Athen: Einige Worte über die Auseinandersetzungen in Exarchia am 12. April
Nachdem im Rahmen von Feindseligkeiten gegen die lokale Polizeistation und den folgenden Barrikadenkämpfen, zahlreiche Autos von Anwohner*innen in Flammen aufgingen, wurde einmal mehr über Sinn und Zweck von Ausschreitungen in Exarchia gestritten. Darauf folgten weitere Räumungen und eine Ausweitung der Belagerung dieses Viertels. Folgender Text wurde dazu veröffentlicht:
Athen: Einige Worte über die Auseinandersetzungen in Exarchia am 12. April
Nachdem im Rahmen von Feindseligkeiten gegen die lokale Polizeistation und den folgenden Barrikadenkämpfen, zahlreiche Autos von Anwohner*innen in Flammen aufgingen, wurde einmal mehr über Sinn und Zweck von Ausschreitungen in Exarchia gestritten. Darauf folgten weitere Räumungen und eine Ausweitung der Belagerung dieses Viertels. Folgender Text wurde dazu veröffentlicht:
Am Abend des 12. April entschieden wir uns, die Repressionskräfte in den Straßen von Exarchia zu konfrontieren. Diese Zusammenstöße brachen in einem Klima intensiver Polizeipräsenz in der Nachbarschaft aus, wo der Staat versucht, unter denen, die Widerstand leisten, Furcht zu verbreiten.
Exarchia ist ein Gebiet, welches vom Staat und allen Arten des Kapitals beansprucht wird (Tourist-Hotels, Restaurants, Bars, Baustellen, Immobilien, Airbnb). Im Schnellverfahren, vor allem seid ND an der Spitze des Staates ist, aber auch mit erhöhter Beschleunigung durch die Covid- und Post-Covid-Ära, findet ein unerbittlicher Angriff auf die Charakteristik des Viertels statt in einem Versuch, die kämpferische Vergangenheit der Bewegung, die aufständische Tradition und Riots auszulöschen. Über die Anwesenheit und Angriffe der Bullen hinaus wird dies auch durch territoriale Ansprüche des Staates mit der Räumung der Squats (woran schon SYRIZA beteiligt war) durchgeführt. Dieser Angriff von Staat/Investoren besteht aus den Elementen der Repression gegenüber den kämpferischen Menschen und der Verdrängung von jenen, der „nicht passen“, nicht die steigenden Mieten zahlen können und sich der Etablierung einer sterilen Realität widersetzen, die durch Investitionen, Konsum, Überwachung, gewaltsame „Touristification“, Hipsterismus, Alternativismus und Polizeirepression gekennzeichnet ist.
Auf diese Weise richtet sich der Angriff nicht nur gegen das Gebiet, sondern auch gegen das revolutionäre Gedächtnis selbst, gegen die Geschichte und die Themen, die in der Vergangenheit behandelt wurden. Es ist kein Zufall, dass der Staat in Exarchia den folgenden Triptychon unterdrückt: das Polytechnio – Platia Exarchion – Strefi Berg. Alle 3 Bereiche haben eigene Konnotationen:
Das Polytechnio trägt die Geschichte der Konflikte aus Vergangenheit und Gegenwart und ist ein Ort des Zusammenkommens sowohl für den anarchistischen Raum und darüber hinaus, während die Platia und Strefi Orte sind, die sozialen Widerstand, Kommunikation, politische Ereignisse, Zusammenstöße hervorbrachten und die Menschen der Nachbarschaft auf der Ebene der Sozialisation und Kontakt mit der Natur verbinden. Die Orte die sie vermissen, sind jetzt ein Schaufenstermuseum des Polytechnio, eine Platia voller Shops und Touristen sowie ein Berg mit Zugang für die wenigen mit Privilegien und Geld.
Aus all diesen Gründen wollten wir in alle Richtungen deutlich machen, dass die Insurrection lebendig ist und die einzige Perspektive und realistische Lösung für Exarchia ist, in den Händen derer zu bleiben, die dort leben und sich wirklich um die Nachbarschaft kümmern.
Kollateralschaden: Verhältnis zwischen Mittel und Bedingungen
Während der Zusammenstöße gab es Schäden an Fahrzeugen, die nicht die unmittelbaren Ziele unserer Aktion waren. Wir ignorieren diese Tatsache nicht. Aber die Prüfung dieser Vorfälle kann nicht von dem gesamten Kontext, in dem sie geschehen sind, getrennt werden. Die Riots in den engen Straßen von Exarchia werden unter Druck durchgeführt, mit der durch die ständig hohe Präsenz von Polizeikräften erzwungenen Intensität und Unmittelbarkeit. Unter solchen Bedingungen kann ein präzises Zielen nicht immer erfolgreich sein. Die Verwendung spezifischer Werkzeuge auf Straßen mit eingeschränkter Bewegung und Wohnblöcken, erwies sich in einigen Fällen als unzureichend berechnet. Wir erkennen das. Wir stellten auch fest, dass an Orten, an denen Feuer in der Nähe von Häusern ausbrachen, die Bullen die Feuerwehr daran hinderten, sie zu löschen.
Diese Kampfbedingungen bieten nicht die “perfekte Kontrolle”, die Kollateralschäden verhindern könnte. Die Zerstörung von privaten Fahrzeugen als eine große moralische Frage zu betonen, zeigt in jedem Fall eine verzerrte Hierarchie von Werten. Von den Straßen Santiago’s bis zum Taxim Aufstand in der Türkei sahen sich aufständische Bewegungen mit ähnlichen Situationen konfrontiert, weil die Existenz von solchen Situationen sie an die Oberfläche brachte.
In der Nacht, als wir mit den Bullen zusammenstiessen, wurde das Krankenhaus Al Achli im nördlichen Gazastreifen bombardiert. Wenn du zerbrochenes Glas und das Metall von verbrannten Fahrzeugen mit verlorenen Leben vergleichst, dann ist das Problem nicht Gewalt. Es ist Heuchelei. Wir sind der Ansicht, dass in einer Gesellschaft, die auf Eigentum und individuellem Interesse basiert, jeder Verlust von materiellem Eigentum eine Reaktion hervorruft. Die Verteidigung von Leben und Freiheit hat immer einen Preis.
Polizeistaat
Solange die Polizei ihre provokative Präsenz in Exarchia aufrechterhält, werden die Spannungen und Zusammenstösse weitergehen. Und solange sie sich nicht zurückziehen, werden sie der Schlüsselfaktor bei der Reproduktion von Instabilität sein, die sie angeblich verhindern wollen. Die Verzweiflung des Staates, die Situation zu verwalten, war so groß, dass er aus Rache zu einer blinden Evakuierung aller Squats und Bewegungsräume von Exarchia griff. So enthüllten sie ihren anti-anarchistischen Plan und die Kriminalisierung von politischen Identitäten sowie die Ankündigung noch größeren Totalitarismus, wie Chrysochoidi’s (Anm. d. Übers: Bürgerschutzminister) Aussagen über das Verbot von Konzerten in Exarchia. Eine Logik der blinden kollektiven Haftung für alle, die sich aus irgendeinem Grund in diesem Viertel bewegen und existieren. Wir wissen, dass jede Form von Widerstand das Risiko von Verlusten, Fehlern, Abweichungen beinhaltet. Wir schweigen nicht, wir ignorieren sie nicht. Wir erkennen sie als Teil der Realität, mit der wir konfrontiert sind.
Aber wo die vollständige Unterwerfung gewählt wird, wo Schweigen gefordert wird im Gegenzug für eine falsche „Beruhigung“, wählen wir den Konflikt. Und wer nach Ordnung ohne Widerstand ruft, fordert im Wesentlichen bedingungslose Unterordnung. Solange die Kräfte der Unterdrückung im Gebiet von Exarchia campieren, solange jede Form der von freier Bewegung und Ausdruck als Bedrohung betrachtet wird, solange die Nachbarschaft als Gebiet für „Gentrifizierung“ behandelt wird, wird der Widerstand in Exarchia fortgesetzt – mit allen Mitteln die die Umstände erfordern.
Für die „guten“ und „schlechten“ Anarchist*innen
In jedem Augenblick des Konflikts gibt es jene, die eilig ihre Position abtrennen wollen. Um alles zu leugnen, was nicht in ihren eigenen engen Rahmen der „Korrektheit“ passt. Sich als „verantwortlich“, „reif“, „gute Anarchisten“ präsentieren zu können. Die jüngste konfrontative Präsenz in Exarchia war keine Ausnahme. Einige beeilten sich, über verbrannte Fahrzeuge zu weinen, Schäden schneller zu erfassen als die Journalisten, um sich schnell zu distanzieren — nicht aus Gründen des Prinzips, sondern um ihre eigene politische „Legitimation“ zu wahren. Die Reproduktion des herrschenden Diskurses von der „blinden Gewalt“ und „irrationalen Zerstörung“ durch Kreise, die behaupten, zum anarchistischen Raum zu gehören, ist nicht nur eine Unstimmigkeit über die Strategie. Es ist eine bewusste Abkehr vom Wesen des Widerstands. Wenn Repression eine Nachbarschaft trifft, wenn die Straßen durch MAT gesperrt sind, wenn die freie Bewegung kriminalisiert ist, ist das Problem nicht, ob ein paar Fahrzeuge verbrannt wurden. Das Problem ist, ob es noch einen Willen gibt, sich zu widersetzen.
Diejenigen, die versuchen politisches Kapital aus der Verurteilung der Auseinandersetzungen zu gewinnen, diejenigen, die ihre Legitimität nach den Kriterien der Herrschaft messen, haben bereits eine Seite gewählt. Und es ist nicht die Seite des Widerstand. Die Unterscheidung zwischen „guten“ und „schlechten“ Anarchist*innen ist ein Werkzeug der Autorität. Wer sie reproduziert, bestätigt die Rolle, für die er/sie bestimmt ist: ein “nützlicher” Vermittler oder Garant der “Ordnung” in der Bewegung zu werden. Auf jeden Fall richten sich die Straßen nicht nach Statements und Ankündigungen. Sie richten sich nach Positionen und Handlungen. Und auf den Straßen ist die wirkliche Wahl einfach: Entweder du leistest Widerstand mit den notwendigen Mitteln oder du akzeptierst die Verhältnisse, die dir aufgezwungen werden.
Die Insurrection in Exarchia ist keine Bühne.
Sie ist nicht zu fotografieren. Sie ist nicht zu mieten.
Sie ist ein lebendiger Prozess des Widerstands, geboren aus der Erfahrung der Ungerechtigkeit und gereift auf dem Feld der Konfrontation.
Wir sind hier, mit unseren Fehlern, unseren Misserfolgen, unserer Wut.
Wir sind hier, nicht um uns für den Kampf zu entschuldigen, sondern um klar zu machen, dass der Kampf weitergeht.
Und es wird weitergehen, solange es Mauern gibt, die einzureißen sind.
Wir sind weder professionelle Revolutionär*innen, noch Anhänger*innen der Zerstörung um ihrer selbst.
Wir sind Menschen, die sich weigern, sich zu ergeben.
Und in diesem Kampf, zusammen mit unseren Erfolgen, werden wir unsere Fehler tragen - denn wir kämpfen für etwas Lebendes, nicht nach einem sterilisierten Skript.
Die Straßen gehören denen, die sich nicht beugen.
Die Insurrektion hört nicht auf.
Feuer vergisst nicht.
Die Riots sind denen gewidmet, die Widerstand leisten, gefoltert werden, kämpfen, für ihre Freiheit sterben und in Palästina inhaftiert sind.
FREIHEIT FÜR PALÄSTINA
KYRIAKOS XYMITIRIS - ANWESEND IN ALLEN UNSERER ZUSAMMENSTÖSSE
SOLIDARITÄT MIT ALLEN GERÄUMTEN SQUATS IN GRIECHENLAND
REBELLION ÜBERALL
Einige Randalierer*innen
(Übersetzung von https://athens.indymedia.org/post/1635318/)
