We all live in a yellow submarine - Ein Bericht zu den Gelbwesten aus der Sicht von Gefährt*innen aus Toulouse

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Für Samstag den 17. November, wurde erstmals eine Mobilisierung der sogenannten “Gelbwesten” über Facebook angekündigt. Der Aufhänger war die neue Treibstoff-Steuer die Anfang 2019 in Kraft treten sollte. Viele dachtenursprünglich an einen Flop dieser Mobilisierung, aber als dann am Sonntag den 18. November die Leute immer noch da waren, auch am Montag und Dienstag und so weiter, wurde doch vielen klar, dass das Fass wirklich voll zu sein scheint.

Naja, und seit dem 17. November sind mittlerweile drei Wochen vergangen und die Leute befinden sich immer noch auf der Straße und an irgendwelchen Blockaden. Seit Samstag den 1. Dezember spricht die Regierung nun deutlich von einer aufständischen Situation.

 

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, was sind denn das für Leute die diese Situation herbeigeführt haben, und welche Ideen treiben sie an? Vor allem, da man ja ständig viele Nationalflaggen flattern sieht und immer wieder die französische Nationalhymne angestimmt wird. Uns ist hier in Frankreich natürlich auch aufgefallen, dass zum Beispiel in Berlin am letzten Samstag die AfD und Pegida mit Gelbwesten auf die Straße gegangen sind. In England waren es auch Rechtspopulisten die sich darauf beziehen und natürlich auch in Italien. In Deutschland wird die Bezugnahme der AfD und von Pegida auf die Gelbwesten mit großer Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass sich die emanzipatorischen Kräfte davon eher distanzieren werden. Wir glauben hier, dass das ein Fehler sein wird.

Die Situation in Frankreich zu beschreiben ist nicht einfach, vor allem da es nicht eine Wahrheit gibt und wahrscheinlich auch nicht geben wird. Das muss zugegeben werden. Die Präsenz von rechtspopulistischen und sogar rechtsextremen Kräften in dieser Bewegung ist nicht zu leugnen. Das die Rechtspopulisten wie Le Pen aber auch die Linkspopulisten wie Melenchon versuchen werden das Ruder auf ihre Seite zu reißen, ist eine Tatsache. In diesem Sinne kann man natürlich eine Parallele zu der italienischen Situation sehen, wo die technokratische, neoliberale Regierung von Mateo Renzi von den beiden populistischen Extremen abgelöst wurde. Die Menschen die sich auf der Straße oder zwischen den verschiedenen Blockade-Punkten bewegen, sind aber ein heterogener Haufen, dessen einziger gemeinsamer Nenner bis jetzt, die antagonistische Haltung gegenüber der jetzigen Regierung und vor allem gegenüber Macron und seiner unglaublichen Arroganz ist. Darin sind natürlich die üblichen Verlierer der unteren Schichten anzusiedeln, aber nicht nur. Ein großer Teil entspringt auch einer Mittelschicht, die langsam ihr Verschwinden zu spüren bekommt. Die Vergleiche zu einer griechischen Situation wie vor 10 Jahren liegen hier ziemlich auf der Hand.

Die Regierung hat gestern, ein Moratorium für die Treibstoff-Steuer angekündigt. Doch die Bewegung hat sich mittlerweile gewandelt, und die Forderungen haben sich ausgeweitet. Der polarisierende Punkt der Treibstoff-Steuer, ist definitiv in den Hintergrund getreten und hat Platz für breitere Debatten, Diskussionen und Forderungen gemacht. Die Amtsenthebung Macrons, der hier als Präsident der Reichen betitelt wird, scheint heute ein großer gemeinsamer Nenner zu sein. Durch das Land geistert ein regelrechter Hass auf die Arroganz und Überheblichkeit dieser Welt von Eliten und Bonzen. Dass aus dieser Verachtung nicht nur emanzipatorische Ideen ihren Weg in die Herzen der Menschen finden, wissen wir nicht erst seit heute. Für uns hier ist es das, was auf dem Spiel steht. Und obwohl viele Genossen und Genossinnen anfangs sehr skeptisch waren, angesichts der vielen französischen Flaggen überall, scheint spätestens seit Samstag dem 24. November für viele klar zu sein, dass wir da sein wollen, mit unseren Vorstellungen einer emanzipierten Gesellschaft. Und somit denken wir auch, dass es wichtig sein wird, dass im Ausland die rechten Kräfte kein einfaches Spiel haben. Vor allem da wir glauben, dass das einen reellen Einfluss haben wird.

Auf jeden Fall, gab es schon einige erfreuliche Gegebenheiten, wie zum Beispiel, dass ein selbsternannter Sprecher der Gelbwesten in Toulouse, als Rechtsradikaler geoutet wurde und dass das ihm und seiner Popularität gar nicht gut bekam. Er hat sich auf Grund dieses Outings von der Bewegung getrennt und eine Splitterbewegung die sich die gelben Zitronen nennt gegründet.

Dass mit den Sprecher*innen oder Repräsentant*innen ist übrigens ein ganz wesentlicher Bestandteil der Stärke dieser Bewegung. Bis jetzt wird jegliche Repräsentation abgelehnt. Jedes mal wenn selbsternannte Sprecher*innen versuchen wollen die Bewegung zu führen, bekommen sie massiv Morddrohungen usw.. Die Regierung hatte letzte Woche zum Beispiel 7 Repräsentanten eingeladen. 5 davon haben aus Angst vor Repressalien abgelehnt.

Das Misstrauen gegenüber jeglicher Form von Repräsentation ist wirklich groß. Misstrauen gegenüber Politiker*innen, Gewerkschaften, Organisationen usw., zeichnet sich auch mehr und mehr als ein großer gemeinsamer Nenner der Bewegung ab. Und ohne Repräsentant*innen kann es keine Verhandlungen geben. Dementsprechend wird das ein ausschlaggebender Punkt sein. Am Sonntag den 9. Dezember ist in Toulouse eine Großversammlung der Bewegung auf nationaler Ebene ausgerufen worden, mit der Idee Repräsentant*innen zu wählen. Das stößt bis jetzt auf viel Ablehnung. Bleibt zu hoffen, dass die Versammlung ein Flop wird.

Was auch ein interessanter Punkt ist, ist natürlich die einfache Tatsache, dass sich Menschen begegnen. Gestern noch konnten wir auf einer kleinen Blockade ein langes Gespräch mit einer Frau führen, die erzählte, dass viel über Rassismus und Faschismus diskutiert wird und dass das bei ihnen anfangs recht problematisch war, aber dass sich da vieles geändert hat, in den letzten drei Wochen. Wenn Menschen sich begegnen und ihre Realitäten miteinander konfrontieren, kann das immer etwas verändern. Dass ist auch der Grund wieso wir diese Bewegung nicht desertieren werden und wieso wir finden, dass es wichtig ist, das in Europa, den Rechten das Ganze nicht einfach gemacht wird.

Auf die Frage, wie in diesem ganzen Chaos intervenieren, konnten wir uns bis jetzt nur ein paar Antworten geben. Eine davon ist sicherlich, dass wir nicht die Stereotypen von linken Aktivist*innen reproduzieren wollen, sprich; wir wollen nicht mit ewig langen, moralisierenden Pamphleten die von einer externen Position daherkommen, da antanzen. Wir wollen da Teil sein, weil dass auch unsere Gesellschaft und unsere Zukunft ist. Gedankengut einer emanzipierten Gesellschaft entwickeln, mitdenken und fähig sein zuzuhören und vor allem wollen wir auch fähig sein, uns selbst auch verändern zu lassen. An diesem Punkt der Geschichte müssen wir uns eingestehen, dass wir ihren Ausgang nicht kennen und wahrscheinlich ist das auch besser so.

Ein weiterer Umstand dem mittlerweile auch eine zentrale Rolle zukommt, ist die Polizeigewalt. Für viele Menschen, die in den letzten Wochen auf der Straße waren, war die Konfrontation mit der staatlichen Repression ein Novum, und hat einen starken Hass gegen die Staatshüter mit sich gebracht. In Toulouse liegt seit letzten Samstag eine Person im Koma auf Grund eines Flashball-Schusses am Kopf. In Marseille ist eine 80jährige Frau von einer Gasgranaten-Kartusche am Brustkorb getroffen worden und daran gestorben als sie in ihrer Wohnung war. Heute während wir diese Worte schreiben, zeigt der Kalender den 6. Dezember 2018. Vor genau zehn Jahren war es der 6. Dezember 2008...

 

 

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