Berlin: Zwei Gerichtstermine wegen polizeikritischer Adbustings

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Am 25.8. um 13:30 und am 6.11. um 11:45 macht das Amtsgericht Tiergarten Polizeikritiker*innen den Prozess. Grund dafür sind satirische Plakate, die 2024 in Berlin öffentlich Rassismus in der Polizei kritisierten. “Statt dass sich die Polizei mal mit der geäußerten Kritik beschäftigt und etwas gegen Rassismus und Machtmissbrauch tun würde, verfolgt sie lieber die Kritiker*innen”, sagt Sam A. Hax, Sprecher*in der Gruppe Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP): “Auf ihrem persönlichem Rachefeldzug gegen die Angeklagten ist der Polizei jedes Mittel recht und sie zeigt damit wieder deutlich, welcher Geist durch ihre Strukturen weht.”

In den letzten Jahren stellte die Berliner Staatsanwaltschaft noch sämtliche Strafverfahren zu satirisch veränderten Werbeplakaten, genannt Adbustings, sang- und klanglos ein. Auch Staatsanwält*innen aus anderen Städten folgten bisher dem berliner Beispiel, satirischen Plakataktivismus nicht strafrechtlich zu verfolgen. So zum Beispiel 2021 in Erlangen2021 in Stuttgart oder 2024 in Göttingen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte im Dezember 2023 sogar Hausdurchsuchungen wegen eines antimilitaristischen Adbustings für illegal. Doch nun wagt der Repressionsapparat den nächsten Anlauf: Wegen polizeikritischer Adbustings stellte das Amtsgericht Tiergarten gleich zwei Strafbefehle aus.

Adbustings zur IMK
Zur Innenminister*innenkonferenz im Februar 2024 kaperte die Kommunikationsguerilla Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP) über 100 Werbevitrinen der S- und U-Bahn-Stationen Berlins mit ihren Plakaten. Was auf den ersten Blick wie eine Image-Kampagne der Polizei aussah, entpuppte sich auf den zweiten als Satire: Mit ihren Adbustings thematisierte die Gruppe Polizeigewalt, Rassismus und Abschiebungen. Bebildert mit einem Aktenschredder zeigte eines der Plakatmotive etwa den Slogan: “Unsere Aufarbeitung von Rassismus. 110% nicht.”

Adbusting eigentlich straffrei
Die Polizei reagierte mit einer Sofortfahndung. Dabei nahmen die Cops leider zwei Personen fest. Diese wurden bis in die frühen Morgenstunden in der Wache im Hauptbahnhof durchsucht, vernommen und eingesperrt. Laut Akte erklärter der Staatsschutz den ermittelnden Bundespolizist*innen bereits am Aktionstag per Telefon, dass Adbustings mit selbst mitgebrachten Postern nicht strafbar sind. “Denn wenn man nix klaut oder kaputt macht, ist das halt auch weder Diebstahl noch Sachbeschädigung”, erklärt Sam A. Hax, Sprecher*in der Gruppe “Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP)”. So hatte die Berliner Staatsanwaltschaft 2020 einen Einstellungsbescheid begründet, den die Adbusting-Szene prompt als “Darfschein” veröffentlichte.

Teileinstellung des Verfahrens
Doch die Bundespolizei ließ sich von dieser Rechtslage nicht beeindrucken, ermittelte munter weiter und wertete Videokameras an den Bahnhöfen aus. Schließlich übergab sie die Ermittlungen an das Staatsschutz-LKA 521. Auch dieses hielt plötzlich an den Vorwürfen der Sachbeschädigung und des Diebstahls fest und übergab die Ermittlungsresultate an die Staatsanwaltschaft. Von dort bekam bekam das LKA jedoch einen Dämpfer. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren bezogen auf diese Tatvorwürfe ein: “Hinsichtlich der Taten vom 13.06.2023 (sic!) lässt sich der Tatnachweis der Sachbeschädigung nicht mit der für die Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit führen. […] Das Verfahren wird daher hinsichtlich des Tatvorwurfs der Sachbeschädigung und des Diebstahls gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt”

Neuer Paragraph zur Kriminalisierung von Adbustings
Doch die öffentliche Kritik konnten sich die staatlich bezahlten Gewalttäter*innen natürlich nicht gefallen lassen. Ein neuer Vorwurf musste her. Die Beamt*innen bemerkten, dass auf einem der Plakatmotive ein Pressefoto der Polizei Sachsen abgebildet war. Darauf zu sehen ist eine Polizist*in, die von ihrem Schreibtisch aus in die Kamera lächelt. Die Gruppe “Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP)” versah das Plakat mit dem Spruch: “Rassismus? Schieben wir ab!” Das verletze das Recht am eigenen Bild der Polizist*in laut § 22 Kunsturheberrechtsgesetz, findet das LKA 521.

Strafbefehl wegen Kunsturheberrechtsgesetz
Mit diesem Tatbestand kam der Staatsschutz letztendlich bei der Staatsanwaltschaft und beim Amtsgericht durch. Im Briefkasten einer der verhafteten Personen flatterte ein Haftbefehl ein. Der Vorwurf: Verstoß gegen § 22 Kunsturheberrechtsgesetz. Das Amtsgericht Tiergarten setzte dafür eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen a 30€ fest: Also insgesammt 1.800€. Der*die Angeklagte legte Einspruch gegen den Strafbefehl ein; der Gerichtstermin ist am 6.11. um 11:45 im Amtsgericht Tiergarten.

Pressefoto ist kein Privatfoto
Dabei nennt § 23 Kunsturheberrechtsgesetz explizit Ausnahmen, wann das Bild einer Person ohne deren Zustimmung benutzt werden darf. Eine der Ausnahmen sind sogenannte “Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte”. Genau ein solches Bildnis liegt hier nach Ansicht von Sam A. Hax vor: “Die Polizist*in hat sich wissentlich für ein Pressefoto ablichten lassen, mit dem die Polizei bis heute Werbung für Nachwuchs macht.” Somit sei sie* nicht als Privatperson abgebildet, sondern Teil der öffentlichen Selbstdarstellung der Polizei: “Und genau mit dieser öffentlichen Selbstdarstellung beschäftigen wir uns satirisch. Natürlich dürfen wir dafür dieses Bild benutzen! Dass das Amtsgericht diesen Paragraphen zur Kriminalisierung polizeikritischer Satire benutzt, ist ein Skandal!”

Polizei-Adbustings während der Fußball-EM
Auch beim zweiten Adbusting-Strafbefehl geht es um Polizeikritik. Während der Fußball-EM im Juli 2024 warb die Polizei mit großformatigen Plakaten um Nachwuchs. Die Aktionsgruppe GdP legte den auf den Plakaten abgebildeten Polizist*innen mit Gedankenblasen Selbstkritik in den Mund: “Ich bin diesen Rassist*innenladen leid!”, dachte sich eine Polizist*in auf einem Plakat am Alexanderplatz. Am Ostbahnhof stand in der Gedankenblase: “Eigentlich sind wir bloß staatlich bezahlte Gewalttäter*innen”.

Überwachungswahn wegen Kleber und Papier
Diese Kritik löste bei den Polizist*innen erheblichen Ermittlungseifer aus. Auf den Videokameras der S-Bahnhöfe meinen die Ermittler*innen, eine Person wieder zu erkennen, die im Februar 2024 in Zusammenhang mit den IMK-Adbustings verhaftet worden war. Auch die Staatsanwaltschaft verstand bei öffentlicher Kritik an der Polizei überhaupt keinen Spaß: Im Erstentwurf für einen Strafbefehl setzte sie für das Überkleistern zweier Polizeiplakate stolze 70 Tagessätze als Strafmaß an. Die fand der zuständige Richter angesichts des wohl geringen Sachwerts der Poster laut Akte dann doch etwas überzogen. Das Amtsgericht Tiergarten stellte schließlich einen Strafbefehl über 50 Tagessätze a 30€ aus: Also insgesammt 1.500€. Der*die Angeklagte Andi Blau legte Einspruch gegen den Strafbefehl ein; der Gerichtstermin ist am 25.8. um 13:30 im Amtsgericht Tiergarten.

Antirassistische Polizeikritik ist wichtig
Andi Blau, der*die Angeklagte im Verfahren um die Poster am Alexanderplatz, sagt dazu: “Kritik an der polizeilichen Praxis scheint mir aktuell wichtiger denn je: Dieses Jahr starben durch Polizeikugeln mehr Menschen als in den Jahren zuvor.” Die Erschießung des oldenburger Jugendlichen Lorenz zeige, wie gefährlich Rassismus in den Köpfen bewaffneter Sicherheitskräften sei. “Das veränderte Werbeplakat am Alexanderplatz nimmt hoffentlich die Gedankengänge vernünftiger Polizist*innen nach der Tragödie in Oldenburg vorweg. Aufklärung und Sensibilisierung zu Rassismus hat die Polizei bitter nötig!”, erklärt Andi Blau weiter, “Der Umgang der Polizei mit Jugendlichen und Menschen, die sich gewaltfrei für den Schutz unseres Planeten gegen die fossile Realität stellen, zeigt: Polizist*innen kennen als einzges Werkzeug die Ausübung von Gewalt und das zuführen von Schmerzen. Es muss sich dringend etwas ändern!”

Verfolgung von Meinungen
Doch vieles lässt vermuten, dass es bei der Verfolgung der Adbustings darum geht, genau diese Kritik abzuwehren. Weder LKA, Staatsanwaltschaft noch Amtsgericht wägen laut Akte auch nur einmal ab, ob § 22 Kunsturheberrechtsgesetz auf die IMK-Adbustings überhaupt anwendbar ist. Ob da wirklich niemand auf die Idee komme, dass es sich bei dem Pressefoto der sächsichen Polizistin um ein Bildnis der Zeitgeschichte handeln könnte, dessen Nutzung laut Kurnsturheberrechtsgesetz erlaubt ist? Sam A. Hax hat Zweifel: “Bei der Verfolgung polizeikritischer Adbustings geht es den Repressionsorganen einfach nicht um juristisch saubere Vorwürfe. Es geht ihnen darum, die Kritik an ihnen zu verfolgen und zu bestrafen.” Ein paar überkleisterte Stücke Papier würden sonst wohl eher kaum die Auswertung von Überwachungskameras und das Verschicken von Strafbefehlen auf den Plan rufen, so Sam A. Hax: “Blöd nur für die Behörden: Wir leben in einer Demokratie mit Meinungsfreiheit. Die Verfolgung von Meinungen ist eben ganz klar illegal!”

Meinungsfreiheit? Den Behörden egal!
Das aktuelle Vorgehen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Amtsgericht erinnert sehr an das Verfahren wegen eines antimilitaristischen Adbustings in Berlin 2019. Damals war der Vorwurf “besonders schwerer Diebstahl” und wegen eines satirisch veränderten Posters veranlasste das Gericht gleich drei Hausdurchsuchungen. Prof. Dr. Fischer-Lescano und Dr. Andreas Gutmann schrieben schon damals auf dem Verfassungsblog: “Das Vorgehen gegen spezifische Meinungsinhalte wird von Art. 5 GG grundsätzlich untersagt. Es wird Zeit, dass die deutschen Sicherheitsbehörden diesen Grundsatz auch dann beherzigen, wenn es um Adbusting geht, das sich kritisch mit ihren Praxen und Imagekampagnen auseinandersetzt.”

Diese Öffentlichkeit war der Staatsanwaltschaft offenbar peinlich: Sie stellte das damalige und auch alle weiteren Adbusting-Verfahren der letzten Jahre ein. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Hausdurchsuchungen im Dezember 2023 sogar für rechtswidrig.

Adbuster*innen vor Gericht
Doch nun wagen Staatsanwaltschaft und Gericht das erste Mal seit 6 Jahren eine neuen Anlauf zur Repression von Plakatsatire. “Anscheinend hat die Justiz immer noch nicht gelernt, dass wir in einer Demokratie mit Meinungsfreiheit leben”, schüttelt Sam A. Hax den Kopf. Am 25.8. um 13:30 und am 6.11. um 11:45 stehen Adbuster*innen vor Gericht. Wer das nicht gut finde, der dürfe sich die beiden Termine gerne schon mal im Kalender notieren. “Lasst uns dafür sorgen, dass die Repressionsorgane an den beiden Gerichtsterminen genau das bekommen, was sie am meisten hassen: Eine kritische Öffentlichkeit!”

Die Termine

Mo, 25. August, 13:30
Saal A572 (kann sich noch ändern!)
Amtsgericht Tiergarten
Turmstr. 91
10559 Berlin

Do, 6. November, 11:45
Saal noch nicht bekannt
Amtsgericht Tiergarten
Turmstr. 91
10559 Berlin

 

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