[Kolumbien]

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Das Portal Kolumbieninfo gibt einen Überblick zu den öffentlichen Äußerungen der FARC-EP aus ihrem Plenum und einem Festakt zur Verkündung von Friedensgesprächen.

Der öffentliche Auftritt des Zentralen Generalstabs der FARC-EP, die öffentliche Versammlung mit tausenden von Personen aus allen Landesteilen und die Verkündung von Friedensgesprächen im Mai sorgte für großes nationales und internationales Aufsehen. Bisher wurde die Guerilla unter dem Oberkommando von Iván Mordisco vor allem als kriminelle Struktur abgetan, die kaum etwas mit der „alten“ FARC-EP gemein hatte, die im Jahr 2016 das Friedensabkommen nach dem Prozess in Havanna mit der Regierung von Santos unterzeichnete. Doch wie wir bereits in Artikeln zuvor analysierten, zeigen die letzten Monate eine andere Richtung der Guerilla, die man nun als politischen Akteur anerkennen muss und die die potenziellen Friedensgespräche für ihren eigenen Wachstum nutzen.

So ist der Ort, der für das Plenum der Kommandierenden aus den 23 Fronten bzw. Strukturen der FARC-EP und die öffentliche Zeremonie ausgewählt wurde, ein symbolischer Ort. Hier fand die letzte Guerilla-Konferenz der „alten“ FARC-EP statt. Die Savannen und Ebenen des Yarí sind seit Jahrzehnten ein Rückzugsort der Guerilla, hier bewegten sich die großen Kommandierenden wie Manuel Marulanda und Jorge Briceño. Hier kann man auf den Rückhalt der Bevölkerung bauen, denn der Staat war hier nie präsent und die FARC-EP übernahmen die Lücke als Garant für Sicherheit, Infrastruktur und Unterstützung. Diese Grenzregion zwischen Caquetá, Guaviare und Meta bedeutet territoriale Kontrolle, schon seit dem Krieg gegen paramilitärische Gruppen in den 1990er und 2000er Jahren, der gewonnen wurde. Auch andere bewaffnete Akteure spielen hier keine Rolle.

Hier in den Ebenen des Yarí ein Plenum der Kommandierenden der Guerilla durchzuführen, einen öffentlichen Akt und neue Friedensgespräche zu verkünden, bedeutet auch, den eigenen politischen und öffentliches Status gegenüber der „alten“ FARC-EP zu festigen. Bisher sind die Strukturen des Zentralen Generalstabs unter Iván Mordisco als „dissidentische“ Gruppen bezeichnet worden. Doch in der zurückliegenden Zeit sowie in den Erklärungen und Interviews der Kommandierenden wird deutlich, dass sie nun ihren Kampf um die Deutungshoheit führen und ein wesentliches Element darin besteht, dass sie sich nicht als Dissidenten sehen, sondern als die „wahre“ FARC-EP. Dies zeigt das Abspielen der Hymne, die Plakate der alten Kommandierenden, aber auch der Duktus, dass man sich bereits während des Friedensprozesses nicht verraten lassen hat und in der Tradition der „alten“ FARC-EP steht.

Der innere Zusammenhalt und die Kommandostruktur scheinen sich ebenso zu festigen. Iván Mordisco ist und bleibt der Oberkommandierende. Das wurde bei dem Plenum und dem öffentlichen Treffen deutlich. Hier verlas er, umgeben von anderen Kommandierenden, die politische Erklärung und machte dies in der Äußerung, dass „alle Delegationen die Unterordnung unter den Zentralen Generalstab bestätigen“ klar. Hier im Roten Haus in den Ebenen des Yarí soll der innere Zusammenhalt der Organisation verdeutlicht werden, was bei den unterschiedlichen Fronten und Strukturen, die nicht nur zu verschiedenen Zeiten entstanden sind, sondern auch autonom in ihren Formen des Agierens, nicht ganz selbstverständlich war.

Tatsächlich gab es zwar vorher bereits Kommunikationswege zwischen den Strukturen und Blöcken, aber eine genaue Kommandostruktur konnte vor allem erst mit der Ankündigung der Friedensgespräche und den dazugehörigen Treffen ab dem letzten Sommer gebildet werden. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass die Regierung Treffen und Kommunikationswege erleichterte, um potenzielle Friedensgespräche zu fördern. Des Weiteren sorgte der bilaterale Waffenstillstand für eine Erleichterung der Kommunikation, da der Druck der staatlichen Sicherheitskräfte abnahm.  Von daher war die letzte Zeit auch eine Zeit der Herausbildung einer Kommandoebene. Zuvor wurden viele Entscheidungen auf lokaler Ebene getroffen, nun wird mehr auf nationaler Ebene diskutiert. Trot alledem ist die Führungseinheit und Kommandogewalt noch nicht so ausgeprägt, wie in der „alten“ FARC-EP.

Dieser Aspekt der Festigung von Strukturen gehört auch für den Faktor der politischen Ausbildung. Zwar gibt es einige Kommandierende, darunter natürlich Iván Mordisco, die auch in der „alten“ FARC-EP ihre Identität und politische Ausbildung genossen haben, aber ein Großteil der Guerillakämpfer ist erst in den letzten Jahren neu dazugestoßen oder war in der Zeit vor 2016 bei den Milizen als junge Person. Von daher kann die aktuelle Zeit auch dafür angesehen werden, dass derzeit eine starke politische Ausbildung der Guerilleros stattfindet. In einem zuvor geschrieben Artikel berichteten wir bereits, über die Politisierung der Guerilla im Rahmen des potenziellen Friedensprozesses. Eine Chance auch für junge Kommandierende, wie Andrey Avendaño, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren und darauf hinzuweisen, wo sie herkommen.

Der 28 Jahre alte Andrey Avendaño ist Kommandant der 33. Front n der Provinz Norte de Santander. Mit seiner Che-Guevara-Mütze und in grüner Uniform mit langen Haaren erklärt er seine Lebensumstände und den Prozess der FARC-EP. In der konfliktreichen Region Catatumbo ist er geboren und bereits in jungen Jahren war er Teil der Milizen der FARC-EP. Eine Schule konnte er nicht besuchen, die nächste war vier Stunden entfernt. Lesen und Schreiben brachte er sich selbst und mit Hilfe der Gemeinschaft und der FARC-EP bei. 2014 verhaftete man ihn und im Kontext des Friedensprozesses bekam er eine Amnestie im Jahr 2017. Doch er bewaffnete sich bereits kurze Zeit später wieder, im Jahr 2018. Er kennt wie viele die soziale Ungleichheit und die Notwendigkeit, für einen Wechsel zu kämpfen.

Als Guerilla in einer von der Regierung verlassenen Region, übt sie die öffentliche Gewalt aus, man spricht mit der Bevölkerung, bietet Schutz und hilft beim Straßenbau oder bei anderen Aufgaben. Der Friedensprozess und die Wiedereingliederung scheiterten bei ihm, die Bedingungen für ihn und andere Personen waren schlecht. Sein Leben bestand in der Guerilla immer darin, dafür zu kämpfen, die Verhältnisse in Kolumbien zu ändern, doch mit dem Friedensprozess in Havanna änderten sich die Dinge nicht. Das Militär kam in die Regionen, aber die sozialen Investitionen kamen nicht. Der Paramilitarismus lebte auf. Als sich neue Gruppen der FARC-EP bildeten, ging er also wieder zu ihnen. Nun ist er ein Kommandant in der 33. Front mit der Möglichkeit, aktiv als Verhandlungsperson bei einem neuen Friedensprozess mitzuwirken.

Was die öffentliche Veranstaltung des Zentralen Generalstabs der FARC-EP im Roten Haus mit Tausenden von Vertretern aus den verschiedenen Provinzen des Landes ebenso verdeutlicht, ist der Versuch, eine soziale Basis zu haben. Seit jeher gibt es vor allem aus pragmatischen Gründen des Zusammenlebens eine feste Beziehung zwischen lokaler Bevölkerung, sozialen Organisationen und FARC-EP in dem von ihrem kontrollierten Gebiet. Nun sollen diese aktiv in den Friedensprozess eingebunden werden. Durch diese Zusammenarbeit mit den Organisationen von Afrokolumbianern, Bauern und Indigenen erlangt die Guerilla zugleich in der Öffentlichkeit Legitimität als politischer Akteur. Doch zuerst muss Vertrauen aufgebaut werden, denn gilt die FARC-EP natürlich auch als ein bewaffneter Akteur in den Regionen, die ebenso wie Staat, Paramilitärs und andere im kriegerischen Zustand sind.

Der anstehende Friedensprozess kann also als Chance für alle gleichermaßen angesehen werden. Für die FARC-EP als politisch-militärische Organisation, die dadurch an Kraft gewinnt und Veränderungen erkämpft. Für die regionalen und lokalen Gemeinschaften, die einen Ausweg aus dem Konflikt sehen und durch eine Agenda mehr Anerkennung wünschen. Für die Regierung, die mit ihrem Ziel eines totalen Friedens auch Fakten schaffen kann. Doch der Friedensprozess in Havanna hat gezeigt, dass nur grundlegende Reformen einen Wandel und den Frieden bringen können. Solange strukturelle Probleme nicht angegangen werden, wird es immer einen Grund für die Waffe in der Hand geben.

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