[H] Demonstration am Tag der Urteilsverkündung im Antifa Ost-Verfahren
Freiheit für Lina!
Seit dem Herbst 2021 wird vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Dresden einer der größten Prozesse gegen Antifaschist:innen in der Geschichte der Bundesrepublik geführt. Vor Gericht stehen in dem sogenannten Antifa Ost-Verfahren vier Antifaschist:innen, die laut Anklage des Generalbundesanwalts (GBA) mit sechs weiteren Personen eine kriminelle Vereinigung gegründet haben sollen.
Konkret soll die Gruppe insgesamt neun Taten, darunter mehrere Angriffe auf Neonazis in Eisenach, Wurzen und Leipzig begangen haben, wobei lediglich die Angeklagte Lina laut Staatsanwaltschaft an allen Taten beteiligt gewesen sein soll. Zu den vermeintlichen Opfern der Angriffe zählten bekannte Aktivisten der NPD-Jugendorganisation JN und Betreiber von Neonazi-Versänden. Ein Angriff, der den Antifaschis:innen zur Last gelegt wird, richtete sich gegen die Nazikneipe „Bullseye“ in Eisenach. Der Betreiber Leon Ringl war maßgeblich am Aufbau der militanten Neonazigruppe „Knockout 51“ beteiligt. Im vergangenen Jahr führten die Behörden eine Razzia bei Ringel durch, weil dieser im Verdacht steht für die rechtsterroristische Gruppe „Atomwaffendivision“ aktiv gewesen zu sein. Wenige Monate vor der Razzia posierte er zusammen mit Neonazis der verbotenen Gruppe „Combat 18“ vor einer Hakenkreuzflagge in Eisenach.
Die Beschuldigte Lina sitzt seit November 2020 in Untersuchungshaft und wird somit seit über zwei Jahren ohne Verurteilung vom Staat gefangen gehalten. Innerhalb des Prozesses versucht die Bundesanwaltschaft Lina als eine Art Rädelsführerin dieser Angriffe auf Neonazis zu präsentieren. Doch warum ermittelt überhaupt der Generalbundesanwalt, der sonst für Terrorismus und Völkerstrafrecht verantwortlich ist, gegen Antifaschist:innen, denen Körperverletzungsdelikte an Neonazis zur Lasten gelegt werden?
Unsere Solidarität gegen ihre Repression!
Linke Bewegungen in Leipzig sind den Ermittlungsbehörden seit Jahren ein Dorn im Auge. In Sachsen, dem Bundesland, in dem die AfD bei der vergangenen Bundestagswahl stärkste Kraft wurde, ist Leipzig für viele Linke eine der wenigen Städte, die noch halbwegs sicher erscheinen. Linke Gruppen können hier vergleichsweise selbstbewusst auftreten. Um diesem Zustand etwas entgegen zu setzen gründeten 2019 die damaligen Innen- und Justizminster der CDU mitten im Leipziger Bürgermeisterwahlkampf die Soko Linx, eine Ermittlungsgruppe des sächsischen LKA. Mit viel medialer Inszenierung versuchte die CDU rechte Wähler:innen abzufischen und linke Straftaten aufzudecken. Es wurden Telefone abgehört, Wohnungen observiert und Kopfgelder auf Linke ausgesetzt. Dieser besondere Ermittlungseifer der Soko Linx hatte jedoch bis zu den Festnahmen im Antifa Ost-Verfahren eher mäßigen Erfolg. Schlussendlich müssen im Antifa Ost-Verfahren ein paar blaue Augen bei Neonazis dafür herhalten einen Prozess zu inszenieren, in dem Antifaschist:innen als Terrorist:innen gebrandmarkt werden sollen. Wer gegen Neonazis vorgeht, ist laut der Logik des Generalbundesanwalts staatsgefährdend.
Dass die ermittelnden Behörden offensichtlich selbst einen sehr guten Draht in die Neonaziszene haben, stört die Bundesanwaltschaft dabei nicht. Ermittlungsakten aus dem Prozess landeten beim rechtsradikalen „Compact“ Magazin und verschiedenen konservativen Zeitungen. Die Lebensgefährtin des ehemaligen Leipziger NPD-Politikers Enrico Böhm übergab der Soko Linx ein 14-seitiges Dossier mit Namen und Fotos von vermeintlichen Linken aus Leipzig. Die Ermittler:innen griffen später mehrmals auf den Inhalt des Dossiers zurück. Gegen den Einsatzleiter Mario Würzbach aus einem in den Ermittlungen eingesetzten Observationsteam des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) wurde ermittelt, weil dieser gemeinsam mit anderen sächsischen Beamt:innen Behördenmunition gegen ein inoffizielles Schießtraining bei Frank Thiel tauschte, einem Schießstandbetreiber, der dem rechtsterroristischen „Nordkreuz“-Netzwerk zugerechnet wird.
Das Antifa-Ost Verfahren ist so politisch wie eine Gerichtsverhandlung nur sein kann. Alleine die Tatsache, dass der Generalbundesanwalt das Verfahren mit der Begründung „Schwelle zum Terrorismus“ an sich gezogen hat, ist ein eindeutiges Signal, wenn man bedenkt mit welchem Desinteresse gegen bewaffnete rechte Gruppe vorgegangen wird. Selbst bei Prozessen, die aufmerksam von den Medien beobachtet werden, kommen Neonazis mit absurd niedrigen Strafen davon. In Mecklenburg-Vorpommern konnten Neonazis und Polizisten Netzwerke bilden, sog. Feindeslisten anlegen, Waffen horten, riesige Munitionslager anlegen und Leichensäcke bestellen. Am Ende hatten sie nicht mehr als Bewährungsstrafen vor dem Landgericht zu befürchten. Selbstbewusst gaben die Mitglieder der Gruppe „Nordkreuz“ nach den Prozessen noch Interviews, in denen sie mitteilten, dass sie weiter aktiv sind. Auf die Idee wegen der Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung zu ermitteln kam in den Behörden niemand und der Generalbundesanwalt sah hier keine Zuständigkeit. Solche Zustände machen uns zwar fassungslos, letzten Endes sind sie jedoch nicht mehr als ein Spiegelbild der derzeitigen Kräfteverhältnisse – nicht nur in Ostdeutschland.
Antifa statt Verfassungsschutz!
Auch in Niedersachsen setzt der Staat auf klare Signale. Anfang 2021 ließ der damalige niedersächsische Innenminister Boris Pistorius ein Verbot von Antifa-Gruppen in Niedersachsen prüfen. Während von Seiten des Innenministeriums die Weichen auf Repressionskurs gegen Antifaschist:innen gestellt werden, nimmt auch die Bedrohung von organisierten und bewaffneten Faschistinnen und Faschisten in Niedersachsen zu. Dies liegt auch daran, dass die Grenzen zwischen den Sicherheitsbehörden und Militärs auf der einen Seite und organisierten Neonazigruppen auf der anderen Seite zunehmend verschwimmen. Ein „Einzelfall“ in Niedersachsen jagt quasi den nächsten.
Im aktuellsten Fall wird gegen zwei ehemalige Polizisten aus dem Raum Hannover ermittelt, weil sie Teil des Reichsbürgernetzwerks sind, welches mit bewaffneten Aktionen vorhatte die Bundesrepublik zu stürzen. Einer von ihnen, Michael Fritsch, war in seiner Zeit als Polizist für den Schutz jüdischer Einrichtungen zuständig, bevor er sein Coming-out als rechter Hetzer während der Coronaproteste vollzog. Der Zweite arbeitete zumindest zeitweise als Staatsschützer für das LKA im Bereich Rechtsextremismus. Bereits im vergangenen Jahr machte die Polizei Hannover überregional Schlagzeilen, weil die Kommissarin Anna Jendrny mit dem militanten Neonazi Jannik Rohlfing zusammenlebt. Die Beamtin war bis zu der Veröffentlichung dieser Kontakte durch Antifarecherchen das Instagram-Aushängeschild der Polizei Hannover
Gegen 13 Faschistinnen und Faschisten, unter anderem aus Hannover, läuft aktuell ein Ermittlungsverfahren, weil sie sich in der „Neigungsgruppe G“ zusammengeschlossen haben und Anschläge gegen Migrant:innen geplant haben sollen. Der mutmaßliche Namensgeber der Gruppe, Jens Grohnert, war zuletzt stellvertretender Leiter der Reservisten-Kreisgruppe Hannover. Um sich scharte er weitere Reservisten, Feuerwehrleute und mindestens einen ehemaligen Polizisten. Durchsucht wurde in diesem Zusammenhang auch die Wohnung von Alexander Bajumi, einem Mitarbeiter des Bundesverteidigungsministeriums und wie Grohnert Mitglied in der Burschenschaft Germania.
Seit dem letzten Jahr ermittelt der Militärische Abschirmdienst (MAD) gegen Soldaten aus dem Raum Hannover weil sie zusammen mit dem ehemaligen „Blood & Honour“-Funktionär Johannes Knoch in der Gruppe „Nordbund“ aktiv sind. Dieses Netzwerk aus Neonazis, Soldaten und kriminellen Rockern geriet nicht in den Fokus des MAD, weil Polizeibehörden oder der Verfassungsschutz dem MAD zuarbeiteten, sondern weil Antifastrukturen die Gruppe offenlegten.
Doch Neonazis aus Hannover horten nicht nur Waffen und bereiten sich auf einen von ihnen ersehnten Tag X vor. Immer wieder kommt es auch hier zu Übergriffen auf der Straße. Kaum ein Monat vergeht ohne dass Migrant:innen in Hannover angepöbelt oder angegriffen werden. Geflüchtetenunterkünfte werden immer wieder zum Ziel von Anschlägen, Ende letzten Jahres wurde auf eine Unterkunft in Sehnde bei Hannover geschossen. Auch Linke sehen sich in und um Hannover immer wieder mit Angriffen von Neonazis konfrontiert. Im Stadtteil Ahlem versuchen Mitglieder der Jungen Nationalisten (JN) seit einiger Zeit gezielt politische Gegner:innen einzuschüchtern. Gegen die „Calenberger Bande“ um den Neonazi Patrick Kruse wird aktuell immer noch ermittelt, weil sie mehrere Anschläge u.a. auf die Wohnhäuser jüdischer und kurdischer Familien durchgeführt haben.
Für uns steht außer Frage: Wir sind solidarisch mit allen, die sich Neonazis und Rechten entgegenstellen. Ob mit Bildungsarbeit, Recherche, Blockaden oder mit handfesten Auseinandersetzungen und militanten Aktionen.
Wir solidarisieren uns mit allen Antifaschist:innen, die von staatlicher Repression überzogen werden. Egal wie genau das Urteil im Antifa Ost Verfahren ausfällt, wir stehen Schulter an Schulter neben unseren Freund:innen! Wir grüßen alle Antifas hinter Gittern – ob in Dresden, Leipzig, Budapest oder Stuttgart!
Freiheit und Glück für alle Gefangenen!
Kommt am Tag der Urteilsverkündung um 20 Uhr zur U-Bahnstation Leinaustraße in Hannover (Linde