Sie wollen uns begraben, aber sie vergessen, dass wir Samen sind - Gedenkrede für die Internationalistin Sara

Vor 2 Jahren hatte sich die Internationlist*in Almuth Sarah Handelmann dem kurdischen Freiheitskampf angeschlossen. Sie war überzeugt davon, den Kampf für eine bessere Welt mit allen Mitteln zu führen und wurde als Sara Dorsin Teil der YJA Star.

Am 7. April 2019 wurde sie bei einem türkischen Luftangriff auf die Meyda Verteidigungsgebiete getötet.

Am 13.10.2019 wurde ihr in mit einer rührend schönen und kämpferischen Gedenkfeier erinnert. Im folgenden ein Redebeitrag in deutsch und englischer Sprache von Genoss*innen von Sarah.

 

Ein Nachruf zum Aufruf

 

Wir waren mit Sarah zusammen organisiert, kurz bevor sie nach Kurdistan gefahren ist. Wir haben uns organisiert als Internationalist*innen und was uns einte, war die Perspektive, dass wir das globale kapitalistische System auch nur global bekämpfen können. Uns einte auch die Hoffnung, die der Aufbau einer gesellschaftlichen Alternative, wie es in Rojava passiert, mit sich bringt. Denn das gibt Hoffnung für gesellschaftliche Alternativen insgesamt.

 

Es war keine lange Zeit, die wir zusammen mit Sarah verbrachten. Einige trafen sie öfter auch im Alltag und die meisten sahen sie nur bei unseren Treffen. Doch wir denken, es erinnern sich wahrscheinlich alle an ihre stille und gleichzeitig auch zugewandte Art. Sie war eine Genossin, die nicht  viel geredet hat und gleichzeitig war sie im Gespräch aber immer sehr aufgeschlossen.

 

Mit Sarah hatten wir in dieser internationalistischen Jugendgruppe erste Diskussionen zum Thema "autonome feministische Organisierung". Wir begannen uns als Frauen, Lesben und nicht-binäre Personen autonom zu organisieren und  kamen zusammen ohne die männlichen Genossen. Wir entwickelten ein Bewusstsein dafür, dass eine starke autonome feministische Organisierung eigentlich die Basis dafür ist, dass es läuft.

 

Eine Freundin erinnerte sich zum Beispiel daran, dass es Sarah wichtig war, bei der Arbeit an den Film "Xwebun" auf jeden Fall immer zu versuchen es selbst hinzukriegen ohne Hilfe von Männern. Auch wenn das hieß Stunden länger an etwas zu sitzen, um es erstmal zu lernen.

 

Eine von uns erinnert sich auch daran, wie Sarah vom langen Marsch nach Straßburg, gegen die Inhaftierung von Abdullah Öcalan, wiederkam. Und sie erzähle davon, dass es zu Angriffen von türkischen Faschisten kam und wie es der Situation zu Gute kam, dass die Frauen beim langen Marsch ein autonomes Frauenplenum einberiefen.

 

Diese ersten Schritten zur autonomen feministischen Organisierung waren auch erste Schritte für die Gründung einer feministischen Kampagne. Diese bezieht sich positiv auf die Frauenrevolution in Kurdistan und Teilen Syriens. Sarah brachte sich auch im internationalistischen feministischen Bündnis in Berlin ein. Dieses Bündnis füllt seit ein paar Jahren die Straßen mit widerständigen Frauen*, unter Anderem am 8. März und am 25. November, dem Tag gegen Gewalt an Frauen* und Mädchen.

 

Letztendlich ging Sarah dann ja auch in eine Fraueneinheit und auch der Film "Xwebun" an dem Sarah mitwirkte, handelt von der kurdischen Frauenbewegung in Bakur. Also die autonome Organisierung und Xwebûn, also "Selbstsein" ist etwas, das wir mit Sarah in Verbindung bringen.

 

Es stand ja auch schon in der Einladung, dass es Sarah ein Anliegen war Brücken zu bauen und auch wir erinnern uns an solche Situationen. Eine dieser Situationen ist uns in Erinnerung geblieben. Da hat Sarah eine Veranstaltungsreihe organisiert, die Themen der kurdischen Bewegung in linke Räume gebracht hat und somit auch Zugänge zu der Bewegung geschaffen hat. Es waren Themen wie Demokratischer Konförderalismus, also dem Gesellschaftsmodell, das in Rojava aufgebaut wird oder Jineoloji, der alternativen Wissenschaft aus Perspektive von Frauen, die eine Basis der Frauenrevolution ist.

 

Wir sind froh, dass wir Sarah kennenlernen konnten und sie nun so in Erinnerung behalten. Und gleichzeitig sind wir natürlich traurig und wütend, dass sie durch diesen faschistischen Staat ermordet wurde. Und es stellt sich die Frage: Was ist unsere Antwort auf ihren Tod?

 

"Sie wollen uns begraben, aber sie vergessen, dass wir Samen sind.“

 

Das sind die Worte aus Widerständen in Mexiko, wo sich Menschen gegen massenhafte Ermordung von Frauen, gewaltsames Verschwindenlassen, Zerstörung natürlicher Ressourcen und neokoloniale Ausbeutung wehren.

 

Auch in diesen Kämpfen wird immer wieder Menschen gedacht, die ihr Leben für die Befreiung von Unterdrückung gelassen haben. Die Hinterbliebenen haben Wege gefunden, mit dem Verlust umzugehen. Ihr Weg ist es, aus dem Verlust neues Erwachsen zu lassen.

 

Auch wir möchten, dass Sarahs Träume und Ideale wie Samen sind, die durch unsere Trauer, Wut und Erinnerungen an sie, zu neuem Leben erweckt werden können.

 

Somit möchten wir in dieser Rede an Sarah erinnern und auch an das Erinnern selbst. Es liegt an uns, ob der 7. April, der Tag an dem Sarah uns genommen wurde, ein Ende markiert. Das Ende der Freund*innenschaft zu ihr, das Ende davon, wofür sie im Kleinen gekämpft hat um das große Ganze zu verändern. Dieser Tag im April kann der Beginn davon sein, sich in Momenten der Ratlosigkeit an ihren Mut und Willen zu erinnern. Und somit einen Moment der Ohnmacht, in einen der Hoffnung zu münzen. Es kann auch der Anfang davon sein, dass wir an die Brücken, die sie bereits gebaut hat anschließen und viele weitere schaffen. Auch dass wir mit diesen Brücken Verbindungen zwischen verschiedenen feministischen Kämpfen schaffen. Denn das war Sarah ein besonderes Anliegen. 

 

Dabei kann uns ihre zugewandte Art, die Menschen zusammenbrachte, ein Beispiel sein. Denn Menschen zusammenzubringen ist wohl der wichtigste Mosaikstein einer jeden Bewegung.  Der Tag heute findet daher auch in einem größeren Rahmen statt, in dem sich Menschen nach langer Zeit wieder oder auch zum ersten Mal begegnen können, sich Trost schenken, vielleicht werden sich manche morgen wieder sehen um an Sarahs Kämpfe gemeinsam anzuschließen.

 

Der 7. April war für manche von uns wie ein Schlag, der aber nicht nur weh getan hat, sondern uns auch daran erinnert hat, dass der Krieg, aber auch der Widerstand in Kurdistan weiter anhalten. Selbst wenn die Medien bis zuletzt nicht in Scharen ihre Kameras auf das Unrecht dort lenkten, hat beides nicht aufgehört. Auch vor der gegenwärtigen militärischen Offensive haben jeden Tag  Menschen ihr Leben im bewaffneten Kampf gelassen. Andere traf es in ihrem Zuhause oder auf dem Weg zur Schule, wenn es wieder zu Angriffen auf Dörfer und Städte kam. Die Bedrohung ist gerade wieder aktueller denn je mit dem Einmarsch der türkischen Armee in Rojava, der einen Genozid zum Ziel hat.

 

Das geschieht nicht nur in Kurdistan, sondern auch in vielen, zu vielen Regionen der Welt. Uns wird erzählt, dass wir in der best möglichen Welt leben. In der es das best mögliche sei, dass Kriege geführt werden, damit ein paar Wenige ihre Macht und Kapital vermehren - oder um anderen ihre Weltanschauungen und Kultur aufzuzwingen. Sarah suchte und fand in Kurdistan eine Welt, in der die Selbstbestimmung aller Frauen* und der Schutz der Natur zentrale Ziele sind. Eine andere Welt scheint doch möglich. Und wäre Sarah jetzt hier, wäre sie mit uns sicherlich jeden Tag auf der Straße, um auch hier die Revolution zu verteidigen, die gerade enorm angegriffen wird. 

 

Lassen wir nicht zu, dass sie und die vielen anderen uns tatsächlich genommen werden. Durch unsere Erinnerung atmen und leben sie alle weiter.

 

Sehid namirin! - Märtyrer*innen sterben nicht

 

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English translation:

 

Memorial speech Sara

 

An obituary to the call

 

We were organized together with Sarah just before she went to Kurdistan. We organized ourselves as internationalists* and the perspective that we can only fight the global capitalist system globally united us . We were also united by the hope of the construction of a social alternative, as it happens in Rojava. Because that gives hope for social alternatives as a whole.

 

It was not a long time that we spent together with Sarah. Some of them met her more often in everyday life and most of them only saw her at our meetings. But we think they probably all remember her quiet but perceptive and attentive nature. She was a comrade who didn't talk much and at the same time she was always very open-minded.

 

In this internationalist youth group we had our first discussions with Sarah on the topic of "autonomous feminist organization". We began to organize ourselves as women, lesbians and non-binary persons autonomously with separate plenaries without the male comrades. We developed an awareness that a strong autonomous feminist organization is actually the basis for any organization.

 

A friend, for example, remembered that it was important for Sarah to always try to do it herself without the help of men when working on the film "Xwebun". Even if that meant working on something longer for hours to learn it first.

 

One of us also remembers Sarah coming back from the long march to Strasbourg against the imprisonment of Abdullah Öcalan. And she told of the attacks by Turkish fascists and how the situation benefited from the women organized an autonomous women's plenum during the long march.

 

These first steps towards autonomous feminist organization were also first steps towards the founding of a feminist campaign. This campaign refers positively to the women's revolution in Kurdistan and parts of Syria. Sarah also got involved in the internationalist feminist alliance in Berlin. This alliance has been filling the streets with resistive women* for a few years now, including on March 8 and November 25, the day against violence against women* and girls.

 

In the end, Sarah went into a women's unit and the film "Xwebun", in which Sarah took part, is about the Kurdish women's movement in Bakur. So the autonomous organization and Xwebûn, meaning „being yourself" is something we associate with Sarah.

 

 

 

It was already referred to in the todays‘ invitation that Sarah wanted to build bridges and we also remember such situations. We remembered one of these situations. Sarah organized a series of events that brought themes of the Kurdish movement into left-wing spaces and thus also created accesses to the movement. There were topics like Democratic Confederalism, the model of society that is built up in Rojava, or Jineoloji, the alternative science from the perspective of women, which is a basis of the women's revolution.

 

We are glad that we could get to know Sarah and remember her in this way. And at the same time, of course, we are sad and angry that she was murdered by this fascist state. And the question arises: What is our answer to her death?

 

"They want to bury us, but they forget that we are seeds."

 

These are the words of resistance in Mexico, where people resist mass murder of women, forced disappearances, destruction of natural resources and neo-colonial exploitation.

 

In these struggles, too, people who have given their lives to liberate themselves from oppression are often remembered. The bereaved have found ways to deal with the loss. Their approach is to let something new grow through their loss.

 

We also want Sarah's dreams and ideals to be like seeds that can germinate through our grief, anger and memories of them.

 

So in this speech we want to remember Sarah and also the remembrance itself. It is up to us whether April 7, the day Sarah was taken from us, marks an end. The end of the friendship with her, the end of what she fought for in the small to change the big picture. This day in April can be the beginning of remembering her courage and will in moments of helplessness. And thus a moment of powerlessness to coin into one of hope. It can also be the beginning of connecting to the bridges she has already built and creating many more. Also that with these bridges we create connections between different feminist struggles. Because that was Sarah's special concern. 

 

Her way of bringing people together can be an example to us. Because bringing people together is probably the most important piece in the mosaic of any movement.  The day today takes place therefore also in a larger framework, in which humans can meet after long time again or also for the first time, to give each other comfort, perhaps some will see themselves tomorrow again to join in Sarah's fights together.

 

The 7th of April was for some of us a blow, which should not only hurt, but which reminded us that the war, but also the resistance in Kurdistan did not stop. Even if the media didn't steer their cameras in droves to the injustice in Kurdistan, both did not stop. Even before the current military offensive, people left their lives in armed struggle every day. Others were hit in their homes or on their way to school when attacks on villages and towns resurfaced. The threat is more topical than ever with the invasion of Rojava by the Turkish army with the aim of genocide.

 

This is happening not only in Kurdistan, but also in many, too many regions of the world. We are told that we live in the best possible world. In which it is the best possible that wars are waged so that a few people increase their power and capital - or to impose their world views and culture on others. Sarah searched and found in Kurdistan a world in which the self-determination of all women* and the protection of nature are central goals. Another world seems possible after all. And if Sarah were here now, she would certainly be on the streets with us every day to defend the revolution here too, which is currently under enormous attack. 

 

Let's not let them and the many others actually be taken away from us. Through our memories they all breathe and live on. 

 

Shehid namirin! - Martry never die

 

 

 

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