Zur Aussage: "Antideutsche sind keine Linken"

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Seit dem 7. Oktober wird in Leipzig, Deutschland, Österreich und der Schweiz diskutiert und gestritten. Eine Sammlung unterschiedliche Beiträge findet sich in diesem Beitrag: https://knack.news/8314. Hauptsächlich geht es um das Verhalten von K-Gruppen auf Demonstrationen, in Bündnissen und Räumen. Die Vertreter*innen der K-Gruppen reagieren häufig darauf, wie sie es schon seit Jahren machen, nämlich mit "Antideutsche sind keine Linken".

 

Dabei ist es unerheblich, wie bei der abgesagten antifaschistischen Demo in Eisenach, ob sich die Organisator*innen selbst  als "Antideutsche" verstehen oder nicht. Eine Antifaschistin schrieb vor ein paar Tage folgendes zur Thematik:

 
Dieser "Antideutsche sind keine Linken"-Take ist so unglaublich ignorant und dumm. Als Person, die wegen ihrer Kritik an ideologiekritischen Männerbünden bis heute als Feindbild rechtsantideutscher Maskus fungiert, weiß ich aus erster Hand über deren reaktionäre Tendenzen bescheid. ABER. Er blendet eben bewusst Menschen aus, die seitenstellenweise Jahrzehnten antifaschistische Arbeit leisten. Sich mit Nazis anlegen. Texte schreiben. Innerlinke Kritik üben. Und diesen Genoss*innen absprechen, links zu sein, weil sie Israel nicht von der Landkarte gewischt sehen wollen, ist infam. Aus einer -stellenweise sehr berechtigten- Enttäuschung von der radikalen Linken haben Teile der Antideutschen eine affekthafte Ablehnung gegenüber allem entwickelt, was sie als "links" und ~postmodern~ begreifen: vor allem identitätspolitische (antirassistische, queerfeministische) Kämpfe. Seien wir ehrlich: da passiert nichts anderes als eine pseudointellektuelle Legitimation der eigenen Ressentiments und die Verteidigung der eigenen Vorherrschaft. Es ist bezeichnend, dass sich Bahamas-Autoren eher an (selbst antideutschen) Feministinnen anstatt an was anderem abgearbeitet haben.

Gleichzeitig bedienen diese Leute auch sehr dankbar die Projektionsfläche "Antideutsche". Sie sind misogyne, rassistische Edgelords, die kein Interesse daran haben, eine radikale Linke durch - mal harsche, mal solidarische Kritik - besser zu machen. Aber indem der Fokus auf diese Rechts/Postantideutschen gelegt wird, blenden Leute aus, *was die Antideutsche auszeichnet* und wie viele vernünftige Leute und Kritik wir ihr zu verdanken haben. Aber Gruppen wie NTFK bedienen auch eher Feindbilder als die queere Sinistra, und wir mögen Feindbilder! Es war und IST notwendig, sich mit den Spezifika des NS zu befassen. Und wieso sie nicht aufgearbeitet worden sind. Damit, was Antisemitismus eigentlich auszeichnet. Deutsches Großmachtstreben damals und heute zu kritisieren (und da gibt es sehr gute Anschlüsse an postkoloniale Kritik imho!). Geschlechterbilder im NS zu erklären und ihr Nachwirken über Deutschland hinaus aufzuzeigen. Den deutschen Drang der Erinnerungsweltmeisterei als Farce zu entlarven. Solidarität mit von Islamismus betroffenen zeigen, ihnen zuhören, von ihnen lernen, anstatt Kulturrelativismus betreiben, etc. Beschäftigung mit der kritischen Theorie und Psychoanalyse hat mich gelehrt, in Widersprüchen zu denken, Zweifel zuzulassen, mich permanent selbst - kritisch, aber liebevoll - zu hinterfragen.
Das ist *wichtig* für solidarische, gute politische Arbeit, als auch Gesellschaftskritik. Es macht mich wütend, dass all das nicht gesehen wird. Dass "Antideutsch" immer "rassistische Trottel" bedeutet und nie Leute wie Bini Adamczak, Thomas Ebermann, Moishe Postone, Joachim Bruhn, Jutta Ditfurth. Dass Leute die "Bahamas" kennen, aber von der "Outside the Box" nichts wissen wollen. Antideutsche waren schon immer ein dankbares Feindbild, uA wegen Antiintellektualismus, Antisemtismus, Frustration über innerlinke Kritik. Und dass sie zu viele Drogen nehmen (übrigens: wo bleibt der Dank an Egotronic, Antifa-Inhalte so über Musik verbreitet zu haben? Danke, Torsun) Und gerade gewinnt dieses Feindbild wieder immens an Zulauf, was glaube ich auch viel mit dem Erstarken autoritärer kommunistischer Gruppen zusammen hängt.

Weil: einfache Lösungen und straffe Organisation passt nicht so zu kritischer Theorie und Negative Dialektik-Lesekreis und Selbstzweifel. Es macht mich wütend, wenn antideutsche Edgelords die Katastrophe in Gaza abfeiern oder mit den Angriffen auf Dresden vergleichen (es gibt zum Glück einen historischen Unterschied: auch wenn die Hamas gerne alle Juden vernichten würde, sie kann nicht). Es ist so zynisch und menschenfeindlich. Und daraus wird dann eben ein "ALLE Antideutschen unterstützen die Netanjahu-Regierung/hassen Palästinenser*innen" etc. Und das stimmt einfach nicht, und jede Person die das behauptet KÖNNTE WISSEN dass das nicht stimmt, wenn sie bereit wäre, ihre Feindbilder zu hinterfragen.

Damit will ich nicht sagen, dass nicht unbeträchtliche Teile der Antideutschen nicht brutale Leerstellen haben und hatten, was Rassismus, Misogynie, Antiziganismus... angeht. Und gerade *als* Antideutsche finde ich es fatal, dies aus Schutzbedürfnis zu leugnen oder gar gut zu finden. Naja, long Story short: eine Aussage wie "Antideutsche sind keine Linken" (liebe es ja besonders wenn mir die von einer Person an den Kopf gehauen wird deren Aktivismus aus "Insta-Slides teilen" besteht) ist ungefähr so richtig wie "alle Kommies lieben Pol Pot". Hinterragt mal eure Feindbilder.

 In diesem Rant steckt einiges wichtiges drin. Darum stellt sich für Antifaschist*innen der angeblich "antideutschen Hochburg" Leipzig, die hin und wieder als "gefallen" und dann doch als immer noch präsent erklärt wird, die Frage, wieso es keine Brüche mit den "misogynen, rassistischen Edgelords" gibt? In den letzten Monaten gab es Demonstrationen vom Bündnis "Reclaim Antifa" (https://reclaimantifa.noblogs.org/) auf denen auch die "Antideutschen Kommunisten Leipzig" Redebeiträge vorgetragen haben. Während jener aus dem letzten Jahr noch auf der Bündnis-Seite dokumentiert wurde, taucht die Rede der "Antideutschen Kommunisten Leipzig" vom 27. Januar 2024 nicht auf. Hoffentlich weil diese Gruppe aus dem Bündnis geworfen wurde, so hieß es in ihrem Beitrag nämlich:

 Nein, diese Personen, die heute hier vorbei marschieren werden und dabei stolz die Hakenkreuzfahne des Multikulturalismus vor sich hertragen, verfolgen mit ihrem Vorwurf des Völkermordes genau zwei Ziele: Erstens, die Delegitimierung und Dämonisierung des bürgerlichen Staatswesens Israel. Und zweitens die Verschleierung des palästinensischen Ansinnens, die Pläne der Wannsee-Konferenz von 1942 vollenden zu wollen. Ihre Palästinasolidarität zielt somit auf nichts weniger als auf die Endlösung der Israelfrage.

  Es ist wichtig sich gegen den Antisemitismus der K-Gruppen zu stellen, wie es wichtig ist sich gegen den Rassismus und Antifeminismus von "Antideutschen" zu stellen. Wer es mit emanzipatorischen Antifaschismus ernst meint, sitzt nicht in Bündnissen mit misogynen und rassistischen "Antideutschen Kommunisten" und gibt ihnen auch keine Plattform auf den eigenen Veranstaltungen.

 

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