[S] Bleibt ruhig! Anna und Arthur halten's Maul

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Nachdem wir bereits im Zuge der Anquatschversuche in einer Stellungnahme einige Grundlagen der Aussageverweigerung in der linken Bewegung oberflächlich angeschnitten haben, möchten wir an dieser Stelle einen ausführlicheren Text veröffentlichen. Dieser geht nochmals ausführlicher auf die Bedeutung der Aussageverweigerung ein.

 

Bleibt ruhig!

Alles Gesagte kann und wird gegen uns verwendet!

Rechte Kräfte dringen in den öffentlichen Raum und versuchen die derzeitige Asueinandersetzung rund um die Corona-Pandemie für sich zu nutzen. Hiergegen formiert sich vielfältiger Widerstand. Nicht nur den Rechten, auch den staatlichen Behörden und weiten Teilen der bürgerlichen Presse ist das ein Dorn im Auge. Bereits jetzt ist absehbar, dass es im Nachgang der aktuellen Ereignisse zur Kriminalisierung von antifaschistischem Engagement kommen wird. Zwei Ermittlungsgruppen sind darauf angesetzt und erste Anquatschversuche haben stattgefunden. Wie erfolgreich die Repressionsbehörden mit den Angriffen auf uns und unsere Strukturen sind, hängt in erster Linie von unserem eigenen Verhalten ab.

Reden // richtet erheblichen Schaden an

Nazihorden, die durch Stadtteile laufen und organisierte faschistische Strukturen, die offen auf Demonstrationen auftreten: was wir derzeit von Rechts erleben, hat in Stuttgart eine neue Dimension. Es ist richtig und wichtig, dass hiergegen entschlossen vorgegangen wird. Vielfältiger Protest, der auch militante Aktionsformen umfasst, hat in Stuttgart eine lange Tradition. Dass Nazigruppen hier in den vergangenen Jahren wesentlich weniger präsent waren als in vielen anderen Städten, dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass die Parole "Nazi sein heißt Ärger kriegen", in Stuttgart schon in der Vergangenheit mit politischer Praxis unterfüttert wurde. Mit der Vielfalt der Aktionsformen ging auch stets die Debatte einher, welche Mittel sind legitim – was bringt voran, was schadet? Fragen, die es dauerhaft neu zu diskutieren und zu bewerten gilt.

Die Frage ist allerdings, wann, wie und wo. Denn der Austausch, gerade über strittige Aktionsformen, interessiert nicht nur diejenigen, die um eine Stärkung der antifaschistischen Bewegung ringen, sondern auch die Repressionsbehörden. Jede scheinbar unverfängliche Information kann - in den falschen Händen - Schaden für die ganze Bewegung verursachen. Bei strafrechtlich Relevantem leuchtet das ein. Doch auch scheinbar unverfängliche Inhalte, beispielsweise Differenzen über die Legitimität politischer Aktionsformen, können Schaden anrichten; sie liefern unter anderem Ansatzpunkte für Spaltungsversuche und Entsolidarisierung. Spekulationen, was bei einer Aktion genau passiert ist und wer beteiligt gewesen sein könnte, widersprechen einem solidarischem Umgang grundsätzlich, ausnahmslos und überall!

Ruhe bewahren // schützt die Bewegung

Als Rote Hilfe stehen wir seit vielen Jahren für das Konzept der Aussageverweigerung. Anknüpfend an die Kampagne "Anna und Arthur halten´s Maul" der Startbahnbewegung der 80er Jahre, hat sich das Thema bis heute verstetigt und die Position "Keine Aussagen bei Polizei und Staatsanwaltschaft" ist weitgehend Konsens in der linken Bewegung. Vor dem Hintergrund einer permanent zunehmenden Überwachung, muss der Begriff 'Aussage' allerdings wesentlich weiter gefasst werden. Aussageverweigerung darf sich nicht auf Verhörsituationen beschränken, es ging und geht darum, den Repressionsbehörden keinerlei Informationen zu geben. Gerade dann, wenn der Verfolgungswille des Staates besonders hoch ist, entwickelt sich das natürliche Bedürfnis über Vorkommnisse zu sprechen, sich auszutauschen, Ängste und Zweifel zu kollektivieren. Geheimdienste und Polizeibehörden wissen das nicht nur, in der Geschichte staatlicher Repression gibt es zahlreiche Beispiele, bei denen dieser Effekt gezielt befördert und provoziert wurde. Ganze Anklagekonstrukte wurden so geschaffen. Der einzige wirksame Schutz ist und bleibt Ruhe bewahren, Getratsche konsequent zu unterlassen und Spekulationen zu unterbinden. Wenn wir so solidarisch zusammenstehen, schützen wir nicht nur Einzelne, sondern das Bewusstsein der gesamten antifaschistischen Bewegung und die zentrale Grundlage der Solidarität.

Solidarität // hilft allen

Selbstbestimmter und offensiver Antifaschismus ist dem bürgerlichen Staat ein Dorn im Auge. In der Kriminalisierung linker Strukturen geht es nicht nur um die Verfolgung einzelner Aktionen. Es geht darum, die politische Idee zu denunzieren, die Bewegung zu schwächen und den Widerstand in konforme Bahnen zu lenken. Einzelne sollen aus der Bewegung herausgelöst werden, Meinungen gegeneinander gestellt werden und somit der gemeinsame, solidarische Ausdruck, wie er in Stuttgart auf der Straße gegen Rechts zu finden ist, zerstört werden. Die Verfolgung Einzelner ist daher immer auch ein Angriff auf alle, die sich für das gemeinsame Anliegen engagieren. Das dürfen wir nicht zulassen.

Die Schwächung linker Zusammenhänge ist Kernaufgabe der Repressionsbehörden. Auch die bürgerliche Presse ist hierbei keineswegs neutraler Akteur. Welche Form von politischem Handeln richtig oder falsch ist, kann nicht mit diesen Institutionen diskutiert werden, sondern diese Diskussion muss vor ihnen geschützt werden. Die Zeiten werden rauer. In dichterer Taktung einschlagende Krisen des kapitalistischen Systems, ein enormes Wachstum rechter Strukturen und Positionen in der Gesellschaft, ein permanenter Ausbau des repressiven Überwachungsstaates – gerade jetzt brauchen wir eine starke linke Bewegung. In diesem Sinne:
Vorwärts und nicht vergessen: die Solidarität!

Rote Hilfe OG Stuttgart I Ende Mai 2020

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