[B] Erdogan und Merkel den Mittelfinger zeigen!

Er will tatsächlich nach Berlin kommen: Erdogan, selbstinszenierter Herrscher der Türkei nach osmanischem Vorbild, ist zum Staatsbesuch nach Deutschland geladen. Die Bundesregierung wird ihn, ihren wichtigsten Verbündeten im Südosten Europas, mit militärischen Ehren empfangen. Dass sie dabei jemanden ehrt, der erbarmungslos Journalist*innen und Oppositionelle verfolgen lässt und der einen brutalen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei und in Syrien führt – das stört die Bundesregierung nicht. Uns schon! Wir sagen Nein zu Erdogan und werden ihm und seinen Kompliz*innen zeigen, dass sie hier nicht willkommen sind!

Es ist schon beinahe ermüdend sich über Erdogan die Finger wund zu schreiben. Weit in bürgerliche Kreise hinein geächteter Autokrat. Protagonist eines beispiellosen Umbaus des türkischen Staatsapparats zu eigenen Zwecken. Gnadenloser Verfolger politischer wie medialer Opposition. Vorkämpfer eines antifeministischen Rollbacks sondergleichen. Alles wie gehabt, alles bekanntermassen scheisse. Und nach anfänglich wahltaktischem Umschmeicheln der kurdischen Bevölkerung in der Türkei hat auch Erdogan den Krieg gegen alle Elemente kurdischer Selbstbestimmung fortgeführt. Politiker*innen der HDP werden weggesperrt, der tödliche Drohnenkrieg gegen Strukturen der PKK wird ausgeweitet, und mittels blutiger Luft- und Artillerieangriffen werden Städte wie Amed in Schutt und Asche gelegt. Städte, wo vor allem die Jugend den bewaffneten Kampf gegen Militär und Polizei aufnahm. Auch die andauernde Unterstützung, die der türkische Staat diversen islamistischen Terrorgruppen zuteil werden lässt, muss eingeordnet werden in eine umfassende Offensive gegen diese Vorkämpfer*innen für ein globales Recht auf Selbstbestimmung, für die Befreiung der Frau und für die Umwälzung ökonomischer Verhältnisse.

Und dennoch: Die Leidenschaft für die Ideen des demokratischen Konföderalismus greift um sich. Im Nachbarland Syrien gelingt es der Bewegung seit vielen Jahren in Selbstverwaltung über ihre eigenen Geschicke zu verfügen. Im irakischen Shengal waren es PKK Einheiten die als einzige den Banden des IS trotzten und sodann vor Ort wehrhafte Rätestrukturen zu etablieren halfen. Im Kandilgebirge schlägt ungebrochen eines der Herzen kurdischen Widerstands, allen Invasionsbemühungen der Türkei zum Trotz. Ausserhalb dieser Gegenden zieht die Vorstellung einer rätedemokratischen Organisierung der eigenen Lebensumstände ebenso selbstverständlich neue Kreise, wie sie alte Verbindungen neu erweckt. Auch aus dem Kreis unserer Gruppe haben sich bereits mehrere Genoss*innen vor Ort in Rojava bilden können und ausbilden lassen, haben Kontakte geknüpft. Und auch in unseren Strukturen werden Erfahrungen der Menschen in den kurdischen Autonomiegebieten diskutiert und angewandt.

Während also die örtliche Bevölkerung, die vielen angereisten solidarischen Internationalist*innen, ja auch unsere Genoss*innen mit oder ohne Waffe in der Hand den Aufbau einer fundamental anderen Zukunft ausprobieren; während genau diese tapferen Menschen Gefahr laufen müssen von auf deutschen Panzern fahrenden türkischen Soldaten, oder einem von der Türkei bewaffneten Islamisten umgebracht zu werden; währenddessen empfängt die Bundesrepublik Deutschland mit militärischen Ehren jenen Mann der stets sein Bestes tat die Ideen der Bewegung auszuradieren.

Und bliebe es nur bei Pauken und scheppernden Trompeten auf dem Flugfeld! Kaum ein Land auf dieser Welt hat der Türkei und Erdogan jedoch so viel Unterstützung entgegengebracht wie Deutschland. Bei allem Wehklagen über die Menschenrechtslage in der Türkei, bei allen gerunzelten Stirnfalten wenn mal wieder jemand vom Range eines Deniz Yücel eingeknastet wurde: Militärisch und geheimdienstlich passt mindestens seit NATO-Zeiten kein Blatt Papier zwischen beide Länder. Auch wirtschaftlich ist die Türkei bei weitem nicht nur für die deutsche Rüstungsindustrie wichtig. Der schmutzigste Höhepunkt deutscher CDU-SPD-Aussenpolitik war es dann, der Türkei üppige finanzielle Hilfe sowie Unterstützung bei der militärischen Aufrüstung ihrer Grenzen zu versprechen - im Tausch für möglichst hartes Vorgehen gegen jene die aus weiter entfernteren Ländern nach Europa - somit potentiell auch nach Deutschland - flüchten müssen. Und der dystopische Ausblick auf die Zukunft den Aktivist*innen und Genoss*innen hierzulande angesichts regelmässiger Strafverschärfungen und weitergehender Kriminalisierung legitimen Widerstands üben müssen: Man kann behaupten dass viele dieser Mittel der Repression auch in Deutschland zunächst an Aktiven der linken kurdischen und türkischen Basisorganisationen ausprobiert wurden. Trotz der stets hochgehaltenen Mär von Deutschland als Bastion der Menschenrechte und gutem Gewissens der Weltgemeinschaft also, die hässliche Fratze eines nach innen immer autoritärer auftretenden Neoliberalismus und seiner imperialistischen Bestrebungen ausserhalbs wird zunehmend sichtbarer.

Der langen Rede kurzer Sinn: Menschen gibt es, und Schweine gibt es. Dass sich nun also Ende September ein paar ausgemachte Exemplare der letztgenannten Gattung hier zum Käffchen treffen wollen erfüllt uns nicht nur mit heisser Wut, sondern lässt schon fast etwas kalte Vorfreude sich breit machen. Zeigen wir ihnen was wir von ihnen halten! Schicken wir gemeinsam ein Zeichen der Solidarität an jene in Rojava, an jene im Kandil, an jene in den roten Vierteln Istanbuls, an jene in den türkischen und deutschen Knästen! Beteiligen wir uns an den Demonstrationen! Ersinnen oder unterstützen wir dezentrale Aktionen des Chaos! Lassen wir es krachen, so wie es hier eigentlich jeden Tag krachen müsste, bis dieser Normalzustand unaufhörlicher Zumutungen - dieser Zustand an dem so überhaupt nichts normal ist - sein Ende findet!

radikale linke | berlin im September 2018

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