Bolivien - Präsident Mesa bietet Rücktritt an

nobody knows my name 09.06.2005 01:00 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Obwohl Präsident Mesa Neuwahlen vorgeschlagen hatte um die Situation zu beruhigen, trat der gewünschte Effekt nicht ein. Weder die nun seit 3-4 Wochen für eine Verstaatlichung der Ölindustrie demonstrierenden Menschen, noch die nach Autonomie strebenden Provinz Santa Cruz akzeptierten diesen Vorschlag als Lösung aus der Krise. Gestern nun hat Mesa, nach massiven Protesten, zum wiederholten Mal seinen Rücktritt erklärt; die Situation im Land is nun explosiv.
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Update - 10.Juni:
Bolivien hat einen neuen Präsidenten +++ soziale Bewegungen müssen sich nun entscheiden - mehr Informationen hier...

Aktuelle Lage

Am gestrigen Montag kam es in La Paz wiedereinmal zu großen Protesten. Mehrere zehntausend Menschen, manche sprechen von einer halben Million, waren in der Stadt unterwegs und protestierten für eine Verstaatlichung des Energiesektors sowie gegen die Autonomiebestrebungen der Santa Cruz Region. Nach Angaben eines Anführer aus dem District 8 in El Alto war diese Demonstration möglicherweise der zahlenmäßig größte Protest der sozialen Bewegung in Bolivien in letzter Zeit.

Der Tag begann mit dem Protest von LehrerInnen (es war "Lehrertag") und rund 30.000 von ihnen gingen auf die Straße um das Zentrum von La Paz lahmzulegen. Kurz darauf kamen die Protestzüge aus El Alto in der Stadt an. MinenarbeitInnen, StudentInnen, ArbeiterInnen und FarmerInnen; sie alle waren in den Straßen von La Paz und es kam zu einer symbolischen Abstimmung unter ihnen. Zehntausende stimmten für:

  • Totale Verstaatlichung der Gas-/Ölindustrie, und Besetzung der Gas- und Ölquellen.
  • Weg mit Mesa und dem Nationalkongress.

Im Laufe des Tage kam es dann immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, als die Menschen Richtung Präsidentenpalast strömten und versuchten die Polizeisperren zu durchbrechen. Die Polizei setzte Tränengas und Schlagstöcke ein. Zeitweilig mußte Carlos Mesa angeblich den Palast aus Sicherheitsgründen verlassen.

Dann am Abend trat Präsident Mesa vor die Presse und verkündete nun zum zweiten Mal (siehe Artikel vom 7.März 2005) seinen Rücktritt. Angesichts der seit 4 Wochen andauernden Proteste sieht er sich nicht in der Lage das Land weiter zu regieren. Nun muß der Kongress über den Rücktrittsgesuch entscheiden. Und wie schon im März bleiben mehrere Optionen:

  • Der Kongress lehnt den Rücktritt ab und alles bleibt beim alten
  • Der Rücktritt wird akzeptiert und der rechtgerichtete Vize-Päsident Hormando Vaca Diez wird Nachfolger von Mesa

Beide Optionen bergen viel Konfliktpotential. Denn die Proteste werden weitergehen und die Fronten werden sich ohne konkretes Eingehen auf die Forderungen der Demonstranten weiter verschärfen. Im Fall das der Kongress den Rücktritt akzeptiert und Hormando Vaca Diez an die Macht kommt, könnte es auch zu einer gewaltsamen Niederschlagung der sozialen Protestbewegung kommen. Auch ist eine offizielle Ausrufung des Ausnahmezustands, zumindestens in La Paz und/oder El Alto, denkbar.

Es steht nur eines fest. Der angebotene Rücktritt von Mesa löst keines der Probleme im Land, weder die Frage nach Verstaatlichung des Energiesektors, noch die Autonomiebestrebung von Santa Cruz. Am heutigen Dienstag soll der Kongress über den Rücktritt von Carlos Mesa entscheiden. Danach wird man sehen wohin der Weg führt.


Videos: 1 | 2

Links:
09.06.2005: Bolivia vive jornadas revolucionarias
03.06.2005: Bolivien
31.05.2005: Bolivien: Interview mit Oscar Oliveira
31.05.2005: Bolivien: erneut Proteste
25.05.2005: Bolivien - Wieder Straßenblockaden
16.03.2005: Bolivien: Mesa hat kein Bock mehr
16.03.2005: Bolivien - Update / Neuwahlen & Blockaden
15.03.2005: bolivien: kleine analyse und fotos
13.03.2005: Was geht in Bolivien ab?
11.03.2005: Bolivien - Update
08.03.2005: bolivien aktuelles und kurzer umriss
08.03.2005: Bolivien: Rückblick und aktueller Stand
07.03.2005: Bolivien: Präsident Mesa bietet nach Protesten Rücktritt an


Hier noch ein paar Bilder der Demonstration vom Montag:
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Ergänzungen

Weitere Infos

nobody knows my name 07.06.2005 - 19:15
+ Arbeiter in La Paz haben ab heute einen unbefristeten Generalstreik angekündigt.
+ El Alto seit Tagen belagert
+ La Paz durch Straßenblockaden praktisch isoliert
+ Cochabamba und Potosi lahmgelegt
+ das landesweite Verkehrsnetz beeinträchtigt
+ über 70 Blockaden behindern den Transporte über die Straßen
+ Hauptwasserversorgung für La Paz angeblich abgeschnitten (laut Radio Panamericana)
+ Raffinerie in Cochabamba besetzt (zumindestens gestern)
+ Ölfeld in Camiri besetzt (zumindestens gestern)
+ weitere Demonstrationen für heute (Dienstag) angekündigt

Update 1:
Aktuell demonstrieren grad wieder viele zehntausend Menschen in La Paz...

Update 2:
Auch heute kam und kommt es noch zu Auseinandersetzungen vor allem zwischen Bergarbeitern und der Polizei. Wieder wird Tränengas und Gummigeschosse gegen die Demonstranten eingesetzt, die sich ihren Weg durch das Stadtzentrum bahnen wollten.

Update 3:
Nicht nur in La Paz, donern auch in anderen Gegenden wie Cochabamba gibt es Demonstrationen. Ob sich heute der Kongress zu Beratungen über den Rücktrittsgesuch zusammenfinden kann ist ungewiss, da die Innenstadt von Demonstranten dicht ist. Die USA beginnt ihre Botschaft bis auf ein Notpersonal zu evakuieren und gibt, wie z.B. UK oder Australien Reisewarnungen, aus. Andere Länder fliegen Touristen aus dem Land aus.

kurz zu sucre.....

sucreño 07.06.2005 - 23:12
jier wird seit heute nachmittag der gerichtshof besetzt/blockiert, so genau war das nicht zu erkennen. auch hier wirken sich die bloqueos aus, wenn auch langsamer und bei weitem nicht so doll wie in la paz oder el alto - z.b. indem die lebensmittel-preis steigen und die campensinos sich noch weniger zu essen kaufen können.....

weitere Texte und Bilder zu Bolivien

que se vayan todos 08.06.2005 - 01:24

Mit dem Rücken zur Wand

auch auf telepolis 08.06.2005 - 01:34
Nur wenige Stunden, bevor der Präsident vor die Fernsehkameras trat, hatte die Opposition erneut zur Ausweitung der Proteste aufgerufen. Seit fast zwei Wochen blockieren Anhänger von sozialen Organisationen, Nachbarschaftskomitees und Gewerkschaften die Straßen nach La Paz, dem Sitz der Regierung. Inzwischen ist das Benzin knapp, Sitzungen des Parlamentes mussten wiederholt abgesagt werden. Ungewöhnlich ist das nicht: Seit Carlos Mesa vor anderthalb Jahren zum Präsidenten Boliviens ernannt wurde, kommt das Land nicht zur Ruhe. In der Nacht zum vergangenen Freitag kündigte er daher landesweite Referenden über regionale Autonomie und Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung im Oktober an. Die Proteste konnte er damit nicht beenden.

Update: Seit Oktober 2003 versucht Boliviens Präsident Carlos Mesa die sozialen Proteste in den Griff zu bekommen, jetzt hat er nach neuen massiven Protesten seinen Rücktritt eingereicht

Update

qwertz 08.06.2005 - 22:52
Für morgen, Donnerstag, wurde von Vize-Päsident Hormando Vaca Diez eine Abstimmung über den Rücktrittsgesuch von Carlos Mesa einberufen.
Der Kongress wird sich aber nicht wie sonst in La Paz zusammenfinden, sondern in Sucre, der eigentlichen Hauptstadt von Bolivien.
Da die Lage in La Paz weiterhin sehr instabil ist, wurde sich zu diesem Schritt entschieden.

Allerdings sollen sich bereits mehrere tausend Bergarbeiter aus Cochabamba auf dem Weg nach Sucre gemacht haben. Da Diez einen deutlich geringeren Rückhalt in der Bevölkerung als Mesa hat und er der legitime Nachfolger von Mesa wäre (falls der rücktritt angenommen wird), ist es fraglich ob Diez das Amt in diesem Fall annehmen wird. Die verschiedensten sozialen Bewegungen, sowie auch Mesa, haben ihn bereits davor gewarnt.
Von daher wird der morgige Tag zeigen wohin die Reise geht...

noch ein Update

qwertz 08.06.2005 - 23:43
+ 3 Ölfelder und eine kleine Ölquelle des Konnzerns Repsol-YPF mußten die Arbeit einstellen, nachdem sie von Farmern besetzt wurden

+ eine weitere kleine Förderanlage in Los Penocos ist ebenfalls seit mehreren Tagen besetzt und kann nicht weiterarbeiten

+ die Ölfeldern von British Petroleum in Patujusal, Los Cusis and Humberto Roca sind seit Freitag unter der Kontrolle von Demonstranten

+ in Cochabamba wurden die Ventile der Gaszufuhr durch die Menschen geschlossen

+ in El Alto haben Nachbarschaftsgruppen einen Gas/Benzin-Betrieb übernommen und verteilen kostenlos Benzin

update vom 10. juni 2005

auf at.indymedia.org 10.06.2005 - 17:45
bolivien: die lage ist explosiv

10. juni 2005: die lage in bolivien spitzt sich zu. proteste gehen weiter und erreichten die hauptstadt sucre, ein toter und viele verletzte. boliviens präsident dankte ab, doch auch der neue präsident kann die lage nicht beruhigen...

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