Diejenigen, die sich für die Guten halten - oder: Von der Verteidigung des Clans (Eine Antwort auf ,Auf Augenhöhe...´)

Anmerkungen der Übersetzenden:
Dieser Text ist im italienischen Original am 08. August auf dem italienischen Blog „il rovescio“ veröffentlicht worden.
Er ist eine Replik auf den italienischen Text „Da pari a pari - contro l`autoritarismo itentitario“, der im Juli veröffentlich wurde.
Beide Texte sind Teil einer Debatte im italienischen, anarchistischen Kontext über den Umgang mit sexualisierter Gewalt in unseren Zirkeln - die insbesondere im Kontext der „Fiera dell’Editoria e della Propaganda Anarchica di Roma“ - einer Anarchistischen Buchmesse, die im April 2025 in Rom stattfand, abermals Fahrt aufgenommen hat.
Die die Buchmesse organisierenden Gefährt*innen entschieden, das Problem sexualisierter Gewalt und des für viele nicht länger zu ertragenden Umgangs damit auf verschiedene Weisen zum Thema zu machen - auch, indem solchen anarchistischen Verlagen und Distros die Affinität aufgekündigt wurde, die sich einer Auseinandersetzung mit Gewaltvorwürfen gegen an ihren Beteiligte oder mit ihnen Assoziierte verweigern. Der Test der Veranstaltenden besagter Buchmesse findet sich in verschiedenen Sprachen auf https://rome-anarchistbookfair.espivblogs.net.
"Da pari a pari..." wurde auf viele verschiedene Sprachen übersetzt und mit einer gewissen Entschlossenheit verschiedentlich verbreitet. Es geht den Autor*innen offensichtlich um die Verteididung einer infrage stehenden patriarchalen Hegemonie.
Uns als Übersetzende dieser Replik ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass diese Positionen im italienischen Kontext durchaus umstritten sind.
Und wir sprechen, denjenigen, die sich der patriarchalen Hegemonie erwehren, sich solidarisch Verbünden gegen jede Herrschaft, unsere Solidarität aus.

 


 


 

 

DIEJENIGEN, DIE SICH FÜR DIE GUTEN HALTEN. ODER: VON DER VERTEIDIGUNG DES CLANS

Dieser nicht gerade kurze Text entstand als Antwort auf „Auf Augenhöhe. Gegen den identitären Autoritarismus“, veröffentlicht im vergangenen Juli.
Wie für seine Autor*innen wäre es auch für die Schreibenden dieses Textes einfacher und
bequemer gewesen, diese erneute Veröffentlichung zu ignorieren und wie in anderen Fällen
einfach weiterzumachen – und Gelegenheiten dazu hätte es in letzter Zeit mehrere gegeben.
Dennoch hielt man es aus Gründen, die weiter unten versucht werden zu erläutern, dieses
Mal für angebracht, etwas niederzuschreiben – auch wenn andere, ähnlich gelagerte
Schriften, die in letzter Zeit erschienen sind, in den Augen der Verfasser*in keine mehr oder
weniger ausführliche Antwort verdient haben.
Leider – für uns wie für euch – wird vieles gesagt und geschrieben, manches mit Bedacht
nicht in Texten, die öffentlich verbreitet werden. Klare, sonnenklare Gedanken werden
vielmehr offen in Gesprächen unter Anarchist*innen formuliert (auch ohne „ein Glas Wein
davor“), während Versammlungen unter Genossinnen oder in größeren Kreisen. Zum Glück
aller wird immerhin nicht mehr im natioonalen Fernsehen live die eigene Weltsicht zum
Besten gegeben – so brillant oder weniger brillant sie auch sein mag.
Die folgenden Zeilen werden keine Zitate von „maître à penser“ des Anarchismus enthalten,
keine von Schlüsselfiguren der westlichen Philosophie oder inhaftierten Genoss*innen, sondern
fast ausschließlich das, was aus den Überlegungen der schreibenden Person selbst
hervorgeht. Gerade deshalb ist es sicher angreifbar, lückenhaft, aus verschiedenen
Blickwinkeln kritisierbar.
Das Ziel ist tatsächlich nicht, „die Debatte zu gewinnen“, nicht, jemanden zu überzeugen oder zu
überreden; es geht nicht darum, die Verteidigung irgendeiner Person oder Gemeinschaft zu
übernehmen – schon gar nicht durch das Zurschaustellen einer Liste gelesener Klassiker,
kunsthistorischer Kenntnisse oder der eigenen Beherrschung der italienischen Sprache
mittels Zungenbrechern usw.
Der Text enthält keine originellen Gedanken, und überdies sind angemessenere,
vollständigere und umfassendere Analysen und Untersuchungen zu den folgenden Themen
bereits mehrfach in anderen Schriften der letzten Jahre veröffentlicht worden.


Postmodernismus?

Auch „Auf Augenhöhe“ enthält – genau betrachtet – keine besonders originellen
Überlegungen, sondern kreist um die üblichen, abgedroschenen und allseits bekannten
Argumente, die bereits in der Vergangenheit vorgebracht wurden. Es handelt sich eher um
eine Collage dieser Argumente – wenn auch, das sei gesagt, in einer relativ eleganteren und
argumentativ besser ausgearbeiteten Form als gewöhnlich.
Ein wesentlicher Unterschied liegt jedoch in der Ersetzung des Dreh- und Angelpunkts der
gesamten Argumentation. Anstelle des alten inneren Feindes innerhalb der anarchistischen
„Bewegung“ – dem (trans)Feminismus – tritt nun eine neue, schreckliche, tödliche
Bedrohung: die aus den USA importierte postmodernistische Philosophie. Die Argumente
verändern sich teilweise entsprechend, doch das zugrunde liegende Denkmuster bleibt im
Wesentlichen dasselbe.
Der rote Faden ist also ein langes Herleiten der halb-neuen These, dass die meisten heutigen
Übel innerhalb der „Bewegung“ ihren Ursprung in der aus den Vereinigten Staaten
importierten postmodernistischen Ideologie haben – ein Virus, der – nicht zufällig – „aus US-
Universitäten und anderen Laboratorien der Macht“ entwichen sei und sich allmählich im
Anarchismus eingenistet habe. Die Ursachen der aktuellen Zustände (wie auch immer man
sie interpretieren will) wären also nicht in all dem zu suchen, was man durch eine mehr oder
weniger oberflächliche oder tiefgehende Analyse der gegenwärtigen Lage und der letzten
Jahrzehnte des informellen anarchistischen „Milieus“ – hierzulande und anderswo –
erkennen könnte. Nein, schuld ist der Postmodernismus (ein zu spät kommender
Sündenbock, ehrlich gesagt).
Der innere Saboteur – wie es einige in den 1970ern und bis vor Kurzem auch über den
Feminismus sagten. Tatsächlich sei laut den Autor*innen der Textes ein weiterer großer,
wenn auch leiser autretender, Überträger des amerikanischen „Krankheitskeims“: der
intersektioonale Feminismus.
Die Detektive des Postmodernismus durchkämmen Texte und Kommuniqués auf der Suche
nach Schlüsselwörtern, die auf die klare, latent wirkende Handschrift des Postmodernismus
hinweisen – die ihrem wachsamen Blick natürlich nicht entgeht. Der Eifer und die
Dringlichkeit, die Enkelkinder von Lyotard und Derrida aufzuspüren, ist groß, denn man fühlt
sich von ihnen allseits belagert.
Zum Lachen, wenn’s nicht so traurig wäre. Aber nun gut – das sollen unsere eigentlichen
Probleme sein, wird uns berichtet.
Man nimmt sich nicht einmal die Mühe, gegen diese These zu argumentieren – so schwierig
ist es in der Regel auch, gegen das zu argumentieren, was man allgemein als
„Verschwörungstheorien“ kennt.
Aber Spaß beiseite – und etwas strukturierter und praxisnäher gesprochen: Das Problem, wie
man mit Fällen sexualisierter Gewalt umgehen soll – die im Text als „heikle Vorfälle“
bezeichnet werden (oder als „Bettgeschichten zwischen zwei Personen“, wie sie ein
besonders scharfsinniger Beobachter nannte) – und mit den damit verbundenen
Machtverhältnissen, die untrennbar mit diesen Vorfällen verknüpft sind, ist tatsächlich noch
lange nicht wirklich im „Bewegungskontext“ angekommen. Weder was die Reichweite und
Schwere des Themas betrift, noch in Bezug auf die Methoden (geschweige denn auf das,
was konkret zu tun wäre). Aber das Problem, oder besser gesagt: die Probleme, liegen noch
weiter zurück.
Zum Beispiel in dem Anspruch, zu einer unwiderlegbaren „Begründetheit“ dessen zu
gelangen, worüber gerade diskutiert wird – zu einem Beweis, der – wie uns die
Wissenschaftslehre zeigt – nur durch Belege erbracht werden kann.
Hier liegt der erste logische Kurzschluss in „Auf Augenhöhe“: Die gleichen
Vorwürfe, die die Autor*innen anderen machen, könnten leicht gegen ihre eigene Position
gerichtet werden. In diesem Fall lehnen sie eine inquisitorische Haltung gegenüber
mutmaßlichen Tätern ab, sie wollen keine Gerichte – zu Recht! – aber sie fordern Beweise
von den Betroffenen. Ein Vorgehen, das man, so wage ich zu sagen, fast schon als
„wissenschaftsgläubig“ bezeichnen könnte.

Warum diese Forderung nach Beweisen? Weil man heimlich davon träumt, Richter*innen in
einem imaginären anarchistischen Grand Jury zu werden, um „unparteiisch“ über solche
Fälle und andere Fragen zu entscheiden? Hoffentlich nicht. Oder liegt es daran, dass hinter der
Forderung nach Beweisen die Angst steckt, die eigene Gruppe könne zerbrechen – die Furcht
vor irreparablen Rissen im Innersten der „Familie“? Der Schrecken, sich selbst und einander
in die Augen schauen zu müssen und Dinge zu erkennen, die man sich nie hätte vorstellen
wollen? Auch das wäre schon schlimm genug.
Oder liegt es schlicht daran, dass man insgeheim wirklich glaubt, von Frauen* und
Genoss*innen umgeben zu sein, die morgens aufstehen und sich Geschichten über erlebte
Gewalt ausdenken, weil ihnen langweilig ist – oder aus purem Wunsch, jemanden aus nicht
näher definierten Gründen zu verleumden?

Man möchte es kaum glauben – und doch scheint genau das durch, wenn man Passagen liest
wie:
„Nur eine Seite anzuhören, unkritisch und aus Prinzip, kann einigen Personen ein sehr reales
Privileg verschaffen: das zu lügen – denn es enthebt sie der Pflicht, glaubwürdige Aussagen
zu machen“,
oder:
„Es sei denn, man wolle behaupten, dass Angehörige unterdrückter Kategorien keine
Hintergedanken haben können und sich selbst und anderen keine Lügen erzählen – ein
besonders hohes Risiko in dieser Ära des fast psychedelischen Subjektivismus.“
Man braucht keine besonderen Analysewerkzeuge, um zu erkennen, dass unsere gesamte
Gesellschaft – nicht die „postmodernistische“, sondern die andere – mehr als genug Beweise
dafür liefert, wie absurd solche Argumentationen sind, und dass sie als Vorwand dienen, um
Betroffenen nicht zu glauben – was wahrlich erschreckend ist.
Um mir einen geschmacklosen Vergleich zu erlauben:
Wenn Genoss*innen, Migrant*innen oder andere marginalisierte Menschen angegriffen
werden – fragen wir dann etwa Faschisten, Rassist*innen oder Cops nach ihrer Version der
Geschichte?

Kurzum: Die anarchistische „Bewegung“ soll also voller Lügner*innen und Aufschneider*innen
sein, und die Angehörigen der „unterdrückten Kategorien“ (was für ein grauenhaftes Wort)
hätten sich organisiert, um nicht nur sich selbst, sondern allen anderen Lügen zu erzählen –
um als „Opfer“ durchzugehen und entsprechende Aufmerksamkeit zu bekommen.
Letztlich schlägt man einen skeptischen, misstrauischen Zugang vor, der alles andere als
vertrauensvoll gegenüber diesen „Kategorien“ ist – vielmehr müsse man sie mit Vorsicht
genießen, um sich nicht täuschen zu lassen.
Die schreibenden Personen dieses Textes halten es für grundsätzlich sinnvoll, mehrere „Glocken“ zu
hören – also verschiedene Perspektiven einzubeziehen – aber nur unter der Voraussetzung,
dass man sehr wohl in der Lage ist, zwischen den Aussagen der Beteiligten zu
unterscheiden. Andernfalls läuft man stark Gefahr, von jeder beliebigen Darstellung
überzeugt zu werden – je nach der erzählerischen Begabung, Bekanntheit (die natürlich
„verdient“ sein muss) oder Autorität der jeweiligen Person (auch diese muss „verdient“ sein).
Man läuft Gefahr, zur Wetterfahne zu werden, ohne eigene gedankliche Ordnung, ständig
der nächsten Meinung nachzulaufen. Und genau das passiert – leider – viel zu oft.
Wie aber kann man ein gewisses Maß an Urteilsvermögen zu Themen und Fragen
entwickeln, über die man – da niemand als Expert*in geboren wird – wenig bis gar nichts
weiß, weder theoretisch noch praktisch?

Ohne den Anspruch, eine „Offenbarung“ zu liefern, halte ich Folgendes für einen guten
Anfang:
Sich einzugestehen, dass uns gewisse Analysewerkzeuge fehlen, dass der Blick aufs
Ganze lückenhaft und einseitig ist, dass man nicht über den nötigen theoretisch-praktischen
Hintergrund verfügt, um solchen Themen gerecht zu werden.
Der zweite Schritt: Selbstkritik. Auch wenn das heute – wie wir wissen – nicht mehr
besonders en vogue ist.
Und schließlich: der Versuch, das Nötige zu tun, um diese Lücken zu schließen.
Woher also die Notwendigkeit zu einer selbstkritischen Haltung – selbst dann, wenn man
glaubt, bereits alles Relevante zu wissen und alles andere sei objektiv bedeutungslos?
Nicht zu verstehen – oder schlimmer noch: als „nicht schwerwiegend“ einzustufen – was
man selbst nicht erlebt hat und daher nicht einordnen kann, und sich dann auch noch zum
„Richter“ aufzuschwingen, indem man Prioritäten, Schweregrade und Wichtigkeiten festlegt,
bedeutet, sich eine vermeintliche moralische Überlegenheit auf dem Rücken anderer
Menschen anzumaßen – eine Vorstellung, die schlicht abstoßend ist.

Wenn man das nicht nachvollziehen kann – oder sich schlichtweg entscheidet, es nicht tun zu
wollen (was exakt das ist, was geschieht) – wird man meiner bescheidenen Meinung nach
zwangsläufig immer wieder in die gleichen gedanklichen Sackgassen und mentalen Altlasten
zurückfallen, und jedes Mal auf's Neue in den altbekannten Reflex verfallen, mit Zähnen und
Klauen eine „Hütte“ zu verteidigen, die längst an allen Ecken und Enden leckt.
Ermutigend ist zwar die Erklärung der Autor*innen von „Auf Augenhöhe“, wie
wichtig es sei, denjenigen zuzuhören, die Gewalt erfahren haben oder erfahren – aber, leider
für sie und uns, geschieht in der Realität – in der Realität, die wir vor Augen haben, nicht in
hypothetischen, von Wahrheitsanspruch befreiten Welten – fast immer das Gegenteil.
Die Tendenz ist es, das von der betroffenen Person Gesagte herunterzuspielen, zu
relativieren, zu bagatellisieren, und sich lieber eilig der Verteidigung des Aggressors zu
widmen.

So hat man das Gefühl, dass – in einer vollkommen absurden Verkehrung von Logik und
Tatsachen – das Opfer zum Täter gemacht wird.
Gerade weil man Beweise will. Gerade weil man sagt: Man kann sich nicht sicher sein, wenn
„niemand dabei war“. – „Wenn es keine faktische Wahrheit gibt, oder diese jedenfalls nicht
auffindbar ist“, schreiben die Fünf Indianer – wem soll man dann glauben?
Gute Frage. Sicherlich nicht den Genoss*innen, die vom „postmodernistischen Virus“ infiziert
wurden, so scheint es jedenfalls durchzuklingen.

Noch bemerkenswerter ist die Aussage: „An die Stelle der Wahrhaftigkeit tritt die
Zugehörigkeit zu einem bestimmten Subjekt.“
Damit haben sie – ehrlich gesagt – nicht ganz Unrecht.
Nur zeigt sich hier ein weiterer logischer Kurzschluss: Die Kritik, die sie formulieren, lässt sich
exakt auf ihr eigenes, spiegelbildliches Vorgehen anwenden. Denn in der Praxis, wenn man
sich anschaut, was tatsächlich passiert, wird die Wahrhatiigkeit immer nur einer Seite
zugesprochen – der des Unterdrückers.
Wenn man ihre Darstellung richtig verstanden hat, ist diese Herangehensweise –
ironischerweise – genau das, was sie selbst als postmodernistisch bezeichnen würden.
Liest man „Auf Augenhöhe“, könnte man meinen, dass die Verfasser*innen
zumindest auf theoretischer Ebene anerkennen, dass es (wenn Beweise vorliegen)
notwendig sei, in bestimmten Situationen drastisch zu handeln.
Das Problem: Dieser Fall tritt in der Praxis nie ein.
Irgendetwas stimmt immer nicht an der Erzählung der betroffenen Person. Irgendetwas lässt
einen zweifeln. Der Schatten der „lügenden Frau“ schwebt über allem. Die „Beweise“
reichen daher nie aus.
Man hat sich das kleine Repertoire an richtigen Worten auswendig gemerkt – aber in der
Realität weiß man nicht, was man damit anfangen soll.

Menschen definieren sich vor allem über das, was sie tun, nicht über das, was sie sagen.
Andernfalls, um es einfach zu sagen, ist das Heuchelei. Für die Gebildeteren unter uns:
politisch und intellektuell unehrlich.
Ein wenig Trost bieten die gut gemeinten Listen: „Natürlich sind wir uns bewusst, dass…“, „Es
erscheint uns legitim, zum Beispiel, dass…“, „Es wäre grausam, zu verlangen, dass…“, „Ohne
zu leugnen, dass…“
Doch am Ende landet man immer wieder beim Ausgangspunkt.
Das Problem – der dritte logische Kurzschluss, liebe Indianer – ist, dass Menschen, die
angreifen, Gewalt ausüben oder vergewaltigen, häufig nicht erkennen, dass sie etwas
Falsches getan haben.
Sie glauben, dass gewisse Dinge „nun mal passieren können“ – in bestimmten Situationen, in
bestimmten psychischen Zuständen oder unter besonderen Umständen (die Liste der
Ausreden wäre zu lang, um sie hier aufzuzählen) – und dass es deshalb „nicht so schlimm“
sei.
Und sie glauben das auch nachdem es ihnen erklärt wurde.
Wenn sie es vorher verstanden hätten – manchmal, nicht immer – hätten sie es vielleicht
nicht getan.
Wenn sie es nachher verstehen würden, käme es zu einer echten Auseinandersetzung mit
dem eigenen Verhalten.
Sie würden Verantwortung übernehmen.
Und das ist, von jemandem, der sich als politisch denkendes Wesen versteht, das
Mindestmaß an Erwartung.
Sicherlich – wie ihr selbst treffend formuliert – vorausgesetzt, diese Person „habe keine
Hintergedanken“ und „erzähle sich selbst oder anderen keine Lügen“ – was, zugegeben, in
dieser Ära des fast psychedelischen Subjektivismus nicht sehr wahrscheinlich ist.


Grundbanalität (I)

Jeder Kampf kann – vollständig oder teilweise – vom herrschenden System vereinnahmt
werden, sei es mit Zuckerbrot oder Peitsche.
Feminismus, Ökologie, Antispeziesismus, Antimilitarismus, lokale Kämpfe verschiedenster
Art, Kämpfe gegen Knäste und Abschiebelager – alles kann verschluckt, verdaut und
befriedet werden vom Staat, seinen Apparaten und der Vielzahl ihm zuarbeitender Akteure –
angesichts des heuƟgen Repertoires an Vereinnahmungsstrategien.
Entscheidend sind die Methoden – und die daraus abgeleiteten, konsequent umgesetzten
Praktiken.
Sich bewusst und gezielt nur einen Teil eines vielfältigen Spektrums an Methoden und
Praktiken herauszupicken, ihn zu verallgemeinern und dann damit das Ganze diskreditieren
zu wollen – das ist armselig.

Niemand würde für den Antimilitarismus die Friedensmärsche von Assisi als Symbol wählen.
Niemand denkt bei Kämpfen gegen Abschiebelager sofort an „LasciateCIEntrare“.
Niemand nimmt die Föderation der italienischen Anarchisten als repräsentatives Beispiel für
den gesamten italienischen Anarchismus.
Genauso wie man bei der Geschichte des Anarchismus manchmal ein selektives Gedächtnis
zu beobachten glaubt, betrifft das auch manche (trans)feministischen Strömungen, deren
Geschichte des bewaffneten Kampfes, des Ökologismus, des Antiknastkampfes, des
Antikapitalismus so gerne ausgeblendet wird.
Wer diese Geschichte nicht kennt, dem sei wie immer geraten: Lies nach.

Wer sie aber kennt und sie bewusst ignoriert, um eine oberflächliche und instrumentelle
Kritik nicht zu gefährden, spielt ein ganz anderes Spiel.
Ich persönlich befürworte eine möglichst genaue und differenzierte Darstellung, wenn es
um Bewegungs- und Widerstandsgeschichte geht – vor allem, wenn man Gefahr läuft, alles
über einen Kamm zu scheren.
Das ist ein notwendiger und grundlegender Schritt, um überhaupt erst klarzustellen,
worüber gesprochen wird.
Sonst wird ein ernsthafter Austausch schwierig – und alles Weitere führt ins Leere.
Wenn aber bestimmte Argumente dazu benutzt werden, um – intellektuell heuchlerisch,
manchmal sogar feige und vulgär – alle zu diffamieren, die bestimmte Analysen und
Praktiken vertreten, dann ist das schlicht inakzeptabel.

Wenn das Repertoire der Anklagen Dinge umfasst wie:
„Man darf im Bus nicht mehr breitbeinig sitzen“,
„Ich darf mir nicht mehr öffentlich an die Eier fassen, ohne dass mir jemand sagt, ich soll das
nicht tun“,
„Wenn ich mein T-Shirt ausziehe, gelte ich gleich als Belästiger“ –
dann sind das nur banale Beispiele.
Meiner Meinung nach ist es eine Frage von Anstand und Umgangsformen, ob man sich
öffentlich an den Genitalien kratzt – das ist natürlich nicht verpflichtend, keine Sorge.
Aber wenn jemand daraus ein politisches Argument macht, um einen gesamten Bereich des
Widerstands zu diskreditieren – dann ist das menschlich wie politisch armselig.
Zurecht: Wirtshausgeschwätz ist das eine, politische Diskussions- und Debattenräume sind
das andere. Es wäre daher angebracht, diese klar voneinander zu trennen – an würdelosen
Gestalten, die unsere Alltagsrealität mit ähnlichen Phrasen überfluten und sich aller
medialen Kanäle bedienen, mangelt es ohnehin nicht.
Um diese doch eher banalen Überlegungen abzuschließen, möchte ich eine letzte
Anmerkung machen.

Auch von hier aus stellt sich mit Verwunderung die Frage, seit wann Anarchist*innen sich
nicht mehr auf Basis theoretischer und praktischer Affinitäten organisieren, die aus
gemeinsam geteilten Analysen und Sichtweisen der bestehenden Verhältnisse hervorgehen –
also auf der Grundlage gemeinsamer Methoden und Perspektiven eines Eingreifens in eben
diese Verhältnisse –, sondern stattdessen Buchmessen, Diskussionsrunden oder Initiativen
jeglicher Art planen, als handelte es sich um Parteikongresse, Gewerkschaftsplenen oder
kirchliche Konzile? [hier wird unter anderem auf die Anarchistische Buchmesse im April 2025 in Rom angespielt http://rome-anarchistbookfair.espivblogs.net/ a.d.Ü.]
Seit wann haben Anarchist*innen Skrupel, Personen auszuschließen, mit denen sie keine
organisatorischen oder strategischen Wege teilen können?
Seit wann ist es autoritär geworden, klar zu benennen, mit wem man nichts zu tun haben
will?
Wenn die Dinge schon immer anders liefen und man das nicht mitbekommen hat, hat man
wohl ein paar Puzzleteile verloren. Nehmen wir’s zur Kenntnis.
Sich wie Giftschlangen aufzuregen, sich beleidigt und bedroht zu fühlen, weil jemand einem
deutlich macht, dass man nicht willkommen ist – eine Reaktion, die sich übrigens häufig auch
gegenüber separatistischen Positionen zeigt –, ist kein libertäres Verhalten, sondern erinnert
eher an Parteikader, die auch genau so denken. Darin stecken – latent oder offensichtlich –
Machtlogiken, Führungsansprüche, Kontrollwünsche.
Alle als Feinde zu betrachten, die nicht der eigenen Linie folgen und unabhängig Analysen
und Kämpfe führen, ist eine parteiliche Handlungsweise, eine der Einheitlichkeit, die alles,
was sie als „außerhalb“ wahrnimmt, planieren möchte. Eine, die Gefolgschaft und Delegation
zulässt, aber keine Autonomie des Denkens und Handelns.


Welche Klasse, welcher Kampf?

Bei der weiteren Lektüre von „Da pari a pari“ stößt man auf eine Argumentation – von
grotesker Oberflächlichkeit (wirklich in guter Absicht?) –, der zufolge die vielfältigen Ebenen
und Schichten, auf denen sich das System der Herrschaft aufbaut – basierend etwa auf
Geschlecht, Ethnie, Herkunft (um nur einige zu nennen) –, keinerlei ernsthafte
Berücksichtigung verdienten, im Gegenteil: Sie seien bedeutungslos, eine Erfindung
hypersensibler (selbstverständlich amerikanischer oder französischer) Akademiker*innen.
Denn in Wirklichkeit existiere nur eine einzige, konkrete Form der Herrschaft: die
ökonomische Ausbeutung. Ich benutze bewusst den Begriff „ökonomische Ausbeutung“ und
nicht „ausgebeutete Klasse“, aus Gründen, die ich später darzulegen versuche.

Die Annahme, dass die einzige (und vielleicht erste?) Form von Unterdrückung die
ökonomische Ausbeutung des Menschen durch den Menschen sei und alle anderen
Unterdrückungsformen lediglich daraus abgeleitet seien, und nicht etwa umgekehrt, ist eine
gewaltige Fehlannahme – historisch gesehen durchaus fragwürdig.
Wenn man die Entstehung und Entwicklung des kapitalistischen Systems betrachtet, dann
wird deutlich, dass die Unterwerfung und Zerstörung von Bevölkerungen und Lebensräumen
– als Teil der globalen Arbeitsteilung und Ressourcenausbeutung, die bis heute andauert –
von Anfang an ein strategisches Mittel der Kapitalakkumulation war.
Die Anfänge und die Durchsetzung des Kapitalismus zeigen sich besonders deutlich in drei
Grundpfeilern der sogenannten ursprünglichen Akkumulation (16.–17. Jh.):
1. Die Enteignung gemeinschaftlicher Landflächen in Europa,
2. die Hexenverfolgungen mit dem Ziel, das überlieferte Wissen der Frauen in den
ländlichen Gemeinden zu eliminieren – zugunsten einer neuen,
kapitalismusdienlichen, patriarchalen Wissenschaft,
3. die Kolonisierung Amerikas mit der Versklavung indigener Völker und der
Verschleppung afrikanischer Sklav*innen.

Ausbeutung der Natur, patriarchale Herrschaft, koloniale Sklaverei – das waren und sind
gezielte Herrschaftsformen über bestimmte Körper, Räume, Ressourcen.
Die Ausbeutung hat nie alle Ausgebeuteten gleich behandelt – nicht damals, nicht heute.
Wenn die „5 Indiani“ behaupten, ein Kapitalismus ohne Rassismus, Sexismus, ohne
Geschlechter und „Rassenunterschiede“ könne zumindest theoretisch existieren – dann mag
das in ihren Abstraktionen stimmen, aber nicht in der historischen Realität der letzten 500
Jahre. Marx hat das nicht gesehen, und viele seiner Anhänger*innen bis heute auch nicht.
Ohne Kapital und Klassen, ohne Herrschende und Ausgebeutete, bräche automatisch eine
Ära der Freiheit für alle an?
Eher nicht. Denn die systematische ökonomische Ausbeutung und die Entstehung
benennbarer Klassen wurde historisch oft von anderen Formen der Unterdrückung
vorweggenommen – Formen, die zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten
auŌraten, nie dauerhaft, nie identisch.

Die oben genannte Annahme wirkt daher wie ein Dogma.
Dies ist nicht der Ort für eine tiefgehende Analyse, wer möchte, findet anderswo bessere
Darstellungen – auch in Arbeiten aus der Akademie übrigens, bei denen niemand auf die
Idee kommt, sie zu verwerfen, weil sie eben „passen“ und bequem sind.
Es lohnt sich außerdem, den Begriff der „ausgebeuteten Klasse“ kritisch zu hinterfragen.
Welche genau ist gemeint? Ist sie homogen?
Eine Klasse existiert nur, wenn sie sich ihrer selbst bewusst ist. Andernfalls besteht die
„ausgebeutete Klasse“ nur aus Kompliz*innen der eigenen Ausbeutung. Es reicht nicht,
seinen Körper, seine Zeit, seine Würde gegen Lohn zu verkaufen, um automatisch Teil einer
ausgebeuteten Klasse zu sein.
Auf rein materialistischer Grundlage mag man das so sehen – dann erscheint die Klasse als
klar definierbar und einheitlich. Aus ethisch-politischer Perspektive jedoch nicht.
Man muss wissen – bewusst – wer die Klassenfeinde sind, wo man selbst steht.
Bei den Herrschenden besteht daran kein Zweifel. Sie wissen sehr genau, wo sie stehen und
wer ihre Feinde sind. Die Zeit gibt ihnen recht.

Was die „ausgebeutete Klasse“ betrifft, sehen wir – zumindest hierzulande – eine breite
Masse von Menschen, die aktiv zur Reproduktion ihrer eigenen Unterdrückung beitragen.
Sie hängen immer noch an der Illusion eines bürgerlichen Lebensstils, obwohl dieser längst
zerfällt. Sie träumen von Aufstieg, imitieren die Werte und Gewohnheiten ihrer
Ausbeuter*innen. Es sind also nicht immer und nicht überall Bewusstsein oder Widerstand
zu finden.
Vielleicht wäre es sinnvoll, wie die „5 Indiani“ nahelegen, sich mal ein paar Monate in eine
Fabrik oder ein anderes Arbeitsumfeld zu begeben, um zu sehen, was wirklich los ist unter
den sogenannten Ausgebeuteten – vor allem, aber nicht nur unter den autochthonen.
Besorgniserregend finde ich Aussagen wie: „Man muss Arbeiter immer unterstützen, auch
wenn sie Scheiße labern“ – und das, ohne sie zu idealisieren. Aber ist das wirklich
revolutionär? Oder paternalistisch? Infantil? Oder einfach altlinke Avantgarde-Arroganz?
Vielleicht sollten wir öfter und ernsthafter in konkrete Konfliktsituationen eingreifen – ohne
Überheblichkeit. Vielleicht.

Aber die Frage, die ich mir selbst stelle, ist: Lohnt es sich heute wirklich, Energie in Projekte
zu investieren, deren „Kampfhorizonte“ uns oft (wenn auch nicht immer) fremd sind?
Ich denke: Nein. Es ist sinnvoller, unsere Energie auf andere Ziele zu richten – wie es viele
bereits tun.
Ohne übertrieben pathetisch klingen zu wollen, denke ich, dass wir als Anarchist*innen
zumindest in unseren theoretischen und praktischen Überlegungen den Horizont einer
ungezähmten und unordentlichen – nicht unorganisierten – Insurrektion nicht aus dem
Blick verlieren sollten. Einer sozialen Revolution nicht mit einer „ausgebeuteten Klasse“ im
Schlepptau, die man zur Emanzipation führen müsste (als Avantgarde?), sondern
gemeinsam mit dem Teil der unterdrückten Menschheit, der dieser Welt nicht insgeheim
Bewunderung entgegenbringt, der keine Revolution der bestehenden Bedingungen will,
sondern deren Umsturz, deren Abschaffung.
Menschen, die diese Welt und ihre Symbole zerstören wollen. 
Die vielleicht versuchen, sich der Ausbeutung auf alle erdenkliche Weise zu entziehen. Für die die Grenze zwischen Legalem und Illegalem relativ ist. Die nicht sozial aufsteigen wollen und – vielleicht das
Wichtigste – aus ihrer unterdrückten Position heraus nichts zu gewinnen haben.
Welche Menschheit wäre tatsächlich gefährlich für die Herrschaft und ihre Pläne?

Meiner Meinung nach genau die, mit der wir am wenigsten zu tun haben, mit der wir nicht
wirklich sprechen können, der wir nichts zu sagen wissen. Die Menschheit an den Rändern,
die Ausgestoßenen, Ausgeschlossenen, die in offenen Ghettos leben, oder in Gefängnissen
und Abschiebezentren (CPR) landen – die echten „Überschüsse“, die „Kollateralschäden“, die
nicht durch Lohnarbeit, neue elektronische Spielzeuge, den SUV auf Raten oder den
Jahresurlaub gezähmt werden können.
Die „Verdammten dieser Erde“, die in „Da pari a pari“ nur en passant erwähnt werden,
interessieren sich nicht für amerikanische Gender Studies, arbeiten nicht in der Automobilindustrie oder
der Bahn, tauchen nicht in unseren Versammlungen auf. Ob’s uns passt oder nicht: Sie
gehören nicht zur gleichen „Klasse“ wie italienische oder europäische Ausgebeutete – und
organisieren sich fast nie mit ihnen.
Man könnte einwenden – und das zu Recht –, dass das, was ich über die sogenannte
„ausgebeutete Klasse“ sagte, auch auf das Subproletariat in Stadt und Land zutrift. Das
stimmt natürlich. Auch unter ihnen ist es nicht die Mehrheit, die die bestehende Ordnung
stürzen will, die deren Gründe und Ursachen teilt, die sich für eine Welt ohne Autorität und
Ausbeutung einsetzen würde.
Denn viele von ihnen wollen – mindestens – ein Stück vom Kuchen.

Ein entscheidender Unterschied besteht für mich dennoch darin, dass diese Menschen von
der Herrschaft nicht einmal mehr mit der Illusion eines Sozialstaats (wie er etwa der
autochthonen Bevölkerung zur Legitimation ihrer Existenz dient) bei der Stange gehalten
werden. Sie sollen wie Sklav*innen zur Reproduktion von Profit und Ordnung beitragen, in
den Knast wandern oder im Meer ertrinken, auf einer Baustelle sterben, auf dem Feld oder
bei einer Polizeikontrolle.
Wie wir es überhaupt schaffen könnten, mit diesen Menschen konkrete Affinitäten zu
testen, ist nach wie vor eine gewaltige und offene Frage. Aber vielleicht wäre es an der Zeit,
sich damit zu beschäftigen.


Banalitäten, Teil II

Wenn an den Wänden besetzter Universitäten nicht Aufrufe zur Zerstörung dieser Welt,
sondern Verhaltenskodizes hängen, wenn für viele das Ziel von Umsturz heute
hauptsächlich in sprachlicher Korrektheit und Endungen besteht (die oft nur Pose und kaum
mehr sind), wenn jede Aktivität ausschließlich per Chat organisiert werden muss – oder gar
nicht stattfindet –, dann sind das Probleme, die alle betreffen, nicht nur einige.
Sich davon bedroht zu fühlen ergibt keinen Sinn – paranoide Reaktionen mal
ausgenommen. Sorgen sollte einem eher machen, dass neben solchen Ausdrucksformen oft
nicht mehr viel Anderes übrig ist.

Das Problem von „Identitäten“ an sich ist ein falsches Problem. Was zählt, ist, ob diese
Identität ein Bewusstsein entwickelt, eine nicht integrierbare Kampfperspektive gegen das
Bestehende. Sonst bleibt sie nichts weiter als Alternativkultur. Entscheidend ist, was sie aus
sich macht: ob sie Angriffsformen entwickelt, die nicht vereinnahmbar sind – oder ob sie
am Ende Stütze des bestehenden Zustands wird. Antikoloniale Unabhängigkeitskämpfe
oder der „Kampf“, Dialekte an Schulen zu lehren.

Die sich immer weiter zuspitzende Repression – mit ihren Folgen von Spaltung,
Zerschlagung ganzer Zusammenhänge, Isolation, Frustration und Angst – trägt natürlich ihren
Teil zur Lage bei. Das war auch immer eines der Ziele der Gegenseite.
Doch meiner Meinung nach liegt das Problem auch in einer fehlenden Weitergabe von
Theorien, Methoden, Wissen, Erfahrungen, die nicht vom Himmel fallen, sondern von
Generation zu Generation weitergegeben werden müssten.

Wenn wir heute mit einer wachsenden „Bruchlinie zwischen Generationen“ konfrontiert
sind, liegt das auch an unserer Unfähigkeit, Kontinuität herzustellen – was durch das digitale
Leben noch verschärft wird, in das wir alle verstrickt sind. Die Gründe dafür mögen
verschieden sein. Aber dass es so ist, scheint offensichtlich.
Die Suche nach Auswegen aus diesem Zustand ist vielleicht die wichtigste Gegenstrategie
gegen die Pläne des Feindes, damit wir nicht nur noch symbolische, vorhersehbare,
spektakuläre Widerstandsformen auftreten können – so notwendig sie auch sein mögen.
Angesichts all dessen ist es dringend notwendig, sich so bald wie möglich dem
zerstörerischen Angriff auf die Infrastruktur zuzuwenden, die die technologischen und
digitalen Käfige möglich und funktional macht – jene Infrastrukturen, die für die
Aufrechterhaltung und Ausweitung der Herrschaft maßgeblich verantwortlich sind: für die
Zerstörung individueller Potenziale, besonders der rebellischen, aber auch aller anderen.
Sie sind Grundlage für Kriege um Ressourcen und Massaker anderswo, für die real
werdende planetarische Kriegsordnung, für pazifizierte Entfremdung und Mitwirkung an
der eigenen Unterwerfung hierzulande.

Es kann keine Welt ohne Autorität geben – und keine Insurrektionen, die ihr den Weg
bereiten –, in einer Welt, in der alle Beziehungen durch „intelligente“ Maschinen vermittelt
werden. In einer Welt mit einer reduzierten Menschheit, die zur Komplizin ihrer eigenen
Verzweiflung und Vernichtung geworden ist. Mit ChatGPT als bester Freundin.
Eine Menschheit, mit der – wenn die technologisch vermittelte Entfremdung weiter mit dem
Tempo fortschreitet, das wir beobachten – nicht nur schwer, sondern bald unmöglich zu
kommunizieren sein wird.

Es ist der soziale Krieg, in den wir unsere Energie und unser Engagement investieren
sollten.
Wir brauchen keine politischen Soldaten, keine wirtschaftlichen Statist*innen, die
versuchen, den „Wert“ ihrer Arbeit zu steigern oder ihre Bedingungen zu verbessern. Keine
Herden folgsamer Leute, die von unseren Ideen überzeugt wurden.
Keine Herden, sondern Gruppen von Affinen.
Wenn wir vom „Krieg sabotieren“ sprechen – es gibt viele Dinge, die man tun kann.
Machen wir das.

Ein Anarchist

 

Italienisches Original dieses Textes:
https://ilrovescio.info/2025/08/08/quelli-che-benpensano-ovvero-della-di...
Italienisches Original „Da pari a pari…“ und deutsche/englische Übersetzung auf Indymedia:
https://ilrovescio.info/2025/07/01/da-pari-a-pari-contro-lautoritarismo-...
https://de.indymedia.org/node/531811

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