Auch kleinere Grundrechtseingriffe bedürfen einer plausiblen Begründung

Auch kleinere Grundrechtseingriffe bedürfen einer plausiblen Begründung

Das Bundesverfassungsgericht urteilte über die Identitätsfeststellung während einer Demonstration. Und über das Filmen von Polizeieinsätzen Mit Beschluss vom 24. Juli 2015, Aktenzeichen 1 BvR 2501/13, hat das Bundesverfassungsgericht über die Thematik der Identitätsfeststellung während einer Demonstration entschieden. Dabei hat es über den Einzelfall hinaus neue Hürden für diese Praxis gesetzt. Zunächst der Fall: Im Januar 2011 befand sich der Beschwerdeführer, im folgenden L. genannt, mit einer Begleiterin auf einer angemeldeten Versammlung in Göttingen. Die Polizei fertigte hier Ton- und Bildaufnahmen der Versammlungsteilnehmer an. Die Begleiterin, im folgenden B. genannt, erweckte den Eindruck, ihrerseits die Polizeibeamten zu filmen. Die Polizei ordnete die beiden Personen aufgrund von Buttons und ähnlichem als Beobachtungsteam ein und sah die Gefahr gegeben, dass die Aufnahmen zum Zwecke der Veröffentlichung im Internet angefertigt wurden, womit ein Verstoß gegen allgemeine Persönlichkeitsrechte zu erwarten war. Eine andere Einsatzmöglichkeit sahen sie nicht, weshalb sie L. aufforderten, sich auszuweisen. L. kam dieser Aufforderung nach. Nachdem bereits das Verwaltungsgericht Göttingen (Aktenzeichen 1 A 14/11) sowie das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (Aktenzeichen 11 LA 1/13) über den Fall zu entscheiden hatten, war es nun am Bundesverfassungsgericht (BverfG), ein Urteil zu fällen. Vage Gefahren und fehlende Anhaltspunkte Das BVerfG sah die Gefahr, von der die Polizei sprach, um damit die Identitätsfeststellung zu begründen, als nicht hinreichend belegt an. Eine solche Feststellung sei nicht geeignet, um dadurch eine konkrete Gefahr abzuwehren, durch sie könne jedoch festgestellt werden, gegen welche Personen ggf. erforderliche Maßnahmen angebracht sind. Durch den Eindruck des Filmens bzw. das Filmen allein sei eine solche konkrete Gefahr jedoch nicht entstanden. Durch das Filmen der Polizei und das der Versammlungsteilnehmer herrsche niemals eine Waffengleichheit, da sich die Versammlungsteilnehmer im Allgemeinen nicht auf ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen können. Nichtsdestotrotz könne die Polizei nicht automatisch davon ausgehen, dass durch Versammlungsteilnehmer angefertigte Aufnahmen automatisch ohne Einwilligung der Betroffenen veröffentlicht werden. Eine Verletzung der allgemeinen Persönlichkeitsrechte könne so zwar später erfolgen, dies sei jedoch nicht zwangsläufig zu erwarten, da die Teilnehmer die Aufnahmen auch lediglich für sich behalten oder im Zuge einer Beweissicherung bei eventuellen Rechtsstreitigkeiten nutzen können. So die Polizei davon ausgehen kann, dass ggf. unzulässige Aufnahmen auch veröffentlicht werden, bedürfe es dafür hinreichender, tatsächlicher Anhaltspunkte. Solche konnte das BVerfG im vorliegenden Fall nicht sehen. Das Personalausweisgesetz und Artikel 1 des Grundgesetzes Das deutsche Personalausweisgesetz sagt in §1, dass Personen verpflichtet sind, einen Ausweis zu besitzen, sobald sie 16 Jahre alt sind und der allgemeinen Meldepflicht unterliegen oder, ohne ihr zu unterliegen, sich überwiegend in Deutschland aufhalten. Ferner müsse ein solcher Ausweis auf Verlangen einer zur Feststellung der Identität berechtigten Behörde vorgelegt werden. Das BVerfG hat noch einmal klargestellt, dass dies jedoch nicht bedeutet, dass berechtigte Behörden jederzeit, ohne Angabe von Gründen eine solche Identitätsfeststellung durchführen dürfen. Eine solche Maßnahme, so das Gericht, greife in das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Dieses Recht gewähre dem Einzelnen die Möglichkeit, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Auch wenn der Eingriff in die Grundrechte durch eine Identitätsfeststellung eher gering sei, so das BVerfG weiter, bedürfe es für den Eingriff einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung im Einzelfall, im Rahmen derer die Gerichte bei der Anwendung und Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Nds.SOG gehalten sind, die Bedeutung und Tragweite des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinreichend zu berücksichtigen. Die Gefahr der abschreckenden Wirkung Das BVerfG sah im vorliegenden Fall auch das Problem, dass Identitätsfeststellungen ohne hinreichende verfassungsrechtliche Rechtfertigung eher eine abschreckende Wirkung haben könnten. Im Beschluss schreibt es: Wer präventivpolizeiliche Maßnahmen bereits dann gewärtigen muss, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass sein Verhalten Anlass zu polizeilichem Einschreiten bietet, wird aus Furcht vor polizeilichen Maßnahmen auch zulässige Aufnahmen [...] und mit diesen nicht selten einhergehende Kritik an staatlichem Handeln unterlassen. Das BVerfG hat somit also noch einmal deutlich gemacht, dass nicht ins Blaue hinein etwas vermutet werden und dadurch ein Grundrechtseingriff begründet werden kann. Vielmehr seien auch bei geringfügigen Eingriffen in Grundrechte, in dessen Rahmen eine Identitätsfeststellung zu bewerten ist, wichtige Aspekte zu berücksichtigen, die insbesondere konkrete Verdachtsmomente und tatsächliche Anhaltspunkte für eine ggf. vorliegende Gefahr bedeuten. Die Identitätsfeststellung war in diesem Fall, so das BVerfG verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Beschluss wichtig für Demonstrationsteilnehmer Der Beschluss ist für viele Teilnehmer an Demonstrationen wichtig, da das Filmen von Polizeieinsätzen auch zum Zwecke der Beweissicherung häufiger erfolgt und genauso oft zu Identitätsfeststellungen führt. Die Polizei, so ein Betroffener, sei sich der Tragweite einer solchen Feststellung oft nicht bewusst und hielte sie auch hinsichtlich der Ausweispflicht nach dem entsprechenden Gesetz für eine Lappalie. Für manche Versammlungsteilnehmer habe sie jedoch einen einschüchternden Effekt, da zu befürchten sei, dass die Personalien in Datenbanken aufgenommen werden, die letztendlich einen negativen Effekt für den Betroffen haben könnten. Das BVerfG hat hier den Sorgen und Ängsten der Betroffenen Rechnung getragen und noch einmal klargemacht, dass auch geringe Grundrechtseingriffe nicht einfach so passieren dürfen. Es ist zu hoffen, dass dieser Beschluss von der Polizei hinreichend gewürdigt wird.

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Ergänzungen

du bist verpfichtet einen zu besizten... musst ihn aber nicht mitnehmen