Wider dem reaktionären Zeitgeist! – Eine kurze und leicht polemische Kritik an dem anti-emanzipatorischen und rassistischen Artikel "Die Linke als Konsumraum" in der aktuellen Ausgabe der SWING

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Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und den Mund halten!

 

- Oscar Wilde

 

 

 

 

In der aktuellen Ausgabe der SWING – Autonomes Rhein-Main-Info (Nr. 124, S. 12-14) findet sich ein Artikel, welcher vorgibt eine Kritik an Drogenkonsum in der linksradikalen Szene am Beispiel der Stadt Marburg formulieren zu wollen. Dieser Artikel wurde ursprünglich auf dem Blog "Metadiskursiv" veröffentlicht. (1) Vorangegangen war dem Artikel eine Hausdurchsuchungsaktion der Polizei in mehren Ortschaften, in dessen Zuge auch ein Teil des alternativen Wohnprojektes "Bettenhaus" in Marburg betroffen war. Beim "Bettenhaus" handelt es sich um eines der größten selbstverwalteten linken Wohnprojekte in Hessen. (2) Auf die genauen Geschehnisse soll hier nicht eingegangen werden, es sollte aber klar festgehalten werden, dass das kolportierte Bild, aus dem Projekt sei ein Drogenhandelring betrieben worden völlig aus der Luft gegriffen ist. Was als – wenn auch unangenehmes - Problem hätte innerhalb des Projektes gelöst werden können, wird von Manchen nun missbraucht, um das Projekt (ob abischtlich oder nicht) zu diskreditieren und ihre eigenen puritanistischen Ansichten, die in Teilen auf rassistische Argumentationsmuster beruhen, stark zu machen.

 

 

 

Der Text stellt zu Beginn fest, dass es auf einen noch schlechteren auf Indymedia hochgeladenen Text beruht, der an dieser Stelle nicht zitiert wird, weil der inhaltliche Wert gegen Null geht und es am Ende gar einfach zu den vielen rechten Fake-Artikel auf Indymedia gehört. Dass sich die Autor*innen dabei als "Antifa Hessen" ausgeben sagt bereits genug, ob sie aus der Szene stammen bleibt fraglich. Ironischerweise behauptet Text "Die Linke als Konsumraum" der "vereinfachenden Art mit dem Thema Drogenkonsum" umzugehen entgegen zu wirken, nur um selbst durchgehend haarsträubende Behauptungen und Pauschalisierungen aufzustellen.

 

Zunächst wird sich gleich auf der ersten Seite über die angeblichen gesundheitsschädlichen Risiken von Cannabis und Alkohol ausgelassen, und das alte Argument der Konservativen herangezogen, dass selbst einmaliger Drogenkonsum irreversible Schäden ausrichten würde. Was denn nun Drogen eigentlich sind wird nie geklärt. Für die Autor*innen unerwähnenswert bleiben auch die nachweisbaren medizinischen Nutzen von sogenannten Drogen wie Cannabis oder selbst LSD, sofern es in einem (kontrollierten) therapeutischen Rahmen angewandt wird. Wie bei jeder Pflanze oder synthetisch hergestellten medizinischen Produkten die wir von Ärzt*innen verschrieben bekommen, können in selteneren Fällen Menschen durchaus allergisch oder andersweitig schlimm auf das zu sich genommene reagieren. Derlei Risiken gilt es klar zu vermitteln, was Drogeninformationsprojekte wie Alice durchaus in Angriff nehmen. Eine grundsätzliche moralische Verteufelung des Konsums von therapeutischen Schmerzmitteln, aufputschender oder bewusstseinserweitender Mittel ist das Metier von monotheistischen religiösen Fundamentalist*innen und nicht einer radikalen Linken. Die Behauptung Drogenkonsum führe grundsätzlich nur zur Unterdrückung eines revolutionären Bewusstseins wird legiglich mit dem dümmlichen Argument belegt, dass sie der "Zerstreuung" dienten. Und wer sogenannte Drogen konsumiert sei grundsätzlich unzuverlässig. Große Behauptungen, denen es an einer stichhaltigen Argumentation mangelt, und die sich daher als bloße Artikulationen von Ressentiments enttarnen lassen. Auch wird ein unpassendes Marx Zitat bedient ("Opium des Volkes") und völlig aberwitzig behauptet, Marx hätte ja nicht wisssen können das Leute irgendwann tatsächlich sogenannte Drogen in größeren Mengen konsumieren. Nochmal damit es klar ist: sie sind nicht vom Himmel gefallen, sie waren schon immer Teil menschlicher Kulturen. Entsprechend gab es auch einen massiven "Drogenkonsum" zu Zeiten von Marx. Die im Weiteren behauptete "Negation der Zivilisation" durch Drogenhandel offenbart dann, dass es sich im Kern der Kritik nur um eine links-angehauchte zutiefst bürgerlich-moralisierende Argumentation handelt, die sich in jedem Faltblatt der Jungen Union oder denen von evangelikalen Straßenprediger*innen auf der Frankfurter Zeil widerfinden lässt.

 

Auch die Argumentationskette, dass Drogenkonsum unweigerlich die zunächst nicht näher definierte, aber doch ziemlich gruselig klingende "Organisierte Kriminalität" unterstützt strotzt vor Pauschalisierungen, meidet eine Kritik an der kapitalistischen Gesellschaftsform und bedient dann auch noch rassistische Clichés. Warum verweisen linksradikale auf das angeblich ach so wunderbare bürgerliche Recht? Seit wann sind deren Maßstäbe die eigenen Maßstände der Politik? Besser hätte es auch die AfD nicht formulieren können. Klar: wer Cocain oder Heroin käuflich erwirbt kann sich sicher sein, dass damit durchaus brutale Organisationen einen Teil ihres Geldes verdienen. Geld mit dem sie sich wiederum Waffen aus führenden Ländern in der Waffenproduktion wie den USA oder Deutschland kaufen um ihre Macht auszubauen, sofern mit "Organisierter Kriminalität" Mafiöse-Strukturen wie z.B. in Italien gemeint sind oder Drogenkartelle, in Mittel- und Südamerika, die Clichés die man halt aus dem Fernsehen so kennt. Speed, Ecstasy usw. kann von jedem mit Zugang zu den notwendigen chemischen Wissen und Mitteln hergestellt werden, Cannabis kann ohne große Hürden auch selbst angebaut werden. Wer meint, dass die Mehrzahl der Drogenkonsument*innen in Frankfurt ihre Konsumprodukte auf einer verdreckten Toilette oder in einem der wenigen noch zugänglichen und nicht videoüberwachten Hinterhöfen im Bahnhofsviertel von Tagelöhnern kaufen, glaubt den Märchen der Polizei und Stadtverwaltung, denen diese Erzählung nur als Tarnung dient um Arme und durchaus hilfsbedürftige Menschen, sowie aus rassistischen Gründen vor allem gegen Menschen mit dunkleren Hautfarben (rassistisches Stichwort "Nafri") und Obdachlose Sinti und Roma, vorzugehen. Ziel der "Säuberung" ist nichts anderes als die Verwertbarmachung des bisher eher günstigen Wohnraums in zentraler Lage, ein Prozess den jeder Mensch sehen und spüren kann der z.B. durch die Kaiserstraße läuft und die Vielzahl der in den letzten Jahren sanierten und teuer weitervermieteten Wohnhäuser, hippen neuen Lokalen, Büros und Veranstaltungsräumen warhnimmt. Aber für die Autor*innen ist das Problem darin zu sehen, dass die nebulöse "Organisierte Kriminalität" vor allem zu Verbindungen zwischen "Neonazis, Rockerbanden und arabischen Faschisten" führt. Eine weitere Behauptung die ohne jeglichen Beweis einfach mal so in den Raum gestellt wird. Dabei fehlen darf natürlich auch nicht die Nahestellung, wer sogenannte Drogen kaufe unterstütze auch dadurch zwangsläufig Zwangsprostitution und Krieg. Wem das nicht Angst genug macht hört dann noch Schauermärchen von bösen "Clankriminellen" wie dem "Remo-Clan in Berlin", welche Mieter*innen in der Hauptstadt vermeintlich in Angst und Schrecken versetzen würde, noch später hört man dass selbst Connewitz nicht mehr sicher ist. Und nun auch noch das beschauliche Marburg? Sogar Rödelheim? ARMES DEUTSCHLAND, DANKE MERKEL (!!1!) will man uns wohl damit sagen. Das man ein von bürgerlichen und extrem rechten Reaktionären in Medien und Parteien aufgebauschtes rassistisches Ammenmärchen von der Übermacht fieser "krimineller Ausländer" in Großstädten übernimmt ist ein fatales Zeichen für sich antirassistisch dünkende Menschen, wenn sie dann noch als "linke Kritik" an patriarchalen Strukturen zu tarnen versucht wird ist es eine Pervertierung feministischer Politiken, wie man sie aus bürgerlichen Traditionen nur zu gut kennt.

 

So kann wirklich nur gehofft werden, dass es sich bei den Urheber*innen des Textes nur – wie selbst behauptet - um "Einzelpersonen" aus der linken Szene in Marburg handelt, sie doch nur frei erfunden sind oder gar Neonazis oder der Verfassungsschutz versuchen zwietracht zu säen. Würde ein derart simplistischer, begriffsloser und rassistischer politischer Umgang mit sogenannten Drogen in der linksradikalen Szene vorherrschen, so wäre es mit der Vision einer emanzipatorischen Gesellschaft am Ende.

 

Eine differenzierte und selbstreflektierende Betrachtung und Haltung zu sogenannten Drogen ist durchaus ein wichtiges Thema. Die pseudoradikalen und abenteuerhaften Ausführungen des vorliegenden Artikels erweisen jeder Diskussion darüber hingegen einen Bärendienst. Wer meint die Welt würde sich automatisch zum positiven Verändern wenn keine sogenannten Drogen konsumiert werden würden träumt. Das Problem heißt immernoch Kapitalismus, eine moralisierende Kritik an einzelnen Symptomen dient niemanden, höchstens eigenen Überheblichkeitsgefühlen und neoliberalem Gesundheitswahn.

 

Es ist auch nochmal wichtig festzuhalten, dass eine Kritik an den Genoss*innen der Redaktion der SWING notwendig und eine Selbstreflektion und Entschuldigung für die Auswahl und den Abdruck des Artikels angebracht ist. Nicht nur, dass hier drei Seiten in dem größten autonomen Nachrichten- und Diskussionsheft in Hessen mit der Beteiligung an den Hetzkampagnen von bürgerlichen Parteien und Medien gegen selbstverwaltete Strukturen und dem rassistischen Mythos der angeblichen Beherrschung von Großstädten durch "Türkisch-Arabische Clans" verunstaltet werden, die Redaktion scheint diese Meinung sogar aktiv zu unterstützen. Denn auf Seite 13 findet sich eine redaktionelle Anmerkung ("oder in Rödelheim") die sich nur als Behauptung verstehen lässt, dass sogenannte "Clankriminelle" den Wohnungsmarkt im Frankfurter Stadtteil auf brutale Art und Weise beherrschen würden, finanziert durch die Drogeneinkäufe von unverantwortlichen linksradikalen Drogenhedonist*innen, die Sonntags zu verkatert sind um auf eine Demo zu gehen, welche dieses Mal ganz bestimmt den nächsten revolutionären Umschwung heraufbeschwören wird. Waren die Autor*innen jemals in Rödelheim? Wie kommt man zu solch wilden, unbelegten Behauptungen? Hat euch das der*die deutsche Michel*Michaela von Nebenan gesagt, der*die sich auch sonst darüber sorgen macht, dass der Stadtteil "zu migrantisch" wird und Apfelweinkneipen bald zu Shisha-Bars umgewandelt werden?

 

Auch wenn "organisierte Kriminelle" teilweise im Wohnungsmarkt operieren, so sind die wirklichen Probleme und Kriminellen die Privatinvestor*innen und große Wohnungskonzerne mit ihrem Heer an Anwälten und eine Stadtpolitik die dem Handel mit Wohnraum als profitmaximierende Investition in Frankfurt in keinster Weise einhalt gebietet durch die Möglichkeiten des sozialen Ausgleichs die von ihnen jederzeit genutzt werden könnten (werden sie nur nicht, weil die Stadt Frankfurt selbst durch die steigenden Mietpreise ihren Finanzhaushalt auffüllt). Wie ihr selbst festhaltet in der Chronik ist es die städtische Wohnbaugesellschaft ABG, die mit 89 Zwangsräumungen fast 20% der gesamten Zwangsräumungen in der Stadt in der ersten Hälfte des Jahres durchführen lies. Geschweige denn mit welcher Brutalität sie gegen die gesamten Familien von Menschen vorgegangen sind, die mit Drogen gehandelt haben sollen, und mit welch völliger selbstverständlichkeit sie diese – selbst wenn sie Kinder haben die auf ein Rollstuhl angewiesen sind – ohne weitere Betreuung oder Perspektive einfach auf die Straße geworfen haben, nur um ein Abschreckungsszenario gegen ach so schlimme "Kriminelle" zu schaffen. (3) Die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften fragen völlig selbstverständlich nach rassistischen Kriterien bei Selbstauskünften auf ihren Formularen, um ihre Mieter*innen entsprechend auswählen (oder viel mehr abweisen) und zuteilen zu können. (4) Wie kommt man denn angesichts dessen dazu, beiläufig einen so dummen wie unnötigen Kommentar einzubauen, der auch noch die übelsten deutschen Rassismen vom "bösen kriminellen Ausländer" bedient?

 

Bisher kennt man es nur als Witz, die SWING als eine Art "Bild-Zeitung" der linksradikalen Szene im Rhein-Main-Gebiet und darüber hinaus zu bezeichnen. Es wäre traurig, wenn das Heft tatsächlich nochmal auf dem Niveau der Springer-Presse arbeiten sollte. Denn die aktuelle Ausgabe der SWING ist abgesehen von diesem beschämenden Arikel mal wieder gefüllt mit spannenden und wichtigen Berichten und Diskussionen zu politischen Themen und Aktionen der vergangenen Monate und stellt auch sonst einen unverzichtbaren Teil der linksradikalen Szene dar, vor allem in Zeiten in denen uns linkradikale Internetmedien wie Linksunten vom Staat weggenommen werden.

 

 

 

Fußnoten:

 

 

 

1. https://metadiskursiv.noblogs.org/post/2019/07/13/die-linke-als-konsumraum/

 

 

 

2. https://bettenhausmarburg.noblogs.org/

 

 

 

3. https://www.hessenschau.de/gesellschaft/kampf-gegen-drogenhandel---abg-s...

 

 

 

4. https://www.fr.de/frankfurt/wohnen-in-frankfurt-sti903943/linke-wirft-wo...

 

 

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Ergänzungen

Unter nachfolgendem Link haben wir eine Richtigstellung einiger in dieser Kritik vorgenommenen Behauptungen vorgenommen: https://metadiskursiv.noblogs.org/post/2019/09/05/antwort-auf-die-kritik...

Abseits von der herablassenden Art des Textes begrüßen wir die grundsätzliche Bereitschaft über das Thema zu diskutieren!