Offener Brief an die linksradikale Bewegung Nürnbergs

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Offener Brief an die Genoss:innen von der Organisierten Autonomie und an die anderen Genoss:innen, die sich dafür entschieden haben den Finkenberger-Vortrag in der schwarzen Katze stattfinden zu lassen

Kurz zum Hintergrund für alle, die noch gar nicht mitbekommen haben worum es geht: Dieser Vortrag, der morgen in der schwarzen Katze stattfinden soll, wird seit einiger Zeit beworben. Als Reaktion darauf folgte unter anderem ein längeres Statement des Nürnberger Klimacamp, samt dem Schritt, in Zukunft keine Veranstaltungen der schwarzen Katze zu machen. Des weiteren wurde ein Aufruf verteilt, die Veranstaltung zu blockieren. Von Seiten der Organisierten Autonomie wurde mit einem Statement geantwortet. Einen ganz guten Überblick findet man vermutlich, wenn man die Texte hinter den Links in dem Absatz hier anklickt.

Jetzt aber zum eigentlichen offenen Brief:

Hey ihr, ich schreibe hier als Einzelperson meine ganz persönlichen Gedanken und Gefühle zur Finkenberger-Kontroverse:
Da ich jetzt seit einigen Jahren in den linksradikalen Kontexten in Nürnberg aktiv bin, kennen viele von euch mich vermutlich. Ich habe mit euch in der schwarzen Katze, im P31, in einem der anderen linken Läden getrunken oder auf Soli-Partys, geraucht, geredet, diskutiert oder Karten gespielt, mit einigen vielleicht sogar getanzt. Oder war mit euch auf Demos und Aktionen. Mit vielen von euch hatte ich bestimmt schon eine gute, spaßige, interessante und auch kämpferische Zeit.

Ich rede ungefragt nicht super viel über meine Transitionsgeschichte, erwähne das Thema gewöhnlich nicht, wenn ich nicht explizit darauf angesprochen werde. Ehrlich gesagt ist mir das Thema meistens ein bisschen unangenehm. Aber ein großes Geheimnis ist es auch nicht, die von euch mit denen ich hin und wieder Zeit verbringe, haben das größtenteils wohl auf dem Schirm. Ich hatte in Nürnberger linken Kontexten eigentlich immer das Gefühl, dass meine Transitionsgeschichte kein großes Problem ist.

Ja, es gab immer wieder auch heftige Debatten rund um das Thema. Hauptsächlich darüber, welche Begriffe man wie nutzen sollte. Das sind Debatten aus denen ich mich gewöhnlich raushalte. Ich habe dazu sicher auch Meinungen, aber die sind glaube ich in beiden großen Fraktionen die es diesbezüglich gibt nicht super populär und mir sind Sprachdebatten auch nicht wichtig genug, um mich deshalb zu stressen. Und wenn doch hatte ich immer den Eindruck, dass sich einigermaßen sachlich, fair und ohne die Gegenseite zu entmenschlichen darüber reden lässt.

Und jetzt ist da plötzlich diese Vortragseinladung und ich frage mich einfach nur, was der Scheiß soll. Was an der Einladung und an von diesem Finkenberger vertretenen Positionen aus unserer Sicht alles scheiße ist, wurde in dem Blockadeaufruf und dem Statement des Klimacamps eigentlich ausführlich erläutert. Die Punkte die ich ganz persönlich wirklich verletzend finde und aufgrund derer ich mich wirklich frage, was ihr euch dabei gedacht habt, gingen in den Texten allerdings ein wenig unter.

Das eine ist, dass der Finkenberger sehr offen (was sowohl von seiner Website, als auch vom anhören seiner Vorträge) propagiert, dass man es transgeschlechtlichen Menschen schwerer machen soll, an medizinische Versorgung zu kommen. Und ganz ehrlich, da ist für mich eine heftige Grenze überschritten. Es ist für mich eine Sache, ob darüber diskutiert wird, was für Begriffe man jetzt verwendet. Das kann auch verletzend sein, klar. Aber ist mMn trotzdem eine Debatte, die es sinnvoll ist zu führen. Das andere ist, wenn meine Genoss*innen jemanden eine Bühne geben, der ganz offen propagiert, dass es mir (und anderen Genoss*innen) noch weiter erschwert werden soll, an die medizinische Versorgung zu kommen die ich brauche. Vor allem wenn ich bedenke, wie heftig ich und andere gegen die gierigen Krankenkassen darum kämpfen müssen, diese überhaupt zu bekommen, teilweise sogar in Gerichtsverfahren. Ein solches muss ich gerade selber führen.

Das andere ist, der unglaublich entmenschlichende Tonfall sowohl der „Einladung“ als auch des Statements der OA. Beide Texte lesen sich einfach unglaublich danach, als werden total abstrakte politische Fragen diskutiert, als wären transgeschlechtliche Menschen keine Genoss*innen von euch, keine handelnden Subjekte innerhalb der Bewegung, sondern einfach nur Objekte eines politischen Diskurs, über die man redet, mit denen man aber nicht reden kann (ein Eindruck der dadurch bestärkt wird, dass keine einzige transgeschlechtliche Person aufs Podium eingeladen wurde, obwohl es in der Nürnberger linksradikalen Bewegung nun wirklich genug von uns gibt). Und gerade in dem Statement der OA, wurde auch so geschrieben, als ob einfach davon ausgegangen wird, dass das Klimacamp-Statement und der Blockadeaufruf nicht von transgeschlechtlichen Menschen geschrieben wurde, sondern halt von Queerfeminist*innen die das Thema von der anderen Seite theoretisieren und über irgendein realitätsfremdes Diskursobjekt reden, wobei doch zumindest aus dem Aktionsaufruf klar das Gegenteil hervorgeht. Ich verstehe einfach nicht was das soll. Sind wir für euch eigentlich gar keine Genoss*innen, sondern nur Objekte eines politischen Kampfes?

Ach ja, außerdem muss ich sagen, dass ich es auch sehr verletzend fand, dass antiimperialistische Gruppen, die sonst heftig alles ablehnen, was auch nur ansatzweise antideutsch riecht bei dem Thema ganz plötzlich überhaupt kein Problem damit haben, einen antideutschen, dessen primäre Veröffentlichungsmedien (neben seiner eigenen Website) die Jungle World sowie ein Verlag, der von der Nürnberger Buchmesse ausgeladen wurde weil er als zu antideutsch galt sind, einzuladen. Hasst ihr uns wirklich so sehr, dass das plötzlich kein Problem mehr ist?

Grundsätzlich finde ich einige Debattenpunkte, auf die ihr vermutlich auch hinaus wollt auch wichtig. Ich wünsche mir häufig eine materialistischere Betrachtung von Thematiken rund um Transgeschlechtlichkeit, fühle mich mit der sehr postmodernen Betrachtungsweise der Thematik selber nicht ganz wohl und habe durchaus in vielerlei Hinsicht eine andere Betrachtungsweise meiner Transgeschlechtlichkeit, als die „klassisch“-queerfeministische. Aus der Perspektive denke ich schon, dass ich ein gewisses Verständnis dafür habe, wenn die Art wie von queerfeministinnen geredet wird bei Menschen, denen materialistische Betrachtungsweisen wichtig sind Unwohlsein und den Impuls zum Widerspruch auslöst. Und ich finde es an sich gut, über diese Dinge zu reden. Aber doch nicht so! Warum um alles in der Welt müsst ihr solche Referenten wie den Finkenberger (an dem es nun wirklich noch mehr zu kritisieren gibt als seine Einstellung zu dem Thema) einladen, der auch keinerlei Verwurzelung in der Nürnberger Bewegung hat und daraus eine Show machen, in der wir überhaupt nur mitreden können, wenn wir uns vor der versammelten Szene bloßstellen lassen? Warum kein Format um auf respektvolle und trotzdem kritische Art MIT uns über die Dinge zu reden? Wir sind da. Wir sitzen regelmäßig in den Szeneörtlichkeiten und müssen nur angesprochen werden. Und einige von uns würden sicher auch zu einer Diskussionsveranstaltung kommen und mitreden, die den Eindruck erweckt, als ob wirklich ein Interesse da ist MIT uns zu reden. Aber halt nicht bei einem Format das sich von vorne bis hinten so ließt, als ob wir als politisch handelnde Subjekte und als Gesprächspartner*innen gar nicht vorgesehen sind.

Naja, aus all diesen Gründen, bin ich unglaublich traurig und verletzt von dem, was ihr da gerade veranstaltet. Ich weiß noch nicht, ob ich mich ganz aus den Nürnberger Kontexten zurückziehen werde. Kürzlich wollte ich eigentlich zur VAPCA und hab mich nachdem ich mitbekommen habe, dass ein Mensch von der OA (mit dem ich persönlich keinerlei Stress habe) drinnen sitzt nicht rein getraut, weil ich nach dieser ganzen Ladung an Entmenschlichung einfach nicht wusste, was ich zu erwarten habe.

Und aus all diesen Gründen, werde ich wohl morgen bei der Katze sein und versuchen eure blöde Veranstaltung zu blockieren. Nicht mal mit dem Ziel, dass sie nicht stattfindet. Ich würde mir zwar zutrauen, dass recht zuverlässig zu erreichen, aber die Eskalationsmittel zu denen ich da greifen müsste sind keine die ich gegenüber Menschen, mit denen ich vor ein paar Wochen noch nett in der Kneipe saß anwenden will. Aber eine Sache will ich erreichen: Das ihr irgendeine Form von körperlicher Gewalt gegen mich anwenden (oder die Bullen rufen, aber ich hoffe einfach mal ganz stark, dass ihr nicht SO tief gesunken seid) müsst, um eure Veranstaltung zu machen (und gleich vorneweg: ich habe nicht vor zurückzuschlagen, auch wenn es anderen anders gehen mag, dass weiß ich natürlich nicht). In der Hoffnung, dass ihr dann vielleicht merkt, dass es hier nicht um irgendeinen hochtheoretischen Diskurs geht, sondern um Menschen die ihr zumindest vom Sehen kennt. Damit klar wird: Dieser Vortrag bedeutet Gewalt gegen Genoss*innen von euch. Wenn diese körperlich wird ist sie zumindest sichtbar und vielleicht merkt ihr dann ja endlich, was ihr da tut.

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