Plakataktivist*innen legen Berliner Polizei Selbstkritik in den Mund

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Zum Start der Woche hängen an den hochfrequentierten S-Bahnhöfen der Berliner Innenstadt großformatige Plakate, auf denen allem Anschein nach Polizist*innen die Polizei kritisieren. Verantwortlich für diesen eigenartigen Anblick ist die Gruppe “Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP)”. Diese ergänzte die aktuelle Imagekampagne der Berliner Polizei mit Sprechblasen. Damit legte die Gruppe den auf den Postern abgebildeten Polizist*innen Polizeikritik in den Mund. “Die Polizei hat ein gehöriges Rassismusproblem und dient der gewaltvollen Durchsetzung von Herrschaft. Eine solche Institution sollte nicht völlig unkritisch Werbung für sich machen dürfen”, erklärt Sam A. Hax, Sprecher*in der Gruppe “Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP)”: “Nachdem sich die Berliner Polizei wegen Aktionen wie unserer die letzten Jahre nicht mehr ernstzunehmend mit Außenwerbung an die Öffentlichkeit getraut hatte, möchten wir sie nun erinnern: Kritiklos kommt ihr auch diesmal nicht davon!”

Die politische Aktionsform, Werbeplakate umzubasteln und dabei ihre Botschaft zu verändern, nennt man “Adbusting”. Ein solches Adbusting der Gruppe “Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP)” können die rund 152.000 Leute bewundern, die täglich am S-Bahnhof Alexanderplatz ein- und aussteigen. Das großformatige Plakat zeigt eine am Schreibtisch sitzende Polizist*in, die gedankenverloren ins Leere starrt. In der von den Aktivist*innen angebrachten Sprechblase steht: “Ich bin diesen Rassist*innenladen leid.”

Institutionelles Rassismusproblem
“Die Polizei hat nicht nur ein Problem mit den alle paar Monate ins Blickfeld der Öffentlichkeit geratenden rassistischen Nazi-Chatgruppen”, sagt Sam A. Hax, Sprecher*in der Gruppe “Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP)”: “Die Polizei hat ein gewaltiges institutionelles Rassismusproblem. Trotz erheblicher Kritik setzt sie weiterhin täglich Racial Profiling ein, also Polizeikontrollen von Personen allein aufgrund ihres physischen Erscheinungsbildes.”

 

Erst im April verurteilte das Amtsgericht Mitte einen Berliner Polizisten wegen Diskriminierung. Der Polizist wollte während seiner rassistischen Kontrolle nicht einsehen, dass eine nicht weiße Person aus Bochum stammen kann.

Anfang des Jahres sorgte die Berliner Polizei für Schlagzeilen, als sie bei einem Besuch des Senats im Görlitzer Park mit einer Polizeikette ausgerechnet den Schwarzen Kultursenator Joe Chialo (CDU) stoppte.

Staatlich bezahlte Gewalttäter*innen
Ein weiteres Adbusting am Ostbahnhof zeigt eine Polizist*in mit der Sprechblase: “Eigentlich sind wir bloß staatlich bezahlte Gewalttäter*innen.”

Sam A. Hax dazu: “Die Aufgabe der Polizei ist die gewaltvolle Durchsetzung von Herrschaft. Wenn der Staat die Menschenrechte mit Füßen tritt, zum Beispiel bei rassistischen Abschiebungen, dann ist die Polizei das ausführende Organ.” Das sahen offensichtlich auch Passant*innen am Ostbahnhof so: “Als wir die Sprechblase fertig aufgeklebt hatten, jubelte uns eine Person vom Regionalbahnsteig gegenüber Beifall”, berichtet Sam A. Hax grinsend.

Polizei jagt Plakataktivist*innen
Sam A. Hax finde daher auch wenig überraschend, mit welchem Ermittlungseifer die Berliner Polizei in den letzten Jahren Plakataktivist*innen jagte. Hausdurchsuchungen, DNA-Analysen, Aussprachen über polizei- und militärkritische Adbustings im Terrorabwehrzentrum: Kein Mittel sei der Polizei zu viel im Kampf gegen Adbuster*innen gewesen: “Die Polizei ist eben nicht dafür da, Menschenrechte oder die Demokratie zu schützen. Obwohl es in Deutschland eigentlich Meinungsfreiheit gibt, verfolgte die Polizei mit ihren überzogenen Maßnahmen bewusst polizei- und militärkritische Haltungen.” Ende letztes Jahr entschied sogar das Bundesverfassungsgericht, dass die Hausdurchsuchungen der Berliner Polizei wegen eines Bundeswehr-Adbustings rechtswidrig waren.

Verfolgung Unschuldiger wegen polizeikritischer Adbustings
Als die Gruppe “Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP)” letztes Jahr zur Innenminister*innenkonferenz in mehr als 100 Werbevitrinen der S-Bahn Poster hängte, die die Polizei kritisieren, lösten sie eine Großfahndung aus. Dabei wurden zwei Menschen von der Bundespolizei verhaftet und über Stunden in der Wache am Hauptbahnhof eingesperrt. Laut Ermittlungsakte ließen die Beamt*innen der Bundespolizei die beiden Verdächtigten auch dann nicht frei, als sie am Telefon vom Landeskriminalamt informiert wurden, dass Adbusting-Aktionen mit von den Aktivist*innen selbst gedruckten Postern nicht strafbar sind. Außerdem fingen sie an, munter Videokameras auszuwerten. Das Verfahren läuft immer noch. “Die Polizei verfolgt Menschen für nicht strafbare Handlungen, nur weil sie die Polizei kritisieren. Auch dieses Beispiel zeigt deutlich, wie wenig sich die staatlich bezahlten Gewalttäter*innen um Gesetze und Grundrechte scheren”, sagt Sam A. Hax: “Am Ostbahnhof gibt es eine Wache der Bundespolizei. Unsere Kritik trifft hier also genau die richtigen!”

Erstes mal Polizeiwerbung seit fast vier Jahren
Die Berliner Polizei dürfte sich sehr ärgern über die Plakataktion der Gruppe “Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP)”. Denn die Imagekampagne zur EM ist das erste Mal seit nun fast vier Jahren, dass die Berliner Polizei ernsthaft versucht, im öffentlichen Raum Werbung zu machen. Bei ihrem letzten Versuch im September 2020 waren die Polizeiplakate bereits die Zielscheibe polizeikritischer Aktionen geworden. Benjamin Jendro, Sprecher*in der “Gewerkschaft der Polizei”, schrieb zur Aktion damals auf Twitter: “Das ist keine Meinungsäußerung, sondern perfide, menschenverachtend und armselig – Kann nicht sein, dass das stärkste Mittel des Rechtsstaates gegen solche Perversion das Kunsturheberrecht ist.”

Seitdem bespielte die Berliner Polizei nur noch gelegentlich Werbetafeln an einigen, wenigen U-Bahnhöfen, gut geschützt vor polizeikritischen Aktionen hinter den Gleisen der U-Bahn. Zur EM traute sich die Polizei jetzt erstmals wieder mit ihren Plakaten ans Tageslicht, doch gleich sind die Aktivist*innen zur Stelle: “Wir werden niemals müde werden, die Polizei zu kritisieren. Die Polizei schützt nicht die Demokratie, sondern konserviert die herrschenden Zustände. Sie gängelt tagtäglich Obdachlose. Mit Gewalt beendet sie Proteste von Klimaschützer*innen. Sie verfolgt Polizeikriter*innen. Erst vor wenigen Tagen lieferten deutsche Polizist*innen den*die Antifaschist*in Maja an das Orban-Regime aus – trotz Verbot des Bundesverfassungsgerichts. Die Polizei nützt nicht der Demokratie oder der Sicherheit, sondern dem Erhalt eines kaputten Systems.”

 

Weitere Infos:

Im Buch “Mega Unerhört: Adbustings mit Polizei und Militär” vom Berlin Busters’ Social Club sind jede Menge Adbusting-Aktionen gegen staatlich bezahlte Gewalttäter*innen dokumentiert: https://bbsc.blackblogs.org

Verhaftungen wegen Polizei-Adbustings zur Innenminister*innenkonferenz: https://deutschepozilei.wordpress.com/2024/02/19/gefalschte-plakat-lassen-polizei-keine-ruhe/

DNA-Analysen und Hausdurchsuchungen wegen Adbustings: https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/dna-proben-und-razzien-plakatierer-bekommen-die-volle-haerte-des-berliner-rechtsstaats-ab-li.330136

Auch im Terrorabwehrzentrum waren Adbustings schon Thema: https://netzpolitik.org/2020/mit-geheimdienst-polizei-und-terrorabwehrzentrum-gegen-ein-paar-veraenderte-plakate/

Bundesverfassungsgericht: Hausdurchsuchung wegen Adbusting war illegal: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/bvg23-121.html

 

 

 

 

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