Bericht vom 18. Prozesstag - Mord an Mouhamed Lamine Dramé durch Dortmunder Polizei
Am 19.12.2023 startete der Prozess gegen 5 Polizist*innen, die bei dem tödlichen Einsatz, bei dem Mouhamed Lamine Dramé erschossen wurde, involviert waren. Der Schütze muss sich wegen Totschlags, 3 Beamt*innen wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt und der Einsatzleiter zu Anstiftung dieser, verantworten. (Aktenzeichen: 39 Ks 6/23)
Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed begleitet den Prozess kritisch und unterstützt die Familie Dramé.
Der heutige 18. Verhandlungstag war ein kurzer Schiebetermin (24.07.2024). Geladen war der Elektroingenieur Ralf I. als Sachverständiger des Landeskriminalamts (LKA), zur Auswertung der beiden eingesetzten Distanzelektroimpulsgeräte (DEIG, “Taser”).
Überraschenderweise aktiviert Richter Kelm zu diesem Anlass zum zweiten Mal im Prozess die Dokumentenkamera, sodass es allen Prozessbeteiligten und Zuschauenden möglich ist, die Fotos aus dem Gutachten zu sehen.
Der Sachverständige berichtet von der Auswertung der beiden Taser, erst durch die Herstellerfirma AXON, die die Protokolle der beiden Geräte auslas, dann durch das LKA.
Die knapp halbstündige Sitzung besteht zu großen Teilen daraus, dass Ralf I. technische Beschreibungen der Waffe aus dem polizeilichen Gutachten verliest. Dabei werden die entsprechenden Bilder aus der Akte von Richter Kelm auf dem Bildschirm gezeigt: die ineinander gewickelten Drähte aus dem Inneren des Tasers, die ca. 2 Zentimeter lange, metallene und mit Widerhaken versehene Pfeilspitze, die Nummerierungen und Messungen der Geräteteile. Genau wird erklärt, wie beim Abschießen die Drähte aus dem Inneren des Geräts hinausgeschossen werden und sich abwickeln. Wenn beide Pfeilelektroden einen Körper treffen, schließt sich der Stromkreis. Es konnte nachgewiesen werden, dass bei dem Taser Einsatz gegen Mouhamed einer der Taser über fünf Sekunden 109 elektronische Impulse abgegeben hat. Aktuell ist noch unklar, ob die andere Elektrode auch Mouhamed getroffen hat und der Stromkreis geschlossen wurde. Eine der Pfeilelektroden traf Mouhamed im Schritt. Auf zwei von vier Pfeilelektroden wurde sein Blut nachgewiesen. Die Pfeilelektroden können im Nachhinein nicht als Paar zugeordnet werden, wodurch nicht klar ist ob sie vom selben Taser stammen und somit ein Stromkreis geschlossen wurde.
Die Frage ob sich ein Stromkreis geschlossen hat oder nicht, ist insofern relevant, da die Polizei sowohl die zweiten DEIG-Schüsse als die Schüsse aus der MP damit rechtfertigen, dass Mouhamed nach dem ersten Tasereinsatz nicht stehen geblieben ist.
Einzelne Rückfragen kann der Sachverständige nicht beantworten, etwa, wann Fern- oder Nahkartuschen angewendet werden. In einem Taser sind immer beide eingesetzt und können, je nach Situation, ausgewählt werden. Die Frage der Nebenklage, ob im Einsatz gegen Mouhamed die falsche Kartusche eingesetzt wurde, bleibt ungeklärt.
In der Aussage unternimmt Ralf I., immer wieder die Perspektivübernahme eines DEIG-Schützen (also Polizisten), indem er formuliert: „Wenn ICH also schießen will,…“
Die gesamte Aussage ist sachlich, technisiert, und normalisiert die Waffe Taser. Dabei ist diese als “nicht-tödlich” geführte Waffe sehr umstritten und durchaus tödlich. Schwangere, Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder mit Drogen-Intoxikation sind Risikogruppen: Immer wieder sterben Menschen nach Tasereinsätzen an Herz- oder Kreislaufstillstand, Organversagen oder Erstickung an Erbrochenem (https://polizeischuesse.cilip.de/taser). Alle Getöteten befanden sich in einer psychischen Ausnahmesituation oder standen unter Drogeneinfluss. Aus den vergangenen 6 Jahren sind 10 Todesfälle bekannt – einer davon durch die Dortmunder Polizei am 19.10.2022 (https://www.ruhrnachrichten.de/dortmund/ein-toter-nach-polizeieinsatz-in-dortmund-beamte-setzten-taser-ein-w1802755-2000656285/).
Strafprozessrechtler Andreas Ruch schreibt hierzu:
“Bereits jetzt ist zu beobachten, dass Polizeibeamte gegenüber psychisch erkrankten Menschen häufiger unmittelbaren Zwang anwenden als dies gegenüber Personen ohne psychische Auffälligkeiten der Fall ist. Die angebliche Eignung des Tasers zur Lösung von Konflikten mit psychisch kranken Menschen verstärkt eine gewaltbetonte Einsatzbewältigung gegenüber dieser Personengruppe. Dabei droht aus dem Blick zu geraten, dass es sich um eine besonders vulnerable Gruppe handelt, auf deren Schutzbedürftigkeit die Polizei schon aus menschenrechtlichen Erwägungen besondere Rücksicht zu nehmen hat.” (Polizei und Taser, Andreas Ruch, 29. Mai 2024 Verfassungsblog, https://verfassungsblog.de/polizei-und-taser/, 25. Juli 2024).
Die Aussage des Sachverständigen wird immer wieder durch Einwürfe von Richter Kelm unterbrochen. Einmal zeigt sich Kelm irritiert, dass auf der Nebenklage drei Schwarze Menschen sitzen – und unterbricht sich dann selbst, als er sich wohl erinnert, dass seit Januar neben den beiden Brüdern Dramé auch ein Dolmetscher dort sitzt.
Nach dem kurzen Bericht endet der 18. Verhandlungstag. Weiter geht es am Mittwoch, den 7. August, am 9:30 vorm Dortmunder Landgericht. Für den nächsten, ebenfalls kurzen, Termin ist eine sachverständige Person für das RSG 8 (Pfefferspray) geladen. Wir freuen uns weiterhin über solidarische Unterstützung im Saal.
Alle kommenden Termine unter https://justice4mouhamed.org/prozessbegleitung/.
Spendenkampagne:
https://www.betterplace.org/de/projects/131472-prozessteilnahme-der-fami...
Dank der Hilfe aller Spender:innen ermöglichen wir seit Januar 2024 zwei Brüdern von Mouhamed, Sidy und Lassana Dramé, die Begleitung des Gerichtsprozesses in Dortmund. Einreise, Unterbringung, Verpflegung und die Prozessteilnahme der beiden Brüdern ist nur durch Solidarität möglich - dafür möchten wir uns ganz herzlich bedanken!
Wir konnten das Visum der Brüder verlängern - das hat einige Kosten verursacht und war nur Dank der Spenden möglich. Sidy und Lassana haben nun die Möglichkeit für die Dauer des gesamten Prozesses in Deutschland zu bleiben. Als Solidaritätskreis fühlen wir uns verantwortlich, ihren Aufenthalt zu ermöglichen. Dafür benötigen wir Geld um Miete, Lebensmittel und vieles mehr zu ermöglichen. Daher läuft unsere Spendenkampagne weiter und wir bitten alle diese zu teilen!
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