Feuer, Rad und Werbung - Auschnitte aus dem Steinbruch der Geschichte des Adbustings und der Kommunikationsguerilla

Entgegen der üblichen Wahrnehmung sind Adbusting und und Kommunikationsguerilla sehr alt. Diese Aktionsformen gab es schon deutlich vor Postmoderne und Poststrukturalismus. Vermutlich gibt es sie seit es Gesellschaften mit sozialen Hierarchien gibt, in denen die wichtigen Leute auf die Idee kamen, per öffentlichem Aushang mit ihren Subalternen zu kommunizieren. Also so etwa seit 8000 Jahren. Leider führt die fehlende Historisierung emanzipatorischer Kämpfe dazu, dass wir das Rad immer neu erfinden...

Werbung im römischen Reich
Beweisen lässt sich die Existenz von Kommunikationsguerilla und Adbusting ab 79 n. Chr. In diesem Jahr wurde die römische Stadt Pompeji durch einen Vulkanausbruch verschüttet. In den römischen Städten gab es bereits öffentliche Werbung (1). Von der Straße sichtbare, fensterlose Brandwände wurden weiß gekalkt und mit Werbeslogans versehen. Ein klassischer römischer Werbeslogan könnte wir folgt lauten: „Kauft bei Bäcker Meyer. Er macht gutes Brot.“

Antiker Wahlquark
Als Pompeji seinen letzten Tag erlebte, war gerade Wahlkampf. Die Werbewände waren geweißt und dann mit Wahlaufrufen versehen worden. Römische Wahlwerbung folgte in etwa diesem Muster: „Wählt Kandidat Meyer. Er macht gutes Brot. Die Bäcker*innen-Innung.“ In Pompeji finden sich nun aber auch zwei Handvoll Schriftzüge, die einem anderen Muster folgen: „Wählt Kandidat Meyer. Selbst die entlaufenden Sklaven unterstützen ihn.“ Nun kann man die alten Römer*innen nicht mehr fragen, was es mit diesem Slogan auf sich hatte. Der Verdacht liegt aber nahe, dass es sich um eine Art Anti-Wahlaufruf handelt, mit dem versucht wird, den betreffenden Kandidaten mit einer gesellschaftlich randständigen und ausgeschlossenen Personengruppe in Verbindung zu bringen (2).

Ab die Post mit dem Buchdruck
Einen gewaltigen Schub dürften Adbusting und Kommunikationsguerilla um 1500 erhalten haben. Mit der Etablierung des modernen Buchdrucks wurde Kommunizieren per Aushang für die wichtigen Menschen leichter zugänglich und deutlich erschwinglicher. Doch das gilt umgekehrt auch für das Quatsch damit machen. Dass die Quellenlage nicht besonders toll ist, dürfte eher mit dem Historisierungsproblem zu tun haben. Denn Geschichtswissenschaft ist die Geschichte der herrschenden Sieger*innen. Wer hinschaut dürfte jedoch in jeder Epoche etwas finden. Um das zu unterstreichen, seien hier Beispiele aus dem Widerstand gegen den historischen Faschismus aufgeführt.  

Vom Blitzkrieg zur Zwangsarbeit
Eines der wenig beachteten, deutschen Verbrechen im zweiten Welteroberungsversuch ist die Zwangsarbeit. Weil das mit dem Blitzkrieg und Welt erobern für die Deutschen überraschenderweise auch im zweiten Anlauf nicht geklappt hatte, war niemand auf einen langen Krieg, in dem sich die Angegriffenen wehren, vorbereitet. Da die Männer entweder tot oder in der Wehrmacht waren, fehlten zunehmend Arbeitskräfte in der Rüstungsindustrie.

„Freiwillige“ Zwangsrekrutierungen
Aus ideologischen Gründen griffen die Deutschen viel weniger auf weibliche, deutsche Arbeitskräfte zurück. Stattdessen versuchten sie, Arbeitskräfte im besetzten Europa zu rekrutieren. Zunächst wurde dies mit Propaganda begleitet, die Freiwilligkeit suggerierte, doch griffen die Deutschen zusehends zu Zwangsmaßnahmen. An vielen Orten riegelte das deutsche Militär einfach Dörfer ab, deportierte arbeitsfähige Menschen und tötete den Rest.

Rassismus tötet
Auch in Deutschland wurde es nicht besser. Die Menschen arbeiteten zwangsweise unter mörderischen Bedingungen und wurden einem tödlichen, rassistischen Alltagsregime unterworfen. Wer mit Deutschen auf der Straße sprach, musste mit dem Tod rechnen. In den besetzten Ländern verstanden das die Leute sehr schnell. Ein weiter Teil der Partisan*innen, die landauf, landab gegen die deutsche Besatzung kämpften, rekrutierte sich aus untergetauchten, freiwillig gemachten Arbeitskräften. Dementsprechend groß war der Protest und Widerstand gegen die als freiwillig verbrämten Zwangsrekrutierungen.

Widerstand in Polen
In der Gedenkstätte Zwangsarbeit in Berlin Schöneweide (3) sind mehrere Widerstandsaktionen gegen die Zwangsarbeit dokumentiert. Von dort stammt auch das hier abgebildete Faksimilie einer Gestapo-Akte. In dem dokumentierten Brief berichtet ein Gestapo-Offizier seinen Vorgesetzten, dass der polnische Widerstand regelmäßig die als „Informationsbüro“ getarnte Werbestelle angreife. In der Regel scheint dies mit Bombenattentaten und Beschuss aus Kleinwaffen geschehen zu sein. Der Brief dokumentiert jedoch auch ein Adbusting: „Die im Stadtgebiet unterhaltenden Werbestellen zur Anwerbung von polnischen Arbeitskräften für deutsche Firmen (nach außen hin "Informationsbüro" genannt) sind in letzter Zeit verschiedentlich das Ziel von Sabotageakten geworden. Die Anwerbebüros sind alle durch ein großes Transparent mit der Aufschrift: "Jedz z nami do Niemiec" versehen. Die Übersetzung lautet: "Fahrt mit uns nach Deutschland". In der Nacht von 25. zum 26.4.1942 wurde an der Werbestelle Neue Welt 68 dieses Schild durch Übermalen mit schwarzer Farbe in "Jedzcie sami do Niemiec" abgeändert. Nach dieser Abänderung lautet der Text auf deutsch: "Fahrt selbst nach Deutschland".

Widerstand in Niederlande
An anderes Beispiel, das ebenfalls in Schöneweide dokumentiert ist, spielt in den Niederlanden. In Dortrecht oder Sliederecht (oder in beiden Städten, sie liegen nebeneinander) hatte der Stadtkommandant der Wehrmacht Plakate aushängen lassen, die einen Termin mitteilen, an dem sich alle von der „freiwilligen“ Arbeitspflicht Betroffenen zu melden hätten. Der Widerstand überklebte die Plakate jedoch mit einem Störer, der mitteilte, dass der Termin um einen Monat verschoben sei. Bei einem kleinen Teil der arbeitspflichtigen Bevölkerung dürfte dadurch tatsächlich der Eindruck entstanden sein, dass sie sich nicht melden bräuchten. Viel wichtiger dürfte aber ein anderer Effekt sein. Alle Leute, die sich davor drücken wollen, in der faschistischen Aufrüstungsindustrie verheizt zu werden, aber leider bei einer Razzia angetroffen werden, können sich rausreden: „Was? Ich dachte, der Termin ist erst nächsten Monat!“

Nonchalante Kriegsverbrechen
Das scheint auch der Stadtkommandant zu begreifen. Laut dem dokumentierten Aktenschnipsel ordnet er deshalb eine Ausgangssperre an. Darüber hinaus verkündet er, dass alle Menschen, die beim Plakatieren angetroffen werden, auf der Stelle erschossen werden. Die Nonchalance, mit der ein deutscher Offizier Kriegsverbrechen anordnet, zeigt, wie selbstverständlich und tief die deutschen Militärs, die zehn Jahre nach dem Ende des Faschismus die Bundeswehr gründeten, in den Vernichtungskrieg verstrickt waren. 

Traditionsmarxist*innen als Kommunikationsguerilla
Auch der deutsche Traditionsmarxismus bediente sich wie selbstverständlich bereits vermeintlich poststrukturalistischer Zeichentheorie. Die die Machtübertragung begleitende Verhaftungswelle 1933-34 erwischte auch den Adlershofer Kommunisten Erich Steinfurt. Seine Genoss*innen erfuhren, dass er im Gestapo-Haft von deutschen Polizisten ermordet worden war. In der darauf folgenden Nacht widmeten sie in einer klandestinen Aktion mittels Übermalen die Straße, in der er gewohnt hatte, provisorisch in „Erich-Steinfurt-Straße“ um. Nachdem 1945 die Rote Armee Adlershof vom Faschismus befreite, sorgten sie für eine bis heute dauerhafte Widmung (4).    

Gefälschte Zeitungen in Belgien
Als der ganz heiße Scheiß werden immer gefälschte Tageszeitungen vermarktet. Das Konzept dahinter ist immer gleich. Man druckt eine Zeitung im offiziellen Erscheinungsbild. Die Zeitung verkündet jedoch nur gute Nachrichten und zeigt damit, dass eine andere Welt möglich wäre. Dieses Konzept verwendete bereits der belgische Widerstand (5).

Göbbels Lieblingskind
Eines von Minister Göbbels Lieblingskindern war die Zeitschrift „Signal“. Signal war eine Propaganda-Zeitschrift, die in den besetzten Ländern in den jeweiligen Landessprache erschien, und den dort Lebenden die Vorteile und Großartigkeit des deutschen Faschismus nahelegen sollte. Im Signal wurde das vom „Stern“ bekannte Prinzip der Illustrierten erfunden, das auf große aufregende Emotionen weckende Bilder setzt.

Falsche Zeitung in der Distribution
Der belgische Widerstand sabotierte mittels sozialistischer Gewerkschaftler*innen bei der belgischen Post die Verschickung der Signal und schleuste stattdessen eine gefälschte Ausgabe in die Distribution. Die Fälschung von damals folgt bereits dem Prinzip, dass so eine Zeitung nur gute Nachrichten enthält. So zeigt das Titelbild zwar wie gewöhnlich den kleinen Deutschen mit dem noch kleineren Bart. Doch dieser trägt bereits Handschellen.  

Die Lüge von heißen Scheiß
Entgegen der historischen Befunde neigen Kommunikationsguerill@s mit Avantgarde-Anspruch dazu, ihre Aktionsformen als den megaheißen Scheiß in der Öffentlichkeit zu vermarkten. Leider ist das auch ziemlich oft erfolgreich, denn der Narrativ vom heißen Scheiß hilft auch Journalist*innen, ihre Chefredakteur*innen zu überzeugen, im jeweiligen Medium Platz für die entsprechende Reportage freizuräumen. Das Problem dabei ist eben das Narrativ vom heißen Scheiß, das fast zwangsläufig zu völlig geschichtsvergessenen  und ahistorischen Betrachtungen führt. Die Krönung des Unsinns sind dann Stücke, die „Geschichte des Adbustings“ heißen, in der Regel 1970 mit der Billboard Liberation Front beginnen, danach die Adbusters von Kale Lasn abfeiern, dann lange nichts zeigen und erst mit der Gründung des jeweiligen mit den schreibenden Journalist*innen kollaborierenden Kollektivs an Fahrt aufnehmen (6).

Mangelnde Historisierung
Diese mangelnde Historisierung der eigenen Kämpfe ist sehr problematisch. Sie führt dazu, dass emanzipatorische Mosaike nicht aus ihren eigenen Kämpfen lernen können, weil sie schlicht vergessen werden. Die Gegenseite hingegen lernt dazu, denn wichtige Leute können sich Archive leisten. Im antagonistischen Bewegungsmosaik wird hingegen ständig das Rad neu erfunden, und im jeweils ersten Anlauf ist es meistens eckig.

Mehr Infos:

Was ist Adbusting?

http://maqui.blogsport.eu/2018/02/19/was-ist-adbusting/

 

Was ist Kommunikationsguerilla?

http://maqui.blogsport.eu/2016/06/16/was-ist-kommunikationsguerilla/

 

Fußnoten

(1) Anschauliche Fotos von Werbung aus Pompeji und Carnuntum findet man auf dem Blog von Richard "Hiltibold" Hirtenfelder aus Graz: https://hiltibold.blogspot.com/2018/06/werbung-im-antiken-rom.html

(2) Die Beispiele sind den bei Weeber, Karl-Wilhelm: Wahlkampf im alten Rom. Düsseldorf 2007, S.46ff. Im Internet einsehbar unter https://epdf.pub/wahlkampf-im-alten-rom.html dokumentierten Beispielen nachempfunden. Das Original lautet: M C V v(irum) b( onum) aed(ilem) ovf.  Colepsius rog(at) sicari o(vf. ?)* Bitte wählt M(arcus) C(errinius) V(atia) zum Aedil. Colepsius setzt sich für ihn ein. (Auch) die Meuchelmör­der bitten darum(?). Unsichere Lesung: hinter secario sind Buchstaben ausgefallen; sicarius: Mörder.,. alternativ: drapetae omnes Alle entlaufenen Sklaven (bitten darum, ... zu wählen). 

(3) Gedenkstätte Zwangsarbeit in Berlin Schöneweide. In der Ausstellung ist ein Bereich zu Widerstand gegen Zwangsarbeit. Dort werden die beiden Beispiele ausgestellt.

(4) Wörmann, Heinrich Wilhelm: Widerstand in Treptow und Köpenick. Gedenkstätte deutscher Widerstand (Hg.), Berlin 2008, S. 135. Im Internet einsehbar unter https://www.gdw-berlin.de/fileadmin/bilder/publikationen/Widerstand_in_Berlin/Widerstand%20in%20Koepenick_Treptow_2010.pdf

(5) Das Beispiel und das Bild stammen aus der Ausstellung "Antifaschistischer Widerstand in Europa 1922-1945" der Vereinigung der verfolgten des Nazi-Regimes/ Bund der Antifaschist*innen (VVN/BDA). Vermutlich ist beides auch im Ausstellungkatalog zu finden: Cardeon, Jean; Schneider, Ulrich: Antifaschistischer Widerstand in Europa 1922-1945. Köln 2015.

(6) Z.B. Spiegel-Online lässt die Geschichte des Adbusting in den 1970ern mit den Adbusters von Kale Lasn beginnen. Vgl. Krigiel, Dany: Der Axt-Faktor. Spiegel, 15.4.2010. Im Internet unter https://www.spiegel.de/geschichte/reklameterrorismus-a-948832.html
Ein besonders Beispiel findet man z.B. bei  Beaugrand, Andreas: Adbusting. Ein design-rhetorisches Strategiehandbuch. Bielefeld, 2016. Der Text ist im Internet einsehbar unter http://www.beaugrand-kulturkonzepte.de/index.php?cat=Texte%20zu%20Kunst%20und%20Kultur&page=Adbusting.%20Ein%20designrhetorisches%20Strategiehandbuch Dort heißt es "Adbusting gab es noch nicht", nur weil in einem Wörterbuch von 1974 das popkulturelle Poser-Wort nicht enthalten sei. Deshalb schließt der Prof. Dr. ohne weitere Recherche, es habe das Phänomen nicht gegeben. Beim Weiterlesen erfährt man, wie der Herr Prof. Dr. auf die Idee kommt: Das Wörterbuch ist ein (gefälschter) Quellenverweis beim Wikipedia zu Adbusting und die Fälschung empört ihn. Ob er es seinen Studies durchgehen lässt, wenn die für ne Hausarbeit auch nur Wikipedia angucken?

(7) Das Bild der römischen Werbung ist Wikipedia entnommen:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/20/Pompei_%2828789346550%29.jpg

Bilder: 
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