(Abschluss-)Statement im Kontext der Outcalls 2020 in Saalfeld / Thüringen
Vor über vier Jahren, im September 2020, wurde ein Outcall über drei Männer aus der linken Szene in Saalfeld von betroffenen Frauen veröffentlicht. Es ging bei zwei Personen um sexualisierte Gewalt und bei einer Person darum, dass diese Machthierarchien aufgebaut und dann missbraucht hat. Seitdem arbeiten wir in der AG Stand With You zu diesem Thema. Wir sind ein Zusammenschluss aus Betroffenen und Unterstützerinnen, die versucht haben, in Saalfeld in eine aktive Auseinandersetzung mit linken Strukturen zu gehen und die die Entwicklungen in der Saalfelder Szene kritisch beobachtet haben. Wir möchten uns in diesem Statement voraussichtlich abschließend äußern.
Danke an alle Supporter:innen
Wir wollen uns bei den Menschen bedanken, die uns all die Zeit unterstützt haben, uns zugehört haben, die mit uns statt über uns gesprochen haben. Danke an alle linken Thüringer Strukturen außerhalb Saalfelds, von denen wir Solidaritätserklärungen erhalten haben. Danke an die Supporter*innen-Gruppe aus Jena und anderorts, die uns während der Aufarbeitungsversuche im Schlossberg1 unterstützt hat. Danke an alle Freund*innen und Genoss*innen, die sich in Saalfeld, Thüringen und überall sonst für feministische Forderungen stark machen und ihre Stimmen erheben. Wir haben selbst erlebt, wie viel Mut und Kraft dafür nötig ist. Ihr gebt uns Hoffnung.
Aufarbeitung in Saalfeld zu großen Teilen gescheitert
Als wir uns als Gruppe zusammengefunden haben, waren wir relativ schnell ansprechbar durch eine Emailadresse und unseren Instagram-Account und haben am Anfang aktiv den Kontakt zum Klubhaus, zum Schlossberg und zum Haskala gesucht.
- Im Haskala wurde bereits nach der Veröffentlichung des Outcalls schnell und konsequent reagiert und die Täter des Raumes verwiesen. Es gab sehr schnell ein solidarisches Statement, außerdem konnten wir den Raum für ein Supporter:innen-Treffen nutzen und das Haskala war als Struktur ansprechbar für die Betroffenen.
- Im Klubhaus gab es ein halbherziges Statement, darüber hinaus hat unseres Wissens nach keine Auseinandersetzung oder Veränderung der Strukturen stattgefunden. Es bleibt ein Ort für die Männer im Outcall, nicht für die Betroffenen, die einen großen Bogen ums Klubhaus machen.
- Im Schlossberg gab es im Herbst 2021 eine Reihe von Treffen, die kurzzeitig von einem feministischen Zusammenschluss aus Jena begleitet wurden. Die Treffen, in denen es nochmal um den Outcall ging, liefen katastrophal ab. Eine derartige Täter-Opfer-Umkehr hatten selbst wir bis dato noch nicht erlebt. Eine Reihe von Menschen sind seit dem Outcall aufgrund der Reaktionen im Schlossberg nicht mehr aktiv und haben sich zurückgezogen. Auch hier erreichte uns ein halbherziges Statement über Umwege, wurde aber nicht direkt vom Schlossberg an uns geschickt.
Aus unserer Sicht hat sich die Lage in Saalfeld beruhigt, jedoch kaum verbessert. Das Thema scheint für viele Menschen mittlerweile verjährt zu sein, das politische Leben geht ohne eine klare feministische Veränderung weiter. Das Klubhaus und der Schlossberg haben bis zum heutigen Zeitpunkt keine klare betroffenensolidarische Aufarbeitung der Vorfälle geleistet. Die Strukturen haben sich nicht konsequent solidarisch mit Betroffenen von sexualisierter und patriarchaler Gewalt gezeigt. Sie haben nicht grundsätzlich reflektiert und an uns herangetragen, wie es soweit kommen konnte, dass die betroffenen Frauen diese Erfahrungen in linken Umfeldern gemacht haben. Die Vorfälle wurden nicht zum Anlass genommen um Strategien zu entwickeln, wie FLINTA*s in den eigenen Reihen geschützt und patriarchale Strukturen aufgebrochen werden können. Ansätze, die eine Parteilichkeit für Betroffene sexualisierter und patriarchaler Gewalt enthalten, wurden nicht entwickelt.
Es war quasi unmöglich, eine politische Auseinandersetzung zu führen. Die meisten Auseinandersetzungen liefen über Einzelpersonen. Linke Strukturen funktionieren unseren Eindrucks nach in Saalfeld mehr als Freund:innenkreise und Cliquen, bei denen Gerüchte wie ein Lauffeuer umgehen, statt politischer Zusammenschlüsse, wo eine gemeinsame Aushandlung als Gruppe möglich ist. Es war und ist wahnsinnig zermürbend.
Solidarische Einzelpersonen sind in Saalfeld aus Gruppen oder Vereinen ausgetreten, da das täterschützende Verhalten oftmals untragbar war. Immer wieder wurden diese Personen, oder auch jene, die den Outcall verfasst haben, persönlich angefeindet (kleines Zitat als Beispiel: "Dann schreib doch einen Outcall, du dreckiger Straßenköter"). Gerade den Betroffenen wurde immer wieder das Gefühl gegeben, dass nicht das Verhalten der Männer das Problem sei, sondern sie als diejenigen, die die Probleme angesprochen haben. Auch die Zuständigkeit für Aufarbeitung wurde immer wieder den Betroffenen zugeschrieben. Dabei wurden Angebote von uns, in eine Aushandlung zu treten oder zu dem Thema zu arbeiten, nicht angenommen. Ex-Saalfelder*innen teilten Einzelnen von uns mit, dass Männercliquen in informellen Szenezusammenhängen schon lange ein Problem in Saalfeld sind und sie wenig Raum für Veränderung sehen.
Der Umgang der Betroffenen mit der Situation
Als Betroffene haben wir unsere eigenen unterschiedlichen Wege gefunden. Eine Person, die den Outcall mit uns verfasst hat, hat sich von Stand With You und unseren politischen Forderungen distanziert und ihre persönliche Aufarbeitung privat fortgeführt. Zwei Betroffene haben Gespräche mit den jeweiligen zwei damals übergriffigen Personen geführt und konnten eine Reflexion und tatsächliche Veränderung bei den Männern feststellen. Andere Betroffene haben sich komplett zurückgezogen und können der vermeintlichen Veränderung der damals übergriffigen Personen nicht trauen. Jeder unterschiedliche Umgang ist für uns valide. Einig sind wir uns als Stand With You darin, dass es in Saalfeld gescheitert ist, ein linkes Umfeld zu schaffen, in dem sich von sexualisierter und patriarchaler Gewalt betroffene Frauen wie wir wohl und sicher fühlen können.
Ambivalenzen und eigener Blick
Auch wir haben offene Fragen und Ambivalenzen in uns. Wie gehen wir mit den linken Strukturen in Provinzen um, die mit problematischen Männlichkeitsbildern und Mackertum durchzogen sind? Keine von uns ist in Saalfeld noch politisch aktiv, was unter anderem die Folge von fehlender Betroffenensolidarität und den ausbleibenden politischen Konsequenzen ist. Im Angesicht des extremen Rechtsrucks wollen auch wir die Provinz nicht aufgeben. Orte wie Saalfeld, in denen linke Haltungen und Ideale absolut keine Normalität sind, liegen uns enorm am Herzen. Dort, wo es eh schon an linken Strukturen mangelt, sind auch wir uns unsicher, wie mit gescheiterten Prozessen wie diesem umzugehen ist. Klar ist für uns weiterhin: Nicht wir spalten und schwächen linke Strukturen, indem wir sexualisierte und patriarchale Gewalt zum Thema machen. Im Gegenteil - alle, die zur Aufrechterhaltung dessen beitragen, schwächen und spalten linke Strukturen.
Dennoch haben auch wir uns mit der Form unserer Veröffentlichung auseinandergesetzt, haben uns reflektiert und weiterentwickelt und solidarische Kritik dankend angenommen. Rückblickend müssen wir feststellen, dass wir mit der Veröffentlichung des Outcalls über Instagram auch in Kauf genommen haben, dass Repressionsbehörden sich der Vorfälle annehmen. Dies war insbesondere dann zu erwarten, wenn konkrete Orte benannt und Personen näher beschrieben werden. Es war nie unsere Absicht, dass sich Behörden einschalten sollten. Dies war ein naiver Blick. In unserer damaligen Situation waren wir bedrängt und wütend, zugehört wurde uns nicht. Es war ein Fehler.
Vorfälle waren kein Einzelfall
In Saalfeld und generell innerhalb der Provinz mangelt es nicht nur an politischen Freiräumen, sondern auch an Wissen und ehrlicher Reflexion über die eigene politische Sozialisation in männerdominierten Strukturen sowie über Sexismus, Frauenfeindlichkeit, Männlichkeit, Mackertum und sexualisierte Gewalt allgemein. Es überwiegen weiterhin patriarchale Hierarchien, in denen FLINTA*s keinen Platz, mindestens keinen sicheren, haben. Durch diese Umstände ist weiterhin übergriffiges Verhalten auch innerhalb der linken Szene möglich - in Saalfeld und anderswo.
Unsere Einschätzung ist, dass wenn sexualisierte Gewalt zukünftig noch einmal in der Saalfelder linken Szene zum Thema wird, weil sich Betroffene über Täter aus den Strukturen äußern, das Gleiche zu erwarten ist, was wir erlebt haben: Solidarisierungswellen mit den Tätern und krasse Wut gegenüber den Betroffenen, weil sie das Schweigen brechen.
Wie weiter?
Wir fordern weiterhin einen feministischen Antifaschismus. Wir fordern ein Aneignen von Wissen und Verhalten, welches (den zukünftigen) Frauen und Queers Sicherheit und ein stabiles politisches Umfeld verschafft, in dem sie gegen Rechts und für eine solidarische Welt kämpfen können.
Wir sind nicht (mehr) in Saalfeld politisch aktiv. Wir werden unseren Instagram-Account löschen, aber unsere Email standwithyou[at]riseup[dot]net beibehalten. Wir sind zukünftig ansprechbar für Betroffene sexualisierter oder patriarchaler Gewalt aus der linken Szene in Saalfeld und wir sind ansprechbar für linke Strukturen in Saalfeld, die sich entweder neu gründen oder sich verändern und dabei aktiv FLINTA*-freundliche Strukturen schaffen wollen.
United we stand <3
AG Stand With You
(November 2024)