Antifaschistsiche Bustour im Gedenken an Mehmet Turgut: Von antifaschistischem Gedenken, Neonazis und der Gefahrenabwehr des Staates.
Am Samstag den 17. 02. 2024 gedachten ca. 80 Antifaschist:innen dem Mord an Mehmet Turgut mit einer Bustour durch MV. Dabei wurden Stationen und Akteure rechten Terrors in dem Bundesland besucht und zu Kontiuitäten rechten Terrors und dem NSU Netzwerk in Mecklenburg-Vorpommern informiert. Immer wieder kam es dabei zu Konflikten mit der Polizei.
Am Abend vorher konnten wir mit 60 Antifaschist:innen einen Stadtteilspaziergang in Rostock Toitenwinkel durchführen. Dabei wurden Plakate und Sticker verklebt, die an Mehmet Turgut erinnern und die Forderung nach der Straßenumbennug in Mehmet-Turgut-Weg unterstreichen.
Die gefährlichste Bustour des Jahres
Vor 20 Jahren, am 25. Februar 2004 wurde Mehmet Turgut in einem Imbiss in Rostock Toitenwinkel vom NSU ermordet. Dies nahmen ca 80 Antifaschist:innen zum Anlass, die Gedenkwoche an Mehmet Turgut mit einer antifaschistischen Bustour durch Mecklenburg-Vorpommern zu starten. Der NSU war nicht nur zu dritt, er konnte sich auf ein großes Neonazinetzwerk an Unterstützer:innen verlassen. So auch in MV.
In zwei Reisebussen fuhren wir in das Dorf Püschow im Landkreis Rostock. Dort lebt der langjährige Neonazi David Petereit. Petereit, stellvertretender Vorsitzender der NPD in Mecklenburg-Vorpommern gehört zum Unterstützungsumfeld des NSU. Er erhielt Geld vom Kerntrio und bedankte sich dafür öffentlich in dem von ihm herausgegebenen Neonazizine „Der Weisse Wolf“.(https://antifainfoblatt.de/aib120/der-weisse-wolf-und-die-nsu-morde-im-norden https://www.nsu-watch.info/2012/05/nsu-brief-bei-petereit-gefunden/ )
Ein Grund für uns, ihn zu Hause zu besuchen. Mit Sprechchören, Gesprächen und Flyern informierten wir seine Nachbarschaft über die Machenschaften Petereits und seiner ungeahndeten Mitschuld am Mord an Mehmet Turgut. Zudem wurde ein Schild mit Informationen über ihn vor seinem Grundstück aufgestellt.Der sonst eher öffentlichkeitsscheue und auf Anonymität bedachte Petereit war auch persönlich anzutreffen und sichtlich aufgebracht über unseren Besuch.
Nach diesem ersten Zwischenhalt ging es für uns entspannt weiter. Nach einem von der Polizei erzwungenen Halt in Rostock, der ohne weitere Maßnahmen verlief ging es weiter nach Güstrow.
Güstrow steht symbolisch für eine Region, in der sich der NSU sehr wohl fühlte. Einige Kilometer weiter, in Krakow am See machte das Trio Urlaub, traf sich mit Holger Gerlach und anderen Neonazis auch aus der Region. (https://antifainfoblatt.de/aib137/wie-unbekannt-war-der-nsu) Außerdem wurde 2014 bei einer Hausdurchsuchung eine der „NSU-CDs“ gefunden. (Link) Aber nicht nur deshalb ist Güstrow ein spannender Ort für Antifaschist:innen. Seit den 90er Jahren ist die Stadt ein Hotspot rechter Gewalt in MV. Drumherum liegen zahlreiche völkische Siedlungen und mehrere Neonazikader aus der Region wohnen hier. Güstrow ist zudem der Ort, an dem das Terrornetzwerk „Nordkreuz“ auf dem Schießplatz der „Baltic Shooters“ trainiert hat und die Munitionsbestände zur Tötung politischer Gegner sammelte. (Link)Während einer Kundgebung wurde durch NSU-Watch über die Verbindungen des NSU nach MV informiert und die Kontinuität rechten Terrors im Bundesland aufgezeigt. Im Anschluss wurde auch hier ein Schild mit Informationen zu Güstrow und rechtem Terror aufgestellt.Nach einer kleinen Stärkung präsentierte sich noch der III. Weg Kader David Mallow beim Kampfsporttraining im nahegelegenen Park. (https://indyhro.blackblogs.org/2017/06/15/hro-outing-neonazi-david-mallow/ )
Von Güstrow aus ging es zum Innenministerium in Schwerin. Dort wurde daran erinnert wie die rassistische Ermittlungsarbeit zum Mord an Mehmet Turgut lief und welche Rolle der Verfassungsschutz als Finanzier der rechten Szene spielte, wie sehr seine V-Leute im Unterstützungsumfeld tätig waren und wie die Behörde versuchte dies zu vertuschen in dem sie, auch in MV, im großem Stil Akten vernichteten. Wie auch an den vorherigen Stationen wurde hier eine Informationstafel zur Verstrickung von Behörden und Rechtsterrorist:innen aufgestellt.
Der letzte Halt unserer Bustour sollte die angemeldete Kundgebung „Mehmet-Turgut-Weg jetzt!“ In Rostock auf dem Neuen Markt werden. Dort sollte über die Biografie Mehmet Turguts berichtet werden und über das Versagen der Stadtpolitik, 20 Jahre nach seinem Mord den „Neudierkower Weg“ in „Mehmet-Turgut-Weg“ umzubenennen. Diese Kundgebung, an der in Rostock 50 Menschen teilnahmen, sollte jedoch nie erreicht werden.
Von Schlauchtüchern und anderen gefährlichen Gegenständen
Wie schon Eingans erwähnt gab es immer wieder Zwischenfälle mit der Polizei. Nachdem David Petereit eine Anzeige wegen mutmaßlicher Sachbeschädigung stellte, wurden unsere beiden Busse mit einem riesigen Polizeiaufgebot (+10 Wannen, BFE, Helikopter) abgefangen und nach Rostock gelotst. Auf einem Parkplatz warteten schon behelmte und vermummte BFE-Einheiten aus Schleswig-Holstein, die im Zuge ihres Einsatzes um das Heimspiel des F.C. Hansa Rostock nichts besseres zu tun hatten als uns davon abzuhalten unsere angemeldete Kundgebung in Güstrow zu besuchen. Der Grund dieses Stopps konnte uns lange Zeit nicht erklärt werden. Als der Einsatzleitung klar wurde, dass die angeblich begangenen Straftaten nicht ausreichten um weitere Maßnahmen zu veranlassen konnten wir unsere Reise fortsetzen. Ab diesem Zeitpunkt wurden unsere Busse von einem Zivilfahrzeug des Staatsschutzes (DBR-ED-253 - Nissan Pajero) eng begleitet. Dies sollte nicht der letzte Kontakt mit der Polizei bleiben.
Während unserem Halt vor dem Innenministerium, um Passant:innen über die Verstrickung von Staat und Rechtsterrorismus zu informieren fiel den Anwesenden Polizist:innen der Hammer auf, den wir offensichtlich zum Errichten der Informationstafeln schon den ganzen Tag bei uns führten. Dieser wurde kurzerhand als „gefährlicher Gegenstand“ beschlagnahmt und ein Teilnehmer zu einer Personalienfeststellung beiseite genommen. Die Polizei versuchte eine erkennungsdienstliche Maßnahme zu erpressen indem sie drohten den abgegebenen Personalausweis nur im Gegenzug für eine Fotobehandlung wieder auszuhändigen. Dieser Erpressungsversuch konnte erfolgreich verhindert werden. Nach längerem Hin und Her war die Maßnahme beendet, alle Teilnehmenden bestiegen die Busse für die letzte Fahrt des Tages zur angemeldeten Kundgebung nach Rostock.
Zwanzig Minuten später wurden beide Busse auf der A14 von mehreren Polizeiwaagen abgefangen. Die Bullen, wahrscheinlich unter dem Einfluss von zuviel „Alarm für Cobra11“, sahen ihren großen Moment gekommen und bremsten die beiden Busse in einem sehr gefährlichen Manöver auf der Autobahn aus. Die Busse wurden ohne Sonderzeichen von der Autobahn auf den nächstgelegenen Rastplatz „Pröbbower See Ost“ gedrängt. Auf diesem eröffnete sich uns ein martialisches Bild. Auf dem Rastplatz war eine große Kontrollstelle der Polizei errichtet worden, wieder die behelmten und vermummten BFE Einheiten aus Schleswig-Holstein vom Vormittag und Bereitschaftspolizei aus MV. Fast der gesamte Parkplatz war voll mit Polizei. Innerhalb kürzester Zeit und ohne Angabe von Gründen stürmte die BFE den ersten Reisebus. Eine fahrende Person wurde dabei brutal aus dem Bus gezogen und musste gefesselt auf den Asphalt knien. Die Polizei schüchterte die Teilnehmenden durch Geschrei, Androhung von Gewalt und Schläge gegen die Sitze massiv ein. Alle Anwesenden wurden permanent gefilmt, wurden gezwungen eine Zwangshaltung einzunehmen und medizinische Masken abzulegen. Auch der zweite Bus wurde durch die BFE gestürmt. Auch nach mehrmaligem Erfragen des Grundes für die Maßnahme wurde entweder nicht geantwortet oder immer unterschiedliche Angaben gemacht. Oft wurde von den Bullen auf des eigene Unwissen verwiesen, oder nur gesagt, dass der Grund für die Kontrolle die Anweisung ihrer Vorgesetzten sei.Alle Aktivist:innen wurden nacheinander abgeführt, teilweise unter Anwendung von Zwang durchsucht, abgetastet und ihre Identitäten wurden festgestellt. Von einigen wurden Fotos zur erkennungsdienstlichen Behandlung angefertigt. Wir wollen noch einmal die massiven Grundrechtseingriffe dieser Maßnahmen betonen. So durften wir die Toiletten nur ohne Privatsphäre mit geöffneter Tür unter den Augen der Bullen benutzen. Außerdem wurden beide Busse, teilweise rechtswidrig ohne Zeug:innen durchsucht und alle Privatgegenstände wie Taschen und Jacken auseinander genommen. Nach ca 2 1/2 Stunden konnten wir weiter nach Rostock fahren.
Wir sind uns sicher, dass die völlig verhältnislose Maßnahme reine Schikane war und die Bullen nur Interesse daran hatten rauszufinden wer sich in den Bussen befand. Die gefunden Gegenstände, die zu wilden Berichterstattung der lokalen Presse führten, hatten wir, wie immer bei solchen Aktionen dabei. Antifaschistischer Selbstschutz ist, gerade in MV, notwendig, um sich gegen Angriffe von Neonazis zur Wehr setzen zu können. Der gestrige Tag zeigt eimal mehr, dass wir uns eben nicht auf die Polizei verlassen können. Der ganze Tag lief unsererseits völlig friedlich ab, aber die Inhalte unserer Tour haben scheinbar gereicht um die Polizei zu so einer massiven Kontrolle zu bringen.
Wir sind nach dieser Aktion zuversichtlich und selbstbewusst. Die Schikanen, die uns den Tag über begleiteten, haben uns nur einmal mehr gezeigt, dass wir den richtigen Nerv getroffen haben und der Staat bis heute nicht hören will inwieweit er mit rechtem Terror verstrickt ist. Wir lassen uns von solchen Drangsalierungen nicht einschüchtern und stehen gemeinsam ein für die Erinnerung an Mehmet Turgut und diejenigen, die rechten Terror in Mecklenburg-Vorpommern ermöglicht haben.
Nazis morden, der Staat macht mit, der NSU war nie zu dritt!