Kurze politische Analyse zur Plenartagung der FARC und zur aktuellen Situation

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Vom 14. bis 16. Dezember fand die dritte nationale Plenartagung des Volkes statt, ein sogenanntes Gremium der aus der aufständischen Bewegung FARC-EP heraus entstandenen Partei FARC von gewählten Mitgliedern, welches die Leitlinien für das neue Jahr 2019 herausgab. Im Folgenden wollen wir, als Solidaritätsnetzwerk Kolumbieninfo, eine kurze politische Analyse unsererseits durchführen, bezogen auf bereits veröffentlichte Artikel zur Plenartagung und als Zusammenfassungen für das zurückliegende Jahr. Deutlich soll unsere kritische und oppositionelle Sichtweise werden.

Kontext

Am einem verlängerten Wochenende Mitte Dezember traf sich das höchste Exekutivorgan der Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común – FARC, zu deutsch Alternative Revolutionäre Kraft des Volkes – FARC, um eine Bestandsaufnahme der Umsetzung des Friedensabkommens und des Umfangs der politischen Arbeit im Jahr 2018 sowie der Leitlinien für die Arbeit im neuen Jahr 2109 durchzuführen. Nun sind Parteitage oder Delegiertentreffen in politischen Parteien nichts außergewöhnliches, trotzdem erscheint es wichtig, im Kontext des historischen Momentes von einem rechtsgerichteten Präsidenten und nur mangelnder Umsetzung eines mit der ehemals größten bewaffneten Aufstandsbewegung Lateinamerikas abgeschlossenen Friedensvertrages auf die Ergebnisse zu schauen. Immerhin haben wir es mit der ehemaligen FARC-EP mit einer politisch-militärischen Organisation zu tun, die ihre Waffen in Bezug auf einen der komplexesten Friedensabkommen niedergelegt hat und die ihren militärischen Kampf für die legale politische Arbeit als Partei aufgegeben hat.

Der Kontext, in dem die nationale Plenartagung abgehalten wurde, war für die Partei FARC nicht der günstigste. In der Zeit seit der Unterzeichnung des endgültigen Friedensabkommens bis zur ersten Dezemberwoche wurden 89 ehemalige Kämpfer*innen getötet, die Situation von über 1000 ehemaligen Kämpfer*innen, die als Mitglieder der FARC-EP anerkannt wurden, ist immer noch nicht abschließend geklärt und 412 ehemalige Guerillakämpfer*innen befinden sich immer noch in Haft. Hinzu kommt der sehr geringe Prozentsatz dessen, was im Hinblick auf die wirtschaftliche und kollektive Wiedereingliederung umgesetzt wurde und das eben bisher generell nur sehr wenig in den sechs verabschiedeten zentralen Punkten juristisch und politisch vollzogen worden ist. Kurz gesagt, der Umsetzungsprozess ist aufgrund der Nichteinhaltung des Staates noch nicht einmal zur Hälfte abgeschlossen, wenn wir nur die Perspektive der Partei und des Wiedereingliederungsprozesses betrachten und das endgültige Friedensabkommen außer acht lassen. Im Zuge dessen steigt die Kritik an der Partei, da sie nach Ansicht der Basis nur ungenügend Druck erzeugt, um die Interessen der Linken zu vertreten. Wie bei allen Parteien sollte der parteiinterne Kampf um Macht und Positionen dabei nicht vergessen werden, zu dem wir später kommen werden.

Die Vorstellungen der Parteiführung

In ihrer politischen Erklärung besteht die FARC auf die Notwendigkeit, für die vollständige Umsetzung dessen, was mit dem kolumbianischen Staat vereinbart wurde, zu kämpfen. Das Interessante an dieser Feststellung ist, dass sie davon ausgeht, dass die Gemeinschaft, also ihre eigene Basis, ihren Teil der Vereinbarung unabhängig von der Nichteinhaltung der Regierung weiterhin erfüllen muss. So übernimmt die FARC die historische Verantwortung für die Umsetzung des Vereinbarten und kombiniert die Anstrengungen, damit der Staat das tun muss, was ihm zuteil wurde. Diese parteiische Entschlossenheit hat die FARC zu einem führenden Akteur bei der Gestaltung der Friedenspolitik gemacht, so die Aussage einiger Personen und der FARC selbst. Dieser von der FARC gesehene Kontext hat sie nicht nur als legitimen Gesprächspartner gegenüber dem Staat positioniert, sondern auch als Partner, bei dem es kein Vorbeikommen in den verschiedenen Missionen der staatlichen Stellen gibt, die sich verpflichtet haben, das Friedensabkommen durchzuführen.

Das Interesse der FARC, im Überprüfungsprozess der Implementierung und in den staatlichen Stellen einen herausragenden Platz einzunehmen, beruht nicht nur auf dem Streit in der integralen Erfüllung des Abkommens, sondern auch, weil sie denken, damit den Staat bzw. seine Institutionen transformieren zu können. Zwar wird das staatliche Gebilde immer als Herrschaftsapparat der Eliten angesehen, der jedoch keine geschlossene und monolithische Einheit ist, sondern unter dem Einfluss populärer politischer Organisationen umgewandelt werden kann. Folglich, so die Ansicht einiger Personen und der FARC selbst, ist die FARC eine revolutionäre Partei mit ideologischem Inputs aus verschiedenen Traditionen.

Die kritische Sichtweise

Die vorgebrachten Argumente mögen teilweise richtig sein, doch sträuben wir uns gegen eine Partei, die hauptsächlich ihre Aufgabe darin sieht, den Staat von innen zu verändern, wenn wir es mit einer mehr als gefestigten Machtstruktur zu tun haben, die in den zurückliegenden Jahrzehnten mit paramilitärischen Strukturen und harter Repression arbeitete, um linke Alternativen zu unterdrücken. Die FARC ist aus der Bewegung, von unten, aus der Basis heraus entstanden und heute macht ihr Auftreten eher den Eindruck, den Kontakt zur Basis zwar nicht zu verlieren, aber zumindest mit anderer, ja staatlicher und parteipolitischer Sichtweise, zu argumentieren und zu agieren. Dieses Auftreten entfernt von der Basis und führt dazu, dass zum Beispiel die ehemals hochgelobte internationale Solidarität, auch mit basisdemokratischen sozialen und politischen Bewegungen oder Solidaritätskomitees im Ausland, für die der Ebene mit Parteien und staatlichen und transnationalen internationalen Organisationen, wie der UN oder Wohlfahrtsorganisationen der Zusammenarbeit, verlassen wurde.

Die Friedenspädagogik, die die FARC in den letzten Zügen der Verhandlungen auf Kuba zum Friedensabkommen durchführten, und die ohne Frage ein wichtiger Aspekt in der Wissensbildung zum Frieden war, vermittelte jedoch keinen alternativen Weg oder Lösungsvorschläge im Fall einer Situation wie jetzt, in der die Regierung das Abkommen nur ungenügend umsetzt oder das finale Werk verändert. Bezüglich eines drohenden Scheiterns der kollektiven Wiedereingliederung in den politischen und ökonomischen Aspekten, hätte die Friedenspädagogik deutlicher sein können. In vielen Sitzungen spielte es keine Rolle was geschehen würde, wenn immer mehr einen individuellen Prozess der Wiedereingliederung bzw. die Verabschiedung aus dem Friedensprozess wählen würden. Auch die mittleren Ränge der FARC hätten mehr in diesen Prozess involviert werden müssen. Vorrangiges Ziel war immer ein kollektiver Prozess, um durch die Einheit der Organisation auch Stärke zu demonstrieren. Durch die Entwaffnung, durch die Probleme in der Wiedereingliederung und einer einhergehenden fehlenden Perspektive, durch den fehlenden Aufbau von (Partei-)Strukturen in einigen Provinzen und durch ein politisches Desaster bei den Wahlen, ist die FARC nur zu einer kleinen Partei verkommen, deren Druckmittel beschränkt sind.

Apropos Partei. Auch die interne Zerrissenheit ist ein Ausdruck der aktuellen Situation. Die einen, vor allem die Senatoren und diejenigen, die einen Posten erhascht haben, versuchen ihren Weg mit den Regierungsgeschäften zu gehen. Dieser Weg wurde oben schon näher dargestellt. Andere wiederum sahen den Friedensprozess, bzw. das Abkommen, so wie es vereinbart wurde und vor allem jetzt in seiner Umsetzung, kritisch und wollten Punkte eines perspektivischen Rückzugs enthalten haben. Nicht wenige finden auch die Besetzung mit dem Vorsitzenden Timochenko unglücklich. Allgemein kann festgestellt werden, dass das fehlende Vertrauen sich vor allem in einer ungenügenden Basis innerhalb der ehemaligen Guerilla ausdrückt sowie in der gescheiterten bzw. zurückgezogenen – hier aufgrund gesundheitlicher Gründe – Kandidatur von Timochenko zum Präsidentenamt und der sehr schwachen Ergebnisse bei den Wahlen.

So konnte die neu gegründete Partei der FARC nicht mal in den südlichen Gebieten, wo sie unter Waffen stehend in vielen Regionen die dominante militärische und politische Macht waren, gute Ergebnisse bei den Wahlen einfahren. Bei den Wahlen zum Kongress bekam sie gerade einmal 52.000 Stimmen, eine Zahl, die deutlich unter der Schwelle von drei Prozent lag und mit der sie, wenn sie nicht die zehn festen Sitze für ihre Senatoren hätten, die die endgültige Vereinbarung des Friedensabkommens für sie bereit gestellt hat, nicht einen Senator bekommen hätten. Warum die Partei vor allem so schwach in den scheinbar gut geglaubten Gebieten war, lässt sich eben auch mit der Zersplitterung der Partei und der Abwesenheit von Iván Márquez und Oscar Montero (El Paisa) erklären. Statt dessen konnte vor allem im Süden die dissidentischen Gruppen unter Gentil Duarte profitieren und ihre Macht ausbauen. Hinzu kommt ihr politischer Diskurs, in dem sie sich als weiterhin legitime FARC betrachten. Die Tatsache, dass sie die politische Arbeit in der Bevölkerung und ihre Gesetzgebung mittels sogenannter Vorschriften des Zusammenlebens wieder etablieren, gibt ihnen erst einmal Recht.

Projektionen für das vergangene Jahr und kommende Jahr 2019

Im Jahr 2018 wurde die kriminelle Tendenz der letzten 35 Jahre fortgesetzt, politische und soziale Aktivist*innen im ganzen Land zu ermorden. Trotz eines Friedensabkommens und darin geregelten Schutz für Aktivist*innen und ehemalige Guerillakämpfer*innen sowie die Durchführung oppositioneller politischer Arbeit wird der politische Genozid durch die Elite fortgesetzt. Im Umkehrschluss heißt das, dass die Regierung kein Interesse an kritischer Oppositionsarbeit, am Frieden und an dem Abkommen mit der FARC hat. Alles deutet darauf hin, dass der Staatsterrorismus in Kolumbien unverändert bleibt, also die wissentliche oder geheime Unterstützung von paramilitärischen Strukturen. Dieser Zynismus zeigt, dass sich Kolumbien mit der Entwaffnung der FARC kaum verändert hat und der Staatsterrorismus unvermindert anhält. Es geht sogar so weit, dass der UN-Berichterstatter Michel Forst versichert hat, dass der dramatischste Besuch, den er je in seinem Leben in einem Land gemacht hatte, hier in Kolumbien stattgefunden hat. Auch der letzte Bericht des Generalsekretärs der UN, Antonio Guterres, fordert von der Regierung mehr Anstrengungen zur Verwirklichung des Friedens im Land.

Unter diesen Aspekten scheint eine Arbeit der FARC mehr als schwierig. Und doch wollen sie sich ihrer Verantwortung stellen und das Bestmögliche für Kolumbien erreichen. Als Zielformulierungen der dritten nationalen Plenartagung für das Jahr 2019 geht es vor allem um die Konvergenz mit den verschiedenen Sektoren der Linken, nicht nur in Bezug auf die bevorstehenden Kommunalwahlen, sondern auch für die Agenda der sozialen und gesellschaftlichen Mobilisierung. Neben der Forderung der zügigen Implementierung des Friedensabkommens werden es auch andere Themen wie die politische Reform und die Steuerreform sein, die auch jetzt schon einen hohen Diskussionsbedarf anzeigen. Hier will die FARC punkten, um als Partei und Bewegung in Kolumbien lebensfähig und in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Es wird sich zeigen, wie die Zusammenarbeit mit den linken Sektoren aussehen wird und ob diese zu Erfolgen führen wird. Wir sehen dies, wie dem Text zu entnehmen ist, sehr kritisch, wissen aber auch, dass der Prozess von einer aufständischen Bewegung unter Waffen hin zu einer legalen politischen Partei kein einfacher Weg ist.

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