Ende Geländewagen - Straßenblockade vom 31.05.2019 #autofrei

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Im Zuge des Aktionstag des 4. Klimacamps bei Wien besetzten um die 250 Aktivisti die Aspernbrücke der Ringstraße. Für fast fünf Stunden wurde der urbane Autoverkehr, der die Luft zum Atmen sowie den Raum zu Leben raubt, friedlich blockiert. Um die 200 Polizisten plus Kletterkräfte und Feuerwehr-Drehleiter räumten die Versammlung, teilweise mit rabiater Polizeigewalt, die sogar ein Leben bedrohte. Etwa 100 Menschen wurden vorläufig festgenommen und in die PAZ (= GeSa) überführt.

Am Freitag, den 31. Mai, fanden in Wien mehrere Klimaproteste statt. Zum einen gab es die Großdemo von Fridays For Future Wien, die dank des Besuchs von Greta Thunberg ca. 35 000 Demonstrierende auf die Straße brachte. Zum anderen gab es vielfältige Protestformen, darunter eine Performance von System Change, not Climate Change!, Die-ins von Extinction Rebellion Wien, Präsenz von Farmers For Future vor der Raiffeisen-Zentrale, eine Fahrradaktion und eine Kinder- und Jugendaktion, bei der Briefe von Jugendlichen aus dem globalen Süden vorgelesen wurden. [1] Und es gab die Aktion „Ende Geländewagen“, bei der die Aspernbrücke der Ringstraße für fast fünf Stunden lang friedlich blockiert wurde. [2] Die Botschaft: Wien wird #autofrei! Der Autoverkehr ist in Österreich eins der größten Umweltprobleme. In den letzten 30 Jahren hat sich der Autoverkehr verdoppelt und seit 1990 sind die entstehenden Emissionen um über 70 % angestiegen. [3] 2018 kam es im österreichischen Straßenverkehr zu 409 Toten, 46 525 Verletzten und 36 846 Unfällen. [4] Die durch den Autoverkehr angetriebene Luftverschmutzung stellt mit ca. 790 000 vorzeitigen Todesfällen in Europa die größte Gesundheitsgefahr dar. [5] Nach einer Studie des VCÖ verursacht die Luftverschmutzung in Österreich zudem einen Schaden von rund zwei Milliarden Euro. [6] Darüber hinaus vertreiben billige Parkflächen und befahrene Straßen immer mehr Menschen aus der Stadtmitte, was wiederum den Verkehr erhöht. Der ökologische wie ökonomische Wahnsinn verdeutlicht sich in der geplanten Lobau-Autobahn durch den Nationalpark Donau-Auen, die fossile Technologien und kurzfristige Profitinteressen statt die nötige Mobilitätswende und zukunftsfähige Arbeitsplätze fördert. [7]
Der Ort des Geschehens war früher mal ein grünflächiges Naherholungsgebiet, das heute eine zubetonierte Straße ist. Zu Beginn der Aktion wurden mehrere Bengalos gezündet. Rhythms of Resistance und ein Lauti sorgten für musikalische Unterstützung. Mithilfe von zwei Tripods und Brückenabseilungen wurde die Straßen- und Brückenblockade in die Länge gezogen. Um die 200 Polizisten waren im Einsatz. Kletterkräfte der WEGA (Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung) und Feuerwehr-Drehleiter herangezogen. Die Polizei begann nach einiger Zeit, als sie einen Teilkessel gebildet haben, mehrere Aktivisti zu schubsen, woraufhin sich ca. 100 Aktivisti halbkreisförmig in ein bis drei Reihen hingesetzt haben. Das geschah etwas unorganisiert, was einen Teil der Kreuzung befahrbar machte. Vermutlich wären zwei durchgehende Reihen besser gewesen. Nichtsdestotrotz wurde der urbane Autoverkehr erfolgreich behindert. Seitens der Polizei gab es den Vorwurf, dass auch die Ambulant blockiert worden sind, jedoch wurde zu keinem Zeitpunkt eine entsprechende Durchsage gemacht, noch war ein Rettungswagen für die Aktivisti sichtbar. Auch die Sperre der U-Bahn, von der einige Medien berichtet haben, konnte von den Wiener Linien nicht bestätigt werden. Diese plumpen Desinformationen sollen die Klimagerechtigkeitsbewegung diffamieren. Nach anfänglichem Zögern fing die Polizei mit der Räumung an und wurde dabei immer schneller und effektiver.
Insgesamt wurden vier Aktivisti schwerer verletzt; daneben zogen sich weitere Aktivisti Prellungen und Blutergüsse zu. Schmerzgriffe wurden selbst bei Aktivisti eingesetzt, die kooperationswillig aufstanden und mit der Polizei mitgingen. Nicht nur kam es zu einem angebrochenen Mittelhandknochen, einer Platzwunde und gezielten Schlägen in die Nieren auf einen bereits fixierten Menschen [8], sondern auch zu einer mutwilligen Gefährdung des Lebens. Als ein Mensch die Aktion filmen wollte, wurde er von der Polizei weggeschubst. Auf die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage das geschehe, wurde der Mensch von Polizisten fixiert, während ein Polizeiauto beinahe über seinen Kopf gefahren ist. [9] Es sollte wohl Blickschutz von den Aktivisti gewährleistet werden. Gegen den Menschen steht eine Geldstrafe von 600 Euro wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt im Raum. [10] Die Strategie der Gegenanzeige findet auch bei der Wiener Polizei Anwendung. So wurden drei weiteren Aktivisti mit ähnlicher Begründung angezeigt. Leider waren etablierte Massenmedien und parlamentarische Beobachtende nicht sichtbar vertreten, was vielleicht die Polizeirepression etwas gelindert hätte.
96 Aktivisti wurden vorläufig festgenommen, von denen ca. 80 Aktivisti in ein PAZ (Polizeianhaltezentrum; entspricht der GESA) überführt wurden, weil sie sich nicht ausweisen wollten. Als um ca. 18 Uhr die Aktivisti im PAZ Rossauer Lände ankamen, war die Polizei mit der Anzahl an vorläufig Festgenommenen sichtlich überfordert. Nachdem die Aufnahmezellen gefüllt waren, wurden die restlichen ~60 Aktivisti in den Innenhof geführt. Dort herrschte weitestgehend eine sehr gute Stimmung und auch bereits Inhaftierte zeigten sich aus ihren Zellen solidarisch, z.B. durch das Hinunterwerfen von Zigaretten. Laut einem Polizisten haben Vorgesetzte darauf gepocht, dass das bürokratische Prozedere der erkennungsdienstlichen Behandlung (Gewicht, Größe, Foto), Medizincheck durch einen Arzt und die Einquartierung in eine Zelle durchgeführt werden müsse. Das Verwaltungsstrafgesetz schreibt ein Maximum von 24 Stunden vor, in der die Identitätsfeststellung erfolgen kann, danach muss es zur Freilassung kommen. Zwischen Mitternacht und 6 Uhr morgens wurden die meisten Aktivisti entlassen, wo sie von einer jubelnden Mahnwache (bzw. PAZ-Support) mit Essen, Getränken, Musik und Schlafmöglichkeiten empfangen worden sind.
Einigen Aktivisti wurde Geld von der Polizei aufgrund von Gefährdung von Strafentzug konfisziert. Das diente als weiteres Druckmittel zur Identitätsfeststellung, weil bei Widerspruch gegenüber der Polizei der Name preisgegeben werden muss. Insgesamt wurden etwa 500 Euro und mehrere Gegenstände beschlagnahmt. Es werden dafür sowie für anstehende Gerichtsverfahren Spenden gesammelt. [11] Erschwerend kommt hinzu, dass einem Menschen Medikamente weggenommen wurden, was nicht protokolliert wurde. Stattdessen behauptete die Polizei, der Mensch habe sie selber verloren.
Am Tag darauf fand auf dem Heldenplatz bereits ein Rave für Versammlungsfreiheit statt. Am Donnerstag, den 06. Juni, soll mit der Demonstration „Halt der Polizeigewalt – für ein gutes Leben für alle“ weiter auf dieses inhärente Problem des Systems aufmerksam gemacht werden, gegen das mit solchen Aktionen wie Ende Geländewagen gekämpft wird. Insgesamt hat diese zumindest seitens der Aktivisti gewaltfreie direkte Aktion Österreich vor eine neue Situation gestellt. Obwohl lediglich Verwaltungsübertretungen und keine Straftaten begangen wurden, reagierte die Polizei mit unverhältnismäßigen Repressionen. Dies hat eine Debatte im öffentlichen Diskurs um Polizeigewalt angestoßen. In Österreich gibt es bislang keine Kennzeichnungspflicht für Polizisten. Außerdem wurden erstmalig in dieser Größenordnung erkennungsdienstliche Maßnahmen wegen Ökoaktivismus in Wien durchgeführt. Es bleibt zu hoffen, dass sich Menschen nicht abschrecken lassen, sondern umso mehr für Klimagerechtigkeit aktiv werden.

Links u.ä.:
[1] https://klimacamp.at/rueckblick-aktionstag/
[2] https://klimacamp.at/pressemitteilung-vom-31-05-19/
[3] https://orf.at/stories/3103358/
[4] https://www.statistik.at/web_de/statistiken/energie_umwelt_innovation_mo...
[5] https://academic.oup.com/eurheartj/article/40/20/1590/5372326
[6] https://www.vcoe.at/files/vcoe/uploads/Presseaussendungen%20Dokumente/CE...
[7] https://www.zukunft-statt-autobahn.at/die-lobau-autobahn/
[8] https://twitter.com/Marcus_MoD/status/1134766405184884736
[9] https://twitter.com/RADikalAutofrei/status/1135961440924442624
[10]https://klimacamp.at/pressemitteilung-vom-04-06-2019/
[11] Spendenkonto:
KlimaRad IBAN: AT81 1420 0200 1097 1218
BIC/SWIFT: EASYATW1
Verwendungszweck: Soli-EGW2019

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