Spontandemonstration in Gedenken an Todesopfer in Halle von der Polizei angegriffen

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Am Mittwochabend, 09.10.2019, führten mehr als 80 Personen eine Spontandemonstration im Leipziger Süden durch, um an die Todesopfer Jana L. und Kevin S. zu gedenken, die bei dem antisemitisch- und antifeministisch-motivierten Terroranschlag in Halle/Saale ermordet wurden.

Kritik an den Darstellungen der Leipziger Polizei

Die Polizei behauptet in ihrer Presseinformation vom 10.10.2019, dass sie die Demo im Bereich der Bernhard-Göring-Straße/Richard-Lehmann-Straße aufgefordert habe, anzuhalten, woraufhin Demo-Teilnehmer*innen weg gerannt seien und andere versucht hätten, Beamt*innen wegzustoßen. Angeblich sei dabei ein Polizist verletzt worden. Zudem soll auch Pyro-Technik und Böller verwendet worden sein. In den ersten Berichten wurde nicht von einer Demonstration gesprochen, sondern von "Randale" in Connewitz, die von Jugendlichen mit Böllern, die die Polizei angegriffen hätten, ausgegangen seien.
 
Dabei hätte die Polizei bereits beim Eintreffen und ersten Sichtkontakt zur Demonstration auf der Höhe Karl-Liebknecht-Straße/Fichtestraße den Anlass der Versammlung feststellen können. Teilnehmende führten ein Transparent mit sich, das sich gegen Antisemitismus aussprach: "Dass Auschwitz nie wieder sei!". Ebenso trugen Teilnehmer*innen eine Israel-Fahne mit sich. Einen Zusammenhang mit dem rechten Terroranschlag hätte die eintreffende Polizei einfach ziehen und das Begehren der Demo, an die Todesopfer antifeministischer und antisemitischer Gewalt zu gedenken, entsprechend begleiten können.
 
Stattdessen drängten mehrere Einsatzfahrzeuge die friedliche Demonstration in die Fichtestraße und anschließend in die Bernhard-Göring-Straße/Richard-Lehmann-Straße ab. Anstatt die Demonstrant*innen via Lautsprecher der Einsatzfahrzeuge zum Anhalten und Anmelden der Spontandemonstration aufzufordern, wurde ein Bedrohungsszenario geschaffen. Die Polizeifahrzeuge versuchten die Demonstration von allen Seiten einzukesseln und die Beamt*innen sprangen in voller Montur abrupt aus den Fahrzeugen und versuchten, die Demo-Teilnehmer*innen zu jagen. Fünf Personen wurden unmittelbar an der Kreuzung zu Boden geworfen und dabei Verletzungen der friedlichen Demonstrierenden in Kauf genommen. Ganz bewusst wurde auf eine friedliche Demonstration gesetzt, obwohl der rechte Terror in diesem Land, der auch von staatlichen Stellen wie die Polizei unterstützt und betrieben wird, jegliche militante Aktion und Verteidigung eigener Versammlungen legitimiert hätte.
 
In der bisherigen Berichterstattung wird behauptet, die Demo habe die Polizei mit Böllern und Pyrotechnik angegriffen. Dies entspricht nicht der Wahrheit. Weder gab es einen Angriff durch die Gedenkdemonstration noch wurden überhaupt Böller eingesetzt. Den einzigen Knall gab es in der Fichtestraße, als ein Polizeifahrzeug ein parkendes Auto von Anwohner*innen rammte. Pyro-Technik kam während der Demonstration nie zum Einsatz - weder gegen Menschen noch Gegenstände. Die Polizei behauptete gegensätzliches, die Medien wiederholt es ungeprüft. Zu guter Letzt verhinderte die Polizei gar eine Anmeldung der Versammlung und unterband das Recht auf Versammlungsfreiheit. So stand eine Person zur Verfügung, die die Demonstration anmelden wollte, jedoch nicht zur Einsatzleitung durchgelassen wurde.
 
Es ist nicht das erste Mal, dass die Leipziger Polizei über Spontandemonstrationen in der Stadt offensichtliche Falschaussagen verbreitet: Erinnert sei an die angebliche "Rohrbombe" bei einer Spontandemonstration in Connewitz im Jahr 2017 oder den Angriff der Leipziger Polizei mit Schlagstock 2011 gegen eine ebenfalls friedliche Demonstration.
 
Geradezu komisch mutet dann ein Interview an, das der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow, am Donnerstag morgen dem ZDF gab. So meinte er, "wir können uns jetzt nicht neben der Terrorbekämpfung gleichzeitig mit viel Personal auch um Rechtsextremisten kümmern". Jedoch scheint dennoch genügend Personal vorhanden zu sein, um sich mit mehreren Einsatzkräften eine friedliche und harmlose Demonstration, die sich gegen Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft positionierte, vorzunehmen, diese zu verhindern und mehrere Personen zeitweise gefangen zu nehmen.
 
Kritik an der Medienberichterstattung zum rechtsterroristischen Anschlag in Halle
Die Erzählungen, wonach die beiden Todesopfer in Halle zufällig ausgewählt worden seien und Stephan Balliet ein Einzeltäter sei, sind schlicht falsch.
 
Erstens: Jana L. und Kevin S. mögen vielleicht zufällig an den Orten, wo sie ermordet wurden, gewesen sein, aber der Täter ermordete sie nicht zufällig. Beide stehen für die Botschaft zu Beginn seines Video: Seinen Hass auf den Feminismus und Feministinnen sowie auf nicht-weiße und geflüchtete Menschen. Er bedient die rechte Erzählung vom 'Großen Austausch'. Nach ihm befördern Feministinnen diesen, in dem sie keine Kinder gebären, während eine 'Masseneinwanderung' nicht-weißer Menschen stattfindet. Das Ziel dahinter: Die weiße Mehrheitsbevölkerung zunichte zu machen. Hinter all dem stecke 'der Jude', so Balliet weiter. Erkennbar sind hierbei seine antifeministischen und rassistischen Einstellungen, wobei der Antisemitismus als Welterklärungsmuster dient. Jana L. starb folglich, da sie eine Frau war, die in den Augen Balliets den Feminismus repräsentierte. Kevin S. starb in einem Döner-Imbiss, welchen er gerade besuchte. Der Mörder suchte den Imbiss gezielt auf, um dort nicht-weiße Personen töten zu können.
 
Zweitens: Balliet agierte zwar einzeln, jedoch war er kein Einzeltäter, sondern er bewegte sich Online in rechten Netzwerken, die sein antisemitisches und antifeministisches Weltbild prägten. In diesen tauschte er sich mit Gleichgesinnten aus und fand auch Vorbilder für sein Vorgehen: Brandon Tarrant, Elliot Rodger, Anders Breivik oder Alek Minassian. Alle bewegten sich in gleichen Netzwerken, mordeten und hatten den Drang, die auf ihren Morden basierende Ideologie via Video bzw. Manifest zu verbreiten.
 
Wir fordern die Polizei auf, ihre Darstellung der Ereignisse wahrheitsgemäß darzulegen und zugleich die eröffneten Verfahren gegen die Demo-Teilnehmer*innen zurückzunehmen. Die Medien wiederum fordern wir auf, kritischer zu berichten. So müssen Informationen der Polizei hinterfragt und geprüft und nicht ungefiltert übernommen werden. Zudem gilt es dem Narrativ des Einzeltäters sowie der zufälligen Todesopfer zu begegnen, um die dahinterstehende Ideologie zu verstehen. Denn nur dadurch lässt sich wirksam gegen antisemitische und rechte Einstellungen vorgehen und Rechtsterrorismus verhindern.
 
Einige Antifaschist*innen

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