Hintergrund und Einordnung der Hungerstreiks kurdischer AktivistInnen in Kurdistan und Europa

 

Seit nun 36 Tagen befindet sich die kurdische Politikerin Leyla Güven im Gefängnis von Amed (Diyarbakir) in einem unbefristeten Hungerstreik, um mit ihrer Aktion ein Zeichen für die Freilassung von Abdullah Öcalan zu setzen. Viele weitere Gefangene, unter ihnen alle Gefangenen der PKK, schlossen sich dem Streik an. Ihre Aktionen finden weltweite Solidarität.

 

 

Seit dem 11. September 2016 gibt es kein Lebenszeichen von Abdullah Öcalan und seit dem 27. Juli 2011 haben keine Anwaltsgespräche mehr mit dem Vordenker der kurdischen Freiheitsbewegung und dem Repräsentanten des kurdischen Volkes statt gefunden.

Um gegen das Unrechtssystem in der Türkei zu protestieren, trat die seit Anfang des Jahres wegen ihrer Kritik an der türkisch-faschistischen Militärinvasion in Efrîn inhaftierte HDP-Abgeordnete Leyla Güven am 7. November in einen unbefristeten Hungerstreik. Leyla Güven löste mit ihrer Aktion eine Welle der Solidarität aus: Neben zahlreichen weiteren politischen Gefangenen, die sich am 27. November dem Hungerstreik von Leyla Güven angeschlossen haben, finden auch in vielen anderen Orten der Türkei und Nordkurdistans Solidaritätsstreiks statt. Vor wenigen Tagen hat die Solidaritätswelle auch Rojava/Nordsyrien erreicht.

Auch in Europa leiteten Kurdinnen und Kurden am 6. Dezember in vielen europäischen Städten einen Hungerstreik ein. In Hamburg, Köln, Darmstadt, Hildesheim, Frankfurt, Stuttgart, Berlin und Nürnberg befinden sich derzeit öffentliche Zelte in der Innenstadt. Es werden Redebeiträge gehalten, Flugblätter verteilt und Flashmobs organisiert, um die Öffentlichkeit über die Ziele des Hungerstreiks aufzuklären.

Mit Parolen wie „Lasst uns die Isolation durchbrechen und den Faschismus zerschlagen“, „Hoch die internationale Solidarität“ und musikalisch begleiteten Tanzkreisen, machen die Aktivistinnen und Aktivisten seit Tagen auf sich aufmerksam. In zahlreichen Städten in der Türkei, wurden dutzende Hungerstreikende festgenommen. Türkische Polizisten stürmten dafür Vereinshäuser der HDP und private Wohnungen kurdischer Bürgerinnen und Bürger. Die türkische Regierung unternimmt jede Art repressiver Maßnahmen, um die Widerständigkeit der Menschen zu brechen.

Zum Hintergrund des Hungerstreiks:

A. Öcalan gilt in der Türkei seit Jahrzehnten als Staatsfeind Nummer 1. Ihm gelang es, die unterdrückte kurdische Gesellschaft zu einem historischen Aufstand zu bewegen und einen kollektiven Widerstand gegen die etlichen Vernichtungs- und Assimilierungsversuche der türkischen Regierung auszurufen, der heute zum Existenzgaranten der Kurdinnen und Kurden wurde.

Öcalan widmete sein Leben dem Kampf für Demokratie, Frieden und der Lösung der kurdischen Frage. Er initiierte zahlreiche einseitige Waffenstillstände und unterbreitete konstruktive Lösungsvorschläge, um den von der türkischen Regierung erschaffenen Konflikt zu beheben. Auch Regierungen der Türkei suchten oftmals den Kontakt zu ihm und gaben damit zu verstehen, dass sie Öcalan als Präsenten des kurdischen Volkes und als Schlüsselrolle für eine Lösung des Konflikts anerkennen.

Zwischen 2012 und 2015 führte selbst die faschistische AKP-Regierung Verhandlungen mit ihm. Darin schlug Öcalan einen schrittweisen Friedensplan vor: Von vertrauensbildenden Maßnahmen über einen Waffenstillstand unter internationaler Beobachtung bis hin zu einer dauerhaften politischen Lösung der kurdischen Frage. Die Verhandlungen wurden im April 2015 (inoffiziell, jedoch schon viel früher) seitens der Türkei abgebrochen und mit blutigen und großen Massakern an der kurdischen Bevölkerung beantwortet.

Öcalan schaffte es, die Kurdinnen und Kurden von der Notwendigkeit eines demokratischen, konföderalistischen Alternative statt eines eigenen Staates zu überzeugen. Er legte die theoretischen und praktischen Grundlagen für die Revolution in Nordsyrien (Rojava), die Befreiung der Frauen, ein ökologisch gerechtes Leben und das HDP-Projekt in der Türkei. Trotz Gefängnismauern und eingeschränkter Möglichkeiten inspirierte er Millionen Menschen. In Rojava bauten die Bevölkerung nach seinen Ideen eine multiethnische, multireligiöse und demokratische Gesellschaftsalternative auf.

Öcalans Ideen des demokratischen Konföderalismus, dessen Grundpfeiler die Basisdemokratie, die Frauenbefreiung, Geschlechterbefreiung und ein ausgeprägtes ökologisches Bewusstsein sind, besitzen heute internationalen Charakter und verbreiteten sich weltweit. Dieser Faktor ist es, der den kapitalistischen, autokratischen und faschistischen Übermächten große Sorgen bereitet.

Aus diesem Grund richtet sich die totale Isolation von Öcalan nicht nur gegen ihn als Person. Sie betrifft 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger und ebenso die Zukunft der Türkei. Denn zusammen mit der Isolation wurde die Entscheidung zum faschistisch motivierten Krieg gegen die Kurdinnen und Kurden getroffen. Täglich sterben Menschen in der Türkei - und die Öffentlichkeit schweigt.

Der Versuch, Öcalans Ideen mit ihm gemeinsam einzusperren, scheiterte. Millionen Menschen brechen aus den faschistischen, antidemokratischen und patriarchalen Zwängen und verteidigen die Werte einer basisdemokratischen und pluralistischen Gesellschaft, welche die Befreiung der Frau zur Grundlage liegt. Die bis heute unklare Situation über den aktuellen Zustand Öcalans ist Bestandteil eines internationalen Komplotts.

Leyla Güven erklärte dazu in einer Grußbotschaft: „Ich werde meine Aktion fortsetzen, bis ich eine Antwort erhalten habe. Ich weiß, dass dies ein gerechter Kampf ist und wir siegen werden."

Frieden ohne die Freiheit der hunderttausenden politischen Gefangenen ist undenkbar! Der Widerstand dieser Menschen muss in einen globalen Kontext gesetzt werden und eine würdevolle Anerkennung finden.

Sie können diese Menschen einsperren, doch ihren Willen niemals brechen! Nieder mit dem türkisch-faschistischen Staatsterror - endlose Solidarität mit dem entschlossenen und historischen Widerstand der Hungerstreikenden!

Wir rufen dazu auf, breite Öffentlichkeit für den Hungerstreik zu schaffen! Wir möchten dem Widerstand der Hungerstreikenden Ausdruck schenken und rufen dazu auf, den Genossinnen und Genossen an den kommenden Tagen solidarisch und unterstützend beizustehen.

Ideen lassen sich nicht einsperren - lang lebe der bedingungslose Widerstand!

Freiheit für alle politischen Gefangenen!

Bijî berxwedan!

#KurdsOnHungerstrike

JXK - Studierende Frauen aus Kurdistan

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