Bericht zum ersten #borni Prozess

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Squat the city, fight the law!

Wir berichten hier von einem juristischen Verfahren gegen jene, die sich dafür einsetzen, Räume zu schaffen, die nicht staatlicher Kontrolle unterliegen und in denen politische Veränderungen ausprobiert werden können. Räume, zu denen viele Menschen Zugang haben, da sie günstig und offen für alle sind. Wir berichten hier von einem juristischen Verfahren gegen jene, die sich mit ihren Taten direkt oder indirekt gegen Strukturen und Ereignisse richten, welche vom Staat mitverursacht und/oder mitverantwortet werden. Das Ergebnis liegt eigentlich auf der Hand, denn es ist kein neues: Polizeigewalt gibt es nicht, die Polizei lügt nie und Eigentum; Ja Eigentum muss geschützt werden.

 

Erklärung zum Vorwurf, Sachlage und geladenen Zeugen

 

Es ist Montag morgens, der Saal ist voller verschlafener Gesichter. Hier soll heute über Schuld oder Unschuld entschieden werden. Ein Mensch wird für die Besetzung der Bornsdorferstr. 37B, Berlin Neukölln, angeklagt. Bei der Anklage handelt es sich um gemeinschaftlich begangenen "Hausfriedensbruch" (§123 StGB). Bei der Räumung soll der Angeklagte Widerstand geleistet haben. Dieser Widerstand sei dann gleich so intensiv gewesen, dass sich Polizei und Justiz drei weitere Vorwürfe für den Angeklagten ausgesucht haben: "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte", "Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte" und "Körperverletzung"  (§§§113, 114, 223 StGB). Als wäre das nicht genug, war für die Person noch eine zweite Verhandlung im direkten Anschluss angesetzt. Bei dieser sollte es um eine Vermummung (§  17a VersG) während einer Nazi-Blockade anlässlich des sogenannten Frauen-Marsch der AfD Anfang 2018  gehen. Zur "Wahrheitsfindung" wurden zwei Polizisten geladen (POM Säubert, POM Trabalski), die – mensch mag es kaum glauben - die einzigen Zeugen gewesen seien bei der vorgeworfenen Straftat. Zusätzlich wurde der Mensch geladen, der aus unserer Sicht eine große Verantwortung bei der Räumung trägt: Ingo Malter, der Geschäftsführer von Stadt-und-Land. Dieser war am Tag der Besetzung selbst vor Ort und gab am frühen Abend den Räumungsbefehl.Die Verhandlung wurde drei Tage vor dem Termin in den Hochsicherheitsraum verlegt. Nichts ungewöhnliches, wenn Menschen offen zur Prozessbegleitung einladen und dem Gericht zu erkennen geben, das sie die Repression nicht einfach kommentarlos hinnehmen werden. Es soll einschüchtern und zeigen, wer in den Räumen des Gerichts das Sagen hat, indem Justiz-Beamt*innen die ganze Zeit das Publikum beobachten und mensch komplett durchsucht wird, damit ja nicht mehr als ein Blatt Papier und ein Bleistift pro Person in den Raum gelangt.

 

Politische Prozessführung

 

Der Prozess wurde politisch geführt. Das ist für uns ein Akt der Selbstermächtigung und Aneignung eines Raums, der hierarchisch organisiert und in dem mensch ersteinmal fremdbestimmt ist.  Was wir von dem Theater halten, erläuterte der Angeklagte in seiner Prozesserklärung: „Ich bin heute hierher gekommen, um diesen Prozess politisch zu führen. Das bedeutet für mich, diese Verhandlung in einen gesamtgesellschaftlichen Rahmen zu setzen und auch meinen Aktivismus politisch zu begründen. (…) Hier und heute und im allgemeinen versuchen Gerichte, meist erforlgreich, Verfahren zu entpolitisieren. Und die Handlungen der Menschen auf der Anklagebank loszulösen von ihren gesellschaftlichen Zusammenhängen. (…)“ Die Erklärung endete damit, dass der Angeklagte sagte, er stehe hier ja sowieso nur exemplarisch vor Gericht, dass also jede der 56 anderen Personen aus dem Haus an seiner Stelle stehen könnte und am Ende sowieso alle gemeint seien. Er erklärte, dass er keinen Grund sehe, weiter alleine auf der Anklagebank zu sitzen und verließ mit den Worten "Ihr könnt euch jetzt mit meinem Anwalt streiten" den Saal. Einige Minuten später (die Verzögerung ist auf die Einlasskontrollen zurückzuführen) kam der Angeklagte wieder in den Saal. Jedoch nicht vorne bei seinem Anwalt, sondern hinten im Publikumsbereich, wo er sich zu den solidarischen Menschen gesellte, welche den Prozess beobachteten. Dies sollte noch einmal unterstreichen, dass er sich nicht an dem Theater, welches vorne stattfindet, beteiligt und die Individualisierung, welche das Strafsystem mit sich bringt, nicht mitträgt. Deshalb schien es nur konsequent, dass der Angeklagte sich zu den Menschen setzte, die mit dem Prozess genauso gemeint waren. Der Richter reagierte mit großen Augen, sagte aber nichts und tat für den Rest der Verhandlung so, als wäre der Angeklagte nicht im Raum.

 

Zusammenfassung des weiteren Verlaufs

 

Lange 5 Stunden ging dann die Zeug*innenbefragung, in welcher es um kleinste Details ging, an die sich dann am Ende doch niemand mehr erinnern konnte. Die Cops waren bei der Beschreibung der "Gewalt", die sie angeblich erfahren haben, nicht zurückhaltend. Auch wie ihre Rache aussehen würde, wenn sie etwas abbekommen, beschreiben sie ohne Zögern: "Hätte er (der Angeklagte) mich geschlagen, dann wüsste ich das, weil dann hätte er mit Sicherheit eine Retourkutsche bekommen". Auf Nachfrage erklärte der Polizeibeamte, dass er "Gleiches mit Gleichem" beantworte. Dass es sich hier um ein offenes Bekenntnis zu Gewalt aus dem Motiv der Rache (und somit um zur Schau getragenen Amtsmissbrauch) handelt, wurde weder vom Richter noch vom Staatsanwalt auf irgendeine Weise kommentiert.Bei der Befragung gab es Ungereimtheiten zwischen den beiden Aussagen der Polizisten. Der erste, POM Säubert, ist in einem anderen Verfahren bereits durch eine Falschaaussage aufgefallen. Damals hatte er ebenfalls ein*e linke*n Aktivist*in belastet, was aber durch Videomaterial eindeutig widerlegt werden konnte. Die Anfrage, über diesen Fall genauer zu sprechen, lehnte der Richter mit der Begründung, dass vergangene Falschaussagen nicht die Glaubwürdigkeit beeinflussen würden, ab.Der Zeuge Malter traute sich nur unter Begleitung eines eigenen Anwalts auszusagen und schien sich gut darauf vorbereitet zu haben, da er darauf bedacht war, den Leerstand des Hauses für den er verantwortlich ist, gut zu begründen.

 

Das Urteil

 

Die Urteilsverkündung haben wir uns geschenkt. Wir wussten, dass es hier weder um die Höhe des Urteils, noch wirklich um die Person auf der Anklagebank geht. Das haben wir dem Gericht an diesem Tag gezeigt. Die logische Konsequenz war für uns, den Gerichtssaal vor der Urteilsverkündung zu verlassen. Das Urteil lautet: 180 Tagessätze (2.700€ + Gerichtskosten + Anwaltskosten). Damit ist der Richter sogar um 20 Tagessätze höher gegangen als von Seiten der Staatsanwaltschaft gefordert.Wir sind nicht überrascht. Wie in der Prozesserklärung vorgelesen, wurde an diesem Tag nicht über Recht und Unrecht entschieden, vielmehr wurde ein Mensch exemplarisch für all jene verurteilt, die sich an politischen Kämpfen für eine bessere Gesellschaft beteiligen.Uns ist klar, dass dieser Staat  es nicht zulässt, dass Menschen, die für eine Alternative zum Kapitalismus, für selbstverwaltete und basisdemokratische Formen des Zusammenlebens kämpfen, in ihrem Protest selbstbestimmt handeln. Laut Staatsanwalt gehören Kämpfe gleich abgeschafft:  "Der Kampf gegen Wohnungsverdrängung hat ja schon einen gewissen Wert, aber deine Aussage beinhaltete das Wort Kampf. Und Kampf ist mit der demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbaren."

 

Mini Auswertung zur Politische Prozessführung 

 

Es gab Momente in denen die Überlegungen die wir im vorhinein hatten gut umgesetzt werden konnten und wir das Gefühl von Selbstbestimmug in den Räumen des Gerichts hatten. Aber durch seine Dauer war der Prozess doch sehr anstrengend und frustrierend. Einige solidarische Menschen konnten der Länge wegen nicht bis zum Ende bleibe und die übrigen waren dadurch das Essen und Trinken nicht mit in den Hochsicherheitsraum gebracht werden kann sehr erschöpft. Allgemein gab es auch das Gefühl das die Dinge die wir sagten und taten den Raum nicht verlassen würden, also nicht weiter als im Saal wirkten, da keine Presse vor Ort war. Wir wollen deshalb nocheinmal überlegen wie eine solidarische Prozessbegleitung gestaltet werden kann und was es noch für Formen der politischen Prozessführung gibt. Wenn ihr dazu Gedanken habt teilt diese uns gerne mit. Wir wollen nach den nächsten Prozess nochmal einen Text mit unserer Auswertung und Analyse schreiben.

 

Danke an alle die da waren :)

 

Squat the city, fight the law!

 

Nächste #borni Prozesstermine: 06.12.19 und 20.01.20 (Details auf besetzen.org)

 

 

 

Prozesserklärung:

 

"Ich bin heute hierher gekommen, um diesen Prozess politisch zu führen. Das bedeutet für mich, diese Verhandlung in einen gesamtgesellschaftlichen Rahmen zu setzen und auch meinen Aktivismus politisch zu begründen. Dabei will ich nicht sagen, dass andere Prozesse unpolitisch sind - alle Prozesse sind politisch, da sie Ausdruck der herrschenden Ordnung sind, auf Grund welcher all jene, die nicht nach den vorgegebenen Regeln mitmachen, bestraft werden. Der Justizapparat dient dazu, Herrschaftsverhältnisse aufrecht zu erhalten, und nicht, Gerechtigkeit herzustellen. Konkret ist das die Herrschaft von Staat und Kapital, welche Unterdrückung, Kontrolle und Ausbeutung bedeutet.  Sowohl heute wie im Allgemeinen versuchen Gerichte, Verfahren zu entpolitisieren, meist erfolgreich. Das bedeutet, dass die Handlungen der Menschen auf der Anklagebank von ihren gesellschaftlichen Zusammenhängen losgelöst und individualisiert werden.

 

Als wäre die Ladendieb*in einfach nur eine Person, welche einer anderen etwas weg nimmt und nicht ein Mensch in einem System, in dem der Reichtum ungleich verteilt ist.

 

Als würden Menschen, die sich hier illegalisiert aufhalten, dies nur tun, um die Ausländerbehörde zu ärgern und nicht, weil sie vor unmenschlichen Situationen in ihren Herkunftsländern geflohen sind.

 

Als würden Menschen aus Geiz ihre Miete nicht zahlen, und nicht weil Profit aus dem Grundbedürfnis zu wohnen geschlagen wird, bis dieses unbezahlbar ist.

 

Mit dieser Prozesserklärung werde ich heute versuchen den Prozess in seinen gesellschaftlichen und politischen Rahmen zu stellen, um damit diese Entkontextualisierungen aufzubrechen. Das gehört für mich zum Kampf gegen die Repression, von der ich nun betroffen bin. Und diesen begreife ich als Teil der politischen Arbeit und nicht als etwas, das ausgehalten und abgehakt werden muss. Dabei will ich einerseits zeigen,  dass manche der mir angedrohten Strafen willkürlich und unbegründet sind. Doch darüber hinaus und grundlegender möchte ich auch den sogenannten Rechtsstaat und sein ausführendes Organ, die Polizei, an sich in Frage stellen.

 

Ich wende mich also explizit nicht an das Gericht, von dem ich mir heute sowieso nichts erhoffe. Diese Prozesserklärung wird also kein Versuch sein, mich zu rechtfertigen.

 

Stattdessen wende ich mich an alle solidarischen Menschen und die Öffentlichkeit, um eine Gegendarstellung zur entpolitisierenden Sicht der Justiz zu erzählen und um meinen Motivationen und Erfahrungen Raum zu geben.

 

Die Prozesserklärung richtet sich außeredm an die über hundert Menschen, die ebenfalls Anzeigen wegen Hausfriedensbruch haben und in den nächsten Monaten hier stehen werden.

 

Sie ist für die unzähligen Angeklagten, die in diesem Justizsystem  aufgrund ihrer Armut bestraft werden. Oder weil sie nicht mit der Bürokratie des deutschen Staates zurechtkommen.

 

Schließlich ist diese Erklärung auch für mich. Denn sie ist der einzige Moment der Selbstbestimmung in einem streng hierarchischen Verfahren, in dem Menschen sich anmaßen über mich und andere zu urteilen und uns zu bestrafen. 

 

Ich bin zum ersten Mal hier auf der Anklagebank. Es ist jedoch keine Überraschung für mich, dass ich jetzt hier bin.

 

Allen, die sich in ihren politischen Kämpfen für eine andere und bessere Gesellschaft einsetzen, ist bewusst, dass sie früher oder später hier landen können.Denn dieser Staat lässt es nicht zu, dass Menschen für eine Alternative zum Kapitalismus, für selbstverwaltete und basisdemokratische Formen des Zusammenlebens kämpfen - dass sie in ihrem Protest selbstbestimmt handeln.

 

Wegen was wir schließlich angeklagt werden und was die Vorwürfe gegen die einzelne Person sind, ist am Ende willkürlich, da es jede*n hätte treffen könne, weil eigentlich alle gemeint sind, die sich für eine andere Gesellschaft einsetzen.

 

Heute stehe ich zum Einen hier, weil ich gegen die Verdrängung und den Ausverkauf der Stadt gekämpft habe und zum Anderen weil ich gegen Nazis auf die Straße gegangen bin. Das nächste Mal stehe ich vielleicht wegen etwas anderem hier.

 

Es gibt viele Formen der Unterdrückung, gegen die wir kämpfen müssen und in den meisten steckt der Staat mit drin. Deshalb ist sicher: Wer die herrschende Ordnung in Frage stellt, den Staat hinterfragt, wird von seinem repressiven und autoritären Vorgehen betroffen sein. Das ist keine Überraschung.

 

Dass ich die Möglichkeit habe das alles zu tun:, politisch aktiv zu sein, mich hier hin zu stellen und offensiv das Geschehen in Frage zu stellen, ist keine Selbstverständlichkeit.

 

Es ist mir nur möglich, weil ich die Zeit, Energie, Unterstützung und das Geld habe, die es dafür braucht.

 

Das sind Umstände, die viele Menschen nicht haben, weil unsere Gesellschaft ungleich und ungerecht ist.

 

Ich habe diese, weil ich im Privilegien-Bingo gewonnen habe. Ich bin weiß, habe einen deutschen Pass, bin cis-männlich und werde durch die Gesellschaft nicht behindert, um ein paar der strukturellen Diskriminierungskategorien zu nennen. 

 

Weil ich diese  Möglichkeiten durch meine Privilegien habe und andere sie nicht haben, finde ich es wichtig zu versuchen, sie  gegen ebendieses System einzusetzen, welches diese Ungleichheiten und Diskriminierungen erzeugt.

 

Zu meiner politischen Prozessführung gehört auch dazu, dass ich nach der Prozesserklärung nichts mehr zur Sache sagen werde, weil ich weiß, dass das keine positiven Auswirkungen auf meinen Prozess haben oder die Situation "klären" wird.

 

Ich möchte mich nicht an diesem Prozess beteiligen die Illusion zu füttern, dass meine Aussage das gleiche Gewicht wie diejenigen der Polizei hat.

 

Diese wird hier gleich ihre konstruierten Vorwürfe vortragen, das Gericht wird dem Glauben schenken und ich werde, wenn vielleicht auch nicht für alles, verurteilt werden. Ich habe zu dem Prozess der sogenannten Wahrheitsfindung  nichts beizutragen, da diese hier eh nicht ernsthaft gesucht wird.

 

Ich möchte aber über meine politischen Überzeugungen und Beweggründe in Bezug auf Besetzungen sprechen. 

 

Ich möchte  mit einer Bescheibung der Situation in Berlin anfangen, wie sie diesen Herbst und schon seit einigen Jahre ist. Auf der einen Seite tausende Menschen, die auf der Straße leben, Hunderttausende, die sich die Miete nicht mehr leisten können, ganze Nachbar*innenschaftsstrukturen, die zerstört werden. Auf der anderen Seite Unternehmen, die Wohnraum leerstehen lassen und auf Kosten der Mieter*innen Profite erzielen. Der Senat und die kommunalen Wohnungsunternehmen wirken dem nicht entgegen, sondern verschärfen die Situation nur. Auch diese lassen Wohnraum Jahre lang leer stehen oder geben diesen aus der eigenen Hand an den Markt. Soziale Verantwortung will hier niemand übernehmen.

 

In der Folge werden die Armen ärmer und die Reichen reicher. Und wenn jetzt irgendwer denkt: diese Kritik trifft hier nicht, weil die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften um die es heute unter anderem geht, ja gar kein Profit machen dürfen, dann möchte ich erwidern: Auch die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften müssen nur 50 Prozent ihres Neubaus als preisgebundene Sozialwohnungen bauen, auch die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften schmeißen Menschen raus, die die Miete nicht zahlen können, ohne zu überlegen, welche systemischen Gründe das hat. Auch die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften lassen fast täglich Zwangsräumungen durchgeführen. Stadt und Land, das Unternehmen welches heute mitverantwortlich für die Anzeigen ist,  fällt hier durch besonders viele Räumungen auf.  Das Problem, dass sie mit jeder privaten oder kommunalen Wohnungsbaufirma, sowie mit jeder Pflegeeinrichtung, Schule und Krankenhaus teilen, ist, dass ihre Leistungen in eine Wirtschaftslogik eingebunden sind, einer Wirtschaftslogik, die quer steht zu den Bedürfnissen, um die es in diesen Einrichtungen geht. Diese Logik ist aber  systembedingt und kann nur antikapitalistisch gestoppt werden! 

 

In den letzten Jahren hat sich eine breite Bewegung gegen den Ausverkauf der Stadt gebildet. Menschen wehren sich gegen Verdrängung, schließen sich in Mieter*innen-Initiativen zusammen, initiieren ein Volksbegehren für die Enteignung der großen privaten Wohnungsunternehmen und vieles mehr.

 

Ein Teil dieser stadtpolitischen Bewegung ist die Kampagne #besetzen, mit der seit 2018 mehrere Häuser und Plätze besetzt wurden, zuletzt während der stadtpolitischen TuMalWat-Tage im September.

 

Die Aktionen sind Ausdruck des Protests gegen kapitalistische Eigentumsverhältnisse, in denen Wohnraum eine Ware ist, also gegen die Unternehmen und Spekulant*innen, die Eigentum kaufen, um Geld zu machen.

 

Die Besetzungen richten sich gegen Verdrängung, Immobilienspekulation, Luxussanierung und die Vernichtung preiswerten Wohnraums. Darüber hinaus sind sie der Versuch, Räume zu schaffen, die nicht staatlicher Kontrolle unterliegen und in denen politische Veränderungen ausprobiert werden können: kollektives Wohnen, basisdemokratische Entscheidungsfindung oder hierarchie- und diskriminierungsärmere Organisierung. Räume, zu denen viele Menschen Zugang haben, da sie günstig sind und offen für Alle.

 

Die Sache die hier heute verhandelt wird, reiht sich in diese Besetzungen ein, denn wir  reden  über die Besetzung in der Bornsdorfer Straße 37b in Neukölln. Einem Haus, das in kommunaler Hand ist und Jahre lang leer stand. Mit der Besetzung sollte das Haus ganz praktisch dem Profit-orientiertem Wohnungsmarkt entzogen werden. Es gab Ideen, Alternativen zu schaffen, zum Beispiel einen Kiezraum, in dem sich die Nachbar*innenschaft treffen und vernetzen kann oder eine selbstverwaltete Kita in den Erdgeschossräumen. Die Besetzer*innen wurden, trotz großer Solidarität von der Nachbar*innenschaft, brutal und mitten in den Verhandlungen um eine langfristigere Nutzung, geräumt. 

 

Die Antwort des Staates auf diese und weitere Besetzungen 2018 & 2019 sind über 130 Anzeigen. Die Kriminalisierung von Hausbesetzungen ist die Folge einer Politik, die den Schutz des Eigentums über die Bedürfnisse von Mieter*innen stellt. Das Recht auf Stadt bleibt hinter den Profitinteressen von Investor*innen zurück, die vom Staat geschützt werden.

 

Dessen Justiz ordnet das Geschehen nicht ein, sondern interpretiert die Aktion als inhaltslose Störung des “Friedens” eines leeren Hauses und verurteilt die Aktivist*innen. Deshalb schließe ich mich der bereits oft geäußerten Forderung zur Abschaffung der Berliner Linie und zur bedingungslosen Entkriminalisierung von Hausbesetzungen an. Wozu auch gehört, dass der Senat die Strafanzeigen von der Besetzung in der Bornsdorferstraße, für die er verantwortlich ist, zurücknimmt. Gleichzeitig sehe ich dies aber nur als einen ersten Schritt in einer Auseinandersetzung in der wir das ganze Strafsystem an sich in Frage stellen sollten.

 

Zur Antwort des Staates auf Hausbesetzungen gehört nicht nur die Kriminalisierung, sondern auch die physische und psychische Einschüchterung der Besetzer*innen durch die Polizei. Ich werde jetzt meine Erfahrungen aus der Bornsdorfer Straße 37b schildern. Um welches Haus es geht, ist aber letzten Endes egal, ob es nun ein weiteres aus der #besetzen-Kampagne ist, ein von Obdachlosen auserwählte Bleibe oder eine Zwangsräumung aufgrund von Mietschulden. Das Vorgehen der Polizei ist überall brutal und einschüchternd.

 

Als die Polizei in die Borni eindrang, war klar, dass sie sich mit ihrer Gewalt nicht zurückhälten wird.

 

Die Stimmung war angespannt und die Polizei provozierte, z.B. durch ständiges bewusstes Blenden der Gefangenen. Auch dass sie sich gewaltvoll gegen das Lüften des Raumes wehrte, war eine klare Provokation, da ihnen bewusst war, dass sich mehrere Menschen mit Asthma in dem staubigen Raum befanden.

 

Das Abführen, dass folgte, war für viele Aktivist*innen sehr schmerzhaft  und hatte einige Verletzungen zur Folge.

 

Auch kam es von Seiten der Beamt*innen immer wieder zu sexistischen und homophoben Anmerkungen in meiner Gegenwart. Im Kontakt mit der Polizei sind diese keine Seltenheit und auch ein Thema für sich, auf das ich heute aber nicht weiter eingehen werde.

 

Der gewaltvolle Charakter der Räumung wurde mir persönlich besonders klar, als die Beamten bei meiner Abführung am Kopf der Treppe drohten, meinen Arm zu brechen, wenn ich nicht von alleine runter gehen würde. Egal, was ihnen in dem Moment als Strafvorwurf vorschwebte, es kann nicht ihr Job sein, Menschen solch ernsthafte physische Verletzungen anzudrohen.

 

Wenige Wochen nach der Räumung wurde durch Stadt und Land begonnen das Haus zu renovieren. Auch wenn wohl kein selbstverwaltetes Projekt dort entstehen wird, sehe ich einen positiven Zusammenhang zwischen den Bauarbeiten und der Besetzung. Diese hat die Aufmerksamkeit auf das seit jahren leer stehende Haus gelenkt. Damit was passiert, musste wir uns strafbar machen und aus dem Haus tragen lassen. Ich muss sagen, da erscheint das Mittel einer Hausbesetzung doch nicht ganz verkehrt, wenn zumindest das Haus wieder in Stand gesetzt wird anstatt es vor sich hinwegetieren zu lassen. Oder etwas nicht Herr Richter?

 

Ich wäre jetzt fertig, wenn ich hier nur wegen Hausfriedensbruch vor Gericht stünde. Dem ist aber nicht so. Ich bin auch angeklagt aufgrund der § 113 “Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte”, 114 “Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte” und 223 “Körperverletzung”.

 

Die beiden ersten Vorwürfe wurden wohl nicht ganz zufällig kurz vor dem G20 Gipfel 2017 verschärft. Ziel dieser Verschärfung ist es, die Polizei quasi unantastbar zu machen. Wer bei einer Verhaftung ein Körperteil zu viel bewegt, wer physische und psychische Gewalt nicht stoisch entgegennimmt, wer sich ‚schwer‘ macht, also, wer nicht gerade in vorauseilendem Gehorsam bei der eigenen Verhaftung mithilft, der soll in den Knast kommen oder zumindest eine hohe Geldstrafe zahlen. Diese Paragraphen werden von der Polizei auch bevorzugt herangezogen, um vor Gericht ihre Übergriffe zu legitimieren. Dass dabei des Öfteren Fakten verdreht oder dreiste Lügen eingesetzt werden, scheint weder die Verantwortlichen bei der Polizei, noch die Staatsanwaltschaft zu interessieren.

 

Eine Widerstandsanzeige ist also etwas, mit dem Mensch rechnen muss, wenn es zu Kontakt mit der Polizei kommt. Dieses mal hat es mich und vier weitere aus der Besetzung in der Bornsdorfer Straße getroffen. Es hätten auch fünf andere Personen sein können, darum geht es eigentlich nicht. Es soll exemplarisch gezeigt werdern, was passiert, wenn Mensch sich gegen den Staat stellt. Bei mir und anderen dieses Mal sogar mit der extra Portion "Tätlicher Angriff" verbunden mit "Körperverletzung".

 

Doch ich werde das nicht einfach hinnehmen und so wie ich mich gegen die Struktur dieser Veranstaltung hier stelle, haben es schon einige andere im Kontext der letzten Besetzungen getan und es werden in den kommenden Monaten noch viele mehr werden. Die 56 aus der Besetzung der Bornsdorfer Straße stehen nicht alleine vor Gericht. Sie stehen dort gemeinsam mit den 12 Menschen aus der Berlichingen Straße, den 3 Menschen aus der Wrangelstraße, den 18 aus dem Weidenweg, der Person aus der G17, den 7 vom Google Campus, den 9 Menschen von DieselA, den 13 Menschen aus der Villa54. Diese Aufzählung könnte weitergehen von Menschen, die auf den Straßen vor den Besetzungen waren bis zu Menschen, die verfolgt und verurteilt werden im Kontext von Besetzungen in Freiburg, Köln, Potsdam und so weiter.

 

Der Versuch von staatlicher Seite, unseren Protest zu ersticken überrascht uns nicht. 

 

In vielen anderen Zimmern des Gerichts passiert ein ähnliches Schauspiel. 

 

Kämpfende, die klare Kante gegen rechts zeigen, sei es in passiver Blockade oder militanter Aktion, werden verurteilt. Kämpfende, die Unternehmen blockieren, die trotz menschengemachter Klimakrise immer weiter Treibhausgase in die Luft jagen, werden verurteilt. Kämpfende, die für Selbstverwaltung und Gleichberechtigung der Geschlechter in Solidarität mit Rojava auf die Straße gehen, werden verurteilt. 

 

All diese Kämpfe vereint, dass sie sich direkt oder indirekt gegen Strukturen und Ereignissen richten, bei denen der Staat eine Mitverantwortung trägt. Der Staat bzw. die Personen, die ihn repreäsentieren und an dem Erhalt und der Ausweitung seiner Macht beteiligt sind, wissen sehr gut, dass sie nur durch Spaltung und Isolation unserer Strukturen, uns beherrschen können.  Doch diese Logik haben wir durchschaut, und auch trotz all den Vorwürfen, Verschärfungen und Verurteilungen lassen wir uns nicht abhalten und werden weiter für eine andere Gesellschaft kämpfen.

 

Machen Sie sich nicht die Hoffnung, dass dieser und die kommenden Prozesse schnell vorbei sein werden. Wenn Sie uns schon verurteilen wollen, dann werden wir das nicht einfach hinnehmen sondern uns dagegen gemeinsam zur wehr setzen.

 

Und auch wenn schließlich das Urteil gefällt wird, spielt das keine Rolle, da der Schauplatz einer anarchistischen und revolutionären Auseinandersetzung mit Herrschaft,  nicht das Gericht ist.

 

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