Auch 25 Jahre nach dem Mauerfall: Für die Münchner Staatsanwaltschaft ist Deutschland immer noch geteilt

Pressemitteilung vom 08. Februar 2015: Am gestrigen Samstag, während der Demonstration gegen die NATO-Sicherheitskonferenz in München, kam es erneut zu Festnahmen wegen des Zeigens des Emblems der Freien Deutschen Jugend (FDJ).

Während der Abschlusskundgebung wurden auf dem Marienplatz sieben Antifaschisten vorübergehend festgenommen und in das Polizeipräsidium in der Ettstraße verbracht. Ihnen wird vorgeworfen, während der Demonstration, an der sie bis zum Ende unbehelligt teilnahmen, das Emblem der 1951 in Westdeutschland verbotenen FDJ getragen zu haben, einer Jugendorganisation, die während des Nationalsozialismus von Jugendlichen im Exil gegründet worden war und nach dem Krieg in beiden deutschen Staaten fortbestand. Mit dem Einigungsvertrag von 1990 wurden alle DDR-Organisationen in ganz Deutschland zugelassen. Anita, eine der Festgenommenen aus Sachsen-Anhalt meint dazu: „Seit 25 Jahren gibt es also dieses Westdeutschland nicht mehr. Wer sich mit der DDR auch eine Freie Deutsche Jugend mit einverleibt hat, muss damit leben, dass diese öffentlich ihre Symbole zeigt – auch in München.“

Anders sieht das offensichtlich die Münchner Staatsanwaltschaft, die sich nach Polizeiangaben darauf berief, dass die Freie Deutsche Jugend zwar in „Ostdeutschland“ erlaubt, aber in „Westdeutschland“ nach wie vor verboten sei. Dem scheint die wenig grundgesetzkonforme Ansicht zugrunde zu liegen, dass es auch im 25. Jahr der Deutschen Einheit noch zwei Deutschlands und folglich auch zwei unterschiedliche Rechtsordnungen gebe – eine für BRD-Bürger und eine für ehemalige DDR-Bürger.

Ein weiterer Festgenommener, Michael aus München, sagt: „Schon seit längerem treten wir als FDJ in München auf, melden auch Kundgebungen an und das war bisher kein Problem. Jetzt wurden wir innerhalb einer Woche gleich zweimal für mehrere Stunden rechtswidrig festgehalten (siehe anhängende Pressemitteilung vom 02.02.2015). Hat da ein ewig gestriger Staatsanwalt, ein altes, von Nazirichtern verhängtes Organisationsverbot ausgegraben und will dies auf die heutige Zeit anwenden? Ist das ein Versuch der Einschüchterung oder ein Versuch, das eigene, massive Auftreten der Polizei inklusive weit über hundert Zivilpolizisten auf der Demonstration gegen die Nato-‚Sicherheits‘konferenz irgendwie zu rechtfertigen? Hier wird mit konstruierten Begründungen versucht, eine antifaschistische Jugendorganisation mundtot zu machen. Wir lassen das nicht zu, die FDJ-Gruppe München wird weiter auftreten.“

Neben verschiedenen Antikriegsaktionen fand in der Münchner Innenstadt am Samstag auch eine öffentliche Kundgebung von ukrainischen Nationalisten statt. Diese blieben trotz mitgeführten offensichtlichen Nazi-Symbolen unbehelligt.

Freie Deutsche Jugend,

Gruppe München


 

Anhang:

02.02.2015

Pressemitteilung, Freie Deutsche Jugend – Gruppe München

Antirassistische Proteste in München am 02. Februar:  „Damals wie heute geht die Willkür vom Staat aus“

Am Abend des 02. Februar kam es in München im Anschluss an eine angemeldete Kundgebung gegen die rassistische Sammlungsbewegung „BAGIDA“ zu befremdlichen Szenen. Vier Jugendliche, darunter zwei minderjährige Flüchtlinge aus Westafrika, wurden von der politischen Polizei vorübergehend festgenommen, weil sie ihrer Meinung gegen Rassismus und Faschismus auf Transparenten Ausdruck verliehen hatten.

Nach einer friedlichen Protestkundgebung der „Initiative gegen Bagida“ auf dem Goetheplatz gingen Beamte der Kriminalpolizei kurz nach 20.00 Uhr gegen eine kleine Gruppe von Kundgebungsteilnehmern vor und nahmen vier Personen vorübergehend fest. Der Tatvorwurf bezog sich auf das angebliche „Tragen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ (§86a StGB). Die Jugendlichen hatten eine rote Fahne, eine Fahne mit dem Symbol der „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ) sowie zwei Transparente – ebenfalls mit FDJ-Emblem – mit den Aufschriften „Rassisten sind Schweine“ und „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“ getragen.

Der Zugriff erfolgte, als ein Großteil der Kundgebungsteilnehmer den Platz bereits verlassen hatte. Die Festgenommenen mussten nach eigenen Angaben zunächst für etwa 90 Minuten in der Kälte stehen. Zwei Beteiligte deutscher Staatsbürgerschaft wurden danach zügig wieder entlassen, nicht so zwei junge Westafrikaner, die in München leben und ihr Recht in Anspruch nahmen, gegen Faschismus und Rassisten zu demonstrieren. Sie wurden in die unter Antifaschisten berüchtigte „Ettstraße“ verbracht, wo sie – obwohl minderjährig – ohne Hinzuziehung eines beeidigten Dolmetschers, ohne rechtliche Belehrung und ohne Rechtsbeistand oder gesetzlichen Vertreter von der Kriminalpolizei bis ca. 23.15 Uhr verhört wurden.

Luise, FDJ-Mitglied in München, äußert sich zu den Vorfällen folgendermaßen: „Die Freie Deutsche Jugend wurde während des Faschismus von jugendlichen Flüchtlingen im französischen, britischen und tschechoslowakischen Exil gegründet, nachdem sie dem KZ der Nazis entgangen waren. Ihr Ziel bestand im gemeinsamen Kampf der Jugend gegen Faschismus und Krieg. Dass Mitglieder und Freunde meiner Organisation schon wieder der staatlichen Verfolgung ausgesetzt sind, legt offen, wie weit es um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland bestellt ist. Umso skandalöser ist, dass gestern Nacht auch Menschen rechtswidrig verschleppt und schikaniert wurden, die in Deutschland Schutz gesucht haben. Gegen ein derartiges staatliches Vorgehen erscheint der Mob von ‚PEGIDA‘ oder ‚BAGIDA‘ fast harmlos.“

Nach aktueller Rechtsprechung stellt das Tragen des FDJ-Emblems in Deutschland keinen Straftatbestand dar, wie u.a. im April letzten Jahres das Berliner Amtsgericht Tiergarten urteilte. Die Organisation war 1951 durch die Regierung Adenauer und 1954 durch das Bundesverwaltungsgericht in Westdeutschland verboten worden, weil sie die nicht zugelassene Volksbefragung gegen die Wiederbewaffnung der BRD mit organisierte. Im Osten und nach 1990 für ganz Deutschland blieb die FDJ legal.

„Das Verbot der FDJ wurde kurz nach der Befreiung vom Faschismus von denselben Nazis ausgesprochen, die auch 1933-45 ‚Recht‘ sprachen. Es richtete sich gegen eine Jugendorganisation, die sich gegen die Grundlagen von Nazismus und Krieg wandte“, so Michael von der Münchner FDJ-Gruppe. „Wer heute eine von Naziverbrechern gemachte ‚Rechtsprechung gegen Antifaschisten und Kriegsgegner zur Anwendung bringt, muss sich den Vorwurf der Anwendung terroristischer und antidemokratischer Methoden gefallen lassen. Die Staatsgewalt in Bayern scheint sich wieder als ‚Ordnungszelle des Reiches‘ zu verstehen.“

Die Jugendlichen sehen im Vorgehen der Polizei eine politisch motivierte Einschränkung ihrer Rechte auf Versammlung und Vereinigung sowie freie Meinungsäußerung und meinen im Umgang mit den Flüchtlingen einen Ausdruck von institutionellem Rassismus zu erkennen – dies umso mehr, da zeitgleich Hunderte Rassisten von der Polizei geschützt ihre Ansichten zum Ausdruck bringen konnten.

Sie bitten um Solidaritätsbekundungen mit den Betroffenen an die Mailadresse muenchen@FDJ.de, welche sie entsprechend weitergeben wollen.

 

Hintergrundinformationen:

Im Februar 1954 urteilte die Vereinigung Demokratischer Juristen Deutschlands:

„Das Verbot der Freien Deutschen Jugend Westdeutschlands, das die Bundesregierung mit dem Beschluß vom 26. Juni 1951 aussprach [...] ist nur ein Fall aus der Fülle der gegen die Rechte der Bürger Westdeutschlands gerichteten Maßnahmen, die die Politik der Eingliederung Westdeutschlands in den nordatlantischen Block nach sich zog. Diese Maßnahmen trugen alle typischen Anzeichen des Rechtsverfalls und der Willkürherrschaft.“

 

Oberstaatsanwalt Cunnar Herrmann, Hamm (in: StrafRechtsReport 8/2014):

„Das Tragen eines FDJ-Ost-Hemds mit Emblem erfüllt nach meiner persönlichen Rechtsauffassung – keinen Straftatbestand.“

 

Rechtskräftiger Beschluss des Amtsgerichts Berlin Tiergarten, April 2014 (Aktenzeichen 243 Cs 295/12):

„[...] Nach Auffassung des Gerichts erfüllt das Verhalten der Angeklagten strafbewehrt weder den Tatbestand des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1und Abs.2 in Verbindung mit § 86 Abs.1 Nr.2 StGB noch denjenigen des § 28 des Versammlungsgesetzes. [...]“

„[...] Indes wurde die "FDJ der ehemaligen DDR" als Jugendorganisation der ehemaligen SED, deren Nachfolgepartei "PDS" ehemals auch im Deutschen Bundestag vertreten war- und damit die von dieser getragenen Kennzeichen -so das Blauhemd mit dem identischen Symbol der aufgehenden Sonne - gerade nicht verboten. Im Gegenteil: der Einigungsvertrag aus dem Jahre 1990 sieht (wenn gleich nicht explizit die vorbezeichnete Organisation erwähnend) vor, dass alle Organisationen der DDR "zugelassen sind", wenn sich -wie geschehen- diese nach den Bestimmungen des Vereinsgesetzes registrieren lassen. [...]“

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