Aussagen und Einlassungen

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Meine Geschichte zu Aussagen und Einlassungen im Kaindl-Verfahren 1994 in Berlin

Seit den Aussagen eines Verräters im Frühjahr 2022 im Zusammenhang mit dem Antifa Ost- Verfahren sind inzwischen mehrere Genoss*innen verhaftet worden und mit Vorwürfen wie „versuchter Mord“ usw…konfrontiert. Einige sitzen und warten auf ihren Prozess. Mein Herz schlägt mit allen Betroffenen, in Berlin, Budapest, Athen und vielen anderen Städten und Ländern, die von einem System verfolgt, angegriffen und in Knäste gesteckt werden, wo sie vielleicht die nächsten Jahre verbringen werden. Einige Worte über die Gefangenen und Betroffenen aus dem „Antifa Ost -erfahren und Budapest“, Respekt und Solidarität.

Ich wurde gefragt, ob ich über die Zeit im Knast und der Entscheidung im Kaindl-Verfahren 1994, keine Einlassungen zu machen, berichten möchte. Denn seit dem genannten Kaindl-Verfahren, gab es in Deutschland wohl kein Verfahren, in dem Antifaschist*innen mit Anklagen wie Mord und versuchter Mord vor Gericht standen und weitere gesucht wurden. Auch hier sind mehrere Antifaschist*innen betroffen und die sitzen in verschiedenen Städten, in verschiedenen Knästen oder einige werden noch gesucht.

 

Kurzer Abriss zu der Antifaschistischen Aktion von April 1992, in der bekannt wurde, dass einige Parteifunktionäre wie Carsten Pagel (ehemaliger Landesvorsitzender der Partei Die Republikaner und Ex-Redakteur der neofaschistischen Zeitung Junge Freiheit) und andere in Kreuzberg/Neukölln in einem Restaurant aßen und erkannt wurden. So dass Antifaschistinnen sich auf den Weg machten um ihnen den Spaß zu verderben, jedoch überlebte der Neonazi Kader Gerhard Kaindl (Deutsche Liga für Volk und Heimat) nicht und mehrere Nazis wie Thorsten Thaler (ehemaliges Mitglied von Die Republikaner, Deutsche Liga für Volk und Heimat, heute stellvertretender Chefredakteur für die Junge Freiheit) wurden schwer verletzt. Für den Repressionsapparat war sofort klar, dass es nur die Gruppe Antifaşist Gençlik (Antifaschistische Jugend) sein kann und sie observierten uns durchgehend und auch offen. Schließlich schafften sie es, dass Erkan, laut Akte der Bullen, sich selbst vor dem Restaurant gestellt haben und von dort die Bullen angerufen und um „Hilfe“ gebeten haben soll. Was ich bis heute bezweifele, und ihn gut kannte und auch sehr mochte.

Am 15. November 1993 wurden dann insgesamt, glaube ich, mehrere Wohnungen zur gleichen Zeit und mit Haftbefehlen ausgestattet gestürmt, jedoch konnten sie nur mich und M. festnehmen. Betonen möchte ich auch, dass es nicht nur um Mitglieder von Antifaşist Gençlik ging, sondern auch deutsche Genoss*innen betroffen waren. Einige Tage später stellte sich auch A. von Gençlik. Später wusste ich, dass mehr als 10 Personen gesucht werden und davon 5 Mitglieder von Antifaşist Gençlik sind, 3 von uns waren im Knast und zwei wurden gesucht, einer von ihnen war Cengiz.

Bevor ich mich über das Thema Aussagen oder Einlassungen äußern werde, möchte ich hier noch mal etwas über Antifaşist Gençlik sagen. Ich kenne weder ihre Entstehungsgeschichte noch war ich die ersten Jahre dabei, weil ich einfach noch sehr jung war. Aber ich finde es unglaublich, wie verschiedene Intellektuelle/Linke später versucht haben, die Geschichte von Antifaşist Gençlik zu erzählen, und einige Bücher wurden auch veröffentlicht. Jedoch hat mich ein Buch „Glut und Asche – Reflexionen zur Politik der autonomen Bewegung“ stark getroffen. Denn in diesem Buch, widmet der Autor auch einen Teil Antifaşist Gençlik und setzt sie mit Gangs gleich, beschreibt sie als Schläger ohne politische Inhalte oder ähnliches. Leider hatten viele Gençlik-Mitglieder nicht die Zeit, sich so intensiv über Militanz und ähnliches auseinanderzusetzen oder stundenlang auszutauschen, wie eingegriffen werden kann. Wenn irgendwelche Wohnheime angezündet wurden und sofort losgefahren werden musste.

Sein Satz auf einer VV im Mehringhof („Wir brauchen euren Mut und unsere Schlauheit, das muss zusammenkommen.“) hat ihn berühmt gemacht, denn es ging um die Auseinandersetzungen die innerhalb der Linken während der Demo in Hoyerswerda am 27.September 1991 stattfand. Sein eurozentrischer Blick und wissen zu wollen, wie Militanz auszusehen hat und umgesetzt wird, ist beeindruckend. Denn genau diese offene VV hat auch dazu geführt, dass der Verfassungsschutz 1991 in seinem Bericht auf die Gefährlichkeit von Antifaşist Gençlik hinwies. Zeitnah nach dem Progrom in Hoyerswerda (17.-23-September 1991) sollte eine Demo in Hoyerswerda stattfinden und die Bullen verlangten, dass die Demo aufgelöst wird, was jedoch einige Gruppen und auch Antifaşist Gençlik nicht akzeptieren wollten. So dass sie die Demo selbst durchsetzten und dabei einige Nazis auch zur Rechenschaft gezogen wurden. Antifaşist Gençlik war ein Teil der politischen Bewegung hier in Deutschland, die sehr wohl politisch diskutierte und in vielen antiimperialistischen, antikapitalistischen und autonomen Kämpfen einen Platz einnahm und mit vielen deutschen Gruppen in enger Zusammenarbeit war.

Viele von ihnen hatten schon in der Türkei ihre politische Geschichte und waren gezwungen, vor oder nach dem Putsch vom 12.September 1980 nach Deutschland zu fliehen. Das waren wunderbare Menschen, und ich hatte das Glück mit ihnen zusammen zu sein, sie waren sicherlich nicht perfekt, wie viele gerne es sich gewünscht hätten, aber sie waren Konsequent und hatten eine Haltung, bei der Mann und Frau mitgehen kann oder nicht.
Leider war ich bei der genannten VV nicht dabei und kann nur aus den Erzählungen wiedergeben, aber ich konnte immer wieder durch Sprüche, wie „es sind alles Macker“ oft alles spüren und hören. Jedoch kann ich sagen, dass oft genau diese Gruppe und einige andere Gruppen die eng mit Antifaşist Gençlik zusammen waren, sehr erfolgreich Angriffe auf Wohnheime verhindern konnten.

Am 15. November 1993 wurde ich in meiner Wohnung verhaftet. Sie stürmten die Wohnung und schrien mit gezogenen Waffen, wo Cengiz sei, und ich verstand nichts und dachte nur, er ist doch los um Geld zu besorgen und mir Medikamente zu kaufen, denn ich war krank und hatte Fieber. Heute und auch damals habe ich mich oft gefragt, ob Cengiz das alles überlebt hätte. Denn sie waren außer sich und wüteten in dieser winzigen Wohnung wie verrückt, und er hätte sich mit allen Mitteln gewehrt, wie es ausgegangen wäre, kann ich bis heute nicht sagen. Danach kamen irgendwelche Bullen hoch, mir wurde der Haftbefehl vorgelesen, und ich wusste sofort, dass es erst mal kein zurück gab, aber das Ausmaß des Ganzen war mir noch nicht bewusst. Der einzige Gedanke war für mich, er wird gleich kommen und sie werden ihn festnehmen. So richtig hörte ich auch nicht zu, was die Bullen zu mir sagten, ich hoffte nur, dass er entkommt, was er auch schaffte. Er stand nämlich drüben auf der anderen Straßenseite und konnte sehen, das die mich mit einer Tüte auf dem Kopf abführten. Die Bullen hatten sich entschieden, in der Wohnung zu warten, mit der Hoffnung, er würde doch noch kommen!

Mein Anwalt kam und berichtete mir, was der Vorwurf war und was es bedeutete! Im Haftbefehl stand „einmal Mord und 11 mal versuchter Mord“, gemeinschaftlich organisiert und aus politisch motivierten Gründen durchgeführt zu haben. Ich war sehr jung und das deutsche Rechtssystem war mir fremd, denn ich war bis Februar 1991 in Istanbul. Mein Anwalt erklärte mir in Ruhe was jetzt passieren würde und besprach alles mit mir. M. und ich waren die ersten, die verhaftet werden konnten, alle anderen waren abgetaucht und wurden mit Internationalen Haftbefehlen gesucht. Ein Gençlik – Mitglied stellte sich, glaube ich nach 4 Tagen und dies mit der Absicht, später im Prozess aufzuzeigen, dass es sich hier um ein Konstrukt seitens der Bullen handelte, denn er hätte sofort nachweisen können, dass er sich am genannten Zeitpunkt gar nicht in Berlin aufhielt.

Mir wurde der Haftbefehl vorgelesen und ich kam in den Knast Plötzensee und dort begann auch schon die erste Konfrontation, denn sie bestanden darauf, dass ich mich ausziehen und Knast Klamotten anziehen sollte. Da ich mich dagegen wehrte, wurde es mit Gewalt durchgezogen. Ich wurde in ein Haus und in eine Zelle gebracht, wo nichts von Mitgefangenen zu hören war, ich konnte keine Gefangene sehen und erfuhr, dass ich mit Sicherheitsverwahrung in totaler Isolation war. Der Hofgang fand in einem Extra-Hof statt und das nur mit der Bedingung, dass mehrere Schließer zur Verfügung stehen müssten oder Zeit haben müssen – und oft fiel der Hofgang wegen Personalmangel aus. Da ich mich weigerte, die Knast Klamotten anzuziehen, lief ich mit irgendwelchen Decken umwickelt im Hof herum, bis sie aufgeben mussten und mir meine eigenen Sachen wiedergaben.
Viele der Frauen versuchten mir etwas bei den Hofgängen zuzurufen und wurden sofort ermahnt, dass jeglicher Kontakt mit mir verboten war. Eine Sozialarbeiterin kam rein und ich schmiss sie raus, weigerte mich mit irgendeinem, der für dieses System arbeitete, zu reden.

Der einzige Kontakt war zu einem Pfarrer, der immer wieder mal sporadisch reinschaute, dann mein Anwalt, denn Besuche bekam ich erst nach einem Monat glaube ich. Dafür hatte ich sehr viel Besuch von den Bullen, die immer wieder kamen, mich in ein Auto packten und zum Staatsschutz Gebäude brachten, unter Druck setzten und wissen wollten, wo Cengiz sein könnte. Dabei war ihnen jedes Mittel recht, so wie auch meinen Vater mit rein zu ziehen und ihn in den Knast zu bringen. Er solle mich überreden zu reden, sie hatten ihm vorher erzählt, dass sie mich den türkischen Bullen übergeben werden und diese dann alles mit mir machen könnten, eine türkisch sprechende Bullenfrau übersetzte und mein Vater weinte, so dass ich ihn anschrie und aufforderte zu gehen, sie übersetzte und sagte, ich würde ihn beschimpfen, so dass ich auf alle im Raum losging. Meine Wut war unbeschreiblich.

Anfang Dezember, ich hatte kein Zeitgefühl mehr, kam die erste große Demo zum Knast, und ich konnte sie aus der Ferne durch ein kleines Fenster hören. Ich weinte das erste Mal. Dann stürmten die Schließer meine Zelle und verlangten, dass ich mit ihnen rausgehen sollte, ich wehrte mich, und es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung und ich landete im Bunker. All das dient denen dazu, uns klein zu kriegen und Angst zu machen, um uns zum Verrat oder zu Aussagen zu bewegen. Und diese Zeit ist schwer und auch hart. Margit Schiller beschreibt in ihrem ersten Buch als RAF Gefangene sehr authentisch und sehr schön, wie es einem unter all den Bedingungen gehen kann, denn keine/r von uns ist in so einer Situation frei von Emotionen.

Die ersten Briefe und Telegramme trafen ein und ich freute mich, denn das erleichterte die totale Isolation, und es waren tolle Briefe, besonders die Briefe von Norbert Hofmeier, einem ehemaligen Gefangenen aus dem anti-imperalistischen Zusammenhängen, der sich in der Zeit auch noch im Knast befand, gab mir viel Kraft und zeigten, wie ich meinen Alltag auch in der Isolation gestalten konnte, und ich fing an, all die tollen Ratschläge und Erfahrungen umzusetzen. Meine totale Isolationshaft dauerte 3 Monate und nicht wie in Broschüren, die später erschienen nur 2 Monate, und das ohne jeglichen Kontakt zu Mitgefangenen, nur durch den öffentlichen Druck wurde mir erlaubt, und das in den letzten 3 Wochen, mit einer Frau aus Chile den Hofgang zusammen zu machen, und die konnte kein Deutsch.

Ich hatte nie die Möglichkeit mich bei allen zu bedanken, allen die mir hunderte von Briefe schrieben, draußen unglaubliche Soli-Arbeit leisteten und die vielen Besuche. Besonders bei meinem Vater, der sich durch nichts einschüchtern ließ und immer hinter mir stand, stolz war und bis heute vieles nicht verarbeiten konnte. Besonders die Isolationshaft konnte er nicht verstehen, denn in den türkischen Knästen wurden die politischen Gefangenen zusammen gelegt, aber einer der Schließer oder Bulle hatte meine Haftbedingungen ausführlich vor dem Besuch meinem Vater erklärt und er weinte. Meinem Vater wurde extra Besuch eingeräumt und das nur mit Übersetzung und Berühren war verboten; irgendwann platzte er und beschimpfte die Bullen am Tisch, verlangte, das es übersetzt wird und der Dolmetscher wollte nicht, und das werde ich nie vergessen, weil mein Vater ihn aufforderte dies zu tun und er würde ihn bezahlen. Dann legte er selbst los und ich wusste wie er sein konnte.

Mein erster Anwalt, mit dem ich schon ein Verfahren gemacht hatte und auch sehr mochte, klärte mich auf und erzählte dass es erst mal nicht gut aussah, Erkan hatte geredet und umfangreiche Aussagen gemacht. Auch dass die Bullen einen weiteren Jugendlichen suchten und auch von ihm sich Aussagen erhofften, was dann auch geschah! Es ging um 10 Jahre für uns Jugendliche, das waren ich und die beiden Kronzeugen, und für alle anderen um Lebenslänglich. Der zweite Anwalt, der dazu kam, versuchte recht schnell mir deutlich zu machen, dass ich etwas sagen müsste, sonst wäre es aussichtslos, und dass er nicht wüsste, was er hier tun sollte. Es war ein langer Prozess mit dem zweiten Anwalt und im Laufe der Zeit hatten wir doch auch einen guten Umgang miteinander.

Oft fragte ich, ob Cengiz und natürlich auch alle anderen in Sicherheit wären und es wurde immer wieder gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen. Cengiz wäre in Sicherheit und würde auf mich warten. Erst als ich mit meinem Anwalt die Anklageschrift besprach, sagte er mir, das Cengiz sich entschieden hatte, nach Kurdistan zu gehen und dort seine politische Arbeit fortsetzen würde. Dies sollte vor mir verheimlicht werden, denn sonst könnte ich eventuell umkippen oder ähnliches. Wer diese Entscheidung getroffen hatte, will ich hier nicht ausführen, aber ich war wütend und fragte mich, wie weit wollen die noch gehen und für mich Entscheidungen treffen.

Nach 6 Monaten kam die Anklageschrift, inzwischen hatten sich einige gestellt und wir waren insgesamt 7 Gefangene, einer war Erkan und der zweite Sahin. Erkan war psychisch krank und in seinen Aussagen konnte ich gut erkennen, wie die Bullen seine Situation für sich ausnutzten und versuchten, viele politisch Aktive auch in den Knast bringen zu wollen. Auch versuchten sie, Erkan davon zu überzeugen, dass diese Aktion im Vorfeld geplant sein muss und er versuchte dies immer wieder zu dementieren – es waren über 20 Akten Ordner und tausende von Seiten. Deutlich war in der Anklageschrift zu erkennen, dass ich 10 Jahre bekommen und im Anschluss abgeschoben werden sollte, und die Älteren mit lebenslänglich rechnen müssten.

So begann dann der Austausch zwischen uns Gefangenen über Einlassungen, denn klar war, dass keiner aussagen würde, aber über Einlassungen nachgedacht wurde. Da ich fast nichts von dem verstand, fragte ich meinen ersten Anwalt und er erklärte mir den angeblichen Unterschied zwischen Aussagen und Einlassungen, jedoch gab es für mich keinen Unterschied, und das Argument, dass jeder nur für sich sprechen würde, konnte mich nicht überzeugen und bewegen. Denn mein Anwalt erklärte, das Einlassungen immer bedeuten, dass man über die „Tat“ und sich erzählen muss und kein Argument konnte mich ab dem Zeitpunkt überzeugen, darüber nachzudenken und meine Entscheidung stand fest.

In den vielen Auseinandersetzungen wurde ich heftig angegriffen und auch von gewissen Anwälten, dass ich mit 10 Jahren gut davon käme, oder mir wurde meine politische Identität abgesprochen, ich wäre die Geliebte von Cengiz und würde diese Entscheidung nur für ihn treffen.

Für alle Typen: Endlich kann ich mich mal diesbezüglich äußern – meine Entscheidung so und nicht anders zu handeln, war eine politische Entscheidung, und ich würde auch heute nicht anders handeln. In meiner Familie waren sehr viele in der Türkei politisch aktiv und verbrachten ihr halbes Leben im Knast oder starben im Kampf um ein befreites Kurdistan. Ein Brief von einem mir nahestehenden Verwandten, der mit Sakine Cansız, 2013 in Paris vom türkischen Geheimdienst MIT ermordet, zusammen die schlimmsten Jahre in Diyarbakir verbracht hatte und selbst unter Folter Aussagen gemacht hatte, konnte mich beeindrucken.

In seinem Brief berichtete er über die Folterungen und die Stärke, die Sakine Cansız gezeigt hatte, nicht nur für sich, sondern auch alle anderen ermutigte, nicht aufzugeben. Es war ein langer Brief und zum Ende des Briefes überließ er mir die Entscheidung 10 Jahre abzusitzen und mit „Stolz“ raus zukommen. Das kann ich leider nicht übersetzen und kann schwer erklärt werden. Eigentlich war ich vom ersten Tag meiner Festnahme davon ausgegangen, dass wir alle uns zu nichts äußern werden, aber durch den Druck war ich bereit, mit allen in die Diskussion zu gehen und wollte verstehen, was sie mit Einlassungen meinten. Auch wurde mir geraten, mich doch nicht andauernd mit den Schließern anzulegen und etwas netter und bedachter mit allem umzugehen. Denn in Deutschland würde es dafür (also “gutes Benehmen“) Straferlass geben und ich könnte früher raus. Ich verstand nichts. Mir wurde auch erklärt, dass ich vor irgendwelchen Leuten so was wie „Reue“ zeigen müsste, was für mich niemals in Frage kam.  Es waren einige männliche Schließer dabei, die sich wie Bullen im Umgang mit mir aufführten und ich wehrte mich, denn das Wehren war wichtig und nicht ihren Anweisungen oder Befehlen zu gehorchen. Es gestaltete sich wie ein Machtkampf und ich hatte nichts zu verlieren und mir blieb nur noch meine Würde, dass wollte ich mir nicht wegnehmen lassen.

Draußen gab es hunderte von Veranstaltungen, Diskussionen und sehr viel Unterstützung, auch die Frage „Mord“ wurde diskutiert und ich klinkte mich aus allem raus, denn ich konnte diese Diskussionen nicht verstehen. Cengiz war lange dabei gewesen und hatte mir viel von Hoyerswerda erzählt und die Wut, das wir als Linke Bewegung nicht eingreifen und die Pogrome in Hoyerswerda nicht verhindern konnten – wir redeten viel. Wenn ich an ihn denke und die Zeit mit ihm, kann ich nur sagen, dass sein Umgang und seine Konsequente Haltung gegen Nazis und Bullen nicht zu diskutieren war und auch von vielen stark kritisiert wurde. Viele fragten mich nach der Entlassung ob Cengiz mir gegenüber auch so hart gewesen war und ich war nur erstaunt und konnte nicht antworten. Cengiz war ein wunderbarer Mensch und liebevoll im Umgang mit Menschen, aber er war auch sehr entschlossen und klar gegenüber seinen politischen Gegnern. Später und gesondert mehr über Cengiz.

Die Diskussionen wurden immer heftiger und die Staatsanwälte erlaubten mir und M., uns im Beisein unserer Anwälte zu sehen und auszutauschen, dass ging voll nach hinten los, denn sowohl sein Anwalt (Nur einer), als auch er selbst versuchten mich, unter Druck zu setzen und erwarteten auch von mir, Einlassungen zu machen. Denn sie hatten sich alle schon entschieden Einlassungen zu machen, und diskutierten wie diese aussehen könnten. Ich wollte sofort raus aus diesem Raum, und dann kam der Bruch zwischen mir und meinen damaligen Genoss*innen, außer A. der sich freiwillig gestellt hatte. Zwischen den anderen und mir brach der Kontakt komplett ab.

Der Prozess begann und es waren mehrere Tage und Monate für die Verhandlungstage angesetzt. Im Prozess Saal unsere Familien, viele von ihnen kurdische Frauen und Männer, sie weinten und beteten, vorne eine Hundertschaft von Bullen, mehrere prominente Prozessbeobachter*innen und hinten die vielen Genoss*innen und Unterstützer*innen. Diese sorgten ordentlich für Tumult im Saal, was mich sehr freute, besonders als Carsten Pagel oder der verletzte Nazi aussagen sollten und leider es nicht dazu kommen konnte, denn es kam zu Aktionen im Zuschauer Raum und die Verhandlung wurde abgebrochen.

Ich hatte Angst und viele Fragen im Kopf. Allein die Vorstellung, die nächsten 10 Jahre im Knast zu verbringen, machte mir Angst. Jedoch hatte ich mich auf die Vorstellung eingestellt, dass dies für die nächsten Jahre mein aufgezwungenes Zuhause sein würde. Ich verstand mich mit den anderen Frauen im Knast sehr gut und konnte auch viel bewegen, wie das Geld zusammenlegen und gemeinsam einkaufen, zusammen kochen, und auch politische Diskussionen fanden statt. Denn all diese Frauen hatten gar nicht das Glück wie ich, mir wurde Geld überwiesen, ich bekam täglich Besuch, Briefe und Pakete. Sie jedoch hatten teilweise nichts und mussten im Knast für eine Mark oder ähnliches 8 Stunden arbeiten, ich verweigerte die Arbeit und das nicht aus Faulheit oder Gemütlichkeit, sondern ich sah es nicht ein, für das Geld zu arbeiten und ich hätte auch mit allen Konsequenzen gelebt.

Im Prozess wurden die Aussagen von dem ersten Kronzeugen aufgrund seiner Erkrankung nicht anerkannt, aber es wurde deutlich erklärt, dass jede Aussage, die er jetzt im Prozess machen würde, anerkannt werden würde. Er stand auf und sagte nur, dass Cengiz zugestochen hätte und setzte sich wieder hin, und ich wusste, dass dies eine Abmachung war, die zuvor getroffen worden war, und meine Wut wuchs so sehr. Der andere Kronzeuge war zwar auch sehr jung und auch unpolitisch, denn das war immer wieder ein Argument, mit dem er in Schutz genommen oder entschuldigt wurde. Denn ich bezeichnete ihn als Verräter und viele sahen es nicht so. Jedoch hatte ich nichts als Hass für ihn übrig, denn er bezeichnete Cengiz als den „Mörder“ und hatte das große Bedürfnis, alle zu beeindrucken, seine tolle Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu zeigen. Indem er die angebliche „Tat“ von Cengiz wie eine Horror Geschichte erzählte und alle anderen Mitgefangenen nicht mal etwas sagten und ihn erzählen ließen. Das war für mich dann endgültig, und ich war nur noch enttäuscht.

Dann lese ich in einer Broschüre (Antifaschistisches Infoblatt, Nachbereitung zum Kaindl-Fall), in der einige der Gefangenen und Untergetauchten sich in einem Interview zu dem Verfahren äußern, und kann es nicht fassen. Natürlich wurde auch ich gefragt, ob ich bereit wäre, dabei zu sein und ich hatte deutlich gesagt, dass ich mich mit allen aus dem Verfahren nicht an einen Tisch setzen werde. Denn das Verhältnis zwischen uns war nur noch erhärtet und da ich auch die einzige Frau in dem Verfahren war und eine Entscheidung getroffen hatte, die sehr wohl unter uns sehr intensiv diskutiert wurde, war auch der Umgang nicht besonders freundlich mit mir und die verbalen Angriffe auch entsprechend.

Dieser Prozess interessierte mich dann nicht mehr und ich hörte auch nicht mehr zu. Ich machte meine politische Erklärung und dass ich ein Mitglied von Antifaşist Gençlik sei, mehr war für mich nicht mehr von Bedeutung.

Letztendlich kamen wir alle raus und das mit verschiedenen Urteilen. Obwohl meine Beteiligung nicht bewiesen werden konnte, weil sich Sahin nicht richtig an mich erinnern konnte, und er bemühte sich sehr, erinnern zu können, bekam ich aufgrund „Psychischer Beihilfe“ eine Bewährungsstrafe und alle anderen 3 Jahre im offenen Vollzug. Dies mit der Bedingung, dass wir alle mit dem Deal der Staatsanwälte einverstanden sein müssten, somit auf die ersehnten Aussagen der 20 Staatsschutz Bullen verzichten würden. Insgesamt 7 Gefangene und 14 Anwälte befanden sich im Gerichtssaal und ich wollte unbedingt, dass die Staatsschutz Bullen verhört werden sollten, sie hatten unsere Daten an die Nazis weitergereicht, unsere Familien durchgehend terrorisiert und über hunderte von Menschen befragt.

Der Saal wurde geräumt, nur wir und die Anwälte sollten das besprechen, und ich konnte es nicht fassen, dass ich nichts davon wusste, vor vollendeten Tatsachen stehen musste und nicht Zeit hatte, darüber nach zu denken. Das war auch nicht gewünscht und der besonders berühmte Anwalt Zieger ließ mich auch nicht zur Sprache kommen. Anwalt Matthias Zieger dominierte fast alleine dieses Verfahren und war vermutlich auch sehr gut, denn auch das Gericht zeigte ihm gegenüber sehr viel Respekt, aber zwischen ihm und mir war nichts möglich. Viele von euch werden sich jetzt mit all dem auseinandersetzen müssen und vielen steht der Prozess bevor, und ich möchte nicht einen von euch mit meiner Entscheidung beeinflussen wollen, aber für mich gibt es keinen Unterschied zwischen Aussagen und Einlassungen. Ich habe diese Entscheidung für mich getroffen, denn wir begehen nicht nur Verrat an unseren Genoss*innen, die schon weg sind oder ähnliches, sondern ich hätte mich selbst als eine Politische Gefangene und in meiner Identität als Politische Gefangene verraten und ich wusste, ich hätte niemals damit leben können.

Egal wie die Entscheidung einzelner sein wird, letztendlich wird die Entscheidung von uns alleine getragen. Später konnte ich sehen und erleben, dass einige meiner Genoss*innen die Einlassungen gemacht hatten, an dem kaputt gingen und sich aus allem zurückzogen.

Umarmung an alle, die in den Knästen sitzen, von Repression betroffen sind, viel Kraft.
Mein Herz, Respekt und Unterstützung ist all Zeit da!

Cengiz an dich möchte ich mich ganz besonders erinnern und du hast mir so sehr in all den Jahren gefehlt, deine Entschlossenheit, dein Lächeln, wenn du gemerkt hast, dass ich Angst habe, die vielen tollen Diskussionen, die wir führten und uns auch stritten. Ich habe nie verstehen können, wie manche dich hier wahrgenommen haben, denn du hast nicht viel geredet, aber dass, weil du sehr viel nachgedacht hast und abgewogen hast. Deine innige Freundschaft zu Uli und eure Entschlossenheit gegen den Staat und Nazis hat mir oft auch Angst gemacht, aber auch viel Mut und Stärke verliehen.

Cengiz wurde 1996 erschossen und Uli verstarb an einem plötzlichen Herzinfarkt. Euch beide werde ich nie vergessen. Während wir in Haft saßen war Uli in Kurdistan und kam Anfang 1995 zurück nach Berlin, er hatte dort Cengiz gesehen und sie waren über 3 Wochen zusammen. Traurig war ich sehr, aber ich hatte mich auch sehr gefreut, denn beide liebten sich sehr und hatten die Möglichkeit, sich voneinander zu verabschieden.

Grüße und Umarmung an die Gefangenen in Athen, Budapest, Leipzig, Berlin und vielen anderen Ländern und Städten. Zeigt Solidarität, schreibt allen und bitte auch mit Adressen, damit sie zurück schreiben können, unterstützt sie mit Besuchen, es gibt viele Möglichkeiten, all die Gefangenen zu unterstützen.

Aus aktuellem Anlass möchte ich alle aus dem Ampelokipi – Verfahren Verhafteten, die sich in Athen im Knast befinden, grüßen und liebste Marianna – dein Brief an deinen gefallen Gefährten Kyriakos hat mich mit unglaublichen Gefühlen überrollt. Umarmung und Kraft an alle, die derzeit in Athen sitzen.

Liebe Grüße an Daniela Klette, die sich derzeit in Haft befindet und diesem System ins Gesicht lacht und ein wunderschönes Lächeln hat, die diese Staatspresse verrückt macht…..!

Domhöver, du Verräter, Dreck, dass du nie Ruhe findest und immer mit der Angst leben, erkannt zu werden.

Liebster Bernd vom Komitee, der leider nicht mehr zurückkommen konnte, hat einen besonderen Platz in meinem Herzen. Wir haben nach meiner Entlassung im gleichen Haus gelebt und du warst neben den vielen Frauen im Haus, eine große Unterstützung für mich.
Das Buch Zwischenwelten habe ich verschlungen und hoffe dass du in den Zwischenwelten auch vielen begegnen kannst und sie umarmen kannst.

Devran, September 2025

 

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Ergänzungen

Liebe Gefährtin Devran,

danke für deine Ausführung über deine Erfahrungen! Sie helfen uns, von aktueller Repression-Betroffene, die Entwicklungen und widerwärtigen Handlungen des Staates einzuordnen und Paralellen zu dem Kaindl-Fall zu entdecken. Wir wünschen dir weiter einen mutigen Kampf mit strahlendem Lächeln! Dass du immer noch mit so viel Herz und Solidarität schreibst, berührt uns.

Jena, 2025