Turin: Solidarität mit den Betroffenen der "Operazione Scintilla"

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Am Donnerstag, den 7. Februar 2019, begann um 4:40 Uhr in der Früh die Räumung des seit 1995 besetzten Squats "Asilo occupato" ("der besetzte Kindergarten") in der Via Alessandria 12 in Turin. Die Räumung wurde im Rahmen der "Operazione Scintilla" ("Operation Funke") durchgeführt. Mehrere hundert Carabinieri in Kampfuniform, Polizist*innen und Zollbeamt*innen mit Maschinengewehren und Zivis haben dabei nicht nur das Haus geräumt, sondern auch sechs Anarchist*innen verhaftet. Nach einer siebten Person wird noch gefahndet.

Am Donnerstag, den 7. Februar 2019, begann um 4:40 Uhr in der Früh die Räumung des seit 1995 besetzten Squats "Asilo occupato" ("der besetzte Kindergarten") in der Via Alessandria 12 in Turin. Die Räumung wurde im Rahmen der "Operazione Scintilla" ("Operation Funke") durchgeführt. Mehrere hundert Carabinieri in Kampfuniform, Polizist*innen und Zollbeamt*innen mit Maschinengewehren und Zivis haben dabei nicht nur das Haus geräumt, sondern auch sechs Anarchist*innen verhaftet. Nach einer siebten Person wird noch gefahndet.

Die Anklagen sind schwerwiegend: Bildung einer subversiven Vereinigung, Anstiftung zu Verbrechen sowie der Besitz und die Herstellung und Beförderung von Sprengkörpern an einem öffentlichen Ort. Die Anklagen stehen im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen das italienische Migrationsregime, namentlich gegen die Ausschaffungslager/-knäste CPR bzw. CIE (Centro per l’Immigrazione e il Rimpatrio = Immigrations- und Repatriierungszentrum bzw. Centro di identificazione ed espulsione = Identifikations- und Ausschaffungszentrum), mehr Infos unten.
Das Asilo wurde im Rahmen dieser Operation geräumt, weil es vom Staat als "logistische und operative Basis" dieser "subversiven, aufständischen Vereinigung" betrachtet wird.

Die Räumung des Asilo wurde von den Besetzer*innen 36 Stunden verzögert, weil sich einige auf die Dächer zurück gezogen hatten. Parallel organisierten Sympathisierende wilde Demos in der Stadt, bei denen es zu Zusammenstössen mit der Polizei gekommen ist. Das Asilo wurde in den letzten Tagen unbewohnbar gemacht (Zerstörungen im Innern, zugemauerte Fenster etc.).

Ein erster Gerichtstermin für die Gefangenen der "Operazione Scintilla" folgt in voraussichtlich 15 Tagen, d.h. ungefähr am 27. Februar.

Bei den grossen Solidaritäts-Demos gab es einige Verhaftungen und über 200 Personenkontrollen. Viele Verhaftete berichten von Blutergüssen, welche ihnen die Polizei bei der Verhaftung zugefügt hat. Mindestens vier Menschen mussten aufgrund ihrer Verletzungen ins Spital. Die Vorwürfe für die zwölf an der Demo vom Samstag Verhafteten lauten Verwüstung, Plünderung, "Widersetzungen", Körperverletzung und Waffenbesitz.

Frei übersetzt aus dem Communiqué der Solidaritätsdemo vom Samstag, den 9. Februar:

"Sie führen Krieg gegen die Armen und nennen es Umschulung. Wir widersetzen uns den Herren der Stadt."
Hinter diesem Banner konzentrierte sich die Demo. Eine vielfältige, starke Demo, entschlossen, die Feindseligkeit gegen diejenigen, die vom Management der Stadt profitieren, konkret und sichtbar zu machen. [...]
Die Atmosphäre, die wir atmeten, war eine Atmosphäre intensiver emotionaler Beteiligung an den Ereignissen der vergangenen Tage und wachsender Wut über die Militarisierung eines grossen Teils des Bezirks Aurora, eine Polizeipräsenz, die auch heute noch nicht nachzulassen scheint und die das Gefühl der "Normalität" wiederherstellt, die die Bürgermeisterin der Stadt aufzwingen möchte. [...]
Die Demo kämpfte sich durch die Strassen, wobei Barrikaden von brennenden Containern und zerschmetterten Autos zurückgelassen wurden. [...] Leider verursachte eine letzte Polizeiaktion am Schluss der Demo die Verhaftung von zwölf Demonstrierenden und die Verletzung von deren vier.
[...]
Die gestrige Demo ist nur der Anfang, jetzt ist es an der Zeit, einen heftigen Kampf zu beginnen, der aus der Asche dieser repressiven Operation eine neue Blume hervorbringen wird."

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Details zu den Vorwürfen

Die Vorwürfe: Bildung einer subversiven Vereinigung; Anstiftung zu Verbrechen; Besitz, Herstellung und Beförderung von Sprengkörpern an einem öffentlichen Ort.

Die sechs Personen wurden auf Antrag der Anti-Terror-Gruppe der Turiner Staatsanwaltschaft verhaftet. Die Anklage lautet, dass die Beschuldigten

"eine subversive Vereinigung (ex Art. 270 c.p.) gefördert, konstituiert, organisiert und sich daran beteiligt haben, welche die nationale Einwanderungspolitik durch die wiederholte Zerstörung der CIE/CPR und durch systematische Gewalttaten und Einschüchterungen gegen die Unternehmen, die an der Verwaltung der oben genannten Aufnahmestrukturen beteiligt sind, beeinflussen soll und kann."
(“aver promosso, costituito, organizzato e partecipato a un’associazione sovversiva (ex art. 270 c.p.) diretta e idonea a influire sulle politiche nazionali in materia di immigrazione mediante la ripetuta distruzione dei CIE/CPR e con sistematici atti di violenza e intimidazione nei confronti delle imprese impegnate nella gestione delle sopra indicate strutture di accoglienza”.)

Den Verhafteten werden "21 Angriffe mit subversiven Zwecken" in verschiedenen italienischen Städten vorgeworfen: Einerseits sollen 15 Pakete mit Sprengstoffen an Unternehmen in Turin, Bologna, Mailand, Rom (Französische Botschaft), Bari und Ravenna geschickt worden sein, sechs weitere Sprengstoffe haben die Büros der italienischen Post (Poste Italiane) in Turin, Bologna und Genua betroffen. Die Poste Italiane wurde angeblich getroffen, da sie als Eigentümerin der Fluggesellschaft "MistralAir" seit 2011 den Ministerialauftrag für Ausschaffungsflüge innehat.
Zwei der Verhafteten wird vorgeworfen, am 30. April und 9. Juni 2016 gemeinsam mit bisher unidentifizierten Personen Sprengkörper vor Bankomaten der Poste Italiane in Turin platziert zu haben.
Zudem:

"Um Kontakte innerhalb der CPR herzustellen, warfen sie Tennisbälle mit einer mehrsprachigen Broschüre und einer Mobiltelefonnummer, mit der sie gleichzeitige Aktionen innerhalb und ausserhalb der CPR-Struktur vereinbarten. Dann steckten sie in Paketen mit Keksen und anderen Waren Streichhölzer und alles, was nötig war, um eine Revolte zu starten und Feuer zu legen".

Ziel dieser Aktionen sei es gewesen, die "Aufnahmefähigkeit" der CPR zu schwächen oder zu zerstören (siehe http://www.nuovasocieta.it/operazione-scintilla-sgombero-dellasilo-e-anarchici-arrestati-per-associazione-sovversiva/).

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Das Klima in Italien und weitere Randnotizen

Italiens Politiker*innen wollen mit "aller Härte durchgreifen":

  • Der Polizeipräsident Messina beschreibt die (konstruierte) Gruppe der Verhafteten als "höchst gefährliche Zelle"
  • Der italienische Innenminister Matteo Salvini fordert "Gefängnis für diese Berüchtigten" und will alle "von Kriminellen frequentierten Sozialzentren" schliessen
  • Die Bürgermeisterin Chiara Appendino gratuliert der Polizei zur Räumung.
  • Alessandro Ciro Sciretti, ein Turiner Lega-Nord-Politiker, wünscht sich "keinerlei Gnade" für die Demonstrierenden der Soli-Kundgebungen für den Asilo-Squat. Sein Vorschlag: es bräuchte "ein wenig von der Diaz-Schule" (https://www.autistici.org/macerie/?p=33326#more-33326)

Nebst allen schlechten Neuigkeiten hat folgende Nachricht für Heiterkeit gesorgt:
Kurz nach der Demo vom Samstag fand am 13. Februar - wie jedes Jahr - eine antifaschistische Demo gegen einen faschistische Gedenk-Fackelmarsch der Casa Pound im Bezirk Vallette statt.
Die antifaschistische Demo endet vor dem Gefängnis, wo die Gefangenen inhaftiert sind. Laut dem Communiqué war dies "ein herzlicher Gruss an alle Gefangenen und vor allem an die Gefährt*innen und Freund*innen, die seit einigen Tagen eingesperrt sind. Dabei fängt ein Schuppen im Gefängnishof durch einen glücklichen Zufall [laut Medien ein Molotov Cocktail] Feuer und wird zerstört."
https://www.autistici.org/macerie/?p=33336

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Zur praktischen Solidarität

Es sind viele Verhaftete, gegen einige wurden schwere Anklagen erhoben, es drohen lange Haftstrafen. Es wird viel Geld benötigt - mensch ist sehr dankbar für Solibeiträge an das folgende Konto:

Giulia Merlini e Pisano Marco
IBAN IT61Y0347501605CC0011856712
ABI 03475 CAB 01605
BIC INGBITD1

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Die Liste der Verhafteten der "Operazione Scintilla":

  • Rizzo, Antonio
  • Salvato, Lorenzo
  • Ruggeri, Silvia
  • Volpacchio, Giada
  • Blasi, Niccolò
  • De Salvatore, Giuseppe

Die Liste der Verhafteten der Solidemo vom 9. Februar:

  • Antonello Italiano
  • Irene Livolsi
  • Giulia Gatta
  • Giulia Travain
  • Fulvio Erasmo
  • Caterina Sessa
  • Martina Sacchetti
  • Carlo Mauro
  • Francesco Ricco
  • Andrea Giuliano

Gabriele Baima hat ein Rayonverbot für Turin erhalten (er war kurzzeitig inhaftiert, dann entlassen).

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Ihr könnt den Gefangenen schreiben!

**Name der inhaftierten Person**
C.C. Lorusso e Cutugno
via Maria Adelaide Aglietta, 35,
10149 Torino TO
Italia

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LARRY, SILVIA, NICCO, BEPPE, GIADA, ANTONIO, ANTONELLO, IRENE, GIULIA, FULVIO, GIULIA, CATERINA, MARTINA, CARLO, FRANCESCO E ANDREA LIBER*!

SOLIDARITÄT MIT DEN GEFÄHRT*INNEN IN TURIN

SOLIDARITÄT MIT DEM ASILO OCCUPATO

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P.S.

Es handelt sich hierbei um eine unvollständige Zusammenfassung der Ereignisse in Turin, teilweise frei übersetzt von den folgenden Quellen:

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Ergänzungen

Mittlerweile sind die Verhafteten der Demo (12 Leute) wieder auf freiem Fuss - unter strengen Auflagen (Stand 13. Februar).