Kommentar zum Plädoyer der Bundesanwaltschaft

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Mittwoch, 5. April: Nach 93. Prozesstagen stellten die Vertreter:innen der Bundesanwaltschaft (BAW) ihre Strafforderungen für die vier angeklagten Genoss:innen im Antifa Ost-Verfahren. Damit beendeten Oberstaatsanwältin Alexandra Geilhorn und Staatsanwalt Lorenz Mödl nach zwei Prozesstagen und insgesamt 6,5 Stunden ihr Plädoyer vor dem Oberlandesgericht Dresden.

Was bisher geschah

Eine Woche zuvor, am 92. Prozesstag, hatte Geilhorn einleitend mit einer politischen Einordnung des Verfahrens begonnen. Dabei spielte sie durchgehend auf der Klaviatur der Extremismustheorie, nach der die Ränder rechts und links einer gedachten Mitte eben diese Mitte bedrohen. Anschließend wechselte sie sich mit Mödl thematisch ab. So folgte die Zusammenfassung der Tatvorwürfe und der vermeintlichen Erkenntnisse zu den Tatabläufen – was die Vorbereitung und Umsetzung dieser umfasste – sowie den etwaigen Verletzungen der angegriffenen Neonazis. Gefolgt von der dürren Beweiswürdigung, in der sie eingestehen mussten, eigentlich gar keine eindeutigen Beweise zu haben, sondern lediglich ein Sammelsurium vermeintlicher Indizien. Durch einseitige Annahmen und Interpretationen sowie unter zu Hilfenahme des Verräters und Vergewaltigers Johannes Domhöver (J.D.) sollen diese am Ende das Bild ergeben, welches die BAW bereits in ihrer Anklageschrift skizzierte: Eine militante, linksextremistische Vereinigung, die sich eigentlich gar des Terrorismus verdächtig mache. Zu unserer politischen Einordnung des 92. Prozesstages sei auf unser Statement zum Abschluss der Beweisaufnahme verwiesen.

 

Rechtliche „Würdigung“ und das Aufweichen des §129

Am 93. Prozesstag ging die BAW zur so genannten rechtlichen Würdigung über. Darin behauptete Geilhorn wenig überraschend, alle vier Angeklagten hätten sich der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 1 S. 1 StGB strafbar gemacht. Für sie reiche es aus – und sie verwies mehrfach auf die aktuelle Rechtslage –, dass es einen auf längere Dauer angelegten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen gebe, der ein übergeordnetes Ziel verfolge, wobei dieses hier durch die geteilte politische Gesinnung gekennzeichnet sei. Letztlich würden rudimentäre – also nicht fest ausgeprägte – Strukturen ausreichen, um eine solche Vereinigung anzuklagen. Ebenso wenig bedürfe es einer klaren Rollen- und Aufgabenverteilung oder der kontinuierlichen Mitgliedschaft von Personen.

So aufgeweicht, kann perspektivisch jede politische Aktion am Rande der Legalität kriminalisiert werden, solange eine scheinbar geteilte politische Grundhaltung herbei konstruiert wird. Der EA Dresden hat dazu ein ausführliches Statement verfasst.

Anschließend ging Geilhorn die einzelnen Tatkomplexe ab und äußerte, wer der vier Angeklagten beteiligt gewesen sei und was ihnen, neben der angeblichen Mitgliedschaft in der Vereinigung, vorgeworfen werde. Im Weiteren kam hinzu: gefährliche Körperverletzung; gemeinschaftlich begangene gefährliche Körperverletzung; Landfriedensbruch; Sachbeschädigung; räuberischer Diebstahl; gemeinschaftliche Sachbeschädigung; Beihilfe zur Sachbeschädigung und Körperverletzung sowie Urkundenfälschung. 

 

Die Strafzumessung

Im Rahmen dieses Abschnitts ging Mödl auf alle einzelnen Tatkomplexe sowie den Vereinigungsvorwurf ein und äußerte, welche Strafzumessung die BAW für die einzelnen Straftaten als angemessen erachte. Eine ausführliche Betrachtung erfolgt bald im Bericht zum 93. Prozesstag.

Lina wurde zu Beginn der Ausführungen Mödls als Rädelsführerin nach § 129 Abs. 5 S. 2 StGB markiert, da sie bei der Opferauswahl sowie der Planung und Koordination der Taten maßgeblich beteiligt gewesen sein soll. Zusätzlich habe sie als so genannte Überblicksperson agiert. Zudem wurde das Näheverhältnis zu einer beschuldigten Person, die im hiesigen Verfahren durch J.D. ebenso als Führungsperson inszeniert wurde, für eine Anregung der BAW ans Gericht herangezogen: Die Erteilung eines rechtlichen Hinweises, welcher im Endeffekt eine Verschärfung der Strafe bedeuten würde.

Die Absicht der BAW ist es, die angebliche Vereinigung und ihre vermeintlichen Mitglieder und etwaigen Unterstützer:innen mit einem möglichst hohen Strafmaß zu begegnen. Die Vereinigung wurde daher als eine beschrieben, die besonders gefährliche Tathandlungen begangen habe, was sie von Durchschnittsfällen abheben würde. Aufgrund ihres Agierens – seien es die ihr zugeschriebenen Ressourcen, die sie genutzt hätte (materielle Ausstattung wie Zugriff auf Fahrzeuge, Kommunikationsmittel und ein Tatmitteldepot sowie ihr Personenpotential), ihre Recherchemöglichkeiten, ihre anonymisierte Kommunikation, ihr arbeitsteiliges Handeln oder die Angriffe als solche – würde sie sich an der Schwelle zur terroristischen Vereinigung nach § 129a StGB bewegen.

Als großmütig versuchte sich die BAW im Zusammenhang mit der Aufzählung strafmildernder Umstände zu inszenieren. So benannte sie für alle vier Genoss:innen entsprechende Punkte, vor allem bei Lina gab sie sich entgegenkommend, nur um aber sogleich festzuhalten, dass alle strafmildernden Umstände nicht geeignet seien, den Strafrahmen relevant zu verschieben. Kurzum: Die BAW droppte in gutsherrenartlicher Manier aus ihrer Sicht Peanuts, um sich strategisch in ein großzügiges Licht zu rücken. Auch dabei ließ sie sich nicht die Gelegenheit entgehen, die Rolle Linas weiter zu überhöhen und auf Strafverschärfung zu drängen. Der nun 2,5 Jahre andauernde Freiheitsentzug, die staatlich-beförderte Körperverletzung, aufgrund bewusst unterlassener Ärztinnen-Besuche, sowie die Corona-bedingten einschneidenden Maßnahmen bei der Kontakt- und Besuchsregelung im Knast erachte die BAW zwar als berücksichtigenswert, aber letztlich war es pro forma.

Besonders mitleidig gab sich Mödl bei seinen Ausführungen zum Tatkomplex Kanalarbeiter. Zuvor hatte er bereits voller Pathos und Verachtung die angeblichen Tatausführungen, die Verletzungen und Folgeschäden kundgetan. Dieses Bild unterstrich er erneut, um anschließend die höchste Strafzumessung eines einzelnen Vorwurfs zu fordern. Die überraschend emotionale Rede sollte indes einen anderen Umstand verdecken: Die Anklage dieser Tat beruht auf einem Indiz, einem abgehörten Gespräch, das die BAW im Sinne der Anklage interpretiert. Hier muss darauf hingewiesen werden, dass im Zuge des Prozesses schon mehrfach Interpretationen der BAW widerlegt werden konnten. Das Indiz unterstreichen sollen mal wieder schwammige Aussagen von J.D.: Bei „Szenarientrainings“ sollen Angriffe aus der Überzahl trainiert worden sein, als Blaupause. Und wer an solchen Trainings angeblich teilgenommen hat, kann mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch am Angriff auf den Kanalarbeiter beteiligt gewesen sein. Das klingt stumpf, zeigt aber, wie die BAW die Indizienlage vermitteln konnte. Außerdem hat sie den Geschädigten instrumentalisiert, um ein besonders brutales Bild der vermeintlichen Vereinigung zu zeichnen.

 

Finale Gesamtstrafe

Zum Schluss ihrer Ausführungen ging die BAW, hier Geilhorn, zu den Gesamtstrafen über. Anzumerken ist, dass diese absurd hoch ausfallen, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass die BAW keinerlei eindeutige Beweise vorlegen konnte und sich an vagen Indizien entlang hangelte.

Geilhorn ließ es sich nicht nehmen, die Fortdauer der Untersuchungshaft für Lina zu beantragen. Aus ihrer Sicht bestehe Fluchtgefahr. Als ursächlich hierfür erachte sie, dass der überwiegende Strafrest bei einer Verurteilung noch ausstehen würde. Zudem konnten die Repressionsbehörden Lina bisher nicht brechen: So habe sie ihre politischen Überzeugungen während der U-Haft nicht in Frage gestellt bzw. abgelegt, gab sich Geilhorn enttäuscht. Ein weiterer Anreiz für Lina unterzutauchen sei, dass eine ihr nahestehende Person, die zugleich Beschuldigter sei, untergetaucht sei. Aber auch die solidarischen Strukturen außerhalb des Knastes führte Geilhorn an. Diese könnten Lina bei einer etwaigen Flucht sowie einem Leben im Untergrund unterstützen. Zugleich habe sich auch ein solidarisches wie linkes Umfeld von Lina nicht einschüchtern lassen, sondern rufe zu Sachschäden bei etwaigen Haftstrafen auf: „Für jede/n Genoss*in und Gefährt*in und für jeweils jedes Jahr Knast, gibt es ab sofort 1 Million Sachschaden bundesweit!“.

Danach war zumindest dieser Akt der Aufführung vorüber.

Für uns heißt es, uns nicht einschüchtern zu lassen und weiterhin solidarisch füreinander einzustehen und miteinander politisch zu agieren. Die Repressionsbehörden versuchen uns zu brechen, aber Lina und die drei mitangeklagten Genossen zeigen: Eine antifaschistische Positionierung, eine gefestigte politische Haltung und Solidarität können uns zwar nicht vor Repression schützen. Aber sie schützen uns vor Vereinzelung, dem Brechen einzelner Genoss:innen und damit unserer Ziele und Träume.

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