„Kennen Sie sich aus der Nordstadt?“ – Abwehr gefährlicher Gefahren in Charlottes Garten

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Anlässlich eines Tags der offenen Baustelle zur Imagepflege des Investors, gab es in "Charlottes Garten" in der Nordstadt eine kleine Störaktion, die gerade wegen dem Polizeieinsatz die gewünschte Aufmerksamkeit erreichte. Unter dem Deckmantel der „Gefahrenabwehr“ ließen sich die Cops als kostenlose Security der Immobilienwirtschaft gebrauchen, um mal wieder zu belegen, dass sie Freund*in und Helfer*in der Kapitalinteressen sind.

 

 

 

 

Bilder und erster Bericht finden sich zwar schon länger bei Facebook und Insta (167solidarisch), hier aber noch die Version mit ausführlicher Analyse und Ausblick.

 

ANLASS: Das Bauprojekt „Charlottes Garten“ in der Nordstadt Hannovers ist mitten in der Bau- und Vermarktungsphase- ca. 150 Eigentumswohnungen (und 26 geförderte, befristet preisgedämpfte Mietwohnungen) entstehen. Deren Werbeslogan: "In Charlottes Garten erwächst urbanes Leben auf einem völlig neuen Niveau!" - berüchtigt ist tatsächlich das Preisniveau mit bis zu 7.000 €/qm. Für die Firma BPD Bouwfonds Immobilienentwicklung gilt es (über)teure Eigentumswohnungen an die Käufer*innen zu bringen. Zur Imagepflege lud die Firma zu einem „Tag der offenen Baustelle“.

 

VORGESCHICHTE GOLDENER MIETHAI: Bereits 2019 wurde Charlottes Garten (inkl. des Vertriebspartner Thomas Klinke Immobilien) mit dem goldenen „Immobilien-Hai“, damals als Überraschungsbesuch bei einem „Open House“-Werbetermin, ausgezeichnet. Begründung: Das Bauprojekt nutzt das knappe Bauland der Nordstadt für den Bau von Eigentumswohnungen, die dann zu Höchstpreisen verkauft werden. Dies war Teil der satirischen "Goldenen Miethai"-Aktionen, bei denen 2019 monatlich besonders dreiste Immobilienakteur*innen ausgezeichnet wurden. Bereits damals kam es zu einem „skandalösen Polizeiansatz“ (s. https://de.indymedia.org/node/37704 oder HAZ 21.09.2019). Letztlich wurde damals gegen eine Person ein Bußgeld wegen einer Ordnungswidrigkeit verhängt (unangemeldete Versammlung von ca. 60 Aktivist*innen). Die Ermittlungen zu den von der Immobilienfirma angezeigten angeblichen Straftaten u.a. „Diebstahl“ (weil Werbematerial mitgenommen wurden???) und „Hausfriedensbruch“ (unerlaubtes Eindringen bei einer „Open“-House-Veranstaltung???) wurden eingestellt, wohl weil diese Vorwürfe selbst den staatlichen Verfolgungsorganen zu albern waren …

 

MIETHAI 2.0: Neulich bei der Demo zum „MIETHAI 2.0 - Jetzt wird`s dreckig“ (11.3.2023, s. https://de.indymedia.org/node/267186) wurde wieder vor dem Bauprojekt Station gemacht … das Fazit des Redebeitrages: „Investor*innen stoppen, heißt sie überall da zu ärgern, wo es sie wirklich stört…“. Und das ist eben auch bei deren Vermarktung ; - )

 

TAG DER OFFENEN BAUSTELLE: am 28.4.2023 gab es nun öffentliche Führungen. Da lässt es sich doch gut ein paar „kritische Fragen“ stellen? Denn Investor*innen mögen es, sich ungestört zu inszenieren und die Nordstadt als netten Szene-Kiez zu vermarkten. Investor*innen ärgern sich, wenn sie bzw. Nachbarschaft und Kaufinteressent*innen ganz direkt optisch und/oder akustisch bei ihren Werbeveranstaltungen auf gewisse Widersprüche hingewiesen werden.

 

Kritische Frage hätten sein können: über welche Hinterzimmerdeals oder Tricksereien sie es geschafft haben um den sonst in Hannover geltenden 30%igen Anteil von zumindest befristet preisgedämpften Wohnungen herumzukommen und (fast) alles direkt als Eigentumswohnungen vermarkten zu können? Oder ob es nicht eine verlogene Selbstinszenierung der Firma ist, wenn in der Firmenbroschüre geschrieben steht: „Priorität hat heute bezahlbaren Wohnraum in guter Qualität zu schaffen. Dafür müssen an der einen oder anderen Stelle Kompromisse geschlossen werden“, wenn es ehrlicherweise hätte heißen müssen: „Unsere Priorität ist der Profit, da machen wir keine Kompromisse, sondern bauen für 95% der Bevölkerung unbezahlbaren Wohnraum“.

 

Nun war am Tag der Baustelle die Polizei von Beginn an präsent, zunächst nur zu Dritt wachten sie über die Veranstaltung … diesmal gab es keinen größeren Flashmob, wie beim Miethai 2019. Vielmehr gab es nur eine kleine, unauffällige Delegation engagierter Nordstädter*innen, die sich in dem gut besuchten Wartebereich in einem Zelt vor der Baustelle eingefunden hatte, um kreativ an der Baustellenführung teilzunehmen. Kurz vor Einlass kam die Polizei in die Menge, da eine Person durch die Immobilienfirma als mutmaßliche Beteiligte der Aktion 2019 wiedererkannt worden sei. Auch weitere Umstehende wurden aufgefordert unauffällig mitzukommen, damit sie draußen einen Platzverweis zur Gefahrenabwehr bekämen … daraus entspann sich eine eher auffällige, lautstarke Diskussion, was das für eine „Gefahrenabwehr“ sein solle, warum, wieso etc. Die schnell angeforderte Verstärkung der Cops, machte die Szenerie perfekt. Das Personal der Immobilienfirma gab sich eher unbeteiligt, auf Nachfrage, ob sie sich denn gerade gefährdet fühlen, machten sie keine Angaben. Der Störeffekt war mit dem Polizeiauflauf jedenfalls sogar besser erreicht, als nur während der Führung mit Fragen etc. zu nerven. Besonders das Vorgehen der Polizei die potenziellen Aktivist*innen von den übrigen Besucher*innen zu trennen, trug zur störenden Kulisse bei. Da sich die Aktivist*innen bis dahin noch unauffällig verhalten hatten, wurde das Vorgehen der Polizei auch von den anderen Besucher*innen als überzogen wahrgenommen, so beschwerten sich Besucher*innen, dass da einfach wer entfernt werden solle, weil diese nicht ganz so schick gekleidet seien?!? Trau keinem unter 30, war die Devise der Polizei. So wurden auch Unbeteiligte angegangen. Als diese darauf verwiesen, dass sie doch gar nicht zu der „identifizierten“ Personengruppe gehörten, kam es zu investigativen Nachfragen der Polizei: "Kennen Sie sich aus der Nordstadt?" (= wer sich in der Nordstadt kennenlernt, kann nur Straftäter*in sein?), auch die Tatsache, dass diese Personen mit dem Fahrrad gekommen seien, wurde Gegenstand polizeilicher Erörterungen (ohne SUV = sowieso Störer*in).

 

Letztlich wurden alle irgendwie Verdächtigen z.T. unsanft herausgeführt und in einem Fall noch durchsucht. So gab es statt der Baustellenbesichtigung Personalienfeststellungen und Platzverweise. Ein Platzverweis ist ja eigentlich ein Instrument der Gefahrenabwehr. Da die hinzukommenden Cops eine 1 zu 1 Betreuung der Aktivist*innen hätten gewährleisten können, war eine wirkliche Gefahr an diesem Tag schon sehr unwahrscheinlich. Kritische Fragen sind zwar eine Störung der Immobilienfirma, aber (noch) keine Straftat und bei einer öffentlichen Einladung trotz Hausrechts der Firma sicher durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Genau diese wurde aber von den Cops unterbunden.

 

Nun traf es sich gut, dass die Aktivist*innen das alte Banner „Investor*innen stoppen – Nord(Stadt) für alle erkämpfen“ am Start hatten, so dass sie vor der Baustelle noch eine gut sichtbare Spontanversammlung abhielten. Dass die schönen Werbebanner des Investors nun z.T. vom Polizeiaufgebot verdeckt waren, unterstrich die Botschaft, dass es hier echt total gefährlich und konfliktreich zugeht … und das wo „Sicherheit & nette Nachbarn“ doch wesentliche Entscheidungsfaktoren beim Wohnungskauf sind.

 

FAZIT: Unter dem Deckmantel der „Gefahrenabwehr“ lassen sich die Cops als kostenlose Security der Immobilienwirtschaft gebrauchen, um mal wieder zu belegen, dass sie Freund*in und Helfer*in der Kapitalinteressen sind.

 

Deutlich wurde auch: für die Zukunft bieten sich solche Veranstaltungen durchaus als Aktionsfeld an, denn gerade in der Vermarktungsphase sind ihre Profite angreifbar – letztlich kann Charlottes Garten auch dem Ausprobieren von Aktionsformen dienen, die dann für die Störung der Vermarktung der Eigentumswohnungen auf dem Bumke-Gelände (=Bauherr von Gerlachs Garden dort ist Theo Gerlach Wohnungsbau) genutzt werden können.

 

Denn während Planung, Bau und Vermarktung von Charlottes Garten am Rande der Nordstadt doch recht unauffällig liefen, ist zu Bumke seit einer ersten Aktion von 2019 (s. https://de.indymedia.org/node/33076/) oder spätestens seit der Besetzung 2021 (s. https://de.indymedia.org/node/162599 oder HAZ 4.12.2021, taz 7.12.2021) klar: das mitten in der Nordstadt gelegene Bumke-Gelände ist ein umkämpfter Raum.

 

Interessanter Ansatzpunkt ist bei Bumke die Dokumentation von Aussagen unzufriedener Käufer*innen auf Bewertungsportalen. Käufer*innen, die sich eine Wohnung von Gerlach in dessen Projekt Kleefelder Hofgärten gekauft haben schreiben: ich „kann ich nur dringend vor dem Kauf bei dieser Firma warnen! […] wir [haben] nur Ärger mit diesem Bauträger, Kommunikation findet nur noch über Gutachter und Anwälte statt. […] oder „Ich kann auch nur von Gerlach abraten. Der Slogan von Gerlach lautet: ‚Wir machen Wohnträume wahr.‘ Ich empfinde den Wohnungskauf von Gerlach als nicht enden wollenden Alptraum“.

 

Neue öffentliche Werbetermine zu Charlottes Garten gab es seitdem nicht (Stand: Juni 2023), dafür sind aktuell im Eingangsbereich mittels Sprühschablone angebrachte Slogans zu sehen: „30167 not for sale“.

 

UNSER STADTTEIL IST KEINE GEDULDIGE VERMARKTUNGSKULISSE FÜR EURE PROFITE !!!

 

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