Silvesterdemo am Abschiebeknast in Dresden
Am Nachmittag des 31. Dezember haben wir uns zum Abschiebeknast auf der Hamburgerstrasse aufgemacht. Etwa hundert Leute folgten der Einladung und trafen sich an der nächstgelegenen Haltestelle. Vor Ort versuchten wir mit Redebeiträgen, Musik, Sprechchören und Feuerwerk die Inhaftierten zu erreichen und unsere Solidarität zu zeigen. Die Abschiebehaftkontaktgruppe verlas einen Beitrag zur derzeitigen Situation im Knast.
Leider ist der hochmoderne Neubau derart abgeschottet, dass wohl nur wenig drinnen zu hören war. Die Inhaftierten antworteten uns aber mit Trommeln am Fenster und An- und Ausschalten des Lichts und versuchten uns mit Zetteln und Gesten zu antworten. Diese Momente haben ganz deutlich vor Augen geführt wie wichtig unsere Solidarität für die Gefangenen sein kann, auch nur mal eine Stunde vom Knastalltag weg zu kommen. Und gleichzeitig auch, dass wir uns nicht mit Parolen begnügen können, wenn wir die Knastmauern dieser Welt wirklich einreißen möchten. Aufjedenfall lieber Silvester am Knast als irgendwo anders. Solidarische Grüße an alle inhaftierten Kämpfenden und kämpfenden Inhaftierten weltweit, an Yildiz (https://freiheit-yildiz.com/), die drei von der Parkbank und auch von der Autobahn, Thomas Meyer-Falk, an die Frauen in der JVA Reinickendorf (https://de.indymedia.org/node/55600) und so viele andere!
Redebeitrag Abschiebehaftkontaktgruppe „Neujahrsgrüße in Abschiebeknast“ Er befindet sich nun seit einem Jahr hier, der Abschiebeknast in Dresden. Er ist neu hier, doch das, was darin vollzogen wird, wurde in 2019 100 Jahre alt. Als antisemitisches Instrument tauchte die Abschiebehaft 1919 in Bayern erstmals auf. So unsäglich, wie es damals war, Menschen einzusperren um sie im Zweifel Monate später außer Landes zu deportieren, so unsäglich ist das heute auch. Schlafstörungen, Herzrasen, Weinen, Einsamkeit, Schmerzen, Aggressionen sind nur einige Symptome, die uns die Menschen, die wir dort drin beraten, immer wieder berichten. In der Abschiebehaftkontaktgruppe sind wir uns häufig einig, dass viele der Inhaftierten nicht das sind, was „haftfähig“ genannt wird. Der sogenannte Haftschock wirkt bei vielen umso schwerer, weil die Inhaftierung urplötzlich kommt, ohne eine Straftat begangen zu haben. Wir haben Familienväter gesehen, die wussten, dass sie ihre teils noch ungeborenen Kinder lange nicht sehen werden. Vor uns saßen junge Menschen, die noch vor wenigen Tagen in Freiheit waren und nie gedacht hätten, dass ihnen von heut auf morgen die Freiheit genommen und jegliche Regung vorgeschrieben wird. Ein älterer Herr, dem die Lebenslust nicht abhandenkommen konnte und es irgendwie geschafft hat, dass er seiner Freundin im Knast Blumen schenken konnte. Ein Mensch, der in den Hungerstreik trat und um dessen Leben wir zwischenzeitlich fürchteten. Ein 18-jähriger aus Syrien, der jetzt in Rumänien sitzt ohne zu wissen, was er da tun soll. Menschen, deren Akte wir aufschlagen und sehen, dass sie schon in halb Europa ihr Glück versucht haben und denen ein ganzer Kontinent mit aller Wucht ein „Verschwindet!“ entgegengeschleudert hat. Dresden ist dann die letzte Station ihrer Reise, ausgeliefert gegenüber der Allmacht der Landesdirektion, die im vergangenen Jahr mehrmals bewiesen hat, dass sie nicht nur eine rassistische Praxis vollzieht, sondern auch, dass sie Knastvollzug einfach nicht kann. Dieser Knast steht für das „Verschwindet!“, für das sich Europa, Deutschland, Sachsen verantwortlich zeigen. Abschiebeknäste stehen wie kaum etwas anderes für nationalistische Abschottung, für Chauvinismus, für Rassismus. Dieses Gebäude ist ein Produkt rassistischer Ideologie! Diese Ideologie, die Menschen einteilt in die mit den richtigen und jene mit den falschen Pässen, die Abschottung rechtfertigt, Menschenrechte verletzt und einer Idee eines solidarischen Gemeinwesen entgegensteht. Als Abschiebehaftkontaktgruppe sprechen wir zunächst mit den Menschen im Knast, zwangsläufig setzen wir uns aber auch mit diesem System auseinander. Das muss es geben, doch bindet es viel Kraft. Wir denken oft schon so sehr in diesem System, dass wir wahnsinnig froh sind, wenn es Gruppen wie die Organisator*innen dieser Demo gibt, die ein anderes Zusammenleben wollen, eines, in dem Menschen nicht in Hierarchien gepresst und unterdrückt werden. Der Abschiebeknast ist einer der krassesten Kontrapunkte für ein Leben ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Er offenbart den verzweifelten, in seinen Folgen aber fatalen Versuch, Migration und Flucht kontrollieren zu wollen. Das kann auf lange Sicht nicht gelingen, dessen sind wir uns ganz sicher! Wir beraten bis der Knast Geschichte ist! Wir hoffen, ihr bleibt solang an unserer Seite und gemeinsam werden wir die Geschichte dieses Knasts dokumentieren und erinnnern. Danke für diese Demonstration!