits unter diesem System leiden. Wir behaupten, dass sich Pintul dieser Auswirkungen bewusst ist, sie aber in Kauf nimmt, um ein Sexkaufverbot zu erreichen.
      • Naida Pintul interessiert sich nicht für Sexworker
      • Sexarbeit ist ein komplexes, weites Feld. Wir unterscheiden aber zwischen „freiwilliger, selbstbestimmter Sexarbeit“ und Zwangsprostitution. Sexarbeit kann niemals Zwangsprostitution sein, Zwangsprostitution kann niemals Sexarbeit sein. Naida Pintul glaubt nicht, dass man der Sexarbeit freiwillig und selbstbestimmt nachgehen kann.

 Sie vermutet entweder eine Traumatisierung oder ein Gewaltverhältnis. Dabei ignoriert sie die Bedeutung von „freiwillig und selbstbestimmt“ im Kontext von Arbeit. Der Sexarbeit kann aus ökonomischer Not, aus mangelnden Alternativen oder aufgrund einer Geschichte struktureller Diskriminierung auf dem „ersten Arbeitsmarkt“ nachgegangen werden. Damit ist sie als Arbeit schlicht Teil des Kapitalismus, in dem auch Sexworker (über)leben müssen. Daher sind auch diese Beweggründe innerhalb der Logik des Kapitalismus als „freiwillig und selbstbestimmt“ zu achten.

 Naida Pintul interessiert es nicht, dass sie durch ihre Stigmatisierung von Trans*-Menschen mit dazu beiträgt, dass diese in der Gesellschaft nicht akzeptiert werden und häufig auf dem Arbeitsmarkt zu schlechteren Konditionen arbeiten müssen als cis-Menschen. Naida Pintul interessiert es nicht, dass für viele Menschen die Sexarbeit der einzige Weg ist, um genug Geld in Deutschland zu verdienen, um ihre Familie unterstützen zu können. All das wollte Naida Pintul weder in der an ihren Vortrag anschließenden Diskussion, noch auf unserer Kundgebung hören. Sie ist lediglich an einer Diskussion in „ihrem“ Raum und in „ihrem“ Rahmen interessiert. Sobald aktive Sexworker oder Expert*Innen ihr widersprechen, entzieht sie sich der Verantwortung durch Häme oder Ausflüchte. Legalisierung ist die zentrale Forderung der Sexarbeitsbewegungen weltweit. Gemeint ist damit die vollständige Abschaffung aller Gesetze, die Sexarbeit kriminalisieren – in Deutschland gehören dazu beispielsweise die Meldepflicht und die Sperrgebietsverordnung.

 Wir kämpfen dafür, dass Sexworker selbstbestimmt, geschützt und organisiert unter sicheren Arbeitsbedingungen ihrem Beruf nachgehen können. Nur so wird Gewalt in der Prostitution wirksam vorgebeugt. Jede Form der Kriminalisierung beendet nicht die Prostitution, sondern treibt Sexworker lediglich in unsichere, illegale Arbeitsbedingungen. Kriminalisierung führt zu Stigma! Ein Großteil der schwedischen Bevölkerung spricht sich mittlerweile nicht mehr nur für eine Freierbestrafung aus, sondern auch für eine Bestrafung der Sexworker.

Und was ist mit dem Menschenhandel? Befürworter*Innen einer (Teil-)Kriminalisierung der Sexarbeit begründen diese oft mit dem Kampf gegen den Menschenhandel und die Zwangsprostitution. Wir unterstützen den entschiedenen Kampf gegen Ausbeutung und sexualisierte Gewalt. Häufig wird eine Studie aus dem Jahr 2011 als Begründung für eine Kriminalisierung herangezogen, da aus ihr angeblich hervorgeht, dass in Ländern mit legaler Prostitution ein erhöhtes Aufkommen an Menschenhandel zu verzeichnen ist.

 Der Autor der Studie (Prof. Axel Dreher) widerspricht dieser Interpretation. Er hält entkriminalisierte Prostitution bei gleichzeitiger wirkungsvoller Gesetzgebung zur Prävention von Menschenhandel für sinnvoll.

 Wir auch! Sexarbeit muss legalisiert werden! Nur so sorgen wir für sichere Arbeitsbedingungen und betreiben aktive Gewaltprävention.

 Kämpft nicht gegen Sexarbeit! Kämpft mit uns gegen patriarchale Strukturen, kämpft gegen Diskriminierung und Rassismus, kämpft gegen sexualisierte Gewalt und für das Recht auf sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung!

  • Naida Pintul wertet Strukturen der Arbeitsidentitäten einseitig (ab)

Viele Sexworker arbeiten unter einem Pseudonym. Ein Arbeitsname bietet Schutz durch Anonymität und kann unterschiedlich erlebt werden. Während der Arbeit in einer anderen Rolle zu sein, ist nicht nur in der Sexarbeit üblich, es findet auch in jedem anderen Beruf statt (die Ärztin agiert in ihrer Rolle als solche auch nur in ihrer Praxis, nicht in ihrem Wohnzimmer).
Dieser Vorgang ist an sich als Struktur wertneutral, kann also sowohl als spielerische Komponente Spaß machen und schön sein, als auch aus unterschiedlichen Gründen unangenehm oder schmerzhaft sein. Naida Pintul konzentriert sich ausschließlich auf negative Erfahrungen und wertet das ganze Konstrukt ab.
Das ist eine einseitige Betrachtung, die der Sexarbeit auch einen Sonderstatus zuschreibt und die Nähe zu anderen Berufen abkappt, wo emotional und strukturell aber vergleichbares stattfindet (hier könnte man auf Erving Goffmans „Wir alle spielen Theater“ verweisen).
Naida Pintul stellt die Struktur 'Arbeitsidentität' als nur der Sexarbeit eigen dar. Damit verhindert sie, dass die Nähe und Vergleichbarkeit zu ähnlichen Berufen von Nicht-Sexworkern gesehen wird und ein emotionaler Zugang dazu wird für andere in seiner Komplexität und Vielschichtigkeit stark komprimiert und eintönig gefärbt.

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Ergänzungen

Ein Sexkaufverbot ist natürlich eine indirekte Kriminalisierung von Prostituierten. Die Prostitution verschwindet dadurch nicht sondern wird dorthin verdrängt, wo die Sexarbeiter*Innen noch weniger Schutz haben. Das ist die Realität eines Sexkaufverbots - nicht das Verschwinden der Nachfrage nach Prostitution. Insofern ist deine Darstellung eine denke ich unbewusste Verniedlichung eines Sexkaufverbotes.

Sexarbeit ist erst einmal wie jede andere Arbeit. Ob du nun deinen Körper, deine Sexualität, deinen Kopf oder sonstwas verkaufst. Die Entscheidung darüber sollte frei sein und bei der jeweiligen Person selbst liegen, ob und was sie dafür verkauft. Selbstbestimmung ist da meistens im Paket dabei. Kritik an der Sexarbeit ist daher da anzusetzen, wo sie bei jeder anderen Arbeit auch anfängt - nämlich dem Zwang im Kapitalismus, seine Selbstbestimmung verkaufen zu müssen.