FREIRÄUME IN HANNOVER
Ein Buch zur Geschichte der Hausbesetzungen und selbstverwalteter Gemeinschaftsprojekte in Hannover
Seit 1971, in fünfeinhalb Jahrzehnten, gab es in Hannover über 50 Hausbesetzungen: Erfolgreiche und viele andere. Tschöke beschreibt in ihrem Buch detailliert das Zusammenspiel von Politik und Verwaltung (bzw. von »progressiven« Teilen derselben) und Aktivismus zur Durchsetzung sozialer, kultureller und politischer Anliegen im Sinne einer sozialen und humanen Stadtentwicklung. Initiativen »von unten« schufen linksradikal und alternativ gestaltete Freiräume – und prägten einzelne Stadtteile nachhaltig und langfristig.
Die Autorin beschreibt auch die Entstehung erfolgreicher lokaler Selbstverwaltungsprojekte, wie die überregional bekannten unabhängigen Jugendzentren UJZ Kornstraße und Glocksee, das Sprengelgelände, das große, direkt am Bahnhof gelegene, Kulturzentrum Pavillon sowie den früh begonnenen »hannoverschen Weg« zur Legalisierung von Bauwagenplätzen.
Chronologisch geordnet verbindet sie persönliche Erinnerungen von Aktivist*innen, historische Quellen und Medienberichte, um den mitunter langwierigen Kampf um gemeinschaftliche Freiräume, aber auch dessen positive Wirkung auf die Stadtentwicklung lebendig darzustellen. Vertieft und erweitert, und das macht das Buch besonders und hebt es von der reinen »Binnenperspektive« vieler vergleichbarer Werke aus anderen Städten ab, wird es durch Berichte von Beteiligten, wie dem 1939 geborenen Stadtplaner Horst Leukefeld und dem Bauhistoriker Sid Auffarth. Leukefeld wurde als Mitarbeiter des Stadtplanungsamt von der Stadt Hannover im Jahr 1992 eingesetzt, um Verträge mit den Gruppen auf dem besetzten Sprengelgelände auszuhandeln. Er erzählt ausführlich von seiner Arbeit dort, zudem über das gescheiterte Projekt »Jugend baut für Jugend« in den ehemals besetzten Häusern in der Heisenstraße sowie vom Wohnen auf Bauwagenplätzen und der aufwendigen und kleinteiligen Suche nach Orten für diese. Die Gespräche mit Leukefeld bilden neben eigenen Erinnerungen der Autorin, die sich ab 1992 in dem Milieu bewegte, und Archivrecherchen, das Gerüst dieses beeindruckenden Buches.
Es zeigt eindrücklich den Einfluss von Hausbesetzungen, Umnutzungsinitiativen und Beteiligungsverfahren auf die Städtebau- und Stadtentwicklung Hannovers. Zahlreiche Abbildungen erweitern den Blick, sie machen das lehrreiche Buch insgesamt auch für Leser*innen jenseits von Hannover relevant und nachvollziehbar.
Unter https://kurzlinks.de/ylz6 gibt es einen Veranstaltungsmitschnitt vom 20. April 2023 zum Thema des Buches.
Tanja Tschöke: Das Haus gehört UNS ALLEN! Geschichte der Hausbesetzungen und selbstverwalteter Gemeinschaftsprojekte in Hannover, edition assemblage, Münster 2025, 372 Seiten, 25 Euro
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen
