Trauer auf die Straße Tragen - In Gedenken an die tausenden toten im Mittelmeer
Gestern, am Mittwoch, den 22.04.2015 fand in Würzburg von 18:00 Uhr – 19:00 Uhr am Kürschnerhof (Ecke Oberer Markt) eine Mahnwache mit über 200 Teilnehmenden statt. Organisiert wurde die Mahnwache von der Gruppe „Mehr als 16a – Asylpolitische Aktion und Diskussion“. Es wurde eine ca 5 Minuten lange Rede gehalten. Danach schrieben die Anwesenden ihre Gedanken und Gefühle auf Pappkartons, um diese in der Stadt zu verteilen.
Die Mahnwache fand unter dem Titel „Trauer auf die Straße tragen“ statt und sollte allen Trauernden und Wütenden einen Raum geben, um den tausenden Menschen zu gedenken, die an den EU-Außengrenzen ihr Leben lassen.
Trauer darüber, dass seit Beginn des Jahres 2015 über 1600 Menschen im Mittelmeer ertranken. Allein in der Nacht vom letzten Sonntag (19.4) starben über 700 Menschen beim Versuch die Festung Europa zu erreichen.
Wut, weil die Europäische Union seit Jahren tatenlos zusieht, wie immer mehr Menschen vor den Toren Europas sterben. Es gibt Mittel und die Möglichkeiten, in Seenot geratene Geflüchtete im Mittelmeer zu retten. Aber die EU-Politik lässt sie ertrinken. Das Rettungsprogramm Mare Nostrum, das Italien, nach dem vor der Küste von Lampedusa an einem einzigen Tag 368 Geflüchtete ertranken, begonnen hatte, ist Anfang diesen Jahres beendet worden. Die EU hat sich bewusst gegen das Retten von in Seenot geratenen Geflüchteten im Mittelmeer entschieden.
Die Rettung passt nicht zu der Logik, die hinter der Festung Europa steht. Der Tod von Menschen an den Europäischen Außengrenzen wird hingenommen, denn er soll abschreckend auf andere Fliehende wirken und sie von der Flucht abhalten. Die toten Geflüchteten sind ein Teil der Festung Europa.
Solange die Festung Europa Bestand hat, solange werden Menschen an ihren Mauern sterben. Denn die Abschottung wird, trotz noch so hoher repressiver Maßnahmen, nie Migration verhindern. Schon 1993 hat Yann Moulier Boutang in einem Interview gesagt, dass es einen sehr ernst zu nehmenden 'subjektiven Faktor' gibt, der das Gehen oder Bleiben von Migrant_innen beeinflusst und der nicht unter staatliche Regulierungskontrolle gebracht werden kann. Er bezeichnet diese Bewegung als 'Autonomie der Migration'.
Um das Sterben an der EU-Außengrenze zu beenden, muss Europa die Abschottungspolitik , die auf immer mehr Überwachung und noch mehr Stacheldraht setzt, beenden. Denn diese Politik ist tödlich. Es müssen Wege geschaffen werden, um sicher – und nicht unter Lebensgefahr - nach Europa einreisen zu können. Denn es ist faktisch unmöglich,auf einem sicheren und legalen Weg nach Europa einzureisen, um einen Antrag auf Asyl zu stellen. Für die Einreise braucht mensch ein Visum. Visa für Geflüchtete gibt es aber nicht.
Bereits im Vorfeld der Mahnwache wurden ab 16:00 Uhr, im Rahmen eines Flashmobs, Körperumrisse mit Straßenmalkreide in der Innenstadt auf den Boden gemalt. Mit dieser Aktion wird auf das Massensterben im Mittelmeer aufmerksam gemacht.
Hier die gehaltene Rede im Wortlaut:
Trauer auf die Straßen tragen
Am Sonntag starben 700 Menschen auf dem Mittelmeer. 700 Menschen, von denen wir niemand persönlich kannten, zu denen wir keinen persönlichen Bezug haben.
Doch es waren Menschen! Menschen mit einer Familie, vielleicht mit Kindern? Geliebte und Freunde und Freundinnen. Menschen, die eine Lücke im Leben derer zurücklassen, die sie kannten. Eine Lücke die auch mit der Zeit nie ganz verheilen wird. Auch wir spüren ein Kloß im Hals und trauern. Und während wir trauern sterben jeden Tag weiter Menschen im Mittelmeer. Über 1600 Menschen in knapp 4 Monaten.
Mir fällt es schwer das Ausmaß des Massensterbens, das auf dem Mittelmeer passiert, zu begreifen. Und dann denke ich an Geflüchtete die ich selber kenne, und der Kloß wird größer. Das Leid, das in einem Moment so weit weg wirkte, holt mich in der Gegenwart ein, bringt mein Leben für einen kurzen Augenblick aus dem Tritt und lässt mich innehalten. Das Leid, das geschieht, weil die Menschen in Europa Angst davor haben ihren Wohlstand zu verlieren. Einen Wohlstand der nur durch Ausbeutung anderer existiert. Doch wie lange kann noch Weggeschaut werden? Wie viele Menschen müssen sterben, bis auch die Letzten begreifen, dass man durch Wegschauen die eigene Menschlichkeit verliert?
Und dann werde ich wütend, wütend wenn ich daran denke, dass es seit Jahren Migration über das Mittelmeer gibt, seit Jahren Menschen dabei sterben und seit Jahren nichts passiert. Mare Nostrum war ein Anfang, über 160 000 Menschen wurden gerettet. Doch auch letztes Jahr wurde der Tod von über 3000 Menschen dokumentiert. 3000 tote Menschen. Die logische Konsequenz: Mare Nostrum ausbauen, weitere Möglichkeiten suchen, um die Menschen zu retten, um dem Sterben auf dem Mittelmeer vorzubeugen. Doch was passiert? Mare Nostrum wird abgesetzt, weil Italien keine Unterstützung von den EU Staaten bekommt. Abgesetzt. Das ist Unfassbar. Die EU zeigt kein Interesse daran in Seenot geratene Menschen zu retten. Denn die Toten gehören zur Festung Europa. Sie sind gewollt, als Teil einer Politik, die auf Abschreckung und Abschottung setzt, anstatt auf Mitgefühl.
Laut Taz kostet ein Jahr Rettungsaktion 3 Cent pro EU Bürger bzw. Bürgerin. Laut SZ entspricht ein Jahr Rettungsaktion den Kosten, die demnächst für den G7 Gipfel der Staats-und Regierungschefs in Elmau aufgewendet werden. Ein Menschenleben sollte nicht in Geldwert umgerechnet werden. Doch diese Zahlen zeigen, dass die Ressourcen vorhanden sind und dass somit die angeblich fehlenden Ressourcen, die De Maiziere als Argument für die Abschaffung von Mare Nostrum nennt, eine Lüge sind.
Wann wache ich aus diesem Albtraum auf? Einem Albtraum in dem Politiker und Politikerinnen ungestraft, mit dem Nichthelfen und Nichthandeln davonkommen und damit den Tod so vieler Menschen verantworten.
Wann beginnt die EU endlich zu handeln? Ab wie vielen Toten müssen die Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen die Konsequenzen für ihr Nichthandeln tragen?
Ich bin traurig, ich bin wütend, denn bereits ein Toter ist einer zu viel! Das Sterben auf dem Mittelmeer darf keine Normalität bleiben!