Der sechste Tag im Radio Dreyeckland-Prozeß

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Deutsches Vereins- und Strafrecht gefährdet Journalisten von freiem Rundfunksender

 

 

 

In Karlsruhe steht zur Zeit der Journalist des freien Freiburger Hörfunksender Radio Dreyeckland, Fabian Kienert, vor Gericht, weil er vor fast zwei Jahren einen Link ge­setzt hatte. Dadurch soll er einen vereinsrechtlich verbotenen [*] „Verein“ unterstützt haben. Die Linksetzung als Tatsache ist unumstritten – umstritten ist deren rechtli­che Bewertung (Pressefreiheit oder Staatsschutz-Delikt?) und ob der angeblich un­terstützte Verein überhaupt noch existiert und damit zumindest prinzipiell unterstütz­bar ist. Die Binse, daß nur existierende Verein unterstützt werden können, wurde so­gar vom Stuttgarter Oberlandesgericht anerkannt, dessen Eröffnungsbeschluß [**] wir die jetzige mündliche Verhandlung vor der Staatsschutzkammer in Karlsruhe, die für ganz Baden-Württemberg zuständig ist, ‚verdanken‘.

 

 

Am Dienstagvormittag wurde die Schlußrunde der Beweisaufnahme mit der Mög­lichkeit, last minute neue Beweisanträge zu stellen, eingeläutet. Bereits …

 

 


 

 

 

[*] Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz: „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwi­derlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverstän­digung richten, sind verboten.“

§ 3 Absatz 1 Satz 1 Vereinsgesetz: „Ein Verein darf erst dann als verboten (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgeset­zes) behandelt werden, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, daß seine Zwecke oder sei­ne Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder daß er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet; in der Verfügung ist die Auflösung des Vereins anzuordnen (Verbot).“

Das hier interessierende Verbot wurde am 14.08.2017 verfügt und am 25.08.2017 im Bundesanzeiger (AT 25.08.2017 B1) bekannt gemacht.

[**] https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001546409; dort heißt es bei Textziffer 47 immerhin: „eine nichtexistente Vereinigung [kann] nicht unterstützt werden“.

 

 

 

 

 

… am vergan­genen Verhandlungstag regte die Staatsanwaltschaft an, doch noch Handy-Daten auszuwerten, die im Nachgang zu Haussuchungen am Beginn des vergangenen Jahres gespiegelt worden war. Bereits vorab wurde bekannt, daß die Landgerichts­kammer die Anregung nicht aufgreifen mag. Das Redaktionsgeheimnis hält sie für gewichtiger als die vage Aussicht, unter den Daten Beweise für den Fortbestand des angeblich unterstützten Vereins zu finden (taz-Blogs vom 06.05.2024).

 

 

Vorgeschichte – Landgericht lehnte Beweisanregung der Staatsanwaltschaft ab

 

 

Die entsprechende Verfügung wurde am Dienstagmorgen in der mündlichen Ver­handlung vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Karlsruhe verlesen. Am Mittwochmittag sandte mir die Pressestelle des Landgerichts eine Zusammenfas­sung:

 

„der Vorsitzende hat in der durch ihn verlesenen Verfügung die Beweisanregung für nicht zulässig erachtet, da sich im Hinblick auf den Schutz der Medienfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 GG [1] ein sich unmittelbar aus dem Grundgesetz ergebendes Beweis­verbot ergebe. Jedenfalls sei die Beweiserhebung im Hinblick auf die betroffenen Grundrechte unverhältnismäßig, da sie in Bezug auf § 85 Abs. 1 Nr. 2 [2]. Abs. 2 Var. 3 [3] StGB ohne Bedeutung sei und im Übrigen das Fortbestehen der verbotenen Ver­einigung nach dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme nicht erweislich sei. Weitere in Betracht kommende Vergehenstatbestände lägen nicht vor und wögen zudem jedenfalls nicht so schwer, dass die angeregte Maßnahme verhältnismäßig sei.“ (Fußnoten hinzugefügt)

 

 

 

Hauptstück: Beweisantrag und Antworten darauf

 

 

Anschließend hatte dann die Staatsanwaltschaft Gelegenheit, einen förmlichen Be­weisantrag zu stellen (auch die Verteidigung hätte Beweisanträge stellen können – tat sie aber nicht). Die Staatsanwaltschaft nutzte die Gelegenheit und verlas – laut Radio Dreyeckland – einen elfseitigen [4] Schriftsatz.

 

 

§ 244 Strafprozeßordnung (Beweisanträge / Ablehnung von Beweisanträgen)

 

[… siehe .pdf-Datei zum Artikel …]

 

 

 

Unzulässige Beweisanträge / Beweiserhebungs- und Beweisvertungsverbote

 

 

Ein Beweisantrag ist dann unzulässig, wenn ein Beweiserhebungs- oder Beweisver­wertungsverbot (kurz: Beweisverbot) besteht. Hier nun kommen das Zeugnisverwei­gerungsrecht von JournalistInnen und daran anknüpfende Regelungen, z.B. ein Be­schlagnahmeverbot, ins Spiel. – Das Verbot von Beschlagnahmen bei JournalistIn­nen ist freilich nicht grenzenlos. (Daß es – sofern es überhaupt Strafrecht gibt – sinnvoll und richtig ist, daß Beschlagnahmen auch bei JournalistInnen stattfinden dürfen, wenn z.B. einE JournalistIn eineN verhaßten Nachbarn/in umgebracht oder ein Chefredakteur eine Volontärin vergewaltigt und z.B. anschließend fotografiert ha­ben soll, sollte unstrittig sein.) Journalistische Tätigkeit ist kein Freibrief zur eigenen Begehung von Straftaten.

 

Nun mag gesagt werden: Ein journalistischer Artikel (wie im Falle) von Kienert sei et­was anderes als ein Mord oder eine Vergewaltigung.

 

Aber auf der Ebene der Strafprozeßordnung gilt (mit gewissen Unterschieden im einzelnen): Straftat ist Straftat.

 

Wenn kritisiert werden soll, daß es überhaupt sein kann, daß ein journalistischer Ar­tikel (oder allgemeiner: eine Meinungsäußerung oder ein wahrer Bericht) eine Straf­tat sein kann, dann kann die Kritik nicht auf der Ebene der Strafrechtprozeßordnung oder – noch spezieller – auf der Ebene des Beweisrechts ansetzen; die Kritik daran, daß ein Bericht oder Kommentar (auch dann, wenn er keine Beleidigungen oder Verleumdungen enthält) eine Straftat sein kann, müßte auf verfassungsrechtlicher oder politischer Ebene (und vielleicht auf der Ebene der Auslegung der einzelnen Straftatbestände im Strafgesetzbuch sowie des jeweils in Rede stehenden Artikels oder Kommentars) ansetzen.

 

 

§ 97 Absatz 5 Satz 1 Strafprozeßordnung (grundsätzliche Koppelung des Beschlagnahmeverbots an das Zeugnisverweigerungsrechts)

 

[… siehe .pdf-Datei zum Artikel …]

 

 

§ 97 Absatz 5 Satz 2 Strafprozeßordnung (Verweis auf § 97 Absatz 2 Satz 2 – Tatverdacht gegen den/die JournalistIn selbst)

 

[… siehe .pdf-Datei zum Artikel …]

 

 

Kein unbegrenztes Beschlagnahmeverbot bei eigenen Straftaten von JournalistInnen

 

[… siehe .pdf-Datei zum Artikel …]

 

 

 

Beschlagnahmevoraussetzung „dringender Tatverdacht“

 

[… siehe .pdf-Datei zum Artikel …]

 

 

 

Pressefreiheit als (bloße) Abwägungsmasse

 

[… siehe .pdf-Datei zum Artikel …]

 

 

 

Staatsanwalt Graulich in der Sackgasse?

 

[… siehe .pdf-Datei zum Artikel …]

 

 

 

Antwort der Verteidigung auf den Beweisantrag

 

 

Als der Beweisantrag der Staatsanwaltschaft verlesen wurde, saß ich noch im Zug nach Karlsruhe und mein Versuch, ihn in anonymisierter Fassung von der Staatsan­waltschaft oder dem Gericht zu bekommen, hatte noch keinen Erfolg. Aber bei der anschließenden Replik der Verteidigung und vorläufigen Anmerkungen der Verteidi­gung war ich dann anwesend.

 

 

Darüber berichtete ich bereits am Freitag im ersten Teil eines Interviews mit dem Freien Sender Kombinat (FSK) Hamburg:

 

 

hOnly local images are allowed.ttps://www.freie-radios.net/128714; zusätzlicher Links:

 

https://theoriealspraxis.substack.com/p/der-staatsanwalt-nimmt-ein-eisbad.

 

 

Die Verteidigerin von Fabian Kienert, Rechtsanwältin Angela Furmanik, sprach vor allem vier Punkte an:

 

 

  • Es handele sich bei dem sog. Beweisantrag in Wirklichkeit um gar keinen Be­weisantrag, sondern um einen bloßen Beweisermittlungsantrag [13] (auch letztere sind zulässig, können aber vom Gericht einfacher abgelehnt werden).

    Der definitorische Unterschied zwischen „Beweisantrag“ und „Beweisermitt­lungsantrag“ wurde in der mündlichen Verhandlung am Dienstag nicht genau­er besprochen; aber einer der entscheidenden Punkte ist, daß ein Beweisan­trag – wie wir oben (S. 2) schon gesehen hatten – eine „eine bestimmt be­hauptete konkrete Tatsache“ voraussetzt.

    Nun behauptet die Staatsanwaltschaft den Fortbestand des 2017 verbotenen „Vereins“. Aber die Existenz eines Vereins ist ja eher etwas Abstraktes: Ein Verein kann nicht gesehen oder angefaßt werden. Eine Mitglieder- oder Dele­giertenversammlung oder Vorstandssitzung; auch eine Vereinsgeschäftsstelle oder Vereinszeitung könnte gesehen (und teilweise auch angefaßt werden). [14] Aber, daß gerade solche konkreten eventuellen Tatsachen unter den Handy- und Laptop-Daten zu finden seien, scheint auch die Staatsanwaltschaft nicht zu behaupten (wie gesagt: ich war noch nicht da, als die Staatsanwaltschaft ihren Beweisantrag vorlas).

    Ob allein das (die ‚Ungreiflichkeit‘ des Realobjekts „Verein“) schon den „Be­weisantrag“ der Staatsanwaltschaft zu einem bloßen „Beweisermittlungsan­trag“ degradiert? [15] – Warten wir ab, was das Landgericht zu dieser Frage sagen wird.

     

  • Das Notebook von Kienert sei verschlüsselt; an dem Versuch, die Verschlüs­selung zu knacken, sei die Staatsanwaltschaft schon bei früherer Gelegenheit gescheitert. Damit sei dieses Beweismittel (die Notebook-Daten) „unerreich­bar“ i.S.d. § 244 Absatz 3 Satz 3 Nr. 5 Strafprozeßordnung [16].

     

  • Schon die Prämisse, daß die Beschuldigten des parallelen Ermittlungsverfah­rens die BetreiberInnen seien, sei falsch. (Ich hatte mir leider weder aufge­schrieben noch gemerkt, ob „BetreiberInnen der früheren Internet-Plattform“ und/oder „jetzige BetreiberInnen des Archivs“ gemeint war.) Dafür, daß die Beschuldigten zum alten (bis 2017) BetreiberInnenkreis von linksunten gehör­ten, hat die Staatsanwaltschaft zumindest ein paar Indizien; auch das Bun­desverwaltungsgericht ging 2020 davon aus, daß die damaligen KlägerInnen gegen das Verbot zumindest möglicherweise zum alten BetreiberInnenkreises von linksunten.indymedia gehörten [17] – anderenfalls hätten sie mit ihrer Klage gegen das Verbot noch mehr Schiffbruch erlitten als ohnehin schon [18].

     

  • Die Staatsanwaltschaft lege alle mehrdeutigen Punkte zu Lasten von Kienert und für die Wahrscheinlichkeit der Auffindung von Beweisen unter den fragli­chen Daten aus; nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebiete die Pressefreiheit aber das Gegenteil. (Über die fragliche Rechtspre­chung des Bundesverfassungsgerichts wurde am Dienstag nicht genauer ge­sprochen; wie eindeutig oder vage sie ist, sei auch an dieser Stelle offen­gelassen.)

 

 

Außerdem ging es um die Interpretation von bisherigen Zeugenaussagen und die In­terpretation von Angaben des IT-Sachverständigen.

 

 

Erwägungen des Gerichts zu dem staatsanwaltschaftlichen Beweisantrag

 

 

Das Gericht sprach vor allem an, daß die Staatsanwaltschaft in ihrem Beweisantrag das Datum der Veröffentlichung des linksunten-Archivs vom 16.01.2020 (wirkliches Datum) auf den 01.02.2020 (Fantasie-Datum der Staatsanwaltschaft) verlegte. Den Beweis, daß „01.02.2020“ ein Fanatsie-Datum ist, habe ich bereits am Donnerstag in meinem Artikel

 

 

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe verblüfft mit Fake-Chronologie

 

Wurde das Archiv von linksunten.indymedia erst am 01.02.2020 veröffentlicht?

 

https://theoriealspraxis.substack.com/p/die-staatsanwaltschaft-karlsruhe

 

 

erbracht.

 

 

Schon am Dienstag wies ich die Staatsanwaltschaft auf einen Artikel in der Zeit vom 29.01.2020, in dem es hieß:

 

„Die Texte von linksunten sind seit ein paar Wochen, trotz Verbot, wieder verfügbar. Auf mehreren Websites wurde ein fast hundert Gigabyte umfassendes Archiv hoch­geladen. Es wird in komprimierter Form auch zum Download angeboten. Linke Gruppen feiern das als Erfolg – ein großer Teil der Geschichte ihrer Bewegung sei damit wieder abrufbar.“

 

(https://www.zeit.de/digital/internet/2020-01/indymedia-linksunten-verbot-bundesverwaltungsgericht-website/komplettansicht),

 

und verschiedene andere Veröffentlichungen hin, die von einer Archiv-Veröffentli­chung bereits vor dem 29.01. (und folglich auch vor dem 01.02.) 2020 sprachen, und fragte die Staatsanwaltschaft:

 

„Welche Schlußfolgerungen zieht die StA im übrigen aus den von mir benannten Veröffentlichungen?“

 

Antwort am Donnerstagabend:

 

„Das Datum der Archiv-Veröffentlichung ist Gegenstand der laufenden Beweisauf­nahme. Insoweit wurde auch ein auf zeit.de veröffentlichter Artikel in die eingeführt.“

 

 

Bereits am 5. Verhandlungstag: Staatsanwaltschaft legte dem Gericht weitere Radio Dreyeckland-Artikel mit Verlinkung des linksunten-Archivs vor

 

 

Eine weitere Neuigkeit hatte sich beim fünften Verhandlungstag (Di., d. 30.04.) erge­ben. Radio Deyeckland selbst berichtete am 2. Mai: „Ferner hat der Staatsanwalt mittlerweile weitere Beiträge bei Radio Dreyeckland gesammelt, die eine Verlinkung auf linksunten.indymedia enthielten.“

 

Darauf hin wandte ich mich mit einer Reihe von Fragen an die Staatsanwaltschaft Karlsruhe, unter anderem: „Hat die StA in diesem Zusammenhang weitere Ermitt­lungsverfahren [eingeleitet] und Durchsuchungsbeschlüsse beantragt, um zu ermit­teln, welche Personen diese weiteren Artikel geschrieben haben?“

 

Auch das Amtsgericht fragte ich nach etwaige(n Anträgen für) neue Durchsuchungs­beschlüsse.

 

 

Die Pressesprecherin des Amtsgerichts Karlsruhe antwortete am Mittwochmittag: „ich habe von den Kollegen [= Ermittlungsrichtern] keine aktuellen Verfahren gemel­det bekommen und kann auch selbst unter dem Namen der beiden Geschäftsführer von Radio Dreyeckland nichts aktuelles finden.“

 

 

Am Donnerstagabend kam dann auch die Antwort der Staatsanwaltschaft Karlsruhe:

 

„Es handelt sich bei den erwähnten ‚Belegen‘ um auf der Homepage von RDL veröf­fentlichte Artikel. Diese sind nach Erinnerung des zuständigen Dezernenten alle­samt zeitlich vor dem nunmehr in Frage stehenden Artikel erschienen. Im Zusam­menhang mit diesen Artikeln wurden keine weiteren Ermittlungsverfahren geführt und auch keine Durchsuchungsbeschlüsse beantragt.“

 

 

Damit wurde nur ein Teil meiner Anfrage, die folgenden Wortlaut hatte, beantwortet:

 

„1. Sind diese weiteren ‚Belege‘ neueren oder älteren Datums als der bereits be­kannte Kienert-Artikel?

 

2. Um welche ‚Belege‘ (gemeint wohl: Artikel auf der RDL-Webseite) handelt es sich?

 

3. Hat die StA in diesem Zusammenhang weitere Ermittlungsverfahren und Durch­suchungsbeschlüsse beantragt, um zu ermitteln, welche Personen, diese weiteren Artikel geschrieben haben?

 

4. Falls die von ihnen nun vorgelegten ‚Belege‘ älteren Datums sind als der Kienert-Artikel – was sagen Sie dann zu meiner Überlegung:

 

‚Mal angenommen, es gibt frühere (!) RDL-Artikel – also RDL-Artikel, die früher als Kienerts Artikel veröffentlicht wurden –, die ebenfalls schon das Archiv verlinkten, aber nicht verfolgt wurden – dann wäre das für Kienert sogar eher günstig: Denn dann konnte er sich (durch die Nicht-Verfolgung der älteren Artikel) zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Artikels in der – zutreffenden – Auffassung bestärkt ge­sehen haben, daß das Verlinken legal sei – wenn es denn keinen Ärger gibt für das frühere Verlinken…‘ [19].

Wenn sich auf Ihren Standpunkt gestellt wird, daß die Archiv-Verlinkung – zumindest in bestimmten Kontexten – strafbar sei, aber frühere Archiv-Verlinkungen durch RDL von der StA nicht zeitnah verfolgt wurden, müßte dann nicht die Möglichkeit geprüft werden, ob sich Kienert über das Bestehen bzw. Nicht-Bestehen eines (angebli­chen) Verbots, das Archiv zu verlinken, unvermeidbar irrte (vgl. § 17 StGB)?

 

(Nur noch mal zur Klarheit: Ich gehe davon, daß die Auffassung der StA, die Verlin­kung sei strafbar, irrtümlich ist. – Also, meine vorstehende Überlegung ist nur für den Fall, daß ich mich irren sollte.)“

 

§ 17 Strafgesetzbuch lautet: „Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe […] gemildert werden.“

 

 


 

 

 

1 Gemeint ist dort Satz 2: „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“

 

2 im hier interessierenden Fall: „einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die ver­fassungsmäßige Ordnung […] richtet“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__85.html).

Im vorliegenden Verfahren geht es daher u.a. um die Frage, ob der 2017 verbotene „Verein“ auch das Archiv von linksunten.indymedia betreibt und ob Fabian Kienert 2022 diesen angeblichen Verein dadurch im straf­rechtlichen Sinne unterstützt hat, daß er das Archiv in einem Artikel auf der Webseite von Radio Dreyeckland verlinkt hat.

Was ein „Verein“ im Sinne des Vereinsgesetzes ist, wird dort in § 2 definiert: „(1) Verein im Sinne dieses Geset­zes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristi­scher Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer or­ganisierten Willensbildung unterworfen hat. (2) Vereine im Sinne dieses Gesetzes sind nicht 1. politische Par­teien im Sinne des Artikels 21 des Grundgesetzes, 2. Fraktionen des Deutschen Bundestages und der Parla­mente der Länder.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__2.html)

 

3 „Wer sich in einer […] Vereinigung der in Absatz 1 bezeichneten Art […] ihre weitere Betätigung unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

 

4 „Anklage und Verteidigung hatten dann die Gelegenheit eigene Strafanträge zustellen. Diese gesetzliche Möglichkeit nutzte der Staatsanwalt zur Verlesung eines Beweisantrages auf 11 Seiten.“ (https://rdl.de/beitrag/grosses-rad-spekulationen-der-staatsanwaltschaft-beweisantrag-auf-auswertung-der-datentr-ger)

 

 

[… siehe .pdf-Datei zum Artikel …]

 

 

13 „Der Beweisantrag ist vom Beweisermittlungsantrag zu unterscheiden: Bei diesem fehlt entweder die Be­zeichnung des Beweismittels oder des Beweisthemas. Die Ablehnung eines Beweisermittlungsantrages ist nicht an die Gründe des § 244 StPO gebunden. Der Antrag stellt prozessrechtlich einen Vorschlag an das Ge­richt dar, die Beweisermittlungen von Amts wegen in diese Richtung aufzunehmen.“ (Thombansen, Rechtslexi­kon, 01.05.2024, s.v. Beweisantrag)

 

„Als Beweisermittlungsantrag wird ein Verlangen nach Beweiserhebung bezeichnet, das mangels Konkretisie­rung der zu beweisenden Tatsache oder des beantragten Beweismittels keinen Beweisantrag darstellt.“ (Fris­ter, in: SK-StPO, 20155, § 244, RN 94)

 

 

 

14 Erst aus solchen konkreten Tatsachen könnte gefolgert werden, daß der Verein noch existiere, also z.B.

  • Am soundsovielten tauchte in linksradikalen Infoläden die zehnte Ausgabe der Untergrund-Zeitschrift des kämpfenden Vereins „linksunten.indymedia“ auf. Es ist daher davon ausgehen, daß der Verein zu diesem Zeitpunkt noch existierte und über organisatorische Strukturen zum Vertrieb der Zeitschrift ver­fügte. (Nur ist die radikale und revolutionäre Linke zur Zeit nicht so in Schuß. als, daß sie das hinbekä­me.)

  • Oder: Am soundsovielten fand im Dickicht des Schwarzwalds die 37. Mitgliederversammlung des Ver­eins „linksunten.indymedia“ statt, wie die verdeckte Ermittlerin Polizeibeamtin Y. bezeugt, die auch ei­nen Audio-Mitschnitt der Versammlung vorlegte. Also existierte der Verein an diesem Tag noch.

 

15 Siehe die Beispiele aus der bisherigen Rechtsprechung zur Abgrenzung von „Beweisantrag“ und „Beweiser­mittlungsantrag“ von Bachler, in: BeckOK-StPO, 51. Ed., 01.04.2024, § 244, RN 57.1 - 58.

 

16 „Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn […] 5. das Beweismittel unerreichbar ist […].“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__244.html)

 

17 https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 23: „Vor diesem rechtlichen Hintergrund erscheint eine Verletzung der Klägerin in eigenen Rechten auf der Grundlage ihres Klagevorbringens nicht von vornher­ein ausgeschlossen. Zwar hat die Klägerin unter Verweis auf eine drohende strafrechtliche Verfolgung nicht ge­sagt, ob sie der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ angehört hat. Sie hat aber ausdrücklich auf die Rechtsprechung zum Anfechtungsrecht Einzelner Bezug genommen, auf die Aushändigung des Bescheids zu ihren Händen verwiesen und ihr Interesse an dem Betrieb eines zumindest ähnlichen Nachrichtenportals be­kundet. Daher bietet ihr Vortrag in Zusammenschau mit dem Akteninhalt noch hinreichende Anhaltspunkte da­für, dass ihre Zugehörigkeit zum verbotenen Personenzusammenschluss zumindest möglich erscheint. Insbe­sondere indiziert die Aushändigung des Verbotsbescheids zu ihren Händen, dass die Verbotsbehörde selbst von einer Zugehörigkeit der Klägerin zur verbotenen Vereinigung ausgeht.“

 

18 https://de.indymedia.org/sites/default/files/2023/03/Schill_interviewt_Schulze_T_I-1_-_T_I-3.pdf, S. 59 - 61 („Zur bundesverwaltungsgerichtlichen Unterstellung der Mitgliedschaft der KlägerInnen im BetreiberInnenkreis von linksunten“), siehe insb.

  • Nr. 3 auf S. 60 („Das ganze Rumzieren hat sich also nicht so richtig gelohnt.“)

    sowie

  • Nr. 1 auf S. 59 („Die Klage wurde als zulässig, aber unbegründet abgewiesen.“) in Verbindung mit dem letzten Absatz auf S. 61: „Die – im vorliegenden Falle: bejahte – Zulässigkeit der Klage hängt also dar­an, dass die KlägerInnen geltend machen, sie würden durch das Verbot ‚gehindert [...], ihre bisherige Betätigung im Rahmen des vom Verbot aufgelösten Zusammenschlusses‘ – der nach Auffassung der KlägerInnen kein Verein ist – ‚auch in Zukunft fortsetzen zu können‘. [...]. Die Bejahung der Zulässig­keit der Klage impliziert also die Annahme der Mitgliedschaft der KlägerInnen.“

 

19 Schießt sich jetzt die Karlsruher Staatsanwaltschaft in ihrer Verzweiflung ins eigene Knie?; https://blogs.taz.de/theorie-praxis/schiesst-sich-jetzt-die-karlsruher-staatsanwaltschaft-in-ihrer-verzweiflung-ins-eigene-knie/.

 

 


 

 

i [… siehe .pdf-Datei zum Artikel (Seite 14) …]

 

 

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Ergänzungen

 

Der Journalist Fabian Kienert steht vor Gericht, weil er einen Link setzte. Damit habe er sich zum "Sprachrohr" einer verbotenen Vereinigung gemacht, klagt Staatsanwalt Manuel Graulich an. Offenbar hat der Jurist ein paar Zeugenaussagen aber ziemlich falsch verstanden.

 

https://www.kontextwochenzeitung.de/medien/686/staatsanwalt-hat-sich-verhoert-9552.html.