Unter den Augen der AfD: Rangeleien bei Kundgebung von „Pro Chemnitz“
In Chemnitz haben Anhänger*innen der extremen Rechten am Montag eine turbulente Minikundgebung durchgeführt. Unter den zahlreichen schaulustigen Sympathisant*innen waren mehrere AfD-Politiker. Einer wollte vor Ort eine eigene Demonstration starten, gegen zwei andere musste die Polizei einschreiten.
Die Rechten waren nie weg, gleich nach den ersten Corona-Lockerungen stehen sie wieder auf der Straße: Die Lokalpartei und selbsternannte Bürgerbewegung „Pro Chemnitz“ hat zu einer Kundgebung unter dem Motto „Wir wollen raus! Staatliche Willkür beenden!“ getrommelt. Ein Gericht erlaubte das Spektakel zum Hitlergeburtstag, am Ende gab es einen Tumult. Parallel konnte in Dresden eine Pegida-Versammlung abgehalten werden, dank Sondergenehmigung der Stadt.
Wirre Reden auf der Bühne
Mit lediglich 15 Teilnehmenden und abgeschirmt durch ein starkes Polizeiaufgebot durfte die extrem rechte Wählergruppe „Pro Chemnitz“ gestern vor dem Karl-Marx-Monument eine Kundgebung „gegen die Corona-Diktatur“ durchführen. Am vergangenen Mittwoch war die Anmeldung beim städtischen Ordnungsamt eingegangen, von bis zu 500 Beteiligten war man da noch ausgegangen. Seitdem wurde auf der Facebook-Seite von „Pro Chemnitz“ mithilfe eines Aufrufs mobilisiert, den ein „überregionales Bündnis“ trug. Ihm gehörten neben namhaften NPD-Funktionären auch zwei erzgebirgische AfD-Kommunalpolitiker an: Jan Fritzsche, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Stadtrat von Stollberg, sowie der parteilose Matthias Henke, der auf einem AfD-Ticket in den Stadtrat von Lößnitz eingezogen war.
Die Stadt Chemnitz hatte die Versammlung zunächst unter Verweis auf das Infektionsschutzgesetz und die darauf gegründeten Kontaktbeschränkungen untersagt, die aktuell geltende Corona-Schutz-Verordnung verbietet Versammlungen jeglicher Art und Größe. Dagegen wandte sich „Pro Chemnitz“ mit einem Eilantrag an das örtliche Verwaltungsgericht und konnte sich auf inzwischen vorliegende Urteile stützen, denen zufolge Ausnahmen möglich sind. In einer kurzfristigen Entscheidung hob das Verwaltungsgericht das Verbot auf und erlaubte die Durchführung unter strengen Auflagen: Die wenigen zulässigen Teilnehmenden mussten namentlich erfasst werden und auf eine Marschroute verzichten. Vorgeschrieben waren Mundschutz und Mindestabstand. Auch der Zeitrahmen wurde deutlich eingeschränkt – nach einer guten halben Stunde war die Minikundgebung genau um 18.30 Uhr schon wieder vorbei.
Bis dahin hatten der Versammlungsleiter Robert Andres, der Oberbürgermeister werden will, sowie „Pro Chemnitz“-Fraktionschef Martin Kohlmann gesprochen, außerdem Stefan Hartung, der im Landesvorstand der NPD sitzt. Auf einer improvisierten Bühne beklagten sie wiederholt die angeblich Willkür bei der Pandemiebekämpfung, angereichert mit bizarren Thesen wie der, dass Bürger*innen „Zwangsimpfungen“ ausgesetzt seien. Immer wieder wurde auch die Polizei angesprochen und unter anderem als „Wegbereiter des neuen Faschismus“ tituliert. Von Fritzsche und Henke war dort nichts zu sehen, dafür andere bekannte Gesichter wie Jens Lorek, der als Ordner eingesetzt wurde. Der Dresdner Anwalt war in den vergangenen Jahren häufig bei Pegida und verschiedenen rassistischen Protestaktionen aufgetaucht. Zuletzt gehörte er zur Entourage des ehemaligen AfD-Politikers André Poggenburg und dessen nationalsozialistischer Abspaltung „Aufbruch deutscher Patrioten“.
AfD-Politiker waren mehr als „Beobachter“
Bei den 15 erlaubten Teilnehmenden blieb es nicht. Nach verschiedenen Schätzungen hatten sich im unmittelbaren Umfeld zwischen 150 und 300 Personen unerlaubt getroffen, teils ausgestattet mit Transparenten und Schildern, überwiegend dicht gedrängt. Sie stimmten wiederholt in Sprechchöre ein („Wir sind das Volk“, „Widerstand“), sympathisierten offensichtlich mit den „Pro Chemnitz“-Anliegen und bepöbelten die Polizei. Auch mehrere AfD-Politiker waren anwesend. Darunter befand sich mit dem Bundestagsabgeordneten Ulrich Oehme der Oberbürgermeister-Kandidat der Partei. Hinzu kamen die beiden Stadträte Nico Köhler und Lars Kuppi sowie dessen Mitarbeiter Leon Kozma, der bei der verfassungsfeindlichen Jungen Alternative aktiv ist.
150 Menschen folgten heute in #Chemnitz einem Kundgebungsaufruf von Pro Chemnitz- und NPD-Funktionären. Viele Rechtsextreme verstießen gg. Schutzauflagen. Die Polizei nahm Personalien von JournalistInnen auf und erteilte einer @democ_de-Mitarbeiterin einen Platzverweis. #c2004 pic.twitter.com/fa9JBpF7UI
— democ. (@democ_de) April 20, 2020
Die AfD-Stadtratsfraktion behauptete hinterher, dass „einzelne Mitglieder“ lediglich als „Beobachter“ im Umfeld der Versammlung präsent gewesen seien. Doch zumindest bei Kuppi, der auch im Landtag sitzt und von Beruf Polizeibeamter ist, war das nicht der Fall: Er versuchte, vor Ort eine weitere Versammlung anzumelden, blitzte bei seinen uniformierten Kollegen aber ab. Sie waren mit zwei Hundertschaften vor Ort und forderten sie Schaulustigen mit Lautsprecherdurchsagen insgesamt vier Mal auf, sich zu zerstreuen und den Bereich zu verlassen. Kurz vor dem Ende der offiziellen Versammlung griffen die Beamt*innen durch, verteilten erst Platzverweise und räumten dann die Straßen. Dabei führten sie Kozma zu einer Personalienfeststellung ab und drängten Köhler beiseite. Auch dessen Daten wurden anschließend notiert.
Im Zuge der Rangeleien verteilte die Polizei insgesamt 40 Anzeigen wegen mutmaßlicher Verstöße gegen die Sächsische Corona-Schutz-Verordnung, die als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden und eine Geldstrafe nach sich ziehen können. Außerdem wurden einige Strafanzeigen gefertigt, mehrfach wegen Widerstands gegen die Räumung, außerdem wegen eines Flaschenwurfs auf die Polizei und weil ein sogenannter Kühnengruß gezeigt wurde, eine gleichfalls verbotene Abwandlung des Hitlergrußes. Dass sich „Pro Chemnitz“ ausgerechnet am 20. April traf, an Hitlers Geburtstag, mag vielen Anwesenden klar gewesen sein. Unterdessen regte sich Kritik am Vorgehen der Polizei, da sie auch die Personalien mehrerer Journalist*innen aufnahm und mindestens einer Reporterin einen Platzverweis erteilte.
Ruhiger Ablauf in Dresden
Im Nachgang umstellte die Polizei ein Gebäude in der Brauhausstraße im Chemnitzer Zentrum. Dort sitzt die Rechtsanwaltskanzlei Kohlmanns, dessen juristische Expertise auch in AfD-Kreisen schon gefragt war. Zudem handelt es sich um einen Szenetreffpunkt – sowohl für „Pro Chemnitz“, als auch für Neonazis. Kohlmann und Andres hatten der Kameradschaft „Nationale Sozialisten Chemnitz“ nahegestanden, die 2014 verboten worden ist. In diesem Milieu ist Andres noch immer aktiv, er veranstaltet sogenannte Zeitzeugenvorträge für ein ausgesprochen braunes Publikum. Gast der Beiden war gestern unter anderem der NPD-Mann Stefan Hartung. Möglicherweise eine unerlaubte Zusammenkunft, befand die Polizei, die vor verschlossenen Türen stand. Sie entschied, dass Hartung und Co. das Haus verlassen müssen. „Pro Chemnitz“ hat bereits angekündigt, wiederzukommen und demnächst erneut eine Versammlung abzuhalten.
Fast zeitgleich wurde gestern auch in Dresden protestiert, bei Pegida auf dem Neumarkt. Das rassistische Bündnis durfte sich ebenfalls mit maximal 15 Teilnehmenden versammeln, gekommen sind elf. Nach einer guten Viertelstunde war alles wieder vorbei. Im Vorfeld hatte Pegida von der Stadt eine Ausnahmegenehmigung erhalten, offenbar die erste dieser Art in Sachsen. Sie war zunächst großzügig bemessen und hätte sogar 80 Personen zugelassen – die Versammlungsbehörde der Stadt ist seit Jahren als Rechten-freundlich verschrien. Nach öffentlicher Empörung und auf Veranlassung des Oberbürgermeisters wurde die Entscheidung nochmals geprüft, auch anhand des Urteil des Chemnitzer Gerichts zur dortigen Versammlung.
Daraufhin wurde die zulässige Zahl der Teilnehmenden bei Pegida auf 15 abgesenkt, so viele, wie derzeit höchstens an einem Gottesdienst, einer Trauung oder einer Beerdigung teilnehmen dürfen. Ursprünglich hatte sich Pegida sogar mit knapp 1000 Leuten treffen wollen, dann sollte es ein „Schweigemarsch“ mit 500 Personen werden. Am Ende blieb es in der kleinen Runde vergleichsweise ruhig, mehrere dutzend Sympathisant*innen standen allerdings außerhalb des Versammlungsgeländes. Dazu hatte der Pegida-Anführer Lutz Bachmann vorab aufgerufen. Er selbst war nicht vor Ort, seine Wahlheimat Teneriffa darf er aktuell nicht verlassen.