Gewerkschafter*innen weltweit unter Beschuss

Zu alarmierenden Ergebnissen hinsichtlich der weltweiten Lage von Arbeiter*innen und Gewerkschaften kommt der Globale Rechtsindex des Internationalen Gewerkschaftsbundes. Die Missachtung von Arbeiter*innenrechten durch Unternehmen und Regierungen, sowohl in autoritär als auch demokratisch verfassten Staaten, ist weiter gestiegen.

Rechtsverletzungen in Zahlen

In 85% der Länder wurde das Streikrecht missachtet, in 80% gab es Verletzungen des Rechts auf Tarifverhandlungen und in 59% wurde das Recht auf Zulassung von Gewerkschaften unterbunden. Seit dem letzten Jahr gab es eine Zunahme von 92 auf 107 Länder, wo das Recht verletzt wurde, eine Gewerkschaft zu gründen oder beizutreten. Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit sind zwar in allen Regionen mehr geworden – der massivste Anstieg, nämlich von 50% gegenüber dem Vorjahr, ist in Europa zu beobachten. Allein im laufenden Jahr 2019 wurden bislang in 123 von den untersuchten 145 Ländern Streiks erheblich eingeschränkt oder verboten.

In 52 Ländern waren Arbeiter*innen der Gewalt ausgesetzt und in 10 Staaten wurden Gewerkschafter*innen umgebracht. Allein im Jahr 2018 wurden 53 Gewerkschafter*innen in acht Ländern gezielt ermordet. Während etwa Italien zwar zu jenen Ländern zB neben Island, Uruguay und Slowakei gehört, in denen nur sporadisch die Rechte von Arbeiter*innen missachtet wurden, kam es hier andererseits auch zur Ermordung von Gewerkschafter*innen. In 54 Ländern wurde im vergangenen Jahr die Rede- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt. In 72% der Länder haben Arbeiter*innen keinen oder nur begrenzten Zugang zur Justiz. Die Anzahl der Länder, in denen Arbeiter*innen und Gewerkschafter*innen inhaftiert waren, ist gegenüber 2018 von 59 auf 64 gestiegen. Festgenommen wurden Arbeiter*innen in drei Viertel der Länder in der Region Asien/Pazifik und in einem Viertel der europäischen Länder.

Als schlimmste Weltgegend für Arbeiter*innen wird die Region Naher Osten und Nordafrika eingestuft und unter den 10 weltweit schlimmsten Ländern finden sich Brasilien, Philippinen und die Türkei.

Regionale Tendenzen

In der Region des Nahen Ostens und Nordafrikas waren besonders Wanderarbeiter*innen miserablen Bedingungen ausgesetzt. In Saudi Arabien wurde eine Wanderarbeiterin im Geheimen hingerichtet, nachdem sie in Notwehr ihren Vergewaltiger umgebracht haben soll. Eine unabhängige Organisierung von Gewerkschaften in Algerien und Ägypten wurde durch verschärfte Auflagen unterbunden, die meisten aufgelöst. Außerdem gingen die Regierungen repressiv gegen protestierende Arbeiter*innen vor, in Iran etwa gab es Massenverhaftungen.

In der Asien/Pazifik-Region hat die physische Gewalt zugenommen. Auf den Philippinen wurden im letzten Jahr insgesamt 10 Gewerkschafter*innen ermordet, neun Personen – darunter zwei Minderjährige – im Rahmen eines Protestes für Landreform. Bei Protesten gegen Sonderwirtschaftszonen in Vietnam setzte die Polizei Gewalt gegen Tausende von Demonstrant*innen ein, Hunderte wurden inhaftiert und in Haft geschlagen. In Bangladesch, Indonesien und China kam es zu systematischen Entlassungen von Arbeiter*innen, die versuchten, eine Gewerkschaft zu gründen. In der Region haben fast alle Länder das Streikrecht verletzt und das Recht auf Tarifverhandlungen wurde überall missachtet.

In fast der Hälfte aller afrikanischen Staaten wurden Arbeiter*innen inhaftiert. Polizeigewalt gab es etwa bei Demonstrationen in Kamerun und Ghana. Anfang 2019 wurden in Simbabwe bei einer Demonstration 12 Arbeiter*innen von den Staatskräften getötet. Das Streikrecht wurde in 38 von 39 Ländern von Afrika verletzt.

Gegenüber vergangenem Jahr hat sich das Rating von Gesamtamerika verschlechtert. In vielen Ländern wurde Gewalt gegen Gewerkschafter*innen angewendet. Den traurigen Rekord im Jahr 2018 hält zum wiederholten Male Kolumbien, wo 34 Gewerkschafter*innen ermordet wurden, viele von ihnen Landarbeiter*innen und Lehrer*innen. Auch in Brasilien und Guatemala gab es Morde an Gewerkschafter*innen. Straflosigkeit für diese Verbrechen war ein weitverbreitetes Problem. In Ländern wie Ecuador wurden zahlreiche Arbeiter*innen entlassen, weil sie eine Gewerkschaft gründen wollten. In Panama und Argentinien wurde die Zulassung von Gewerkschaften verweigert.

Auch das Rating von Europa hat sich verschlechtert. Es kam vermehrt zu Gewalt gegen Gewerkschafter*innen und Arbeiter*innen wurden wegen ihrer Teilnahme an Streiks juristisch verfolgt. In Italien und der Türkei gab es Morde an Gewerkschafter*innen. Zahlreiche Streiks wurden etwa in Frankreich und Belgien von der Polizei unterdrückt. Vergangenen Oktober wurden bei einem Protest von Arbeiter*innen des Istanbuler Flughafens 400 von ihnen verhaftet, 43 von ihnen droht ein Gerichtsverfahren. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Chemiearbeiter*innen in der Türkei wurde bei einem Betriebsbesuch im November 2018 erschossen.

Im Bericht des IGB, der Mitte Juni veröffentlicht wurde, werden 145 Länder im Zeitraum von April 2018 bis März 2019 bewertet und konkrete Vorfälle von Rechtsverletzungen dokumentiert, die in Fragebögen erhoben wurden. Grundlage sind die Normen der ILO.

Zwischen Diktatur und Demokratie

Dass die Gewerkschafts- und Menschenrechte immer mehr unter Druck geraten, beobachtet Marcus Strohmeier vom internationalen Referat des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) seit vielen Jahren. Dies hängt mit Diktaturen und ihrer repressiven Vorgehensweise gegen Arbeiter*innen zusammen wie in der Türkei und Ungarn. Andere Länder wie Simbabwe haben die Hoffnungen auf Demokratisierung nicht erfüllt und die Gefängnisse bleiben gefüllt.

Neben den Diktaturen gab es aber auch eine Reihe von demokratischen Staaten, in denen die Arbeiter*innenrechte in Frage gestellt und missachtet wurden. Obwohl die inzwischen abgewählte Syriza-Regierung in Griechenland angetreten war, die Interessen der Arbeiter*innen zu vertreten, hat sie nicht wieder das Recht auf Kollektivverhandlungen eingeführt, das die Troika aufgehoben hatte, kritisiert Strohmeier. In Tschechien wurde das Streikrecht eingeschränkt und auch in Polen ist es nun nicht mehr möglich, einen landesweiten Streik zu organisieren. In den USA haben einzelne Bundesstaaten Kollektivverhandlungen sogar verboten. Maßnahmen wie die Einführung des 12-Stundenarbeitstages und die versuchte Abschaffung der Jugendvertrauensräte in Österreich durch ÖVP und FPÖ gehen in eine ähnliche Richtung.

Gewerkschaftsrechte sind Menschenrechte

Der Abbau von Demokratie hat auch zur Folge, dass sich die Gewerkschaften neben ihren klassischen Aufgaben im Bereich der Arbeits- und Sozialrechte zunehmend dafür engagieren müssen, dass demokratische Verhältnisse abgesichert werden, und zwar nicht nur außerhalb Europas sondern auch in Ländern wie Polen, Ungarn, Italien und Ukraine. Denn: „Ohne Demokratie keine Gewerkschaften, zumindest keine freien Gewerkschaften. Und das ist unsere Lebensgrundlage, wie die Luft zum Atmen brauchen wir die Demokratie für unsere Arbeit„, so Marcus Strohmeier. Besonders seit den 2000er Jahren werden gerade in den demokratisch verfassten Gesellschaften die Rechte der Arbeiter*innen demontiert, auch weil die Unternehmen mit bestimmten Regierungsparteien sich rücksichtslos über die Arbeiter*innen und Gewerkschaften hinwegsetzen. Nicht nur in Österreich hören Sozialpartnerschaften auf zu funktionieren, weil die Unternehmensseite nicht mehr bereit ist, mit den Gewerkschaften zu verhandeln.

Marcus Strohmeier weist darauf hin, dass die Arbeit für Gewerkschafter*innen im internationalen Bereich viel komplexer geworden ist. Arbeitsrechtliche Standards der ILO werden mit Füßen getreten. Wenn zB in Kasachstan Arbeiter*innen inhaftiert werden, setzen sich die gut vernetzten Gewerkschaften mit Protestbriefen und Demonstrationen vor den Botschaften dafür ein, dass die Kolleg*innen wieder aus dem Gefängnis frei kommen. Aber zwei Wochen später werden wieder andere Gewerkschafter*innen eingesperrt. Hilferufe erhalten die ÖGB-Gewerkschafter*innen mittlerweile fast täglich aus aller Welt und der Arbeitsaufwand ist kaum noch zu bewältigen, sagt Strohmeier.

Besonderen Respekt bringt Marcus Strohmeier seinen Kolleg*innen in Kolumbien entgegen, deren Mut er bewundert, unter lebensbedrohlichen Umständen gewerkschaftlich tätig zu sein. Deshalb hat sich der ÖGB beim Abschluss des Freihandelsabkommens der EU mit Kolumbien quer gestellt. Letztlich vergeblich, denn während die Vorgängerregierung in Österreich sich noch aus menschenrechtlichen Bedenken weigerte, zuzustimmen, hat die Regierung von ÖVP und FPÖ nicht einmal mit der Wimper gezuckt und das Abkommen sofort unterzeichnet.

Im Rahmen der ILO wurde erst vor kurzem eine neue Kernnorm angenommen, die besagt, dass gegen sexualisierte Belästigung am Arbeitsplatz vorzugehen ist und bei Diskriminierung von Frauen* auch Strafen vorgesehen sind. Marcus Strohmeier wünscht sich außerdem ein stärkeres Engagement und eine Regelung der ILO, mit der die Rechte von LGBTIQ-Personen gestärkt werden, aber dies wurde von mehreren afrikanischen Regierungen blockiert.

„Wir lassen Menschenrechte und Gewerkschaftsrechte nicht auseinander dividieren. Das gehört für uns zusammen. Gewerkschaftsrechte sind Menschenrechte,“ hebt Marcus Strohmeier hervor.

Internationale Solidarität

Damit sich an den Verhältnissen etwas zum Besseren für die Arbeiter*innen verändert, hält Marcus Strohmeier ein Bündel von Maßnahmen für erforderlich. Zunächst ist es wichtig, dass die Konsument*innen informiert werden, was in den Produkten steckt und welche Arbeitsbedingungen und Entlohnung dahinter stehen. Auch die Vernetzung und gegenseitige Hilfe der Gewerkschaften sollte noch weiter gesteigert werden, so Strohmeier: „Wenn in Simbabwe die Gewerkschaftsführer*innen ins Gefängnis kommen, würde ich mir erwarten und wünschen, dass aus Uganda und anderen Ländern die Kolleginnen und Kollegen sofort agieren und vielleicht sogar die Grenzen blockieren.“ Schließlich braucht es auch mehr politischen Druck auf die nationalen Regierungen, damit diese sich im Rahmen der EU mehr auf internationaler Ebene für die Rechte der Arbeiter*innen einsetzen. Dieser notwendige politische Druck wird allerdings in Österreich durch die stark konzentrierte Medienlandschaft erschwert, was dazu führt, dass bürgerliche Medien einfach nicht über Themen berichten, welche die Arbeiter*innenrechte betreffen. Nicht zuletzt findet Strohmeier mehr politisches Engagement der Gewerkschaften nötig, um innerhalb der bestehenden Parteien mehr Druck aufzubauen. Skeptiker*innen wie etwa den ungarischen Gewerkschafter*innen hält Strohmeier entgegen: „Die Politik macht die Probleme für die Gewerkschaften, sie beschließt Gesetze, die dann ihre Arbeit einschränken. Das heißt, dass die Gewerkschaften sich ihrer Aufgabe bewusster werden sollten, politisch zu agieren und der verstärkte politische Arm der Zivilgesellschaft zu werden.“

zuerst veröffentlicht am 1.8.2019 auf Unsere Zeitung

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