[VS] Festung Europa tötet

Vergangene Woche sind wir in die Innenstadt von Villingen um dort mit einer kleinen Aktion auf die Situation von Flüchtenden und SeenotretterInnen im Mittelmeer aufmerksam zu machen. Mit einem Schlauchboot und Rettungswesten wurden die Risiken verdeutlicht die Menschen in Kauf nehmen um Kriegen und elenden Lebensbedingungen zu entfliehen. Auf einem Transparent und Flyern die während der Aktion verteilt wurden haben wir klar benannt was die Folgen der Abschottungspolitik Deutschlands und der EU ist - die Festung Europa Tötet

 

 

Das Ordnungsamt das in der Stadt unterwegs war, hat aufgebracht auf die Aktion reagiert. Zwei Passantinnen die die Aktion richtig und wichtig fanden haben sich mit uns solidarisiert und den Ordnungshüter gesagt das sie einfach ihres Weges weiter ziehen sollen. Das geschah nach einigen Minuten auch und wir konnten der Aktion ein eigenes Ende setzen.

In Deutschland entstehen Internierungslager. Die Zahl der Abschiebungen steigt permanent. Immer weitere Länder werden zu angeblich „sicheren Herkunftsländern“ erklärt und damit Menschen aus diesen Teilen der Welt das Recht auf Asyl abgesprochen. Der gesellschaftliche Rechtsruck der von der AfD immer weiter getrieben wird zieht in massivem Umfang auch in die Politik der deutschen Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD ein. Über Seehofers „Masterplan“ wurde kurze Zeit gestritten, nach einigen Begriffsänderungen wird jetzt aber das umgesetzt was sich die CSU für ihren rechten Wahlkampf in Bayern zum Ziel gesetzt hat.

Auch auf europäischer Ebene wird dieser Rechtsruck immer stärker. Die europäischen Grenzen werden hochgerüstet, Kriegsschiffe patroullieren zur Abschreckung im Mittelmeer, die private Grenzschutzagentur „Frontex“ wird ausgebaut und schickt immer wieder Menschen auf hoher See in sogenannten „Push-Back“ Aktionen zurück an Nordafrikanische Küsten. Als neueste Maßnahme zur Bekämpfung von Geflüchteten werden zivile SeenotretterInnen kriminalisiert. Rettungsschiffen wird das Anlegen an europäischen Häfen verboten. Auch das Auslaufen der Rettungsschiffe wird unter fadenscheinigen Begründungen verboten. SeenotretterInnen werden angeklagt und sollen zu Haftstrafen verurteilt werden. Auf den ersten Blickt trifft diese Repression nur die einzelnen SeenotretterInnen, aber gemeint sind alle die sich für Geflüchtete und für eine tatsächliche Bekämpfung von Fluchtursachen einsetzen.

Am stärksten trifft der Ausbau der Festung Europa und die Kriminalisierung der SeenotretterInnen die Menschen die über das Mittelmeer fliehen. Immer mehr Risiken müssen sie in Kauf nehmen. Die zivile Seenotrottung im Mittelmeer ist fast komplett zum erliegen gekommen. Alleine im Juni diesen Jahres sind mindestens 629 Menschen im Mittelmeer ertrunken. So viele wie in keinen anderen Monat in den letzten Jahren. Während der deutsche Staat immer wieder von der angeblichen „Bekämpfung der Fluchtursachen“ spricht, sterbende immer mehr Menschen im Mittelmeer wegen der Kriegs-, Aufrüstungs- und Abschottungspolitik Deutschlands und der EU.

Solidarität mit Geflüchteten und eine wirkliche Bekämpfung von Fluchtursachen ist nur möglich als ein Kampf gegen die Politik Deutschlands. Denn Deutschland ist mit seiner Kriegspolitik in vielen der „Krisengebiete“ im Kriegseinsatz, steht an der Seite lokaler Machthaber oder Bürgerkriegsparteien, versucht das eigene geopolitische Einflussgebiet zu erweitern. Handelsabkommen werden abgeschlossen und notfalls auch erzwungen damit deutsche Firmen Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten erhalten. Das dabei lokale Märkte zerstört und Menschen in die Perspektivlosigkeit getrieben werden stört die Verantwortlichen nur wenig. Erst an dem Punkt an dem Menschen aufgrund dieser Politik die Risiken der Flucht in Kauf nehmen wird es für die herrschenden hierzulande zum „Problem“. Folgerichtig ist Deutschland daher eine treibende Kraft der Militarisierung und Abschottung der EU-Grenzen vor Geflüchteten.

Der Kampf gegen die Menschenverachtende Politik die zum Sterben im Mittelmeer führt, der Kampf gegen die Kriminalisierung von SeenotretterInnen, der Kampf gegen die militärische Fluchtlingsabwehr, der Kampf gegen Abschiebungen und Internierungslager in Deutschland – das ist ein Kampf den wir gegen die weltweite kapitalistische Ausbeutung und die imperialistische Macht- und Kriegspolitik Deutschlands führen müssen.

Die Festung Europa tötet! Fluchtursachen Bekämpfen!

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Ergänzungen

"Auch auf europäischer Ebene wird dieser Rechtsruck immer stärker. Die europäischen Grenzen werden hochgerüstet, Kriegsschiffe patroullieren zur Abschreckung im Mittelmeer, die private Grenzschutzagentur „Frontex“ wird ausgebaut und schickt immer wieder Menschen auf hoher See in sogenannten „Push-Back“ Aktionen zurück an Nordafrikanische Küsten. Als neueste Maßnahme zur Bekämpfung von Geflüchteten werden zivile SeenotretterInnen kriminalisiert."

Dieses Zitat aus obigem Text beinhaltet einige, sagen wir mal: Ungenauigkeiten.

  • Frontex gilt es zu kritisieren, das ist keine Frage, allerdings nicht wegen "Puch-Backs" nach Nordafrika, denn - soweit mein Wissensstand - gab es diese bisher nicht. Allerdings hätten viele der EU Politiker_innen und Beamten das gerne - ebenso wie ihre rassistischen Kolleg_innen auf nationalstaatlicher Ebene. Die Push-Backs finden aber sehr wohl mit europäischer Beteiligung statt. Denn diese hat die libysche "Küstenwache" aufgebaut, ausgebildet und finanziert, um eben Leute auf See abzufangen und zurück nach Libyen zu brinden, wo sie in der Regel interniert werden.
  • Die zivile Seenotrettung wird nicht erst seit kurzem kriminalisiert. Erinnert sei an die Cap Anamur. Auch diese wurde blockiert - und dann, nachdem sie endlich anlegen durfte, wurde das Schiff beschlagnahmt und die Crew verhaftet - wegen Mithilfe zur "illegalen Einwanderung". Die Geretteten wurden in Schubhaft genommen und binnen weniger Tage abgeschoben. Der Kapitän, der ersten Offizier und der damaligen Cap Anamur-Chef wurden wegen "bandenmäßiger Schlepperei" beschuldigt und angeklagt. Sie hatten viel Unterstützung - und wurden letztendlich nach einem langwierigen Prozess freigesprochen. Das ganze spielte sich in den Jahren 2004 bis 2010 ab.

    Ebenfalls vor Gericht gestellt wurden unter vielen anderen Fischer aus Tunesien, die im Jahr 2007 44 Schiffbrüchige vor Lampedusa aus Seenot gerettet und in den nächsten sicheren Hafen nach Italien brachten. Ihnen wurde defacto die Existenz zerstört, da ihre Boote - ihre Lebensgrundlage - beschlagnahmt und sie in erster Instanz verurteilt wurden. Auch hier gab es öffentlichen Druck und im Jahr 2011 einen Freispruch.

  • Während Prozesse, bei denen die Beschuldigten große Unterstützung und vor allem Öffentlichkeit erhalten, letzten Endes mit Freisprüchen enden, kommt es immer wieder zu Verurteilung wegen angeblicher "Schlepperei", ein Straftatbestand, den es mittlerweile in ganz Europa gibt. Doch viele Menschen müssen ins Gefängnis. Ausgeblendet wird meist, dass es sich um eine Hilfeleistung handelt, die sehr oft ohne finanziellen Hintergedanken getätigt wird. Für Freund_innen, Verwande oder einfach als Akt des zivilen Ungehorsams. Im Fall des Mittelmeeres geht dies noch viel weiter: Hier wird von Menschen nicht nur verlangt, dass sie Menschen ohne Papieren nicht helfen, es wird sogar von ihnen verlagt, dass sie sie entweder ertrinken lassen - oder jenen Verfolger_innen ausliefern, vor denen sie eben erst geflohen sind.
  • Und diese Auslieferung, sowie die "Rettungen" durch die libysche Küstenwache, das sind die sogenannten Push-Backs. Zuletzt war die unter tunesischer Flagge fahrende "Zarost V" in den Medien, die Schiffbrüchige in internationalen Gewässern (in der maltesischen Rettungszone) aufnahm und der weder von Malta noch von Italien die Anlandung genehmigt wurde. Deshalb fuhr sie zur Küste von Tunesien, wo sie fast drei Wochen lag, bis die geretteten und aus Libyen Geflüchteten dann in Tunesien an Land mussten - was schon allein deshalb gegen internationales Recht verstöst, weil es in Tunesien kein Asylverfahren gibt.

    Ein weiteres Beispiel ist die unter italienischer Flagge fahrende "Asso Vent­otto". Sie nahm in internationalen Gewässern nördlich der libyschen Küstenstadt Zuwara 108 Menschen an Bord. Die zuerst verständigte italienische Seenotrettungsstelle in Rom erklärte sich für nicht zuständig und verwies auf die kürzlich installierte libysche Seenotrettungsstelle, die die Koordination übernehme. Die Leute wurden von einem Schiff, das unter italienischer Flagge fährt, nach Libyen ausgeliefert - was ganz eindeutig gegen internationles Recht verstößt. Auch dies ist ein Push-Back.

  • Derzeit wird wieder ein Kapitän vor Gericht gestellt. Der Kapitän der Lifeline muss sich wegen der Rettung von 234 Menschen vor Gericht rechtfertigen. Gleichzeitig werden drei Rettungsschiffe und ein Aufklärungsflugeug zum Auffinden von in Seenot geratenen Menschen in Malta festgehalten. 

    Insbesondere aufgrund der massiven Kriminalisierung von Fluchthilfe - und weil sogar die Seenotrettung als solche angeklagt wird, gilt es tierfergehende Forderungen zu stellen und eine allgemeine Entkriminalisierung von Fluchthilfe zu fordern. Die Paragrafen wegen "Schlepperei" bzw. "ausbeuterischer Schlepperei" müssen aus den Gesetzesbüchern gelöscht - und Fluchthilfe entkriminalisiert werden. Dies allein würde wohl automatisch zu einer Reduktion der Ausbeutung führen. Und Menschen, die andere auf unterschiedlichste Weise unterstützen könnten ebenso nicht mehr kriminalisiert werden wie jene, die einfach nur Menschenleben retteten!

Das sind ein paar Anmerkungen zu diesem einen am Beginn zitierten Absatz im Artikel. Sicher kann gesagt werden, das nicht alles so genau genommen werden muss. Aber wenn das EU-Grenzregime effektiv bekämpft werden soll, dann braucht es auch Wissen dazu. Denn allzu oft kommt das große Entsetzen über eine Nachricht, die es in die Medien geschafft hat. Und bald wird das wieder vergessen - so wie das Sterben im Mittelmeer seit mehr als zwei Jahrzehnten bekannt ist, ist auch bekannt, dass Europa mehr und mehr zu einer "Festung" ausgebaut wird.

Wer sich ein wenig tiefgründiger mit der Materie auseinadersetzen will, sei u.a. die Seite no-racism.net verwiesen, die seit fast 20 Jahren Rassismus und rassistische Maßnahmen der Politik dokumentiert - und dagegen mobilisiert. Im hier genannten Zusammenhang seien die Rubrik grenzregime bzw. das Thema fluchtweg mittelmeer genannt. Bei letzterem sind die o.g. Beispiele zu Cap Anamur und tunesischen Fischern nachzulesen. Eine Zusammenfassung aktueller Information liefert die Chronik Ereignisse im und ums Mittelmeer, bei der seit Anfang Juni acht Teile erschienen sind.

Noch länger als no-racism.net setzt sich die Forschungsstelle Flucht und Migration mit Grenzen und Grenzregimen auseinander. In den vergangenen Jahrzehten entstanden etliche lesenswerte Publikationen zum Thema. Aktuelle Informationen gibt es fast täglich zu allen möglichen Themen online zu lesen - unter anderem unter dem Schlagwort Seenotrettung.

Einen chronologischen Überblick seit Anfang Juni bietet das Tagebuch zu den Geschehnissen im zentralen Mittelmeer von borderline-europe. Im Tagebuch finden sich kurze Zusammenfassungen zu den Geschehnissen in Italien betreffend Migration über das Mittelmeer. Doch auch sonst bietet die Seite zahlreiche Informationen und Hintergundberichte und verlinkt ausgewählte Presseartikel zum EU-Grenzregime.

Auf diesen und vielen anderen Seiten findet ihr jede Menge Hintergrundberichte, aktuelle Informationen und zahlreiche Links. Es zahlt sich aus, sich genauer zu informieren, auch wenn es manchal sehr mühsam ist...

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