Mexico/Oaxaca: Lehrer ermordet

homebase 19.10.2006 18:59 Themen: Bildung Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Lehrer nach APPO-Versammlung erschossen
hohe Anspannung in Oaxaca
Senatsentscheidung für Ruiz erwartet
Proteste in Oaxaca
Gestern (18. Oktober) wurde der Lehrer Pánfilo Hernández durch drei Bauchschüsse ermordet, nachdem er eine Versammlung der APPO in Oaxaca-Stadt verlasssen hatte. Der Mord geschah um neun Uhr abends. Gefeuert wurde aus einem mit mehreren Männern besetzten VW Jetta ohne Nummernschilder heraus, die Schüsse erfolgten aus nächster Nähe mit einer Pistole des Kalibers 45mm. Drei Kugeln trafen Pánfilo Hernández in den Unterleib, zwei weitere Schüsse trafen die Wand. Auf der Straße blieb eine Blutlache, die Anwohner fanden drei Patronenhülsen.Pánfilo Hernández wurde vom Roten Kreuz ins Krankenhaus gebracht, starb aber an inneren Blutungen. Hernández ist der achte Tote in den seit Mai andauernden Auseinandersetzungen.Währenddessen hatte die APPO wegen der andauernden Warnungen vor PRI-Stoßtrupps, die gewaltsam gegen die APPO vorgehen würden, den Alarmzustand verschärft.Um elf Uhr abends wurde ein Polizist, der von mobilen Brigaden unter dem Verdacht festgenommen worden war, an der Ermordung Hernández' beteiligt gewesen zu sein, zur "Spezialstaatsanwaltschaft für Angelegenheiten der LehrerInnen" gebracht. Diese erklärte aber, seine Festnahme sei ein Irrtum. Dennoch forderten die BesetzerInnen seine Bestrafung und riefen. "Verbrennt den Mörder!"Dem Sprecher der APPO, Florentino López Martínez, zufolge ist die Ermordung Hernández' ein Teil des Klimas der Feindseligkeit, Bedrohung und Einschüchterung gegen die Bewegung, die den Rücktritt des PRI-Gouverneurs Ulises Ruiz fordert. Es habe auch andere Fälle der Bedrohung wie das Filmen von Leuten und anonyme telefonische Morddrohungen gegeben.

Urabstimmung bei der LehrerInnengewerkschaft beschlossen

Die Sektion 22 (Oaxaca) der Gewerkschaft der BildungsarbeiterInnen hat beschlossen, die 70.000 Mitglieder per Urabstimmung darüber entscheiden zu lassen, ob die Vorschläge der Regierung akzeptiert werden sollen und wenn ja, ob der Unterricht dann wieder aufgenommen oder weiter gestreikt werden solle.Die Abstimmung wird abhängig davon sein, ob der Senat das "Verschwinden der Gewalten" (desaparicíon de poderes) für Oaxaca erklärt oder diesen Weg für die Lösung des Konflikts ablehnt. Sie wird nicht die Rücknahme der Forderung nach dem Rücktritt des Gouverneurs Ruiz beinhalten.Dem Beschluss war ein Konflikt vorausgegangen, da der Vorsitzende Enrique Rueda Pacheco die Rückkehr in die Klassen vorschlagen wollte; dies geschah unter dem Druck eines Teils der LehrerInnen, die mit der wirtschaftlich schwierigen Lage argumentierten: die Regierung Ruiz zahlt schon seit zwei Monaten die halmonatlichen Löhne nicht mehr aus.Vor dem Tagungsort hatten sich APPO-Mitglieder und Eltern versammelt, die die LehrerInnen mit Parolen wie "Ein selbstbewusster Lehrer gibt nicht auf und verkauft sich nicht!" und "Lehrer, du hast angefangen und du musst weitermachen. Ulises ist noch da, und musst ihn erledigen!" zum Weiterkämpfen aufforderten. Die Mehrheit der Delegierten setzte sich gegen den Vorschlag der Führung durch und setzte eine Urabstimmung für Donnerstag und Freitag an, deren Ergebnisse am Samstag ausgewertet werden sollen. Die Fragen sind: "Akzeptieren SIe die Vorschläge der Regierung, ja oder nein?" und "Sind Sie einverstanden, dass das Schuljahr am a) Montag, dem 23. Oktober b) Mittwoch, dem 25. Oktober c) Montag, dem 30. Oktober beginnen soll?".Der Vorsitzende sagte, bei einer Ablehnung der Regierungsvorschläge (Frage eins) sei die zweite Frage hinfällig. Die LehrerInnen wollen währenddessen zusammen mit der APPO weiter Druck auf den Senat ausüben, damit dieser das "Verschwinden der Staatsgewalten" in Oaxaca erklärt und drückten ihre Unterstütztung für die Hungerstreikenden vor dem Senatsgebäude aus.Zu dem Vorgehen der nationalen Gewerkschaftsführerin Gordillo, die eine neue Gewerkschaftssektion in Oaxaca befördert, sagte Rueda: "Ihre Erklärungen sind irrelevant. Worauf es ankommt ist, das sich die nationale Gewerkschaft demokratisiert und diese Kamarilla, die sie bisher regiert, loswird."

Unsicherheit und "Selbstjustiz"

Während nach wie vor Angriffe von PRI-Leuten auf das historische Zentrum und andere Orte befürchtet werden, erhöht die APPO ihre Wachsamkeit. Die Regierung hat inzwischen den Umbau des Frauengefängnisses in Tlacolula von 200 auf 400 Zellen durch deren Halbierung fast vollendet. Derzeit sitzen dort drei Gefangene ein. Es wird vermutet, dass dies ein Teil des "Hierro"-Plans ("Eisen") ist, der die massenhafte Festnahme von LehrerInnen vorsehen soll. Die Bemühungen der Regierung zur Auflösung der sozialen Bewegung laufen auf Hochtouren, zugleich wird aber die polizeiliche Sicherheitsarbeit in den Wohnvierteln und Straßen vernachlässigt. Autofahrer fahren und parken wie sie wollen, einige Restaurantbesitzer werfen nachts ihren Müll auf die Straßen, Unfallautos werden geplündert und gewöhnliche Diebe werden von den mobilen Brigaden und der Bevölkerung festgenommen, die nachbarschaftliche Sicherheitsprogramme organisiert haben. So werden festgesetzte mutmaßliche Straftäter auch geschlagen und mit Beleidigungen und Beschreibungen der ihnen zugeschriebenen Taten angeprangert, bis die Polizei sie übernimmt und einem Richter vorführt.

Heute Senatsentscheidung erwartet: "desaparicíon de poderes" unwahrscheinlich

Der Senat wird heute seine Beratungen zum Thema fortsetzen und evtl. entscheiden. Gestern haben sich PAN-Senatoren an den Vorschlag des Vorsitzenden (PRI) der Senatorenkommission angenähert, das "Verschwinden der Gewalten", das den Weg für eine Entlassung des Gouverneurs Ruiz freimachen würde, nicht zu erklären. Vielmehr soll eine Klausel angefügt werden, die die Gewalten nicht für verschwunden erklärt, aber die "Unregierbarkeit" von Oaxaca und das Fortbestehen von Kaziken-Strukturen (Macht aufgrund von persönlichen Abhängigkeiten) feststellt. Diesen Vorschlag beschloss die Kommission gestern gegen die Stimmen des PRD und der Partei "Convergencia", das Plenum wird heute beschließen. Damit läge die Initiative wieder bei der Bundesregierung.PAN_senatoren erklärten, das Ergebnis stelle niemanden zufrieden, aber aufgrund des rechtlichen Rahmens habe man nicht anders entscheiden können. Legislative und Judikative in Oaxaca funktionierten, und der Senat könne nur das Nichtfunktionieren aller Staatsgewalten erklären, nicht nur das der Exekutive.Nach Aussagen von PRD-PolitikerInnen hatte der PRI gedroht, die AMtsübernahme des zukünftigen Präsidenten Calderón (PAN) und die Reformvorhaben des PAN nicht zu unterstützen, sollten die PAN-Senatoren den PRI-Politiker Ruiz nicht unterstützen. Dies erkläre das rasche Umschwenken der PAN-Senatoren. Aus dem Präsidialbüro von Vicente Fox hieß es, der Konflikt in Oaxaca werde auf jeden Fall im Dialog und noch vor Ende der Amtszeit von Fox gelöst. Der Sprecher des Präsidenten erklärte zudem, man sei "Stolz" darauf, dass man alle Probleme auf friedliche Weise und entsprechend den demokratischen Regeln des neues politischen Systems gelöst habe.Zugleich hat die mexikanische Generalstaatsanwaltschaft mindestens zwei Haftbefehle von Bundesrichtern aus Oaxaca erhalten, die gegen eine unbekannte Zahl von APPO-Mitgliedern ausgestellt sind. Laut offiziellen AUssagen soll es sich dabei aber nicht um schwere Vorwürfe handeln, sondern um Anzeigen wegen Blockaden, Raub, Schäden am kulturellen Erbe und Verletzungen.Flavio Sosa von der APPO forderte den Senat auf, nicht dem Vorschlag der Kommission zu folgen, sondern das "Verschwinden der Gewalten" festzustellen: "Das spielt denjenigen in die Hände, die jeden Tag unsere mexikanischen Companeros ermorden, die doch nur die Hoffnung haben, dieses Land und unseren Staat auf driedliche Weise zu verändern, durch die Mobilisierung der Bevölkerung und im Vertrauen auf die Institutionen."

Protest mit dem eigenen Blut

"Wenn Ulises mehr Blut will, muss er es uns sagen!" riefen Demonstranten in Oaxaca-Stadt. Ca. 25 Freiwillige ließen sich Blut abnehmen und bemalten damit Protestplakate (Foto) mit Parolen wie: "Freiheit", "für die Kinder", "Mörder", "Tod Ulises Ruiz" oder "Vaterland oder Tod" ("Patria o muerte", dem Wahlspruch der kubanischen Revolution). Sie riefen an die Adresse der Medien: "Wir wollen sehen, ob ihr uns jetzt Aufmerksamkeit schenkt. Wenn es das ist, was ihr wollt: hier habt ihr es!"

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