Diskussionsbeitrag zum Thema Einlassungen - Kampagne "Freiheit für Yildiz"
[Wir als Kampagnengruppe „Freiheit für Yildiz“ begleiteten seit Oktober letzten Jahres das §129 b Verfahren gegen Yildiz Aktaş, mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft und Gebietsleitung der PKK. Der Prozess ist nun zu Ende, am 27. Februar 2020 wurde das Urteil verkündet: Zwei Jahre Freiheitstrafe, ausgesetzt zu drei Jahren Bewährung – was bedeutet, dass Yildiz nicht ins Gefängnis gehen muss.(...) Dass es während des Prozesses Einlassungen gab, hat uns dazu bewegt, weitere Diskussionen um dieses Thema zu führen und diesen Text zu schreiben. Innerhalb der Gruppe gibt es verschiedene Positionen dazu. Wir wollen mit diesem Text Gedanken und Standpunkte teilen und eine weitere Diskussion anregen, bzw. unseren Teil zu dieser schon länger existierenden Diskussion beitragen. ]
Diskussionsbeitrag der feministischen Kampagne „Freiheit für Yildiz“ zum Thema Einlassungen vor Gericht
Wir als Kampagnengruppe „Freiheit für Yildiz“ begleiteten seit Oktober letzten Jahres das §129 b Verfahren gegen Yildiz Aktaş, mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft und Gebietsleitung der PKK. Der Prozess ist nun zu Ende, am 27. Februar 2020 wurde das Urteil verkündet: Zwei Jahre Freiheitstrafe, ausgesetzt zu drei Jahren Bewährung – was bedeutet, dass Yildiz nicht ins Gefängnis gehen muss. Weiteres zum Ende des Prozesses könnt ihr bald in einer Stellungnahme lesen, auch auf der Homepage der Kampagne “Freiheit für Yildiz” zu finden.
Bei der Begleitung ging es uns hauptsächlich um eine feministische Präsenz und Solidarität und politische Einordnung des Prozesses. Wir wollen politische Inhalte des Verfahrens auch nach außerhalb des Gerichtssaals tragen und Menschen für eine solidarische Begleitung des Verfahrens mobilisieren. Wir sehen die Begleitung des Prozesses auch als einen Teil internationalistischer Solidarität. Wir finden es notwendig, deutsche Interessen bzw. die Verflechtung des deutschen und türkischen Staates, die sich eben auch in der Kriminalisierung der kurdischen Bewegung innerhalb der BRD ausdrückt, aufzuzeigen und denken, es braucht noch viel mehr Druck auf der Straße. Mit dem §129 b und der Einordnung der PKK und vielen der kurdischen Bewegung zugehörigen Gruppen und Vereinen als „terroristische Vereinigung“ unterstützt der deutsche Staat die Assimilierungs- und Unterdrückungspolitik des türkischen Staates. Mit dem Aufgreifen der Erzählung vom „Terrorismus“ wird das repressive und mörderische Vorgehen des türkischen Staates legitimiert. Im Gerichtssaal findet letztendlich eine außenpolitische Bewertung statt. Nicht zu vergessen ist dabei das Eigeninteresse des deutschen Staates an der Verfolgung emanzipatorischer Bewegungen vor allem dann, wenn diese eine Alternative zum bestehenden kapitalistischen Nationalstaat aufzeigen – wie es in Rojava schon seit 8 Jahren passiert.
Auf die Prozessstrategie selbst hatten wir keinen Einfluss bzw. waren nicht an Diskussionen darum beteiligt.
Yildiz Aktaş war mit zwölf Jahren die jüngste Gefangene im Foltergefängnis in Dyarbakir. Kurz nach dem Militärputsch des 12. September 1980 wurde sie inhaftiert. Dort, im Gefängnis, lernte sie auch Sakine Cansız, kennen, von der sie sagt, dass sie eine tiefe Solidarität gegenüber ihr und anderen Frauen zeigte. Sie unterstützte sie und nahm sie unter ihren Schutz, half ihr, diese Zeit durchzustehen. Yildiz sagt über ihre eigene Geschichte: „Ich würde heute nicht vor Ihnen stehen, wenn ich keine Solidarität von anderen, insbesondere kurdischen, Frauen erfahren hätte. Dank dieser Solidarität konnte ich überleben. Ich würde heute nicht vor Ihnen stehen, wenn ich nicht mein Leben lang widerständig gewesen wäre. In der Aktivität, im Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen, gegen die chauvinistische Vernichtungspolitik der Türkischen Republik gegenüber Kurd*innen, konnte ich trotz meinen Verletzungen weiterleben. Meine Geschichte hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin: Yildiz. Keiner hat mich bis heute in eine Schublade stecken können, ich habe mein Leben lang damit zugebracht, gegen repressive gesellschaftliche und staatliche Normen zu kämpfen.“ Sie sagt selbst, dass für die Frauen das Gefängnis noch eine weitere Folge hatte. Sie wurden nicht nur als Feinde des Staates angesehen und versucht, sie als solche zu vernichten, sondern sie wurden als Frauen, die das Gefängnis überlebt hatten, auch aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Das beschreibt sie als schreckliche Folge für die Frauen einerseits, aber auch für die Gesellschaft, die sich nach innen zerstörte, anstatt die staatliche Repression anzugreifen.
Yildiz kämpfte ihr Leben lang für Frauenrechte, für Feminismus und gegen die Unterdrückung von Kurd*innen. Bis zu ihrer Flucht nach Deutschland, wo sie 2012 Asyl bekam, überlebte sie staatliche und patriarchale Gewalt und Repression, Folter, Isolation und weitere Gefängnisaufenthalte.
In Deutschland wurde sie über Jahre hinweg massiv überwacht, bis sie im April 2018 brutal in ihrer Wohnung in Baden-Würtemberg festgenommen und für mehrere Monate im Frauengefängnis in Berlin-Lichtenberg inhaftiert wurde. Seitdem ist sie unter Auflagen haftverschont, im Oktober 2019 begann der Prozess gegen sie. Wer mehr zu den einzelnen Prozessterminen lesen möchte, die Texte dazu sind auf der Homepage der Kampagne „Freiheit für Yildiz“ zu finden.
Dass es während des Prozesses zwei Einlassungen gab, hat uns dazu bewegt, weitere Diskussionen um dieses Thema zu führen und diesen Text zu schreiben. Innerhalb der Gruppe gibt es verschiedene Positionen dazu. Wir wollen mit diesem Text Gedanken und Standpunkte teilen und eine weitere Diskussion anregen, bzw. unseren Teil zu dieser schon länger existierenden Diskussion beitragen.
Was verstehen wir unter Einlassungen – Einlassung von Yildiz
Mit der Repressionwelle in den 80ern im Zusammenhang mit den Protesten gegen das Flughafen-Projekt Startbahn-West entstand ein breiteres Bewusstsein über das Prinzip der Aussageverweigerung gegenüber Polizei und Gericht, sowie die Kampagne „Anna und Arthur haltens Maul“. Es entstand die Einsicht, dass natürlich auch Aussagen, die nicht einzelne Personen konkret belasten, Informationen an die Ermittlungsbehörden liefern und dazu führen, dass Strukturen sichtbar werden.
Als Einlassung im Gegensatz zum Aussageverweigerung verstehen wir es, wenn sich eine Person zu Tatvorwürfen äußert, also auf die eigene Rolle innerhalb der Vorwürfe zu sprechen kommt. Unserer Meinung nach kann eine Einlassung auch eine Mischung aus politischer Erklärung und Einlassung sein. Eine ausschließlich politische Erklärung wäre es nach unserem Verständnis, wenn sich eine Person vor Gericht gar nicht zu Tatvorwürfen äußert, sondern eine Erklärung vorliest, die sich nur auf den politischen Rahmen bezieht. Also beispielsweise darlegt, warum ein bestimmtes Handeln eine Notwendigkeit darstellt, die sich gegen die herrschende Ordnung stellen muss, da das derzeitige System und auch gesellschaftliche Normen Ausdruck von bestehenden Herrschafts- und Unterdrückungssystemen, wie Rassismus, (Neo)Kolonialismus, Patriarchat und Kapitalismus sind.
Wer in Knästen inhaftiert wird, entscheidet auch immer zwangsläufig die Klassenfrage. Zwar ist Deutschland diese Brisanz nicht so präsent wie in den USA, da hier durch einen neoliberalen Sozialstaat viele Zusammenhänge unsichtbar gemacht werden, doch ist der Knast stets auch hier ein Handlanger von Staat und Kapital. Der kapitalistische Staat bringt die gesellschaftlichen Widersprüche – vor allem für die Arbeiter*innenklasse und die ausgebeutete migrantische Arbeiter*innenklasse- selbst hervor wie z.B. die Notwendigkeit zu „Stehlen“ etc. So macht er letzteres zu einem moralisch und einer Staatslogik folgend zu einem rechtlichen Versagen. Insbesondere zeigt sich das bei einem Verstoß gegen bürgerliche Rechte, die vor allem Privateigentum und somit die gesellschaftlichen Verhältnisse schützen. Und schließlich zeigt sich dieser gesellschaftliche Widerspruch in der Notwendigkeit von Knästen.
Yildiz hat im Rahmen der Einlassung eine politische Kontextualisierung der kurdischen Bewegung und der (Widerstands)Geschichte dieser vorgenommen. Sie ist auf einzelne politische Ereignisse zu sprechen gekommen. Sowohl auf Angriffe von Seiten des türkischen Staates und dschihadistischer Gruppen, als auch auf Widerstandshandlungen und Basisorganisation der kurdischen Bewegung, auf die Ermordung von Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez. Sie ist auch auf ihre eigene Rolle eingegangen und hat viel Persönliches zu ihrer Geschichte des Überlebens von patriarchaler Gewalt, Folter, Knast und Repression in der Türkei und der Folgen dessen gesagt. Geständnisse hat sie zu einzelnen Vorwürfen gemacht, die den Ermittlungsbehörden in der Beweisaufnahme vor allen durch TKÜ (Telekommunikationsüberwachung)-Protokolle bereits vorlagen. Dabei ging es um die Teilnahme oder Mitorganisierung von Demonstrationen, Kulturellen Veranstaltungen, Kundgebungen und Hungerstreiks. Sie selbst sagte dazu, dass ihr dabei bewusst war, dass einige dieser Aktionen der PKK zugute kommen könnten. Unserer Meinung nach hat sie sich in ihren Einlassungen nicht von etwas distanziert oder Reue gezeigt, sondern die politische Dimension unterstrichen. Yildiz hat in ihrer Erklärung deutlich gemacht, warum sie die Notwendigkeit gesehen hat zu handeln. Einige Teile ihrer Erklärung können auf der Seite https://freiheit-yildiz.com/ nachgelesen werden.
Gedanken, Fragen, Diskussionspunkte zu Einlassungen
Disclaimer: Wir als Prozessgruppe haben einige Diskussionspunkte zum Thema Einlassungen. Wenn wir im Weiteren über dieses Thema schreiben, beziehen wir uns dabei in erster Linie auf unseren eigenen Lebens- und Politkontext. Zwar sind Yildiz‘ Einlassungen Grund dieser Diskussionen, doch empfinden wir es als anmaßend und auch einfach realitätsfern, die Erfahrungen einer Kurdin im Exil eins zu eins auf Erfahrungen in der linksradikalen Szene in Deutschland zu übertragen. Diese Gleichsetzung von linken Kämpfen in unterschiedlichen Kontexten empfinden wir als vermessen und halten es aus einer weißen oder europäischen Perspektive auch für sehr fragwürdig, da die Bedingungen, unter denen wir aktiv sind und auch die Repressionen, denen wir ausgesetzt sind, nicht zu vergleichen sind. Viel mehr wollen wir Gedankenanstöße aus dem Prozess für unsere eigene Lebensrealität nutzen, um unsere eigene Praxis zu reflektieren.
Auch denken wir in diesem Zusammenhang, dass das Verhalten zu Einlassungen vor dem Hintergrund der Repressionsstrukturen und deren Reaktionen auf Einlassungen in verschiedenen Ländern gesehen werden muss. So ist es in der Türkei eine rein politisch und strafschärfend wirkende Art sich zu verteidigen, wenn man die Organisation verteidigt oder einzelne politische Aktionen rechtfertigt. Das bedeutet, wenn Yildiz Erklärung hier in Teilen als Einlassung verstanden wird, wäre sie in der Türkei wohl als rein politische Verteidigung verstanden worden.
Nun zu unserer Diskussion über Einlassungen, im Kontext deutscher Ermittlungsbehörden und Gerichte: Wir alle sollten uns darüber bewusst sein, dass jede Einlassung Informationen an die Ermittlungsbehörden/den Staat weitergeben kann. Deswegen braucht es eine differenzierte Auseinandersetzung. Jede Person vor Gericht muss sich im Klaren darüber sein, dass ihr Verhalten Konsequenzen für andere bedeuten kann. Letztendlich bleibt es auch immer Abwägungssache von Seiten des Gerichts, ob Aussagen zu Tatvorwürfen als eine zufriedenstellende Einlassung gewertet werden oder nicht. Wenn einmal ein Gerichtsurteil aufgrund einer Einlassung gefällt wurde, kann es auch sein, dass die Messlatte beim nächsten ähnlichen Prozess noch höher gehängt wird.
In der Auseinandersetzung finden wir eine Differenzierung auch in Bezug darauf wichtig, dass es unterschiedliche Arten von Einlassung gibt. In einigen Fällen zeigen Personen vor Gericht Reue und distanzieren sich von bestimmten Aktionen oder Gruppierungen und diffamieren diese. Dabei werden gleichzeitig die staatliche Position und dessen Logik des „guten und bösen Protests“ bestärkt und deren Spaltungsversuche unterstützt. Es gibt auch den Verrat, also Aussagen, die Namen und konkrete Strukturen benennen und diese den Ermittlungsbehörden ausliefern. Das passiert nicht selten, wenn einzelne massiv unter Druck gesetzt oder ihnen Versprechungen gemacht werden, dass bestimmte Aussagen vor Gerichts entlastend wirken können, um ein geringeres Strafmaß zu erwirken. Dies lehnen wir, wie auch viele weitere Gruppen, die Texte zu diesem Thema geschrieben haben, entschieden ab.
Als letztere sehen wir auch die Art von Einlassung, die letztlich darauf abzielt, eine strafbare Handlung als positiv bzw. gerechtfertigt zu bewerten, sie zu gestehen, darauf Bezug zu nehmen und sie gleichzeitig politisch einzuordnen. Auch hier besteht natürlich die Gefahr, dass für die Ermittlungsbehörden verwertbare Informationen geteilt werden – und so verlockend es im Zusammenhang mit Deals auch erscheinen mag, es bedeutet nicht, mehr Handlungsmacht zu haben.
Neben dieser Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen von Einlassungen kann es Gründe geben, die in der einzelnen und konkreten Einlassung betrachtet werden sollten, bevor sich einzelne und Gruppen entsolidarisieren (-schnelle Entsolidarisierung und Spaltung sind ja generell Mechanismen in „der Szene“, an denen gearbeitet werden sollte.). Wir finden es hierbei jedoch wichtig, Gründe für eine Einlassung, die letztendlich nur auf eine Wahrung der bürgerlichen Identität abzielen, zu kritisieren.
Wir unterstützen das Prinzip der Aussageverweigerung und denken, dass es wichtig ist, einen transparenten Umgang mit Einlassungen zu haben, wenn diese passieren. Um nachvollziehen und einordnen zu können, warum Einzelne sich dazu entscheiden Einlassungen zu machen, müssen Gedanken und Informationen dazu geteilt werden. Ein offener Umgang ist wichtig, sowohl für die eigene persönliche Auseinandersetzung im Vorhinein, aber auch damit Leute Gefahren für sich besser abschätzen können und auch damit eine Einordnung für Menschen, die den Prozess in irgendeinem Sinne begleiten, stattfinden kann. Wir sehen das auch als eine Notwendigkeit, um letztendlich eine kollektive Auseinandersetzung zu bewirken und aus der Vereinzelung in die uns die Repressionsorgane bringen wollen, heraus zu treten.
Ein weiteres wichtiges Thema ist Vertrauen untereinander und sich aufeinander verlassen zu können- das klar sein sollte, dass Gefährt*innen nichts preisgeben, eine*n nicht verraten oder gefährden.
In dem Debattenbeitrag der Ortsgruppe Leipzig Rote Hilfe e.V. sehen wir unter anderem diese wichtigen Punkte benannt:
„Uns ist es wichtig, das die Druckmomente des Staates offen benannt werden, vor allem dann, wenn wir ihnen nicht standhalten konnten. Erst dann können wir einen konstruktiven Umgang damit schaffen und hoffentlich zukünftig eine wirksamere kollektive Strategie dazu entwickeln. Unsere Bewegung wird damit aufgefordert, sich damit auseinanderzusetzen, wie der Druck in solchen Momenten verringert werden kann.“
„Erst in einer offen geführten Auseinandersetzung können wir uns fragen, wie ein weiterer solidarischer und kollektiver Umgang aussieht. Wir halten es für notwendig, diesen Austausch transparent und offen zu führen und nicht nur innerhalb exklusiver Strukturen, denn Repression und auch der Umgang damit geht uns alle an! Wir fordern grundsätzlich nicht den Entzug von Solidarität als Reaktion auf eine Einlassung vor Gericht, sondern streben eine umfassende Betrachtung der Situation unter Einbeziehung subjektiver Beweggründe an.“
Wir denken, Angst vor dem Knast sollte keine Rechtfertigung für Aussagen sein, die andere belasten, aber glauben auch dass eine kollektive Auseinandersetzung mit dem, was Knast für eine*n bedeuten kann, stattfinden muss. Angst kann vor allem dann von Seiten des Staates genutzt werden, wenn sie in den eigenen Strukturen nicht thematisiert oder aufgefangen wird oder werden kann! Wir denken, es ist wichtig, hier klarere gemeinsame Positionierungen zu finden. Dabei geht es uns nicht darum, dass irgendwer darüber urteilen kann und soll, für wen es nun härter wäre, in den Knast zu müssen und für wen weniger, sondern darum, dass wir selbst nicht zu Ver_urteilenden werden - und darum, dass wir sehen, gegen wen oder was wir uns eigentlich gemeinsam positionieren, sowie Privilegien sichtbar zu machen, Kritik zu üben und kollektive Antworten zu entwickeln.
Knast kann auch als kämferisches Gebiet und für gemeinsame Organisierung genutzt werden, kann aber auch ganz unterschiedliche individuelle Repression für einzelne bedeuten. Klasse, Gender und rassistische Zuschreibungen machen Knast unterschiedlich erlebbar. Auch Unterstützung von außerhalb kann nicht unabhängig davon betrachtet werden und wirkt sich darauf aus.
Zu Deals, die oft mit Einlassungen einhergehen, denken wir, dass ein Bewusstsein darüber wichtig ist, dass sich letztendlich auch hier immer auf die Logik der Gerichte und Repressionsorgane eingelassen wird. Deals können nicht auf Augenhöhe stattfinden und sobald sich einzelne darauf einlassen, geben sie immer etwas aus der Hand. Auf einen Deal können weitere Erpressungen folgen und sie sind keine Garantie dafür, dass ein Strafverfahren für die jeweilig angeklagte Person günstiger ausfällt.
Weitere Fragen, die aufgekommen sind: Können wir uns gegenseitig soweit stärken, dass es nicht als notwendig angesehen wird, auf Deals einzugehen? Wie groß muss die Solidarität sein, damit eine solche Stärke erreicht werden kann? Und ist es überhaupt realistisch, alle von Repression Betroffenen ausreichend unterstützen zu können? Wo werden in diesen Fragen auch Hintergründe und Privilegien sichtbar? Wer hat vorher welche Repressionserfahrungen gemacht? In was für einer körperlichen und emotionalen Verfassung ist die Person und wie wird damit umgegangen? Wer hat ein stabiles Umfeld, wer hat überhaupt das Geld oder die Leute die einen dabei unterstützen, eine politische Prozessführung zu machen? Besteht darin vielleicht auch eine Gefahr, das Individuum unsichtbar zu machen und Kollektives über alles zu stellen?
Wir sehen die Schwierigkeit, dass sich solche Diskussionen schnell darin verlieren können, dass es wohl für jede Person Gründe geben mag, warum diese sich einer etwaigen (Haft-)Strafe nicht stellen kann. In einer solchen Diskussion müssen aber auch Privilegien sichtbar und Unterdrückungs- und Herrschaftssysteme, wie Rassismus, Klassismus, Sexismus und Transfeindlichkeit eine Rolle einnehmen, sowie die vorherige Geschichte der Person einbezogen werden. Dazu zählen für uns z.B. vorher erlebte Folter und vorherige Hafterfahrungen. Es gibt für Menschen, die im Exil weiter politisch aktiv sind, auch zusätzliche Ebenen von Repression. Im Asylverfahren werden nicht selten politische Tätigkeiten als Gründe aufgeführt, warum ein Asylverfahren negativ entschieden wird. Im Falle einer Abschiebung kann vor Ort weitere Repression, Folter bis hin zu Tod drohen. Auch sind Menschen im Exil teilweise weiterhin mit Repressionsorganen (vor allem Geheimdiensten) aus dem jeweiligen Herkunftsland konfrontiert. Manche sind selbst durch diese bedroht. Andere werden im Exil damit unter Druck gesetzt, dass ihnen gedroht wird, dass Familienangehörigen, Freund*innen oder Genoss*innen Gewalt droht.
Nur ein Anstoss zu weiteren Punkten, die mitgedacht werden sollten:
*Wie auch im Falle der NSU-Morde sichtbar wird, werden oftmals bei rassistischen Morden zunächst Leute aus dem Umfeld und der Familie der Ermordeten verdächtigt und Repression ausgesetzt, während der Staat faschistische Strukturen schützt. Solche Fälle drücken sehr offensichtlich eine rassistische Logik von Ermittlungsbehörden und Gerichten aus.
*Transpersonen sind im Knastsystem mit weiteren Eingriffen in ihre Selbstbestimmung konfrontiert. Immer wieder werden Menschen in der binären Logik des Staates in falschen Knästen eingesperrt, ihnen werden Medikamente, Hormone oder Hilfsmittel verweigert.
*In der heutigen Gesellschaft, in der immer noch oft Mütter die meiste Verantwortung und care Arbeit machen, ist Mutter- und Elternschaft, bzw. Sorgerechtsentzug (wie im Fall von Zozan G.) ein weiteres Druckmittel, dass von staatlichen Strukturen eingesetzt werden kann.
*Wer sich gegen sexualisierte Gewalt wehrt, wird in vielen Fällen selbst von Repression überzogen. Im Knast sind Leute oft noch mehr Gewalt ausgesetzt als draussen.
*Soziale Ungleichheit und Armut sind im Zusammenhang mit sogenannten „Eigentumsdelikten“ wie Diebstahl oder wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz in der BRD häufig Gründe für eine Gefängnisstrafe.
Wir möchten eine Diskussion anregen, die diese und andere Ebenen miteinbezieht und in der kollektive Strategien entwickelt werden können.
Nochmal zusammenfassend: Wir denken, es ist wichtig, nicht unhinterfragt und ohne den Kontext zu kennen, Menschen nach Einlassungen oder Deals die Solidarität zu entziehen, sondern solidarische Auseinandersetzungen zu führen - jedoch mit einer Bestärkung des Prinzips der Aussageverweigerung und ohne Einlassungen dabei als etwas Positives zu bewerten. Bei diesen Diskussionen sollten wir darauf achten, was fehlt, was wir aufbauen können, auch damit Leute sich vor Gericht weniger vereinzelt fühlen und versucht wird, etwas Druck zu nehmen durch Kraft und Unterstützung von aussen.
Und nun?
Anti-Repressionsarbeit fängt weit vor Vorladungen, Gerichtsprozessen, Strafe und Knast an. Sie fängt in unseren Zusammenhängen an, bei der Vorbereitung auf das, was kommen kann, wenn mensch in irgendeiner Form diesem Staat nicht passt, ihn kritisiert oder sich gegen ihn positioniert. Lasst uns, wenn wir es nicht schon tun, anfangen und weitermachen, bei Gesprächen mit Gefährt*innen, beim Austausch über die eigenen Ängste in Bezug auf Repression, beim weiteren Schaffen von Räumen und Anti-Repressionsstrukturen. Bei dem Bewusstsein, was für Konsequenzen bestimmtes Handeln in diesem Staat nach sich ziehen kann und wie wir andere im Fall von Repression so wenig wie möglich mit gefährden. Sich informieren, Unterstützung und Kritik, Rücksichtsnahme und Diskussion, Nach- und auch Hinterfragen und sich gemeinsam organsieren- das sind Sachen, die wir machen können.
Wir wünschen uns, dass Antirepressionsarbeit nicht wie so oft nur in Bezug auf eine „linke Szene“ gedacht wird und die größtmöglichsten Nenner miteinander gesucht werden, sondern dass sich weiter geöffnet und sich zum Beispiel auch damit auseinandergesetzt wird, wer denn die meisten Menschen sind, die im Knast sitzen und warum.
Es braucht kollektive, feministische Antworten auf Repression! Antworten auf die sich weiter zuspitzende Faschisierung, auf den Rassismus und die ganze andere Scheiße! Wahrscheinlich wird es in den nächsten Jahren alles nicht leichter werden, also bestärken wir uns besser gegenseitig und geben uns konstruktive Kritik anstatt die Schwächungen in uns hineinzutragen, die uns durch Repression übergestülpt werden sollen. Wir wünschen uns darin, anstelle von Spaltung, weiteren Austausch und solidarisch geführte Diskussionen. Feminismus statt Kriminalisierung! Our passion for freedom is stronger than all prisons!
Wir gedenken den Opfern der rassistischen Morde in Hanau:
Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kalojan Velkov,
Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi, Fathi Saraçoğlu.
Wir trauern und sind wütend und schicken den Familien und Freund*innen der Ermordeten viel Kraft und unsere Solidarität. Lasst uns zusammen kommen und uns entschlossen gegen Rassismus und Faschismus stellen. Denn wie die Holocaust Überlebende Esther Bejarano bereits treffend sagte: “Wehret den Anfängen ist längst überholt. Wir sind mittendrin!”.
Wir gedenken auch Maria, die am 24. Januar 2020 in Berlin-Friedrichshain von einem Polizisten ermordet wurde.
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Zum Weiterlesen:
http://rotehilfesth.blogsport.de/images/Aussageverweigerung.pdf
https://www.gefangenen.info/outlaw-debattenbeitrag-zu-offensiven-prozessstrategien/